© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 64/16 Fragen zur Zuständigkeitsverteilung und zum Subsidiaritätsverfahren im Falle der Kodifikation von EU-Rechtsakten Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 2 Fragen zur Zuständigkeitsverteilung und zum Subsidiaritätsverfahren im Falle einer Kodifikation von EU-Rechtsakten Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 64/16 Abschluss der Arbeit: 10.05.2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Subsidiaritätsprinzip und Subsidiaritätsverfahren 5 3. Zur EU-Zuständigkeit bei bloß technischer Kodifizierung von EU-Rechtsakten 6 4. Handlungsoptionen des Bundestages 7 4.1. Handlungsziele 7 4.2. Klärung der Rechtsfragen 8 4.2.1. Außergerichtliche Klärung 8 4.2.2. (Unions-)Gerichtliche Klärung 9 4.2.2.1. Vorgehen gegen die Richtlinie 9 4.2.2.2. Vorgehen gegen das Kommissionsschreiben 10 4.3. Hinwirken auf die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens 11 5. Zusammenfassung 12 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Am 3. Dezember 2015 leitete die Kommission dem Bundestag ihren Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts [COM(2015)616 final] unmittelbar zu. Die förmliche Zuleitung der Bundesregierung auf Grundlage von § 6 EUZBBG erfolgte am 15. Dezember 2015. Gegenstand des Kommissionsvorhabens ist eine technische, d.h. ohne inhaltliche Änderungen vorzunehmende Kodifikation mehrerer Richtlinien zum Gesellschaftsrecht, die in den Jahren 1982 bis 2012 erlassen wurden. Ein in der Praxis übliches und kurz nach der Zuleitung erfolgendes Schreiben der Kommission an die mitgliedstaatlichen Parlamente, in dem sie u. a. mitteilt, dass das im Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (im Folgenden: Subsidiaritätsprotokoll oder SubProt) vorgesehene Subsidiaritätsverfahren eröffnet wird, blieb aus. Im sog. Subsidiaritätsprüfbogen der Bundesregierung vom 5. Januar 2016, der dem Bundestag am 13. Januar 2016 zugeleitet wurde (EuDoX, Vorhaben 15106/15), geht diese davon aus, dass das Kodifizierungsvorhaben der Kommission in eine nicht ausschließliche EU-Zuständigkeit fällt. Mit Schreiben vom 23. Februar 2016 wandte sich der Vorsitzende des Unterausschusses Europa des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages an den Präsidenten der Kommission (EuDoX, PE-Dok 62/2016) und teilte diesem mit, dass davon ausgegangen werde, dass das Kodifizierungsvorhaben einen Bereich betreffe, der nicht in die ausschließliche EU-Zuständigkeit falle und daher eine Subsidiaritätsrüge erhoben werden könne. Ferner wurde um Klärung gebeten, ob und bis wann eine Subsidiaritätsprüffrist in diesem Fall laufe und wie mit Stellungnahmen mitgliedstaatlicher Parlamente umgegangen werde, die in Unkenntnis des Fristablaufs erst nach Fristende abgegeben würden. Mit Schreiben vom 18. März 2016 antwortete die für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung zuständige Kommissarin Věra Jourová hierauf (EuDoX, EU-Dok 125/16) und lehnte unter Verweis auf eine bloß technische Kodifizierungen bestehender EU-Rechtsakte die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens nach dem Subsidiaritätsprotokoll ab. Art. 3 AEUV, der die ausschließlichen Zuständigkeiten der EU aufzähle, sei nicht abschließend. Ausschließliche EU-Zuständigkeiten könnten sich auch aus der Natur der Sache ergeben, so etwa im Hinblick auf budgetäre und institutionelle Angelegenheiten. Hierunter falle schließlich auch die Kodifikation von Organhandlungen als „rein technische Bündelung mehrerer getrennter Rechtsakte ohne inhaltliche Änderungen.“ Als ausschließliche EU-Zuständigkeit unterliege die Kodifikation sodann nach Art. 5 Abs. 3 EUV nicht dem Subsidiaritätsprinzip, so dass die mitgliedstaatlichen Parlamente keine begründeten Stellungnahmen nach Art. 6 SubProt einreichen könnten. Der Fachbereich wird vor diesem Hintergrund um die Beantwortung der Frage ersucht, ob die Auffassung der Kommission zutreffend ist, wonach eine bloß technische Kodifizierung bestehender EU-Rechtsakte unter die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Ferner wird danach gefragt , welche Handlungsoptionen aus Sicht des Bundestages bestehen, wenn die Kommissionauffassung unzutreffend ist und ein Subsidiaritätsverfahren hätte durchgeführt werden müssen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 5 Bevor auf die beiden Fragen im Wege einer ersten summarischen Einschätzung eingegangen wird, sind zunächst kurz das Subsidiaritätsprinzip sowie das zu seiner parlamentarischen Geltendmachung vorgesehene Subsidiaritätsverfahren zu beschreiben. 2. Subsidiaritätsprinzip und Subsidiaritätsverfahren Das Subsidiaritätsprinzip findet seine Rechtsgrundlage in Art. 5 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV). Es handelt sich hierbei – ebenso wie im Fall des in Art. 5 Abs. 3 EUV normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – um eine Regel, die die Ausübung der Unionszuständigkeiten begrenzt, vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 2 EUV. Anders als letztgenanntes gilt das Subsidiaritätsprinzip jedoch nur für die Bereiche, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen . Hinsichtlich der Anwendung des Subsidiaritätsgrundprinzips verweist Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 EUV auf das Subsidiaritätsprotokoll. In diesem ist auch das (parlamentarische) Subsidiaritätsverfahren geregelt. Ausgangspunkt dieses Verfahrens ist das Recht der nationalen Parlamente zur begründeten Stellungnahme im Hinblick auf Entwürfe von Gesetzgebungsakten und deren Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsgrundsatz (sog. Subsidiaritätsrüge, Art. 6 ff. des Subsidiaritätsprotokolls [SubProt]). Für das Einlegen der Rüge sieht Art. 6 Abs. 1 SubProt eine achtwöchige Frist vor. Deren Lauf beginnt mit dem Zeitpunkt der Übermittlung des Entwurfs eines Gesetzgebungsaktes in den Amtssprachen der Union. In der Praxis übermittelt die Kommission wenige Tage nach erfolgter Zuleitung ihres Vorschlags eine entsprechende Mitteilung, in der sie u. a. auf die Eröffnung des Subsidiaritätsverfahrens und den Fristbeginn hinweist. Die sodann ggf. erhobenen Rügen sind an die Präsidenten des Europäischen Parlaments (EP), des Rates und der Kommission zu richten. Anschließend lassen sich im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Subsidiaritätsrüge drei Verfahrensebenen und eine Rechtsschutzmöglichkeit unterscheiden: Auf der ersten, in Art. 7 Abs. 1 SubProt geregelten Verfahrensebene sind die an der Rechtssetzung beteiligten Organe – in der Regel Kommission, EP und Rat – verpflichtet, jede Rüge zu berücksichtigten (Berücksichtigungspflicht). Die zweite, in Art. 7 Abs. 2 SubProt vorgegebene Verfahrensebene kommt zur Anwendung, wenn die Anzahl der Rügen mitgliedstaatlicher Parlamente 1/3 der Gesamtzahl der nationalen Parlamente erreicht (sog. gelbe Karte). Das für den Entwurf verantwortliche Organ bzw. die dafür verantwortliche Gruppe von Mitgliedstaaten ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Entwurf zu überprüfen und einen begründeten Beschluss über das weitere Vorgehen zu erlassen (Überprüfungs - und Begründungspflicht). Die dritte, in Art. 7 Abs. 3 SubProt geregelte Verfahrensstufe enthält eine Verschärfung der zweiten Stufe für ordentliche Gesetzgebungsverfahren und den Fall, dass die Mehrheit der nationalen Parlamente eine Rüge erhebt (sog. orange Karte). Auch hier besteht eine Überprüfungs- und Begründungspflicht , die aus verfahrensrechtlichen Gründen ausschließlich die Kommission trifft. Hält diese an ihrem Vorschlag fest, kann ihn der Unionsgesetzgeber in Gestalt des Rates oder des EP bei Erreichen eines bestimmten Quorums verwerfen (Verwerfungsoption). Wird der betreffende Gesetzgebungsakt angenommen, so sieht Art. 8 SubProt vor, dass eine Subsidiaritätsklage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Maßgabe des Art. 263 AEUV (Nichtigkeitsklage) von einem Mitgliedstaat erhoben oder – entsprechend der innerstaatlichen Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 6 Rechtsordnung – von einem Mitgliedstaat im Namen seines Parlaments übermittelt werden kann. Von der letztgenannten Option wurde in § 12 Abs. 3 IntVG Gebrauch gemacht. Danach hat die Bundesregierung eine durch den Bundestag initiierte Klage unverzüglich und in seinem Namen an den EU-Gerichtshof zu übermitteln. Nach § 12 Abs. 1 IntVG ist der Bundestag auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet, eine Subsidiaritätsklage in der genannten Weise zu erheben . 3. Zur EU-Zuständigkeit bei bloß technischer Kodifizierung von EU-Rechtsakten Im Hinblick auf die erste Frage, ob die Kommissionsauffassung zutreffend ist, wonach eine bloß technische Kodifizierung bestehender EU-Rechtsakte unter die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt, ist zunächst festzuhalten, dass es sich hierbei lediglich um eine Rechtsansicht handelt. Von der Bundesregierung wird diese Ansicht jedenfalls nicht geteilt, wie sich aus dem einschlägigen Subsidiaritätsprüfbogen ergibt, in welchem diese von einer nicht ausschließlichen Zuständigkeit ausgeht. Soweit ersichtlich, ist die Frage nach Umfang und Begründung ausschließlicher EU-Kompetenzen unionsgerichtlich bisher nicht entschieden worden. In der einschlägigen Kommentarliteratur wird die ausdrückliche Aufzählung ausschließlicher EU-Kompetenzen in Art. 3 AEUV zum Teil als abschließend betrachtet. Einige Stimmen weisen jedoch wohl zutreffend darauf hin, dass dies nicht der Fall sei und ausschließlich der EU zustehende Kompetenzen sich auch aus der Natur der Sache ergeben können. Beispielhaft wird insoweit etwa auf die interne Selbstorganisation der Organe oder die Rechtsbeziehungen zu den EU-Bediensteten verwiesen. Die Kodifikation bestehender EU-Rechtsakte findet in diesem Zusammenhang – soweit ersichtlich – (bisher) keine Erwähnung . Die Annahme einer ausschließlichen EU-Kompetenz für Kodifikationen aus der Natur der Sache erscheint aus mehreren Gründen höchst fraglich. Soweit die Kommission ihre Auffassung damit begründet, dass es in der Natur der Kodifizierung auf EU-Ebene liege, dass nur Institutionen der EU sie vornehmen können, schließt sie von der formellen Tätigkeit der Rechtssetzung auf die hierfür bestehende Verbandszuständigkeit. Konsequent fortgedacht hätte dies zur Folge, dass auch inhaltliche Änderungen bestehender EU-Rechtsakte „ihrer Natur nach“ nur von EU-Institutionen vorgenommen werden können. Dieses unions- und verfassungsrechtlich nicht haltbare Ergebnis macht deutlich, dass es für die über Art. 3 AEUV hinausgehende Begründung ausschließlicher EU-Zuständigkeiten nicht auf die Natur des „Verfahrens“ ankommt, sondern auf die hiervon betroffene „Sache“ (bspw. die erwähnte Selbstorganisation der Organe). Vorliegend bezieht sich das Kodifikationsvorhaben aber auf Bereiche, die als solche eine geteilte EU-Zuständigkeit im Sinne des Art. 4 AEUV darstellen und daher dem Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 EUV unterliegen. Nicht durchzugreifen vermag auch das weitere Argument der Kommission, wonach die Kodifizierung „keine substantielle Politikentscheidungen [beinhaltet], die unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsgrundsatzes beurteilt werden könnten“. Denn zum einen stellt bereits die Absicht, bestehende Rechtsakte zu kodifizieren, selbst eine politische Entscheidung insoweit dar, als darin zum Ausdruck gebracht wird, an diesen Rechtsakten und ihren rechtlichen Vorgaben festhalten zu wollen. Auf das Gewicht einer solchen politischen Entscheidung kann es zudem nicht ankommen , weil dies wiederum von einer politisch Bewertung abhängt, die je nach Betrachter und Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 7 Interessen anders ausfallen kann. So können die betroffenen Maßnahmen je nach Rechtssetzungshistorie beim Ersterlass unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität umstritten gewesen und es weiterhin sein. Eine bloß technische Kodifizierung ohne Subsidiaritätsprüfung würde diesen Zustand perpetuieren, ohne dass das entsprechende Rechtssetzungsverfahren – nicht zuletzt unter Berücksichtigung einer mehrjährigen Anwendungserfahrung – genutzt wird, Fragen der Subsidiarität einer erneuten Beurteilung zuzuführen. Daran wird deutlich, dass dieses Kommissionsargument allenfalls im Rahmen eines Subsidiaritätsverfahrens von Bedeutung sein kann, nicht aber für die vorgelagerte Frage, ob überhaupt ein solches durchgeführt werden muss. Auf dieser Ebene können politische Einschätzungen als Argumentationsansatz keinen Bestand haben, da es sich bei der Bestimmung der zutreffenden Kompetenzkategorie, die über das Ob des Subsidiaritätsverfahrens entscheidet, um eine Rechtsfrage handelt. Nicht überzeugend ist schließlich die Einschätzung der Kommission, wonach es sich bei der Kodifizierung um eine „rein technische Bündelung mehrerer getrennter Rechtsakte“ handele, die „ohne inhaltliche Änderung“ erfolge. Im Zuge einer Kodifikation wird allein durch die Bündelung in einem Rechtsakt eine Änderung an der Systematik der einzelnen Rechtsakte und ihrer Vorschriften vorgenommen. Dies kann Auswirkungen auf die Auslegung einzelner Vorschriften haben und damit auch Änderungen ihres konkreten (bisherigen) rechtlichen Inhalts bewirken. Im Ergebnis kann die Kodifizierung einen inhaltlichen Mehrwert gegenüber den nicht kodifizierten Rechtsakten aufweisen. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass mehrere Gründe gegen die von der Kommission vertretene Rechtsauffassung sprechen, wonach eine bloß technische Kodifizierung bestehender EU-Rechtsakte einen Fall der (ungeschriebenen) ausschließlichen EU-Zuständigkeit darstellt, der nicht dem Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 EUV unterliegt. 4. Handlungsoptionen des Bundestages Geht man vor diesem Hintergrund davon aus, dass ein Subsidiaritätsverfahren hätte durchgeführt werden müssen, so ist zunächst nach den Zielen eines weiteren Vorgehens aus Sicht des Bundestages zu fragen (siehe unter 4.1.). Anschließend sind die daraus folgenden Handlungsoptionen zu betrachten (siehe unter 4.2. und 4.3.). 4.1. Handlungsziele Mit Blick auf die konkrete Situation, aber auch im Hinblick auf zukünftige Kodifizierungsprojekte der EU liegt ein Handlungsziel darin, die oben beschriebene Zuständigkeitsproblematik einer (rechtlichen) Klärung zuzuführen. Denn hieraus würde sich zugleich ergeben, ob die Kommission im vorliegenden Fall verpflichtet war bzw. zukünftig wäre, ein Subsidiaritätsverfahren in derartigen Konstellationen zu eröffnen (siehe hierzu unter 4.2.). Daneben könnte erwogen werden, die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens hinsichtlich des von der Kommission aktuell vorgelegten Kodifizierungsvorhabens anzustrengen. Dies wäre als eigenständiges Handlungsziel jedoch nur dann relevant, wenn konkrete Subsidiaritätseinwände bestünden. Von Seiten der Bundesregierung wird in dem einschlägigen Prüfbogen lediglich auf eine Unvereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hingewiesen. Danach fehle es an der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Kodifizierung, weil „Beratungspraxis, Recht- Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 8 sprechung und Lehre, die mit den bisherigen Texten bestens vertraut sind, mit einem entsprechenden Umstellungsaufwand belastet [werden]. Außerdem müssen sämtliche Verweisungen auf die bisherigen Richtlinien im nationalen Recht angepasst werden.“ Ob und inwieweit aus diesem Grund eine Subsidiaritätsrüge erhoben werden sollte, ist eine politische zu beantwortende Frage, auf die im Folgenden nicht weiter eingegangen wird. In rechtlicher Hinsicht ist zu ergänzen, dass sich weitere Subsidiaritätserwägungen ggf. mit Blick auf die einzelnen, von der Kodifizierung erfassten Rechtsakte ergeben könnten. Werden diese nämlich hinsichtlich ihres materiellen Inhalts (weiterhin oder erstmals) als mit dem Subsidiaritätsprinzip unvereinbar angesehen, so spricht nichts dagegen, entsprechende Einwände auch im Zuge ihrer Kodifizierung vorzutragen. Ob solche Einwände bestehen, ist nicht bekannt. Über deren Geltendmachung wäre allerdings ebenfalls politisch zu entscheiden. Dessen ungeachtet soll der Vollständigkeit halber auch das Hinwirken auf die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens im Folgenden als Handlungsziel angesehen und die insoweit bestehenden Handlungsoptionen des Bundestages betrachtet werden. (siehe dazu unter 4.3.). 4.2. Klärung der Rechtsfragen Die Klärung der Kompetenzfrage bei EU-Kodifikationen und der damit zusammenhängenden Aspekte eines Subsidiaritätsverfahrens kann auf zwei, ggf. auch kumulativ einzuschlagenden Wegen erfolgen: einem außergerichtlichen (siehe unter 4.2.1.) und einem (unions-)gerichtlichen (siehe unter 4.2.2.). Bevor beiden Möglichkeiten nachgegangen wird, ist darauf hinzuweisen, dass das Subsidiaritätsprotokoll selbst keine Bestimmungen enthält, die Fehler und Fehlerfolgen im Zusammenhang mit einem Subsidiaritätsverfahren regeln. Soweit ersichtlich, sind entsprechende Konstellationen – ebenso wie bezüglich der Kompetenzproblematik (siehe oben unter 3.) – bisher auch nicht Gegenstand der unionsgerichtlichen Rechtsprechung gewesen. In dem überblicksartig zu Rate gezogenen Kommentarschrifttum zu Art. 5 Abs. 3 AEUV fanden sich zu beiden Problemkreisen ebenfalls keine Erörterungen. Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich daher an – soweit anwendbar – allgemeinen unionsrechtlichen Vorgaben und geben im Übrigen nur rechtliche Erwägungen des Verfassers wieder. 4.2.1. Außergerichtliche Klärung Eine außergerichtliche Klärung könnte zunächst durch ein (weiteres) direktes Herantreten an die Kommission versucht werden. Es wäre zu erwägen, ob sich der Bundestag entweder allein oder – nach entsprechenden interparlamentarischen Konsultationen im Vorfeld – zusammen mit anderen mitgliedstaatlichen Parlamenten schriftlich, etwa im Rahmen des politischen Dialogs, an die Kommission wendet, um auf die gegen ihre Auffassung sprechenden Rechtsgründe sowie eventuelle prozessuale Konsequenzen (siehe dazu sogleich unter 4.2.2.) hinzuweisen. Insbesondere bei einem gemeinsamen Vorstoß mehrerer mitgliedstaatlicher Parlamente wäre nicht ausgeschlossen, dass die Kommission eine solche Gelegenheit nutzt, um ihren Rechtsstandpunkt zu überdenken. Eine weitere Möglichkeit zu einer außergerichtlichen Klärung könnte darin liegen, dass der Bundestag sein gegenüber der Bundesregierung bestehendes Stellungnahmerecht nach Art. 23 Abs. 3 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 9 GG in Verbindung mit § 8 EUZBBG nutzt. So könnte eine Befassung mit den streitigen Rechtsfragen auf Ratsebene herbeigeführt und auf diese Weise (indirekt) Einfluss auf die Kommission und ihren Standpunkt genommen werden. 4.2.2. (Unions-)Gerichtliche Klärung Wenn auf außergerichtlichem Wege keine Klärung der Rechtsfragen herbeigeführt werden kann oder eine verbindliche Entscheidung angestrebt wird, kommt ein unionsgerichtliches Vorgehen in Betracht. Hierfür bestehen zwei Möglichkeiten, die sich sowohl vom Zeitpunkt als auch von den rechtlichen Konsequenzen her unterscheiden: erstens eine Klage gegen die Richtlinie nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens. Ein solches Vorgehen ist in prozessualer Hinsicht nicht unüblich und soll daher zuerst betrachtet werden (siehe unter 4.2.2.1.). Die zweite Option bestünde hingegen zeitnah und richtete sich gegen das Kommissionsschreiben bzw. die darin vertretene Rechtsposition (siehe unter 4.2.2.2.). In beiden Fällen wäre zu klären, ob der Bundestag die notwendige Klage selbst einlegen bzw. deren Einlegung vorgeben könnte oder ob er insoweit auf die Bundesregierung angewiesen wäre. 4.2.2.1. Vorgehen gegen die Richtlinie Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens könnte die betreffende Richtlinie mittels Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV angegriffen werden. Zu klären wäre jedoch, ob dies im Rahmen einer Subsidiaritätsklage nach Art. 8 SubProt in Verbindung mit Art. 263 AEUV erfolgen kann oder nur im Rahmen einer „gewöhnlichen“ Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV. Von ihrem Sinn und Zweck dürfte die Subsidiaritätsklage „wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsaktes gegen das Subsidiaritätsprinzip“ primär Fälle erfassen, bei denen es um materielle Verstöße gegen Art. 5 Abs. 3 EUV geht und nicht um den Vorwurf, dass ein Subsidiaritätsverfahren zu Unrecht vorenthalten wurde. Es ließe sich – u. a. mit Blick auf den allgemein gehaltenen Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 SubProt – jedoch gut vertreten, auch in der Vorenthaltung des Subsidiaritätsverfahrens ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip zu sehen. Im Hinblick auf die Begründetheit einer entsprechenden Klage dürfte dies im Ergebnis keinen Unterschied machen. Denn auch bei einer „gewöhnlichen“ Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV ließe sich die Richtlinie unter Berufung auf einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften mit guten Aussichten auf Erfolg angreifen. Unter den Begriff wesentlicher Formvorschriften fallen nämlich insbesondere Anhörungs- und Beteiligungsrechte in EU-Rechtssetzungsund Verwaltungsverfahren, die Unionsorganen, Mitgliedstaaten, aber auch Einzelnen eingeräumt werden. Voraussetzung ist, dass die betreffenden Anhörungs- und Beteiligungsrechte erstens nicht nur fakultativer Natur und zweitens entweder geeignet sind, den Inhalt des Rechtsaktes zu beeinflussen oder dem Schutz der Rechteinhaber dienen. Zwar liegt – soweit bekannt – bisher weder Rechtsprechung noch Schrifttum zu der hier einschlägigen Konstellation vor. Es ist allerdings nicht ersichtlich, warum nicht auch das Stellungnahmerecht nationaler Parlamente als wesentliche Formvorschrift anzusehen ist. Es handelt sich hierbei um eine obligatorische Rechtsposition in einem ausdifferenzierten Verfahren. Die Wahrnehmung des Rechts erscheint außerdem bereits auf erster Ebene nach Art. 7 Abs. 1 SubProt (Berücksichtigungspflicht) und ungeachtet der Quorenabhängigkeit weiterer Verfahrensstufen (gelbe und orange Karte) geeignet, den Inhalt des Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 10 Rechtsaktes zu beeinflussen. Schließlich dient das Subsidiaritätsverfahren dem Schutz der nationalen Parlamente, was nicht zuletzt durch die Verankerung der Subsidiaritätsklage in Art. 8 Sub- Prot zum Ausdruck gebracht wird. Im Rahmen der Frage, ob gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen bzw. ob eine wesentliche Formvorschrift verletzt wurde, würde dann durch das zuständige Unionsgericht geklärt, ob das Subsidiaritätsverfahren hätte durchgeführt werden müssen oder nicht, mithin ob es sich bei einer bloßen Kodifikation von Unionsrechtsakten um eine ausschließliche EU-Zuständigkeit handelt oder eine nicht ausschließliche vorliegt. Läge ein Verstoß vor, würde die Richtlinie in Gänze für nichtig erklärt werden (vgl. Art. 264 AEUV). Die einschlägige Klageart hätte allerdings Einfluss auf die Frage, ob der Bundestag über den Einsatz dieses Rechtsmittels selbst befinden kann. Im Fall einer Subsidiaritätsklage nach Art. 8 Sub- Prot in Verbindung mit Art. 263 AEUV kann der Bundestag über deren Einlegung unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 und 3 IntVG selbst bestimmen. Nach Art. 12 Abs. 4 IntVG steht ihm in einem solchen Fall auch die Prozessführung zu. Im Fall einer „gewöhnlichen“ Nichtigkeitsklage wäre hingegen zweifelhaft, ob der Bundestag diese selbst in zulässiger Weise erheben könnte. Uneingeschränkt klagebefugt im Rahmen des Art. 263 AEUV sind auf mitgliedstaatlicher Ebene nur die Mitgliedstaaten an sich, vertreten durch die jeweilige Regierung. Im Hinblick auf mitgliedstaatliche Untergliederungen kommt es zum einen darauf an, ob diese als juristische Person im Sinne des Art. 263 Abs. 4 AEUV angesehen werden können. Das Bestehen der hierfür notwendigen Rechtspersönlichkeit richtet sich dabei nach nationalem (Verfassungs-)Recht. Im Hinblick auf den Bundestag, der lediglich ein – wenngleich oberstes – Bundesorgan ist, dürfte dies im Ergebnis abzulehnen sein (so jedenfalls die Unionsgerichte im Hinblick auf den schleswig-holsteinischen Landtag – Rs. C-281/08 P; T- 236/06). Zum anderen müsste die klagende staatliche Untergliederung von dem angegriffenen Rechtsakt – hier dann der Richtlinie – unmittelbar und individuell betroffen sein. Auch dies ist angesichts des in der Regel abstrakt-generellen Charakters einer Richtlinie und ihrer Umsetzungsbedürftigkeit eher fraglich. Eine Individualnichtigkeitsklage des Bundestags dürfte daher unzulässig sein. Es bliebe nur die Möglichkeit, ein Verfahren über die Bundesregierung und damit als Bundesrepublik Deutschland anzustrengen. Innerstaatliche Vorschriften, die eine solche Einwirkung auf die Bundesregierung ausdrücklich erlauben, sind nicht ersichtlich. Denkbar wäre mit Blick auf den Gedanken der Integrationsverantwortung allerdings eine analoge Anwendung des Art. 12 Abs. 3 IntVG. Besteht diese Möglichkeit ausdrücklich für Fälle, in denen ein materieller Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip angenommen wird, so spricht einiges dafür, diese Möglichkeit (im Wege der Analogie) auch auf Fälle auszudehnen, in denen das zum Schutz des Subsidiaritätsgrundsatzes vorgesehene Verfahren von Kommissionsseite (zu Unrecht) vorenthalten wird. 4.2.2.2. Vorgehen gegen das Kommissionsschreiben Die zweite, zeitnah bestehende Möglichkeit, diese Streitfrage zu klären, läge darin, direkt gegen das Kommissionsschreiben, in welchem die Durchführung der Subsidiaritätsprüfung abgelehnt wird, eine Nichtigkeitsklage zu erheben, und zwar wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprotokoll . Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 11 Auf der Ebene der Zulässigkeit einer solchen Klage wäre allerdings auch hier in einem ersten Schritt zu klären, ob die Klage auf Art. 8 SubProt in Verbindung mit Art. 263 AEUV oder nur auf die letztgenannte Norm gestützt werden kann. Gegen eine Subsidiaritätsklage und für ein alleiniges Abstellen auf Art. 263 AEUV spricht, dass erstere sich wohl nur gegen den Gesetzgebungsakt selbst richten kann, nicht aber gegen Maßnahmen , die – wie hier das Kommissionsschreiben – im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens getroffen wurden. Würde man hiervon ausgehen, dann wäre im Rahmen der Zulässigkeit einer (gewöhnlichen) Nichtigkeitsklage zunächst zu prüfen, ob es sich bei dem Schreiben der Kommission um eine (angreifbare ) Handlung im Sinne des Art. 263 AEUV handelt. Das ist dann der Fall, wenn dem Schreiben eine Rechtsbindungswirkung zukommt, die zudem nach außen gerichtet ist. Ersteres ist etwa nicht der Fall bei Empfehlungen und Stellungnahmen, Meinungsäußerungen etc. Vorliegend lässt sich die Kommission hinsichtlich des ablehnenden Ob‘s eines Subsidiaritätsverfahrens in dezidierter und abschließender Weise ein, wenngleich sie darauf hinweist, dass es sich dabei um ihre „Ansicht“ handelt. Dennoch ließe sich mit Blick auf die dadurch zurückgewiesene Berücksichtigungspflicht nach Art. 7 Abs. 1 SubProt vertreten, eine solche Aussage als rechtsverbindlich anzusehen. Da das Schreiben zudem an den Vorsitzenden des Unterausschusses Europa des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz und damit an ein Teilorgan eines nationalen Parlaments gerichtet ist, bestünde jedenfalls kein Zweifel an der Außenwirkung. Würde man vor diesem Hintergrund das Vorliegen einer Handlung im Sinne des Art. 263 AEUV bejahen, könnte hiergegen eine Nichtigkeitsklage erhoben werden. In der Begründetheit wäre dann allein der Verstoß gegen das Subsidiaritätsprotokoll zu prüfen, insbesondere gegen Art. 6 und 7 SubProt, ohne die Richtlinie an sich in Mitleidenschaft zu ziehen. Würde das Klageverfahren vor Erlass der Richtlinie abgeschlossen werden, könnte eine begründete Klage – neben einer grundsätzlichen Klärung der Streitfrage – zur Folge haben, dass ein Subsidiaritätsverfahren noch nachgeholt wird (siehe dazu sogleich unter 4.3.). Wäre die Richtlinie hingegen bereits erlassen, dann würde man mit großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen können, dass die Richtlinie mit einem wesentlichen Formfehler behaftet ist, der bei einer zulässig (und v. a. fristgerecht) erhobenen Nichtigkeitsklage von Amts wegen durch das Unionsgericht zu berücksichtigen wäre. Gleiches dürfte für eine Gültigkeitsvorlage im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV gelten. Uneingeschränkt klagebefugt wäre bei einer Klage gegen das Kommissionsschreiben allerdings ebenfalls nur die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung. Ausgehend davon, dass eine Subsidiaritätsklage nicht in Betracht kommt, würde eine unmittelbar durch den Bundestag eingereichte Klage jedenfalls an seiner fehlenden (nach innerstaatlichem Recht zu beurteilenden ) Rechtspersönlichkeit scheitern (siehe oben unter 4.2.2.1). Allerdings könnte auch hier eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 3 IntVG erwogen und auf diesem Wege auf die Bundesregierung mit dem Ziel einer Klageerhebung eingewirkt werden. 4.3. Hinwirken auf die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens Zusätzlich zur Klärung der Rechtsfragen könnte erwogen werden, auf die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens bezüglich des Kodifikationsvorhabens hinzuwirken, soweit Subsidiari- Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 12 tätseinwände hierfür Anlass bieten. Für den Fall einer vom Bundestag eingelegten Subsidiaritätsrüge wäre zwischen den Verfahrensstufen und den am Verfahren beteiligten Organen zu unterscheiden : Auf der ersten Verfahrensstufe nach Art. 7 Abs. 1 SubProt sind – neben der Kommission – auch der Rat und das EP zur Berücksichtigung einer Subsidiaritätsrüge verpflichtet. Anders als im Falle der Kommission ist nicht bekannt, ob diese beiden Organe im vorliegenden Fall ebenfalls von einer ausschließlichen Zuständigkeit der EU bei Kodifizierungsvorhaben ausgehen. Wie bereits oben dargestellt, ist zumindest die Bundesregierung der Auffassung, dass keine ausschließliche EU-Zuständigkeit besteht, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sie diesen Standpunkt auch im Rat vertreten würde. Mit Blick auf den Umstand, dass der einschlägige Kommissionsvorschlag dem Bundestag bereits im Dezember 2015 zugeleitet wurde, wäre allerdings in rechtlicher Hinsicht zu klären, wann die achtwöchige Frist in einem solchen Fall wie hier zu laufen beginnt und ob eine Berücksichtigungspflicht ggf. auch nach Fristablauf besteht. Angesichts der vorliegend unterlassenen Kommissionspraxis , den Fristbeginn schriftlich mitzuteilen und auf die Verfahrenseröffnung hinzuweisen , wäre vorliegend im Ergebnis gut vertretbar, eine Subsidiaritätsrüge des Bundestages entweder als fristgerecht eingelegt zu betrachten oder ihr ein Ablaufen der Frist jedenfalls nicht entgegenzuhalten und die vorgebrachten Subsidiaritätseinwände zu berücksichtigen. Hierbei könnte allerdings unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung eine Rolle spielen, wie schnell das Parlament eine Rüge nach Kenntnis der Umstände, die für die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens streiten, erhebt. Im Hinblick auf die Kommission dürfte hinsichtlich der Fristfrage nichts anderes gelten. Entscheidend ist hier aber, dass die Kommission die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens zum jetzigen Zeitpunkt – ungeachtet der Verfahrensstufe – aus Rechtsgründen ablehnt. Zwar bestünde die Möglichkeit, gegenüber der Kommission auf die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens im Zusammenhang mit der außergerichtlichen Klärung der Rechtsfragen (siehe oben unter 4.2.1.) hinzuwirken. Würde die Kommission an ihrem Rechtsstandpunkt festhalten, bliebe aber nur der unionsgerichtliche Weg, um die Kommission ggf. hierzu zwingen zu können (siehe oben unter 4.2.2., insbesondere unter 4.2.2.2.). Ob und inwieweit infolgedessen anschließend die Aussicht bestünde, die (politisch relevante) zweite oder sogar dritte Verfahrensstufe nach Art. 7 Abs. 2 und 3 SubProt (gelbe bzw. orange Karte) zu erreichen, lässt sich allerdings nicht vorhersagen . 5. Zusammenfassung Fasst man die vorstehenden, auf einer ersten summarischen Einschätzung beruhenden Ausführungen zusammen, so ist zunächst festzuhalten, dass mehrere Gründe gegen die von der Kommission vertretene Rechtsauffassung sprechen, wonach eine bloß technische Kodifizierung bestehender EU-Rechtsakte einen Fall der (ungeschriebenen) ausschließlichen EU-Zuständigkeit darstellt, der nicht dem Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 EUV und damit dem Subsidiaritätsverfahren unterliegt. Vor diesem Hintergrund lassen sich aus Sicht des Bundestages zwei Handlungsziele identifizieren : die Klärung der Rechtsfragen zur Kompetenzverteilung bei bloß technischer EU-Kodifikation und der damit zusammenhängenden Aspekte eines Subsidiaritätsverfahrens sowie ein Hinwirken Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 13 auf die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens bezüglich des vorliegenden Kodifikationsvorhabens . Das erstgenannte Handlungsziel kann auf einem außergerichtlichen und/oder einem (unions-)gerichtlichem Weg verfolgt werden. Außergerichtlich besteht die Möglichkeit, dass der Bundestag sich alleine oder zusammen mit anderen mitgliedstaatlichen Parlamenten, etwa im Rahmen des politischen Dialogs, an die Kommission wendet, um auf die gegen ihre Auffassung bestehenden Rechtsgründe hinzuweisen und so eine Änderung der Kommissionsstandpunktes zu erreichen. Des Weiteren könnte der Bundestag über sein Stellungnahmerecht nach Art. 23 Abs. 3 GG in Verbindung mit § 8 EUZBBG darauf hinwirken, dass die streitigen Rechtsfragen über die Bundesregierung auf Ratsebene getragen werden und von dort Einfluss auf die Kommission genommen wird. Hinsichtlich eines unionsgerichtlichen Vorgehens käme eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV in Betracht, die entweder nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens gegen die betreffende Richtlinie oder zeitnah gegen das Kommissionsschreiben zu richten wäre. In beiden Fällen wären durch das zuständige Unionsgericht im Ergebnis die gleichen rechtlichen Fragen zu klären : ob das Subsidiaritätsverfahren hätte durchgeführt werden müssen oder nicht und als Vorfrage , ob es sich bei einer bloßen Kodifikation von Unionsrechtsakten um eine ausschließliche EU-Zuständigkeit handelt oder nicht. Bei einer begründeten Nichtigkeitsklage gegen die Richtlinie wäre diese in Gänze für nichtig zu erklären, anderenfalls nur das Kommissionsschreiben als Handlung im Sinne des Art. 263 AEUV. Vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bestünde dann ggf. die Möglichkeit, dass das Subsidiaritätsverfahren nachgeholt würde. Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens wäre davon auszugehen, dass die Richtlinie mit einem wesentlichen Formfehler behaftet ist, der in späteren Verfahren gegen diesen Rechtsakt zu seiner Aufhebung führen könnte. Der Bundestag selbst könnte eine derartige Nichtigkeitsklage in keinem der beiden Fälle selbst erheben, da er mangels innerstaatlich bestehender Rechtspersönlichkeit nicht als juristische Person im Sinne des Art. 263 Abs. 4 AEUV angesehen werden kann. In Betracht käme nur ein Einwirken auf die Bundesregierung, die als Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland in beiden Fällen eine Nichtigkeitsklage erheben könnte, ohne eine Klageberechtigung nachweisen zu müssen . Soweit man im Fall der gegen die Richtlinie gerichteten Klage von einer Anwendung des Art. 8 SubProt und dem Sonderfall einer Subsidiaritätsklage ausgeht, könnte der Bundestag die Bundesregierung hierzu nach § 12 Abs. 3 IntVG verpflichten. Kommt insoweit nur eine „gewöhnliche “ Nichtigkeitsklage in Betracht, wäre an eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 3 IntVG zu denken. Bei einer Klage gegen das Kommissionsschreiben liegt die Annahme einer Subsidiaritätsklage zwar eher fern, gleichwohl ließe sich auch hier an eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 3 IntVG und ein auf dieser Grundlage erfolgendes Einwirken auf die Bundesregierung denken . Hinsichtlich des zweiten Handlungsziels, dem Hinwirken auf die Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens für das vorliegende Kodifikationsvorhaben, gilt es zu unterscheiden zwischen den Verfahrensstufen und den am Verfahren beteiligten Organen. Soweit Subsidiaritätseinwände bestehen , könnte sich der Bundestag mit seiner begründeten Stellungnahme auf der ersten Stufe des Subsidiaritätsverfahrens an das EP und den Rat wenden. Es sprechen gute Gründe dafür, dass diese beiden Organe auch ungeachtet eines eventuellen Ablaufs der Subsidiaritätsfrist nach Art. 7 Abs. 1 SubProt verpflichtet wären, eine begründete Stellungnahme des Bundestags zu berücksichtigen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 64/16 Seite 14 Gleiches würde hinsichtlich der Frist in Bezug auf die Kommission gelten. Solange diese jedoch an ihrer Rechtsauffassung festhalten würde, bliebe nur der unionsgerichtliche Weg, um die Kommission zur Durchführung eines Subsidiaritätsverfahrens zu bewegen. Ob und inwieweit infolgedessen anschließend die Aussicht bestünde, die (politisch relevante) zweite oder sogar dritte Verfahrensstufe (gelbe bzw. orange Karte) zu erreichen, lässt sich allerdings nicht vorhersagen. – Fachbereich Europa –