© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 063/20 Zur Vereinbarkeit eines ethisch motivierten Verbots von Preisangaben zu Werbezwecken für Fleisch mit Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 063/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Zur Vereinbarkeit eines ethisch motivierten Verbots von Preisangaben zu Werbezwecken für Fleisch mit Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 063/20 Abschluss der Arbeit: 26. August 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 063/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur Vereinbarkeit eines ethisch motivierten Verbots von Preisangaben zu Werbezwecken für Fleisch mit Unionsrecht 4 2.1. Kein vorrangig anzuwendendes Sekundärrecht 4 2.1.1. Verordnung Nr. 1169/2011 (LMIV) 4 2.1.2. Verordnung Nr. 543/2008 (Geflügelfleisch) 5 2.1.3. Verordnung Nr. 1760/2000 (Rindfleisch) 5 2.1.4. Richtlinie 98/6/EG (Preisangaben) 5 2.1.5. Richtlinie 2005/29/EG (unlautere Geschäftspraktiken) 6 2.2. Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV 6 2.2.1. Beschränkung des freien Warenverkehrs 6 2.2.2. Rechtfertigung aus ethischen Erwägungen 7 2.2.2.1. Verhinderung des Tötens von Tieren? 8 2.2.2.2. Sanfte Beeinflussung der Verbraucher (sog. „Nudging“)? 8 2.2.2.3. Verbesserung der Arbeits- und Hygienebedingungen? 9 3. Ergebnis 9 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 063/20 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich ist um Auskunft gebeten worden, ob ein „ethisch motiviertes“ Verbot der Preisangabe für Fleisch in der Kommunikation für Werbe- und Marketingzwecke des Lebensmitteleinzelhandels gegenüber dem Verbraucher mit Unionsrecht vereinbar wäre. Gegenstand der nachfolgenden Ausarbeitung ist somit die Vereinbarkeit eines ethisch motivierten Verbots von Preiswerbung mit Unionsrecht. Auf alternative Begründungs- und Regelungsansätze ist hierbei nicht einzugehen. 2. Zur Vereinbarkeit eines ethisch motivierten Verbots von Preisangaben zu Werbezwecken für Fleisch mit Unionsrecht 2.1. Kein vorrangig anzuwendendes Sekundärrecht 2.1.1. Verordnung Nr. 1169/2011 (LMIV) Die Lebensmittelinformationsverordnung Nr. 1169/2011 (LMIV)1 enthält allgemeine Vorgaben in Bezug auf Informationen über Lebensmittel, die vorliegend jedoch nicht einschlägig sind. Zum einen ist davon auszugehen, dass ein ethisch motiviertes Verbot von Preiswerbung nicht unter die Vorgaben des Art. 7 LMIV zum Irreführungsschutz zu fassen ist. Zum anderen zählt die Angabe des Preises auch nicht zu den verpflichtenden Informationen über Lebensmittel gemäß Art. 9 LMIV. Folglich handelt es sich bei einem ethisch motivierten Verbot von Preiswerbung um einen nicht speziell durch die LMIV harmonisierten Aspekt gemäß Art. 38 Abs. 2 LMIV, in Bezug auf den die Mitgliedstaaten somit einzelstaatliche Maßnahmen erlassen können, sofern diese den freien Warenverkehr nicht behindern (hierzu unter 2.2.). Neben der LMIV gelten spezielle Rechtsvorschriften nach der Verordnung Nr. 543/20082 der Kommission für Geflügelfleisch (hierzu unter 2.1.2.) und nach der Verordnung Nr. 1760/20003 für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse (hierzu unter 2.1.3.). 1 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission , der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission. 2 Verordnung (EG) Nr. 543/2008 der Kommission vom 16. Juni 2008 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates hinsichtlich der Vermarktungsnormen für Geflügelfleisch. 3 Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 063/20 Seite 5 2.1.2. Verordnung Nr. 543/2008 (Geflügelfleisch) Für die Vermarktung von Geflügelfleisch ergibt sich aus Art. 5 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 543/2008 der Kommission eine Verpflichtung zur Angabe des Preises. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: „(4) Bei Geflügelfleisch in Fertigpackungen sind auf der Verpackung oder auf einem daran befestigten Etikett folgende Angaben anzubringen: a) […] b) bei frischem Geflügelfleisch Gesamtpreis und Preis je Gewichtseinheit auf der Einzelhandelsstufe ;“ Ein Verbot von Preiswerbung für Fleisch würde die Wirtschaftsteilnehmer allerdings nicht daran hindern, die aus Art. 5 Abs. 4 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 543/2008 folgende Vermarktungsvorgabe für Geflügelfleisch zu erfüllen. Eine gewisse zusätzliche Einschränkung könnte sich für sie lediglich insoweit ergeben, als die Möglichkeit eingeschränkt wäre, etwa in einem Werbeprospekt eine unveränderte Abbildung der Verpackung (mitsamt der darauf angebrachten Angabe des Preises) zu verwenden. Ob dies zu einer Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV führen kann, ist unter 2.2. zu prüfen. 2.1.3. Verordnung Nr. 1760/2000 (Rindfleisch) Die Verordnung Nr. 1760/2000 enthält zwar spezielle Vorgaben über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen, nicht jedoch in Bezug auf die Angabe des Preises. 2.1.4. Richtlinie 98/6/EG (Preisangaben) Aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/6/EG4 (Preisangaben-Richtlinie) folgt eine Verpflichtung zur Angabe des Verkaufspreises und des Preises je Maßeinheit bei Erzeugnissen, die Verbrauchern von Händlern angeboten werden. Für Werbung gilt nach Art. 3 Abs. 4 Preisangaben-Richtlinie hingegen keine allgemeine Verpflichtung zur Angabe des Verkaufspreises, wie der EuGH in der Rechtssache Citroën Commerce feststellt.5 Nach ihrem Wortlaut folgt aus der Vorschrift lediglich für „Werbung, bei der der Verkaufspreis der Erzeugnisse […] genannt wird“ eine Verpflichtung zur Angabe des Preises je Maßeinheit.6 4 Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse. 5 EuGH, Rs. C-476/14, Citroën Commerce, Rn. 30. 6 Vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 10.11.2016 – I ZR 29/15, Rn. 12 : „[…] Deshalb kann eine Werbung, in der – wie im Streitfall – kein Preis für das beworbene Produkt angegeben ist, nicht als Angebot im Sinne der RL 98/6/EG und – entsprechend – iSv § 1 I 1 PAngV angesehen werden“. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 063/20 Seite 6 In Bezug auf Werbung für Fleischerzeugnisse, bei der der Verkaufspreis infolge eines einzelstaatlichen Verbots nicht genannt wird, wäre die Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 4 Preisangaben-Richtlinie somit nicht anwendbar und stünde wohl auch der Einführung eines entsprechenden Verbots nicht entgegen. 2.1.5. Richtlinie 2005/29/EG (unlautere Geschäftspraktiken) Ähnlich stellt sich dies in Bezug auf Art. 7 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern7 dar. Hiernach kann zwar auch das Vorenthalten bestimmter wesentlicher Informationen, wie die Angabe des Preises nach Maßgabe der in Art. 7 Abs. 4 Buchst. c enthaltenen Bestimmung, als irreführende (und somit verbotene) Geschäftspraktik gelten. Dies gilt jedoch nur „im Falle der Aufforderung zum Kauf“, was nach der Legaldefinition in Art. 2 Buchst. i der Richtlinie 2005/29/EG wiederum u.a. die Nennung eines Preises voraussetzt. Hierzu stellt auch der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie klar, dass die in der Richtlinie genannten „[Basisinformationen] nicht notwendigerweise in jeder Werbung enthalten sein [müssen], sondern nur dann, wenn der Gewerbetreibende zum Kauf auffordert“. In Bezug auf Werbung für Fleischerzeugnisse, bei der der Verkaufspreis infolge eines einzelstaatlichen Verbots nicht genannt wird, wäre die Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 4 Buchst. c Richtlinie 2005/29/EG somit nicht anwendbar und stünde wohl auch der Einführung eines entsprechenden Verbots nicht entgegen. 2.2. Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV 2.2.1. Beschränkung des freien Warenverkehrs Ein Verbot der Preisangabe in der Kommunikation für Werbe- und Marketingzwecke des Lebensmitteleinzelhandels gegenüber dem Verbraucher für Fleisch könnte mit Blick auf aus dem EU- Ausland eingeführte Fleischerzeugnisse eine Beschränkung des freien Warenverkehrs gemäß Art. 34 AEUV darstellen. Zwar handelt es sich bei einem solchen Verbot nicht um eine „mengenmäßige Einfuhrbeschränkung “, allerdings könnte sie als „Maßnahme gleicher Wirkung“ gemäß Art. 34 AEUV anzusehen sein. Hierzu zählt nach der Rechtsprechung des EuGH „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten , die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“.8 Ausgenommen sind jedoch „bestimmte Verkaufsmodalitäten […], sofern diese […] für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland 7 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken). 8 EuGH, Rs. C-8/74, Dassonville, Rn. 5. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 063/20 Seite 7 ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“.9 In Bezug auf unterschiedslos geltende Werbeverbote ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine Beschränkung nur anzunehmen, wenn sie sich auf den Absatz EU-ausländischer Erzeugnisse ungünstiger auswirkt als auf den Absatz inländischer Erzeugnisse.10 Ein solches Marktzugangshindernis liegt nach der Rechtsprechung etwa vor, wenn ein „Wirtschaftsteilnehmer ein Werbesystem aufgeben muss, das er für besonders wirksam hält“.11 Im Schrifttum wird insoweit die Auffassung vertreten, dass von einer widerlegbaren Vermutung auszugehen sei, dass ein unterschiedslos geltendes Werbeverbot keine einfuhrbehindernde Wirkung entfalte.12 Ob die Voraussetzungen der Rechtsprechung für das Vorliegen eines Marktzugangshindernisses vorliegen, kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Es ist somit nicht von vornherein auszuschließen, dass sich eine maßgeblich auf den (niedrigen) Preis eines EU-ausländischen Fleischerzeugnisses gestützte Werbestrategie für einen bestimmten Marktteilnehmer in einem bestimmten Marktumfeld als besonders wirksam erweist und ein Verbot von Preiswerbung sich somit für ihn als Marktzugangshindernis darstellt.13 Da somit nicht auszuschließen ist, dass ein Verbot von Preiswerbung im Einzelfall eine einfuhrbehindernde Wirkung gemäß Art. 34 AEUV entfaltet, ist nachfolgend auf die Möglichkeit einer Rechtfertigung einzugehen. 2.2.2. Rechtfertigung aus ethischen Erwägungen Es erscheint durchaus möglich, ein Verbot von Preisangaben zu Werbezwecken für Fleisch unter ethischen Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Zu denken wäre etwa an Gründe des Tierschutzes gemäß Art. 36 AEUV. Für den bei der Rechtfertigung zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz käme es allerdings darauf an, welche konkreten ethischen Erwägungen einem solchen Verbot zugrunde liegen. Da der Auftrag hierzu keine näheren Hinweise enthält, ist eine abschließende Prüfung vorliegend nicht möglich. 9 EuGH, Rs. C-267/91, Keck und Mithouard, Rn. 16. 10 EuGH, Rs. C-71/02, Karner, Rn. 42. 11 EuGH, Rs. C-239/02, Douwe Egberts, Rn. 52. 12 Heermann, in: Heermann/Schlingloff, MüKo zum Lauterkeitsrecht, 3. Auflage 2020, Band 1, Art. 34 AEUV, Rn. 144, 147. 13 Für Geflügelfleisch könnte sich eine solche Wirkung im Einzelfall auch daraus ergeben, dass hier eine Verpflichtung zur Preisangabe auf der Verpackung besteht (siehe unter 2.1.2.) und ein Verbot von Preiswerbung somit auch der Verwendung einer unveränderten Abbildung der Verpackung etwa in einem Werbeprospekt entgegenstehen könnte. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 063/20 Seite 8 Gleichwohl sollen nachfolgend einige Überlegungen zu den sich im Rahmen der Rechtfertigung je nach Begründung stellenden Fragen angestellt werden. 2.2.2.1. Verhinderung des Tötens von Tieren? Soweit sich ein solches Verbot maßgeblich auf die Einschätzung stützen sollte, dass das Töten von Tieren per se als unethisch anzusehen und der Absatz daher zu erschweren oder zu begrenzen sei, könnte sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Frage stellen, ob ein bloßes Verbot von Preiswerbung tatsächlich ein geeignetes Mittel zur Zielerreichung darstellt. Es könnte möglichweise als inkonsequent angesehen werden, ein solches Verbot nicht etwa auch auf andere verkaufsfördernde Maßnahmen wie etwa Werbung in Bezug auf sonstige Merkmale des zu vermarkteten Fleisches (etwa Qualität, Tierhaltungsbedingungen) zu erstrecken, obgleich auch hierfür Tiere getötet werden. Zu dieser Ansicht könnte der EuGH möglicherweise in Übertragung seiner im Kontext der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit entwickelten Rechtsprechung zur Anforderung einer kohärenten und systematischen Beschränkung14 gelangen. 2.2.2.2. Sanfte Beeinflussung der Verbraucher (sog. „Nudging“)? Anders wäre ein solches Verbot unter Tierschutzgesichtspunkten möglicherweise zu bewerten, wenn es als eine Art der sanften Beeinflussung der Verbraucher (sog. „Nudging“) begründet würde, wonach den Verbrauchern gezielt bestimmte wahre Informationen über das Produkt (sein niedriger Preis) jedenfalls im Rahmen von Werbung vorenthalten werden sollen, um zu verhindern , dass andere für die Kaufentscheidung des Verbrauchers u.U. relevante Kriterien, wie etwa die ethischen Kosten der Fleischproduktion, durch eine auf Niedrigpreise fokussierte Werbestrategie völlig überlagert werden. Hierbei könnte sich wiederum die Frage stellen, ob einer solchen Begründung möglichweise der vom EuGH in der Rechtssache GB-INNO-BM formulierte Grundsatz entgegensteht, wonach „nationale Rechtsvorschriften, die den Verbrauchern den Zugang zu bestimmten Informationen verwehren, [nicht] durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden“ können.15 Dagegen könnte indes sprechen, dass sich dieser Grundsatz nach der zitierten Formulierung der Urteilsbegründung lediglich auf von den Mitgliedstaaten geltend gemachte Erfordernisse des Verbraucherschutzes, nicht jedoch auf die in Art. 36 AEUV genannten Rechtfertigungsgründe wie den Tierschutz bezieht.16 14 Siehe nur EuGH, Rs. C-46/08, Carmen Media Group, Rn. 55. 15 EuGH, Rs. C-362/88, GB-INNO-BM, Rn. 18; vgl. auch EuGH, Rs. C-126/91, Yves Rocher, Rn. 17. 16 In diesem Zusammenhang könnte auch darauf verwiesen werden, dass der EuGH das Vorenthalten bestimmter Informationen über Tabakprodukte gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. c Richtlinie 2014/40/EU ebenfalls aus Gründen des Gesundheitsschutzes als gerechtfertigt ansieht, dies jedoch nicht im Kontext der Grundfreiheiten, sondern im Rahmen der Prüfung des Grundrechts auf unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 GRC, vgl. EuGH, Rs. C-220/17, Planta Tabak, Rn. 99. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 063/20 Seite 9 2.2.2.3. Verbesserung der Arbeits- und Hygienebedingungen? Auch zu hinterfragen wäre ein in der Weise „ethisch motiviertes“ Verbot von Preiswerbung, welches im Kern die Wahrung angemessener Arbeits- und Hygienebedingungen bei inländischen Betrieben im Blick hat und diese durch den infolge von „Werbung mit Dumpingpreisen“ ausgelösten Preisdruck als gefährdet ansieht.17 Im Lichte einer solchen insbesondere auf den Gesundheitsschutz gemäß Art. 36 AEUV zielenden Begründung erschiene möglicherweise bereits die Eignung eines Verbots von Preiswerbung zweifelhaft. Denn die (nach dieser Begründung als das eigentliche Problem identifizierte) durch den Preiswettbewerb herabgesetzte Rechtstreue ist gleichsam Ausdruck eines unzureichenden Vollzugs geltender Schutzbestimmungen, woran ein Verbot von Preiswerbung jedoch nichts ändern würde. Jedenfalls wäre eine auf die Verbesserung des Vollzugs geltender Arbeits- und Hygienebestimmungen gerichtete alternative Maßnahme wohl als milderes Mittel und die mit einem generellen Verbot von Preiswerbung im Einzelfall einhergehende Beschränkung des freien Warenverkehrs somit als nicht erforderlich anzusehen. 3. Ergebnis Einem ethisch motivierten Verbot der Preisangabe in der Kommunikation für Werbe- und Marketingzwecke des Lebensmitteleinzelhandels gegenüber dem Verbraucher für Fleisch stehen keine sekundärrechtlichen Vorgaben entgegen. Soweit ein solches Verbot für alle Wirtschaftsteilnehmer gilt, führt dies grundsätzlich zu keiner Beschränkung des freien Warenverkehrs gemäß Art. 34 AEUV und bedarf insoweit auch keiner Rechtfertigung. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass ein Verbot der Preiswerbung in bestimmten Einzelfällen doch eine einfuhrbehindernde Wirkung entfaltet. Dies ist der Fall, wenn sich das Verbot auf den Absatz EU-ausländischer Erzeugnisse ungünstiger auswirkt als auf den Absatz inländischer Erzeugnisse, etwa weil sich eine maßgeblich auf den (niedrigen) Preis eines Fleischerzeugnisses gestützte Werbestrategie für einen bestimmten Marktteilnehmer in einem bestimmten Marktumfeld als besonders wirksam erweist und ein Verbot von Preiswerbung sich somit für ihn als rechtfertigungsbedürftiges Marktzugangshindernis darstellt. Es erscheint durchaus möglich, ein Verbot von Preisangaben unter ethischen Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Zu denken wäre insbesondere an eine Rechtfertigung aus Gründen des Tierschutzes gemäß Art. 36 AEUV. Für den bei der Rechtfertigung zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz käme es allerdings darauf an, welche konkreten Erwägungen einem solchen Verbot zugrunde liegen. Mangels näherer Hinweise hierzu ist eine abschließende Prüfung vorliegend nicht möglich. – Fachbereich Europa – 17 Siehe Lebensmittel Praxis, „Werbung mit Billigpreisen verbieten?“, 15.5.2020, abrufbar unter: https://lebensmittelpraxis .de/industrie-aktuell/27337-fleischindustrie-werbung-mit-billigpreisen-verbieten-2020-05-15-08-28- 14.html.