© 2018 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 60/18 Koalitionsvertrag, Schienenverkehr und EU-Beihilferecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 2 Koalitionsvertrag, Schienenverkehr und EU-Beihilferecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 60/18 Abschluss der Arbeit: 31. Mai 2018 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Überblick über das EU-Beihilferecht 5 2.1. Materielles EU-Beihilferecht 5 2.2. EU-Beihilfeverfahren 6 2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren 6 2.2.2. Freistellung von der Notifizierung und ex-post-Kontrolle 7 3. EU-Beihilferecht und eisenbahnspezifische Besonderheiten 8 3.1. In Materieller Hinsicht 8 3.1.1. Beihilfetatbestand 8 3.1.1.1. Tätigkeit des Bundes als Eigentümer der Bahn 10 3.1.1.2. Ausgleichsleistungen 11 3.1.2. Rechtfertigung 12 3.1.2.1. Verordnung Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße 12 3.1.2.2. Eisenbahnleitlinien 13 3.1.2.3. Art. 93 AEUV und Art. 107 Abs. 3 AEUV 13 3.2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht 13 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung In dem am 12. März 2018 zwischen der CDU, CSU und der SPD vereinbarten Koalitionsvertrag für die 19. Wahlperiode findet sich zum Thema Schienenverkehr u. a. folgende Aussage: „Wir werden in den Satzungen der DB Netz AG, der DB Station&Service AG sowie des Gesamtkonzerns volkswirtschaftliche Ziele wie die Steigerung des Marktanteils der Schiene festschreiben und die Vorstände der Unternehmen auf die Erfüllung der Ziele verpflichten.“1 Der Fachbereich wird in diesem Zusammenhang um die Beantwortung der folgenden Frage ersucht : „Wie ist der Umstand der genannten Zielfestschreibung unter beihilferechtlichen Gesichtspunkten zu werten?“2 In EU-beihilferechtlicher Hinsicht dürfte diese Zielfestschreibung als solche ohne Bedeutung sein. Denn die Anwendbarkeit des EU-Beihilferechts setzt zunächst – ungeachtet der Erfüllung weiterer Bedingungen – überhaupt voraus, dass Unternehmen vom Staat eine wirtschaftliche Begünstigung erhalten.3 Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche in beihilferechtlicher Hinsicht bereits darin liegen kann, dass staatliche Vertreter öffentliche Unterstützungszusagen gegenüber Unternehmen abgeben und schon dadurch die Marktposition des Unternehmens verbessern .4 Derartige Unterstützungszusagen müssten jedoch finanzieller Natur bzw. auf finanzielle Unterstützung gerichtet sein, was im Hinblick auf die zitierte Aussage nicht der Fall ist. Werden dem Konzern Deutsche Bahn AG (im Folgenden auch: Bahn) oder seinen Konzernunternehmen 5 durch den Bund oder die Länder etc. hingegen tatsächlich wirtschaftliche Begünstigungen eingeräumt, so sind diese zumindest potentiell beihilferelevant.6 1 Der Koalitionsvertrag ist online bspw. auf den Seiten der SPD abrufbar unter https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente /Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2018-2021_Bund_final.pdf (letztmaliger Abruf am 31.05.18). Die zitierte Passage findet sich auf S. 78 des abgerufenen Dokuments (Zeilen 3598-3601). 2 Hinsichtlich der anderen Fragestellungen und ihrer Beantwortung wird auf die Ausarbeitung des … verwiesen. 3 Siehe dazu sogleich unter 2.1., S. 5 f. 4 Vgl. Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 78 ERegG 2017 „Bahn 2017: Wettbewerbspolitische Baustellen“ (im Folgenden: Gutachten der Monopolkommission), BT-Drs. 18/13290, online abrufbar unter http://www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s76_volltext.pdf (letztmaliger Abruf unter 31.05.18), Rn. 81 aE., unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 19.03.2013, Rs. C-399/10 P (Bouygues und Bouygues Télécom/Kommission ), Rn. 27 u. 106 ff. 5 Siehe die Auflistung der Konzernunternehmen auf den konzerneigenen Internetseiten unter https://www.deutschebahn .com/de/konzern/Konzernunternehmen (letztmaliger Abruf am 31.05.18). 6 Vgl. etwa im Hinblick auf Finanzzuschüsse des Bundes im Bundeshaushaltsgesetz 2017 das Gutachten der Monopolkommission (Fn. 4), Rn. 75 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 5 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden zunächst ein kurzer Überblick über das Beihilferecht gegeben werden (2.). Anschließend wird auf die für derartige Konstellationen bestehenden Besonderheiten im Fall der Bahn und ihrer Tätigkeit im Schienenverkehr eingegangen (3.). 2. Überblick über das EU-Beihilferecht Das EU-Beihilferecht lässt sich in materielle (2.1.) und formal-verfahrensrechtliche Bestimmungen (2.2.) aufteilen. 2.1. Materielles EU-Beihilferecht Den materiellen Kern des EU-Beihilferechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen . Diesem Normtext werden mehrere Merkmale entnommen, die kumulativ erfüllt sein müssen, um von dem Vorliegen einer Beihilfe ausgehen zu können: Neben der aus staatlichen Mitteln gewährten Begünstigung gehören hierzu die Selektivität (Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige), die Wettbewerbsverfälschung und die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.7 Fehlt es nur an einem der Merkmale, so liegt keine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV vor und das EU-Beihilferecht findet keine Anwendung.8 Sind die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV hingegen erfüllt, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme. Denn das darin geregelte Beihilfeverbot gilt nicht absolut, sondern nur insoweit, als in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen „anderen Bestimmungen“ zählt vor allem Art. 107 Abs. 3 AEUV sowie im Bereich des (Schienen-)Verkehrs Art. 93 AEUV (siehe dazu unten unter 3.).9 Danach können Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen und insoweit gerechtfertigt werden bzw. als unionsrechtlich zulässig angesehen werden. 7 Siehe zu den einzelnen Merkmalen und der dazu ergangenen Rechtsprechung die sog. Beihilfemitteilung der Kommission: Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2016 Nr. C 262/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016XC0719(05)&from=DE (letztmaliger Abruf unter 31.05.18). In dieser Mitteilung erläutert die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die einzelnen Merkmale des Beihilfetatbestandes. 8 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 74, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 9 Weitere primärrechtliche Vorschriften in diesem Zusammenhang sind Art. 107 Abs. 2 AEUV (zwingende Legalausnahmen ) oder Art. 106 Abs. 2 AEUV für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 6 2.2. EU-Beihilfeverfahren Der Vollzug des EU-Beihilferechts obliegt auf Grundlage von Art. 108 AEUV vor allem der Kommission .10 In verfahrenstechnischer Hinsicht sind dabei zwei Ansätze zu unterscheiden: eine primärrechtlich vorgesehene ex-ante-Prüfung (siehe unter 2.2.1.) und eine sekundärrechtlich geprägte ex-post-Kontrolle (siehe unter 2.2.2.). 2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren Nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV sowie der sekundärrechtlichen Konkretisierung dieser Bestimmungen in Gestalt der Beihilfenverfahrensordnung (Beihilfe-VerfO)11 können mitgliedstaatliche Vorhaben zum einen vorab (präventiv) überprüft werden. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist hierbei die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beihilfen vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV, Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO). Diese prüft sodann, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und – wenn das der Fall ist – ob sie insbesondere nach Art. 107 Abs. 3 AEUV (vgl. auch Art. 4, 6, 7 Beihilfe- VerfO) oder Art. 93 AEUV gerechtfertigt werden kann. Erst im Anschluss hieran darf der betreffende Mitgliedstaat die Beihilfe gewähren (sog. Durchführungsverbot, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, Art. 3 Beihilfe-VerfO). Von hoher praktischer Bedeutung sind an dieser Stelle zahlreiche Sekundärrechtsakte, in denen die Kommission einerseits ihre Ermessenspraxis u. a. zur Auslegung des Art. 107 Abs. 3 AEUV und andererseits die beihilferechtliche Rechtsprechung der Unionsgerichte zum Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV verschriftlicht hat, um die Rechtssicherheit (Vorhersehbarkeit) und Transparenz ihres Entscheidungsprozesses zu erhöhen.12 Zu diesen Rechtsakten gehören überwiegend nicht verbindliche Maßnahmen, die – ähnlich wie nationale Verwaltungsvorschriften – zumindest eine Selbstbindung der Kommission begründen.13 10 Zu den wenigen, zum Teil auf Ausnahmesituationen beschränkten Kompetenzen des Rates im EU-Beihilfenrecht nach Art. 107 Abs. 3 lit. e, Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 sowie Art. 109 AEUV, vgl. allgemein, Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3: Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1224 ff. 11 Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV, ABl.EU 2015 Nr. L 248/9, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R1589&from=DE (letztmaliger Abruf am 31.05.18). 12 Cremer, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 107 AEUV, Rn. 4. 13 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 5.10.2000, Rs. C-288/96 (Deutschland/Deutschland), Rn. 62; EuGH, Urt. v. 7.03.2002, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Rn. 52. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 7 Derartige Maßnahmen werden in Form von (zum Teil bereichsspezifischer) Leitlinien, Unionsrahmen und Mitteilungen14 erlassen. Zu erwähnen ist hier vor allem die 2016 erlassene sog. Beihilfemitteilung , in welcher die Kommission den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV anhand der bisherigen Rechtsprechung erläutert.15 Beziehen sich die unverbindlichen Vorschriften auf die Rechtfertigungstatbestände etwa des Art. 107 Abs. 3 AEUV, gewährleistet die Einhaltung der darin enthaltenen Vorgaben in der Regel einen positiven Ausgang des Beihilfeverfahrens. In diesem Kontext ist auf die Leitlinien für staatliche Beihilfen an Eisenbahnunternehmen16 zu verweisen (siehe dazu auch unten unter 3.). 2.2.2. Freistellung von der Notifizierung und ex-post-Kontrolle Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Anmeldung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte vorab bekannte materielle und formale Anforderungen eingehalten werden.17 Diese Anforderungen ergeben sich v. a. aus sog. Freistellungsverordnungen, die die Kommission u. a. auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer sie dazu ermächtigenden Verordnung des Rates im Sinne des Art. 109 AEUV erlassen kann.18 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt . Die Kommission kann die gleichwohl zu meldende Gewährung solcher Beihilfen jedoch nachträglich kontrollieren. 14 Ein Gesamtüberblick über die verschiedenen Rechtsakte findet sich auf den Seiten der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission unter http://ec.europa.eu/competition/state_aid/legislation/compilation/index_de.html (Stand vom 15.04.2014, letztmaliger Abruf am 31.05.18). Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der ermessenskonkretisierenden Kommissionsakte, vgl. Frenz (Fn. 10), Rn. 747 ff. 15 Siehe oben Fn. 7. 16 Mitteilung der Kommission - Gemeinschaftliche Leitlinien für staatliche Beihilfen an Eisenbahnunternehmen, ABl.EU 2008 Nr. C 184/13, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52008XC0722(04)&from=EN (letztmaliger Abruf am 31.05.18). 17 Dieser Bereich des Beihilferechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilferechtsreform („State Aid Modernisation “) ausgebaut, vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilferecht, NJW 2014, S. 3128 (3130). 18 Bei der Verordnung des Rates auf Grundlage von Art. 109 AEUV handelt es sich um die Verordnung (EG) Nr. 994/98 vom 7. Mai 1998 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfe, ABl.EG 1998 Nr. L 142/1, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01998R0994- 20130820&qid=1430746279772&from=DE (letztmaliger Abruf am 31.05.18). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 8 Ein besonderes Beispiel für der Freistellung von der Notifizierungspflicht sind die sog. De-Minimis -Verordnungen, in denen festgelegt wird, ab welchen Schwellenwerten der staatlichen Förderung das EU-Beihilferecht überhaupt zur Anwendung gelangt.19 Werden die Höchstgrenzen sowie die sonstigen Voraussetzungen eingehalten, dann sind die Maßnahmen von der Notifizierung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt.20 Zu erwähnen ist im vorliegenden Kontext zudem die Verordnung Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße,21 die ebenfalls einen Freistellungstatbestand beinhaltet (siehe dazu unten unter 3.). 3. EU-Beihilferecht und eisenbahnspezifische Besonderheiten 3.1. In Materieller Hinsicht Im Rahmen des Beihilfetatbestandes (3.1.1.) bestehen zwar keine besonderen eisenbahnspezifischen Vorschriften, sie finden sich lediglich auf der Ebene Rechtfertigung (3.1.2). Dennoch werden im Folgenden zunächst ein paar Hinweise zu Art. 107 Abs. 1 AEUV und seiner Anwendung auf staatliche Unterstützungen der Bahn gegeben. 3.1.1. Beihilfetatbestand Bei der Deutschen Bahn AG sowie seinen Tochterunternehmen handelt es sich ungeachtet der staatlichen Eigentümerstellung gegenüber dem Konzern um Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbs- und damit auch Beihilferechts.22 Denn die Bahn betätigt sich mit ihren Un- 19 Vgl. die allgemein geltende Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen, ABl.EU 2013 Nr. L 352/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R1407&qid=1417597248357&from=DE (letztmaliger Abruf am 31.05.18). Sie sieht in Art. 3 Abs. 2 eine Höchstgrenze von 200.000 € in drei Steuerjahren vor. Für die Förderung von Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen , gilt die Verordnung (EU) Nr. 360/2012 der Kommission vom 25. April 2012 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] auf De-minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen, ABl.EU 2012 Nr. L 114/8, online abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:114:0008:0013:DE:PDF (letztmaliger Abruf am ). Hier ist nach Art. 2 Abs. 2 eine Höchstgrenze von 500.000 € pro drei Steuerjahren vorgesehen. 20 Vgl. Art. 3 Abs. 1 Verordnung Nr. 1407/2013 (Fn. 19) und Art. 2 Abs. 1 Verordnung Nr. 360/2012 (Fn. 19). 21 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung […],ABl.EU 2007 Nr. L 315/1, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02007R1370-20171224&qid=1526981405820&from=DE (letztmaliger Abruf am 31.05.18). 22 Siehe zum Unternehmensbegriff die Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 6 ff. Vgl. ferner Rn. 73. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 9 ternehmen als Mobilitäts- und Logistikkonzern u. a. auf den unterschiedlichen Schienenmärkten 23 und konkurriert dort sowohl im Inland als auch im EU-Ausland mit verschiedenen Wettbewerbern .24 Eventuelle wirtschaftliche Begünstigungen, die auf den Bund oder die Länder und damit auf den Staat zurückzuführen sind,25 begründen in der Regel eine Wettbewerbsverfälschung und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.26 Werden die staatlichen Begünstigungen als sog. individuelle Beihilfen27 nur der Bahn bzw. ihren Unternehmen gewährt, so ist auch das Merkmal der Selektivität erfüllt.28 Einer gesonderten Betrachtung bedarf bei finanzieller Unterstützung der Bahn hingegen in der Regel das Merkmal der Begünstigung (auch als „Vorteil“ bezeichnet).29 Darunter ist jede wirtschaftliche Vergünstigung zu verstehen, die ein Unternehmen unter normalen Marktbedingungen , d. h. ohne Eingreifen des Staates, nicht erhalten könnte.30 Unter den Begriff der wirtschaftlichen Vergünstigung fällt nicht nur die Gewährung positiver wirtschaftlicher Leistungen, sondern auch die Befreiung von wirtschaftlichen Lasten.31 Im Zusammenhang mit dem Merkmal der Begünstigung lassen sich insbesondere zwei Konstellationen unterscheiden, die bei der Bahn in praktischer Hinsicht eine Rolle spielen: die Tätigkeit des Bundes als Eigentümer der Bahn (3.1.1.1.) und die Zahlung von Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) im Bereich der Schienenpersonenverkehrs (3.1.1.2.). 23 Nach § 2 Abs. 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) werden insoweit drei grundlegende Marktsegmente unterschieden: der Schienenpersonenfernverkehr, der Schienenpersonennahverkehr und der Schienengüterverkehr . 24 Siehe zu den Wettbewerbsverhältnissen der Bahn im Schienenverkehr in intra- und intermodaler Hinsicht in Bezug auf Deutschland das Gutachten der Monopolkommission (Fn. 4), S. 8 ff. bzw. S. 66 ff. 25 Siehe allgemein zum Merkmal der Finanzierung aus staatlichen Mitteln die Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 38 ff. Vgl. im Hinblick auf die Finanzzuschüsse des Bundes im Jahr 2017 das Gutachten der Monopolkommission (Fn. 4), Rn. 75 ff. 26 Siehe zu diesen beiden Merkmalen, an die in der Regel nur geringen Anforderungen gestellt werden, Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 185 ff. 27 Einzelbeihilfen sind nach Art. 1 Buchst. e Beihilfe-VerfO (Fn. 11), Beihilfen, die nicht aufgrund einer Beihilferegelung gewährt werden, und einzelne anmeldungspflichtige Zuwendungen aufgrund einer Beihilferegelung. 28 Siehe zu diesem Merkmal Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 117 ff. Die dortigen Ausführungen betreffen weit überwiegend die eher problematischen Fälle, in denen die Beihilfen nicht als Einzelbeihilfen nur einem einzelnen Unternehmen gewährt werden, sondern allgemeinerer Natur sind und einer Vielzahl oder Gruppen von Unternehmen zugutekommen. 29 Siehe hierzu Beihilfemitteilung (Fn. 7), die den Begriff des Vorteils verwendet, Rn. 66 ff. 30 Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 66. 31 Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 68. Siehe hierzu im Hinblick auf die Finanzzuschüsse des Bundes im Jahr 2017, die zum einen in Form eines Verzichts auf Dividendenausschüttungen und zum anderen durch eine Kapitalerhöhung erfolgten, das Gutachten der Monopolkommission (Fn. 4), Rn. 76. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 10 3.1.1.1. Tätigkeit des Bundes als Eigentümer der Bahn Gewährt der Bund der Bahn wirtschaftliche Vergünstigungen in seiner Eigenschaft als (gesellschaftsrechtlicher ) Eigentümer (etwa in Form von Kapitalerhöhungen),32 so hängt deren Beihilferelevanz im Ergebnis davon ab, ob diese Vergünstigungen zu „normalen Marktbedingungen“ erfolgen oder nicht. Im ersten Fall würde der Bund nicht anders als ein „gewöhnlicher Marktteilnehmer “ im Hinblick auf seine Investition handeln und dem „begünstigten“ Unternehmen dadurch kein beihilferelevanter finanzieller Vorteil gegenüber anderen Unternehmen zuteilwerden .33 Um zu prüfen, ob das der Fall ist, hat die Rechtsprechung der sog. Private-investor-Test entwickelt.34 Zu dem hierbei anzustellenden Prüftest enthält die auf der Rechtsprechung der Unionsgerichte beruhende Beihilfemitteilung u. a. folgende Vorgaben: „Ob eine staatliche Maßnahme den Marktbedingungen entspricht, muss ex ante auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Maßnahme verfügbaren Informationen geprüft werden. Denn ein umsichtiger marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsbeteiligter würde in der Regel eine Ex-ante-Bewertung der Strategie und der finanziellen Aussichten eines Vorhabens zum Beispiel anhand eines Geschäftsplans vornehmen. Ex-post vorgenommene wirtschaftliche Bewertungen, welche rückblickend die tatsächliche Rentabilität der vom betroffenen Mitgliedstaat getätigten Investition feststellen, reichen nicht aus. Wenn ein Mitgliedstaat geltend macht, er habe sich wie ein marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsbeteiligter verhalten, muss er im Zweifelsfall nachweisen, dass die Entscheidung über die Durchführung der Transaktion auf der Grundlage wirtschaftlicher Bewertungen getroffen wurde, die denen vergleichbar sind, die ein vernünftiger, marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsbeteiligter (mit ähnlichen Merkmalen wie die betreffende öffentliche Einrichtung) in ähnlicher Lage vorgenommen hätte, um die Rentabilität oder die wirtschaftlichen Vorteile der Transaktion zu ermitteln. Ob eine Transaktion den Marktbedingungen entspricht, muss im Wege einer umfassenden Bewertung der Wirkung der Transaktion auf das betreffende Unternehmen festgestellt werden, ohne zu berücksichtigen, ob die besonderen Mittel, die bei der Durchführung der Transaktion eingesetzt wurden, marktwirtschaftlich handelnden Wirtschaftsbeteiligten zur Verfügung stehen würden.“35 32 So etwa 2017, siehe Fn. 31. 33 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 73 ff. Siehe im Hinblick auf die Finanzzuschüsse des Bundes im Jahr 2017 das Gutachten der Monopolkommission (Fn. 4), Rn. 80. 34 Im Verhältnis von staatlichem (Allein-)Gesellschafter zur unternehmerischen Gesellschaft spricht man auch vom Grundsatz marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers, vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 74. 35 Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 78-80. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 11 Ob und inwieweit die Anforderungen dieses Tests eingehalten werden und damit im Ergebnis (schon) das Vorliegen einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV mangels Begünstigung abzulehnen ist, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. 3.1.1.2. Ausgleichsleistungen Im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) lassen sich Schienenverkehrsdienste in der Regel nicht wirtschaftlich betreiben. Das Angebot derartiger Leistungen ist Teil der staatlichen Daseinsvorsorge, die auf europäischer Ebene weitgehend mit dem Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gleichgesetzt werden kann.36 Die Bahn und andere Eisenbahnunternehmen erbringen Leistungen im SPNV – anders als etwa im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) – daher nicht von sich aus, sondern im Auftrag der für die Zurverfügungstellung des SPNV zuständigen staatlichen Einheiten, vor allem der Länder. Hierfür erhalten sie Leistungen, mit denen die Kosten für diese im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Verkehrsdienste ausgeglichen werden (sog. Ausgleichsleistungen).37 Nach der Rechtsprechung des EuGH seit dem Urteil Altmark Trans erfüllen derartige Ausgleichsleistungen nur dann nicht das Merkmal der Begünstigung und damit letztlich den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind.38 U. a. müssen die Parameter , anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent festgelegt sein.39 Ferner darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten für die Erfüllung der Gemeinwohlverpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns ganz oder teilweise zu decken.40 Neben dieser Rechtsprechung, die am Beispiel des kommunalen Omnibusverkehrs entwickelt wurde,41 bestehen sekundärrechtliche Sonderregelungen zu Ausgleichsleistungen bei Personenverkehrsdiensten . Diesen kommt zumindest im SPNV in der Praxis die größere Bedeutung zu als der tatbestandsbezogenen Altmark Trans-Rechtsprechung. In beihilfedogmatischer Hinsicht sind diese Sonderregelungen jedoch auf der Rechtfertigungsebene zu verorten (siehe daher sogleich), obgleich sie in sachlicher Hinsicht in die gleiche Richtung weisen wie die eben erwähnten Rechtsprechungskriterien . 36 Siehe dazu im Hinblick auf den SPNV Neumann, Daseinsvorsorgeaufgabe Schienenpersonennahverkehr – eine Analyse im Lichte des nationalen und des europäischen Rechts, 2015, S. 49 ff. 37 Siehe hierzu eingehend Neumann (Fn. 36), S. 229 ff. 38 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 83 ff., insb. 87-95. Siehe dazu auch die Wiedergabe der Kriterien in der Beihilfemitteilung (Fn. 7), Rn. 70. Darin wird auch auf die Mitteilung der Kommission verwiesen , in der diese eine nähere Erläuterung dieser Kriterien vornimmt. 39 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 90. 40 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 92. 41 Siehe EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 19 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 12 3.1.2. Rechtfertigung Läge nach Maßgabe der obigen Ausführungen eine staatliche Begünstigung der Bahn im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vor und sind auch alle übrigen Beihilfemerkmale erfüllt, so stellt sich die Frage nach ihrer Rechtfertigung bzw. gleichwohl möglichen unionsrechtlichen Zulässigkeit. Für den EU-Politikbereich des Verkehrs (vgl. Art. 90 bis 100 AEUV), der auch den Eisenbahnverkehr einschließt (siehe Art. 101 Abs. 1 AEUV), enthält Art. 93 AEUV eine beihilferechtliche Sonderregelung , die die Rechtfertigungstatbestände in Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV ergänzt. Nach Art. 93 AEUV sind Beihilfen mit den Verträgen vereinbar, die „den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs oder der Abgeltung bestimmter, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen entsprechen.“ Zur Konkretisierung dieser Vorschrift sowie zum Teil auch des Art. 107 Abs. 3 AEUV liegen zwei Rechtsakte vor: die rechtlich verbindliche Verordnung Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße42 (im Folgenden auch: Verordnung Nr. 1370/2007 – 3.1.2.1.) sowie die rechtlich unverbindlichen, aber die Kommission bindenden Leitlinien für staatliche Beihilfen an Eisenbahnunternehmen43 (im Folgenden: Eisenbahnleitlinien) aus dem Jahr 2008 (3.1.2.2.). Beide gehen der direkten Abstützung von Beihilfen auf Art. 93 AEUV und ggf. Art. 107 Abs. 3 AEUV vor, die genannten Vertragsvorschriften bleiben jedoch in den Fällen anwendbar, die nicht von den genannten Rechtsakten erfasst werden (3.1.2.3.). 3.1.2.1. Verordnung Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße Die Verordnung Nr. 1370/2007 gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 2 UAbs. 1 u. a. für den innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Personenverkehr mit der Eisenbahn und andere Arten des Schienenverkehrs. Nach Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 Verordnung Nr. 1370/2007 legt dieser Rechtsakt fest, unter welchen Bedingungen die zuständigen Behörden den Betreibern eines öffentlichen Dienstes eine Ausgleichsleistung für die ihnen durch die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verursachten Kosten und/oder ausschließliche Rechte im Gegenzug für die Erfüllung solcher Verpflichtungen gewähren, wenn sie ihnen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen oder entsprechende Aufträge vergeben. Wesentlicher Regelungsgehalt der Verordnung Nr. 1370/2007 sind Vorgaben zur Ausschreibung entsprechender „öffentlicher Dienstleistungsaufträge“ (vgl. Art. 5 VO 1370/2007) sowie zu den 42 Siehe Nachweis oben in Fn. 21. 43 Siehe Nachweis oben in Fn. 16. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 13 Ausgleichsleistungen hierfür (vgl. Art. 6, 4 VO 1370/2007). Für weitere Einzelheiten wird auf den Normtext sowie einschlägiges Schrifttum verwiesen.44 3.1.2.2. Eisenbahnleitlinien Die Eisenbahnleitlinien gelten in negativer Abgrenzung zunächst nicht für Beihilfen in Gestalt von Ausgleichszahlungen im Sinne der Verordnung 1370/200845 sowie für die Gewährung öffentlicher Finanzmittel zugunsten von Infrastrukturbetreibern.46 In positiver Hinsicht regeln sie die Zulässigkeits- bzw. Rechtfertigungsvoraussetzungen für folgende Beihilfekategorien: staatliche Förderung der Eisenbahnunternehmen durch Finanzierung von Infrastruktur, Beihilfen zur Anschaffung und Erneuerung von Fahrzeugen, staatliche Schuldentilgung zur finanziellen Sanierung der Eisenbahnunternehmen, Beihilfen zur Umstrukturierung von Eisenbahnunternehmen, Beihilfen für die Koordinierung des Verkehrs sowie staatliche Bürgschaften zugunsten von Eisenbahnunternehmen.47 Für nähere Angaben zu den Zulässigkeits- bzw. Rechtfertigungsvoraussetzungen für die genannten Beihilfen wird auf die Eisenbahnleitlinien und einschlägiges Schrifttum verwiesen.48 3.1.2.3. Art. 93 AEUV und Art. 107 Abs. 3 AEUV Für alle Konstellationen, in denen eine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt, sie aber nicht von den beiden vorgenannten Rechtsakten erfasst wird, gelangen Art. 93 AEUV und ggf. Art. 107 Abs. 3 AEUV zur Anwendung. 49 Im Hinblick auf Art. 93 AEUV gilt dies vor allem für die erste Tatbestandsvariante der Koordinierungsbeihilfen, die auf Sicherstellung einer sinnvollen Aufgabenteilung zwischen den einzelnen Verkehrsträgern gerichtet sind.50 3.2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht Die verfahrensrechtliche Behandlung von staatlichen Begünstigungen an die Bahn hängt zum einen davon ab, ob die betreffende Maßnahme alle Merkmale des Beihilfetatbestandes im Sinne 44 Siehe den Nachweis oben in Fn. 21. Aus dem Schrifttum siehe etwa Knauf, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich, Europäisches Beihilferecht, 2013, Kap. 3 (Sonderbereiche), Rn. 200 ff. 45 Vgl. Tz. 19 der Leitlinien (Fn. 16). 46 Vgl. Tz. 15 der Leitlinien (Fn. 16). 47 Vgl. Tz. 21 der Leitlinien (Fn. 16) sowie die jeweils einschlägigen Kapitel der Leitlinien. 48 Siehe den Nachweis oben in Fn. 16. Aus dem Schrifttum siehe etwa Núňez Müller, in: Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht) - Band 3: Beihilfenund Vergaberecht, 2011 (im Folgenden: MüKo-Wettbewerbsrecht), F. Sektoren, Rn. 582 ff. 49 Vgl. hierzu etwa Fehling, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht 7. Auflage 2015, Art. 93 AEUV, Rn. 12. 50 Siehe dazu bei Knauff, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich (Fn. 44), Rn. 198. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/18 Seite 14 des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt und – wenn das der Fall sein sollte – zum anderen davon, in den Anwendungsbereich welcher Zulässigkeits- bzw. Rechtfertigungsvorgaben die betreffende Begünstigung fällt. Ist eines der Merkmale des Beihilfetatbestandes nicht erfüllt, sei es, weil sich etwa der Bund hinsichtlich seiner Finanzzuschüsse an die Bahn wie ein privater (marktkonformer) Investor verhält und es letztlich an einer Begünstigung fehlt oder weil Ausgleichsleistungen im Sinne der Altmark -Trans-Rechtsprechung vorliegen, dann greift auch die Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV nicht bzw. einer Freistellung von dieser bedarf es nicht. Das rechtspraktische Problem liegt in diesen Fällen allerdings darin, rechtssicher zu bestimmen, ob die Voraussetzungen , die zum Wegfall des Begünstigungsmerkmals führen, tatsächlich vorliegen. Werden die Anforderungen an den privaten Investor-Test oder die Altmark-Trans-Kriterien nicht erfüllt, dann handelt es sich – mangels Notifizierung – zumindest um eine (formal) rechtswidrige Beihilfe,51 die bei materieller Unvereinbarkeit mit den einschlägigen Zulässigkeits- bzw. Rechtfertigungsanforderungen von der Kommission zurückgefordert werden kann.52 Soweit hinsichtlich der Beurteilung der Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV Unklarheit besteht, lässt sich die daraus folgende Rechtsunsicherheit letztlich nur dadurch beseitigen, dass die betreffende Maßnahme der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV notifiziert wird, so dass diese ein Beihilfeverfahren durchführen kann. Bis zu seinem Abschluss gilt jedoch das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV.53 Liegen die Merkmale des Beihilfetatbestandes hingegen unzweifelhaft vor, so hängt das weitere Verfahren davon ab, auf Grundlage welcher Zulässigkeits- bzw. Rechtfertigungsvorgaben die betreffende Beihilfe gewährt werden soll. Im Fall von Ausgleichsleistungen für den SPNV kommt die Verordnung Nr. 1370/2007 in Betracht. Diese sieht für entsprechende Zahlungen, die die Anforderung der Verordnung einhalten, in Art. 9 Abs. 1 VO 1370/2007 eine Freistellung von der Notifizierungspflicht vor. Die Beihilfe kann dann ohne vorherige Durchführung eines Beihilfeverfahrens gewährt werden, kann aber einer ex-post-Kontrolle der Kommission unterliegen.54 Handelt es sich hingegen um Beihilfen, die von den Eisenbahnleitlinien erfasst werden oder um solche, die unmittelbar am Maßstab des Art. 93 oder Art. 107 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt werden sollen, dann sind Freistellungen nicht vorgesehen. Die Maßnahmen sind der Kommission zu notifizieren und ein Beihilfeverfahren durchzuführen.55 – Fachbereich Europa – 51 Vgl. Art. 1 Buchst. f Beihilfe-VerfO (Fn. 11). 52 Vgl. Art. 16 Beihilfe-VerfO (Fn. 11). Siehe dazu auch die Ausführungen im Gutachten der Monopolkommission (Fn. 4), Rn. 82, im Hinblick auf die Finanzzuschüsse des Bundes in 2017. Bis zur Klärung dieser Frage kann die Maßnahme ausgesetzt oder vorläufig zurückgefordert werden, vgl. Art. 13 Beihilfe-VerfO (Fn. 11). 53 Vgl. auch Art. 3 Beihilfe-VerfO (Fn. 11). 54 Siehe zu diesem Verfahrensansatz oben unter 2.2.2., S. 7 f. 55 Siehe zu diesem Verfahrensansatz oben unter 2.2.1., S. 6 f.