© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 60/16 Fragen zur vorläufigen Anwendung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/16 Seite 2 Fragen zur vorläufigen Anwendung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 60/16 Abschluss der Arbeit: 11. April 2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergründe zur vorläufigen Anwendung des EU- Ukraine-Assoziierungsabkommens 4 2. Unionsrechtliche Anforderungen an eine vorläufige Anwendung 5 2.1.1. Vorbemerkung 5 2.1.2. Verfahren 6 2.2. Wirkung der vorläufigen Anwendung 6 2.3. Verhältnis der vorläufigen Anwendung zu den verfassungsrechtlichen Erfordernissen für eine Ratifikation multilateraler Verträge 7 2.4. Zusammenfassung 7 3. Auswirkungen einer nicht erfolgenden Ratifizierung des Abkommens durch einen Mitgliedstaat auf die vorläufige Anwendung des Abkommens 7 3.1. Völkerrechtliche Folgen einer nicht erfolgenden Ratifikation 8 3.2. Unionsrechtliche Folgen einer nicht erfolgenden Ratifikation 8 3.2.1. Ratsbeschluss zur Aufhebung der vorläufigen Anwendung 8 3.2.2. Zustimmung des Europäischen Parlaments zur Aufhebung der vorläufigen Anwendung 9 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/16 Seite 4 1. Hintergründe zur vorläufigen Anwendung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens Das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits (im Folgenden: EU- Ukraine-Abkommen bzw. DCFTA) wurde am 27. Juni 2014 vollständig unterzeichnet.1 Vertragsparteien sind gemäß Art. 482 des EU-Ukraine-Abkommens die EU oder ihre Mitgliedstaaten beziehungsweise die EU und ihre Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Befugnisse, wie sie sich aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ergeben, einerseits und die Ukraine andererseits. Zuvor hatte der Rat mit Beschluss 2014/295/EU vom 17. März 2014 die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung des EU-Ukraine-Abkommens beschlossen.2 Gemäß Art. 4 des Beschlusses 2014/295/EU hat der Rat die vorläufige Anwendung des Abkommens bis zu dessen Inkrafttreten auf die Angelegenheiten beschränkt, die die in die Zuständigkeit der Union fallen. Dies umfasst auch die Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit der Union hinsichtlich der Festlegung und Durchführung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fallen. Konkret erstreckt sich die vorläufige Anwendung auf Titel I (Allgemeine Grundsätze), Titel II (Politischer Dialog und Reformen, politische Assoziation, Zusammenarbeit und Annäherung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik) Art. 4, 5 und 6 sowie auf Titel VII (Institutionelle, allgemeine und Schlussbestimmungen ) mit Ausnahme des Art. 479 Abs. 1, soweit die Bestimmungen jenes Titels sich darauf beschränken, die vorläufige Anwendung des Abkommens gemäß diesem Artikel sicherzustellen . Für das Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens ist die Ratifizierung durch die Ukraine, das EP und die 28 Mitgliedstaaten der EU nötig. Im Anschluss an die Unterzeichnung des Abkommens erfolgte am 16. September 2014 die Ratifikation des Abkommens durch das Europäische Parlament und das Parlament der Ukraine.3 Die Bestimmungen, die ausschließlich Kompetenzen 1 Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits, ABl. L 161 vom 29.5.2014, S. 3, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:22014A0529(01)&from=DE, vgl. hierzu im Überblick http://trade.ec.europa .eu/doclib/docs/2013/april/tradoc_150981.pdf, http://eeas.europa.eu/ukraine/pdf/071215_eu-ukraine _association_agreement.pdf sowie zur Unterzeichnung http://eeas.europa.eu/delegations/ukraine/press_corner /all_news/news/2014/2014_06_27_01_en.htm. 2 Beschluss 2014/295/EU des Rates vom 17. März 2014 über die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits im Namen der Europäischen Union hinsichtlich der Präambel, Artikel 1 und der Titel I, II und VII des Abkommens, ABl. L 161 vom 29.5.2014, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014D0295&from=DE. 3 Vgl. http://eeas.europa.eu/delegations/ukraine/press_corner/all_news/news/2014/2014_09_16_01_en.htm. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/16 Seite 5 der EU betreffen, werden seit dem 1. November 2014 vorläufig angewendet.4 Angesichts handelspolitischer Bedenken Russlands5 verschob die EU das In-Kraft-Treten des EU-Ukraine-Abkommen bis Anfang 2016. Die anderthalb Jahre dauernden trilateralen Verhandlungen zwischen der Ukraine, Russland und der EU brachten jedoch keine Einigung. Am 1. Januar 2016 trat der wirtschaftliche Teil des EU-Ukraine-Abkommens – das sog. Deep and Comprehensive Free Trade Area (DCFTA) – vorläufig in Kraft.6 2. Unionsrechtliche Anforderungen an eine vorläufige Anwendung 2.1.1. Vorbemerkung Von dem Inkrafttreten nach Abschluss des verfassungs- und völkerrechtlichen Genehmigungsverfahrens für einen völkerrechtlichen Vertrag sind die vorläufige Anwendung eines Abkommens und der hierfür erforderliche Abschluss der internen Genehmigungsverfahren zu differenzieren. Die völkerrechtliche Bindungswirkung zwischen den Vertragsparteien (pacta sunt servanda, Art. 26 WVK7) tritt zwar grundsätzlich erst mit dem Inkrafttreten des Abkommens, also zu dem Zeitpunkt ein, der von den Vertragsparteien vereinbart wurde (Art. 24 Abs. 1 WVK). Eine Ausnahme davon bildet die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages gemäß Art. 25 WVK. Gemäß Art. 25 Abs. 1 lit. a) WVK kann ein völkerrechtlicher Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten vorläufig angewandt werden, wenn dies in dem Vertrag vorgesehen ist. Insofern setzt eine vorläufige Anwendung einerseits den Abschluss der internen Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit durch die Vertragsparteien und zum anderen die gegenseitige Notifizierung derselben. Für die Unionsrechtsordnung ist hierbei danach zu unterscheiden, ob die betreffenden Teile des Abkommens in die Zuständigkeit der EU oder in die der Mitgliedstaaten fallen. Sofern die Bereiche in der Zuständigkeit der Union liegen, kann deren vorläufige Anwendung auf Art. 218 Abs. 5 AEUV gestützt werden. Diese Möglichkeit einer vorläufigen Anwendung beruht letztlich auf der Zustimmung der Mitgliedstaaten zu dem in den Unionsverträgen festgelegten Integrationsprogramm .8 4 Vgl. http://eeas.europa.eu/delegations/ukraine/press_corner/all_news/news/2014/2014_11_01_1_en.htm. 5 Diese Bedenken ergaben sich insbesondere daraus, dass Importe aus der EU über die Ukraine zollfrei nach Russland gelangen könnten. 6 Vgl. http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1425 sowie http://eeas.europa.eu/delegations/ukraine /press_corner/all_news/news/2016/2016_01_08_en.htm. 7 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBL. 1985 II S. 926. 8 Für die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland vgl. zuletzt das Gesetz zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, BGBl. II 2008, S. 1038 sowie hierzu BT-Drs. 16/8300 (Gesetzentwurf), BT-Drs. 16/8917 (Beschlussempfehlung und Bericht) und BT-Plenarprot. 16/157, S. 16450D - 16485C (2. Beratung und Schlussabstimmung ). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/16 Seite 6 2.1.2. Verfahren Die Anforderungen an das interne Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit in der EU sind in Art. 218 Abs. 5 AEUV geregelt. Nach dieser Vorschrift kann der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers (d.h. regelmäßig der Kommission) mit in der Regel qualifizierter Mehrheit (Art. 218 Abs. 8 UAbs. 1 iVm Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV) einen Beschluss erlassen, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und gegebenenfalls deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt werden.9 Bei gemischten Abkommen erfolgt eine solche Erklärung durch den Rat nur für die Aspekte des Abkommens, die in EU-Zuständigkeit liegen. Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten bewirkt der Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung, dass jedenfalls die Regelungen aus dem Bereich der Zuständigkeit der Union (insbesondere gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 AEUV oder Art. 3 Abs. 2 AEUV) schon vor Inkrafttreten des Abkommens als Teil des Unionsrechts dem Vorrang des Unionsrechts unterliegen. Eine Beteiligung der mitgliedstaatlichen Parlamente an dem Verfahren für die vorläufige Anwendung der Übereinkunft durch die EU ist in Art. 218 Abs. 5 AEUV nicht vorgesehen. Regelungen betreffend die mitgliedstaatliche Zuständigkeit sind hingegen von der vorläufigen Anwendung auf Grundlage von Art. 218 Abs. 5 AEUV ausgenommen. Eine vorläufige Anwendung der in die mitgliedstaatliche Zuständigkeit fallenden Teile des Abkommens erforderte in Deutschland beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 GG einer gesetzlichen Zustimmung. 2.2. Wirkung der vorläufigen Anwendung Durch den Beschluss der vorläufigen Anwendung und durch seine Notifizierung gegenüber der anderen Vertragspartei, welche diese Erklärung ebenfalls abzugeben hat, werden schon vor Inkrafttreten des Abkommens völkerrechtliche Rechte und Pflichten (Außenwirkung) für die EU und damit indirekt für die EU-Mitgliedstaaten begründet.10 Durch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung werden die Vertragspartner schon vor dem Inkrafttreten des Abkommens zur Ausführung der Vertragsbestimmungen verpflichtet.11 9 Gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV obliegt die Entscheidung über die Unterzeichnung und ggf. die vorläufige Anwendung alleine dem Rat. Eine Zustimmung des Europäischen Parlaments ist erst für den Abschluss des Abkommens erforderlich. Jedoch hat sich in den vergangenen Jahren die Praxis herausgebildet, dass politisch bedeutsame Verträge erst nach einer entsprechenden Zustimmung des Europäischen Parlaments für vorläufig anwendbar erklärt werden, vgl. 10 Krieger, in Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 25, Rn. 29 m.w.N. 11 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 58 m.w.N. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/16 Seite 7 2.3. Verhältnis der vorläufigen Anwendung zu den verfassungsrechtlichen Erfordernissen für eine Ratifikation multilateraler Verträge Wie vorstehend dargestellt, tritt ein gemischtes Abkommen erst nach Abschluss der Ratifikationsverfahren in Kraft. Jedoch können sich die Vertragsparteien auf der Grundlage von entsprechenden Vorgaben im jeweiligen Vertrag12 schon vor dem Inkrafttreten durch entsprechende Beschlüsse und deren Notifizierung zur Ausführung bestimmter Vertragsbestimmungen verpflichten . Damit tritt während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung eine inhaltliche, aber noch keine endgültige völkerrechtliche Bindungswirkung im Hinblick auf die für vorläufig anwendbar erklärten Vorschriften ein. Eine vorläufige Anwendung des Abkommens kann dessen eigentliches Inkrafttreten insgesamt nicht ersetzten. Die vorläufige Anwendung des Abkommens endet, wenn die Beendigung von der anderen Partei notifiziert wird oder wenn der Vertrag nach erfolgreicher Ratifikation in Kraft tritt und somit die provisorische Bindung der Vertragsparteien in eine endgültige übergeleitet wird. Weiterhin wird die vorläufige Anwendung völkervertragsrechtlich dann beendet, wenn die Vertragsparteien die Beendigung der Bindungswirkung bzw. die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden (ausdrückliche Ratifikationsverweigerung), notifizieren. Die Vertragsparteien müssen bei einer vorläufigen Vertragsanwendung vor Ratifikation jederzeit mit der Möglichkeit der Verweigerung der Ratifikation rechnen. Die vorläufige Anwendung des Abkommens endet jedoch erst mit der entsprechenden Notifikation einer gescheiterten Ratifikation. 2.4. Zusammenfassung Vor diesem Hintergrund bleibt das EU-Ukraine-Abkommen völkerrechtlich solange vorläufig anwendbar , bis es in Kraft tritt oder entweder die Ukraine oder die EU die vorläufige Anwendbarkeit einseitig durch entsprechende Notifikation beenden. Hierzu sieht Art. 486 Abs. 7 des EU-Ukraine -Abkommens vor, dass jede Vertragspartei dem Generalsekretariat des Rates der EU als Verwahrer durch schriftliche Notifikation ihre Absicht bekunden kann, die vorläufige Anwendung dieses Abkommens zu beenden. Die Beendigung der vorläufigen Anwendung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim Verwahrer wirksam. 3. Auswirkungen einer nicht erfolgenden Ratifizierung des Abkommens durch einen Mitgliedstaat auf die vorläufige Anwendung des Abkommens Das EU-Ukraine-Abkommen entfaltet im Rahmen seiner vorläufigen Anwendung bereits vor seinem Inkrafttreten völkerrechtliche Bindungswirkung zwischen der Ukraine einerseits sowie der EU andererseits. Der Ratsbeschluss gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV ermöglicht im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten insofern Innenwirkung, als dass es als Teil des Unionsrechts dessen Anwendungsvorrang unterliegt. Zur Beantwortung der Frage nach den Folgen einer gescheiterten Ratifikation des EU-Ukraine-Abkommens in einem Mitgliedstaat ist für seine vorläufige Anwendung zwischen der völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Wirkungen der vorläufigen Anwendung zu unterscheiden. 12 Für das EU-Ukraine-Abkommen sieht Art. 486 die Möglichkeit einer vorläufigen Anwendung vor. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/16 Seite 8 3.1. Völkerrechtliche Folgen einer nicht erfolgenden Ratifikation Das Schicksal der vorläufigen Anwendung hängt entsprechend der völkervertraglichen Ratio einer vorläufigen Anwendung aus Sicht des Völkerrechts nicht von der Ratifikation und/oder dem Inkrafttreten des Abkommens selbst ab. Völkerrechtlich bleibt die vorläufige Anwendung des Abkommens so lange unberührt, bis die EU gemäß Art. 25 Abs. 2 WVK der Ukraine ihre Absicht, nicht Vertragspartei des Abkommens zu werden, notifiziert.13 Insofern hat eine gescheiterte Ratifikation des Abkommens in einem Mitgliedstaat völkerrechtlich keine Auswirkungen auf seine vorläufige Anwendung. 3.2. Unionsrechtliche Folgen einer nicht erfolgenden Ratifikation Durch den erforderlichen Ratsbeschluss gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV über die vorläufige Anwendung des Abkommens würden die Regelungen des EU-Ukraine-Abkommens zum Teil des Unionsrechts und nähmen insofern am Vorrang des Unionsrechts teil. Diese Wirkung bliebe solange bestehen, bis der Ratsbeschluss keine Wirkung mehr entfaltet. Allein eine gescheiterte Ratifikation in einem Mitgliedstaat hat insofern keine unionsrechtlichen Folgen für die vorläufige Anwendung des vorläufig anwendbaren, d.h. in die Zuständigkeit der EU fallenden Teils des Abkommens . 3.2.1. Ratsbeschluss zur Aufhebung der vorläufigen Anwendung Das Unionsrecht sieht keine Regelung für eine Aufhebung des Ratsbeschlusses nach Art. 218 Abs. 5 AEUV im Fall der gescheiterten Ratifikation eines vorläufig anwendbar erklärten völkerrechtlichen Vertrages vor. Es besteht keine Rechtspflicht, die vorläufige Anwendung des Abkommens im Falle des Scheiterns der Ratifikation zu beenden. Art. 218 Abs. 5 AEUV regelt lediglich die Genehmigung der vorläufigen Anwendung vor dem Inkrafttreten, nicht aber ihre Rücknahme. Auch aus Art. 4 Abs. 2 und 3 EUV ließe sich mit Blick auf die Aufgabe der EU zur Durchführung der gemeinsamen Handelspolitik gem. Art. 207 AEUV schwerlich ein Anspruch auf Beendigung der vorläufigen Anwendung im Falle einer gescheiterten Ratifikation herleiten. Grundsätzlich bestünde aber eine entsprechende Handlungsmöglichkeit des Rates, d.h. dass er wiederum durch Beschluss entscheiden könnte, die vorläufige Anwendung des Handelsteils zu beenden und dadurch seine Vorschriften wieder aus dem Unionsrecht zu „entfernen“. Dies lässt sich auf Art. 218 Abs. 9 1. Hs. AEUV stützen, wonach der Rat befugt ist, die Aussetzung der Anwendung einer Übereinkunft zu beschließen. Wenn er die Aussetzung der Anwendung völkerrechtlicher Verträge beschließen kann, muss es ihm auch möglich sein, im Falle der gescheiterten Ratifikation die Beendigung der vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages zu beschließen . Jedenfalls aber handelt es sich bei einem Beschluss zur Aufhebung bzw. Änderung des Ratsbeschlusses über die vorläufige Anwendung um einen actus contrarius zu dem Beschluss 13 Krieger, in Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 25, Rn. 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 60/16 Seite 9 über die Genehmigung der vorläufigen Anwendung.14 Mangels einer abweichenden ausdrücklichen Regelung muss dieser actus contrarius unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften für den Erstbeschluss gefällt werden können. Unabhängig von der Frage eines Zustimmungserfordernisses durch das Europäische Parlament bestünde jedenfalls – sofern politisch gewollt – rechtlich die Möglichkeit, die vorläufige Anwendung des Handelsabkommens bei gescheiterter Ratifikation in einem Mitgliedstaat durch entsprechenden Ratsbeschluss zu beenden. 3.2.2. Zustimmung des Europäischen Parlaments zur Aufhebung der vorläufigen Anwendung Fraglich ist, ob hierfür eine Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich wäre. Dagegen spricht, dass der Rat die vorläufige Anwendung des Handelsteils gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV ohne Beteiligung des Parlaments beschließen kann, so dass – actus contrarius – ein entsprechender Aufhebungs- bzw. Änderungsbeschluss ebenfalls keine Zustimmung des Europäischen Parlaments bedürfte. Zwar steht der Beschluss über die Beendigung der vorläufigen Anwendung des Abkommens in einem engen Sachzusammenhang zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft in Bereichen, für die gem. Art. 207 Abs. 2 AEUV das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gilt, so dass sich hierauf die Notwendigkeit einer Zustimmung des Parlaments entsprechend Art. 207 Abs. 3 i.V.m. 218 Abs. 6 UAbs. 2 lit. a v) AEUV stützen ließe. Jedoch lässt sich hieraus de lege lata nicht auf ein Zustimmungserfordernis des Europäischen Parlaments schließen. Jenseits der rechtlichen Frage nach einem Zustimmungserfordernis ist keine politische Praxis ersichtlich, wonach der Rat die vorläufige Anwendung eines Abkommens nur dann beendet , wenn auch das Europäische Parlament dieser Beendigung zugestimmt hat. - Fachbereich Europa - 14 Für die analoge Anwendung von Art. 218 Abs. 6 AEUV zur Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages als actus contrarius zum Vertragsschluss vgl. Lorenzmeier, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 218, Rn. 59 mwN. Vgl. auch den Beschluss des Rates über die Auflösung des Kooperationsabkommens EWG – Jugoslawien vom 25.11.1991, ABL. 1991 L 325/23 und Zustimmung des EP vom 20.11.1991, ABl. 1991 C 326/82. Zur actus-contrarius-Doktrin im Allgemeinen vgl. Bleckmann, Die actus-contrarius -Doktrin, JuS 1988, 174 ff.