Nr. 63/18 (17. April 2018) © 2018 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Kurzinformation dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Im Zusammenhang mit dem Urteil des Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache C-285/16 (Slowakische Republik/Achmea B.V.) vom 6. März 2018 (im Folgenden: Achmea-Urteil)1 wird der Fachbereich um die Beantwortung der Frage ersucht, „inwieweit […] die durch den EuGH in [dem Urteil ] aufgestellten Rechtsgrundsätze bzgl. des Verhältnisses von Art. 267, 344 AEUV und Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten auf innerstaatliche Sachverhalte anwendbar [sind], z.B. auf laufende Schiedsgerichtsverfahren zwischen der BRD und Toll Collect?“. Der EuGH prüft in der genannten Entscheidung den ihm vorgelegten Schiedsmechanismus aus dem zwischen zwei Mitgliedstaaten geschlossenen Investitionsschutzabkommen (sog. Intra-EU- BIT) am Maßstab der Autonomie des Unionsrechts (vgl. Achmea-Urteil, Rn. 32, 59). Art. 344 AEUV sichert diese Autonomie insoweit, als die Mitgliedstaaten Streitigkeiten über Unionsrecht nur in den vertraglich vorgesehenen Verfahren regeln dürfen und damit nur unter der (letztverbindlichen ) Kontrolle des EuGH (vgl. Achmea-Urteil, Rn. 32). Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV sichert diese Kontroll- und Rechtsprechungsfunktion des Gerichtshofs und damit letztlich auch die Autonomie des Unionsrechts für die Fälle, in denen Streitigkeiten über Unionsrecht vor mitgliedstaatlichen Gerichten anhängig sind (vgl. Achmea-Urteil, Rn. 35-37). Aus der Autonomie des Unionsrechts und insbesondere den beiden genannten Vertragsbestimmungen leitet der EuGH sodann drei Prüfungspunkte her, anhand derer er den streitgegenständlichen Schiedsmechanismus untersucht und im Ergebnis als unionsrechtswidrig verwirft (vgl. Achmea-Urteil, Rn. 38-60): Zu prüfen sei erstens, ob die betreffenden Schiedsstreitigkeiten einen Bezug zum Unionsrecht haben können. Ist das der Fall, sei zu untersuchen, ob entweder, zweitens , die Schiedsgerichte als Teil des unionalen Gerichtssystems selbst vorlageberechtigt sind oder, drittens, die von ihnen behandelten Fragen des Unionsrechts eventuell anschließend zum Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens gemacht werden können (etwa bei der gerichtlichen Kontrolle von Schiedssprüchen anlässlich ihrer Vollstreckung). 1 EuGH, Urt. v. 6.03.2018, Rs. C-284/16 (Slowakische Republik/Achmea B.V.). Abrufbar unter der Rechtssachennummer auf http://curia.europa.eu/juris/recherche.jsf?language=de (letztmaliger Abruf am 17.04.18). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Das Achmea-Urteil des EuGH und Schiedsverfahren zu innerstaatlichen Sachverhalten Kurzinformation Das Achmea-Urteil des EuGH und Schiedsverfahren zu innerstaatlichen Sachverhalten Fachbereich PE 6 (Europa) Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Seite 2 Dieses Prüfungsschema hat der EuGH mit Blick auf die ihm vorgelegte Schiedsvereinbarung in einem Intra-EU-BIT entwickelt. Inwieweit es auf Schiedsstreitigkeiten mit Privaten übertragen werden kann, die ein Mitgliedstaat außerhalb solcher Abkommen auf privatrechtlicher Grundlage vorsieht, lässt sich dem Achmea-Urteil nicht ohne weiteres entnehmen. So greift hier etwa Art. 344 AEUV nicht, der nur Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten bzw. zwischen ihnen vereinbarte Streitmechanismen erfasst. Dessen ungeachtet wäre eine Verletzung der Autonomie des Unionsrechts in anderen Schiedskonstellationen überhaupt nur dann denkbar, wenn die betreffende Streitigkeit einen Bezug zum Unionsrecht, den der EuGH als ersten Prüfungspunkt untersucht, aufweist. Das dürfte bei innerstaatlichen Sachverhalten und darauf bezogenen Schiedsstreitigkeiten in der Regel zu verneinen sein. Denn innerstaatliche Sachverhalte kennzeichnen sich für gewöhnlich dadurch, dass gerade kein Unionsrecht auf sie anwendbar ist. Deutlich wird dies vor allem an den Grundfreiheiten wie der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, die alle Formen grenzüberschreitender Investitionen im Binnenmarkt erfassen und auch im Achmea-Urteil den Bezug zum Unionsrecht begründet haben (vgl. Achmea-Urteil, Rn. 41 u. 42). Auf Sachverhalte, die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedsstaats hinausweisen, die also keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen , sind die Grundfreiheiten nicht anwendbar (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 28.1.1992, Rs. C-332/90 [Steen], Rn. 9; Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 36 ff.). Betreffen Schiedsstreitigkeiten inländische Investitionen von inländischen Investoren, so kann sich ein Bezug zum Unionsrecht jedenfalls nicht aus der Niederlassungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit ergeben. Regelmäßig dürften in derartigen Fällen auch keine anderen Vorschriften des Unionsrechts relevant werden, da diese oftmals einen grenzüberschreitenden Bezug voraussetzen . Daher wird ein Verstoß gegen die Autonomie des Unionsrechts bei innerstaatlichen Sachverhalten für gewöhnlich bereits an dem fehlenden Unionsrechtsbezug scheitern. Auf die anderen beiden Prüfungspunkte käme es dann nicht mehr an. Ob und inwieweit in dem laufenden Schiedsgerichtsverfahren zwischen der BRD und Toll Collect ein Unionsrechtsbezug besteht, bedürfte der gesonderten Prüfung, die an dieser Stelle mangels Kenntnis und Zugang zu den einschlägigen Vertragsgrundlagen und Schiedsdokumenten nicht vorgenommen werden kann. Sofern ein Unionsrechtsbezug im Sinne des Achmea-Urteils bestehen sollte, wäre zunächst die oben aufgeworfene Frage zu beantworten, ob und ggf. inwieweit die anderen beiden Prüfungspunkte , die der EuGH in der genannten Entscheidung aufgestellt hat (Vorlagefähigkeit des Schiedsgerichts oder, alternativ, anschließende Vorlagemöglichkeit) auf andere als völkervertraglich begründete Schiedsvereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten und Privaten übertragen werden können. Unterstellt man dies, hinge das Ergebnis dieser beiden Prüfungspunkte entscheidend von der Ausgestaltung der betreffenden Schiedsvereinbarung ab. Mangels Kenntnis und Zugang zu den einschlägigen Vertragsgrundlagen kann auch hierzu vorliegend nicht Stellung genommen werden. – Fachbereich Europa –