PE 6 - 3000 – 059/19 (6. Juni 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. 1. Fragestellung und Vorbemerkung Der Fachbereich wurde um Beantwortung der Frage gebeten, ob die Europäische Union (EU) Vorkehrungen getroffen hat oder solche plant, eine rechtswidrige doppelte Stimmabgabe durch die Inhaber mehrerer EU-Staatsbürgerschaften bei den Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) zu verhindern bzw. zu erschweren. Die vorliegende Kurzinformation gibt einen Überblick über die hierzu existierenden Rechtsvorschriften der EU sowie über die fragebezogenen Details der Gesetzgebungsinitiative des EP im Zuge der inzwischen abgeschlossenen Reform des sog. Direktwahlakts von 1976. 2. Bestehende Rechtsvorschriften der EU Wenngleich für die Europawahlen nach wie vor in erster Linie mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften gelten – in Deutschland sind dies insbesondere das Europawahlgesetz (EuWG), die Europawahlordnung (EuWO), das Bundeswahlgesetz (BWahlG), die Bundeswahlordnung (BWahlO) sowie das Parteiengesetz (PartG) – werden diese durch eine Reihe europäischer Rechtsvorschriften ergänzt, die seit der Einführung der Direktwahlen zum EP erlassen wurden. Die wesentlichen sind: der Direktwahlakt vom 20. September 1976, die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft (eingeführt mit dem Vertrag über die Europäische Union vom 1. November 1993), die Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993, der Beschluss (EU) 2018/937 des Europäischen Rates vom 28. Juni 2018 über die Zusammensetzung des EP sowie die Bestimmungen über den Aufbau und die Zuständigkeiten des EP im Vertrag von Lissabon (Art. 14 EUV und Art. 223 bis 234 AEUV). Die Unionsbürgerschaft umfasst u.a. das Recht aller Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaates, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum EP in dem Mitgliedstaat auszuüben, in dem sie ihren Wohnsitz haben (Art. 20 Abs. 2 lit b AEUV). Art 4. Abs. 1 der Richtlinie 93/109/EG greift diese Vorschrift auf und bestimmt – in Übereinstimmung mit Art. 9 Direktwahlakt – zugleich , dass niemand bei einer Wahl mehr als eine Stimme abgeben kann. Um sicherzustellen, dass eine solche doppelte Stimmabgabe, wie auch eine doppelte Kandidatur zu den EP-Wahlen, Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Vorkehrungen der Europäischen Union zur Verhinderung doppelter Stimmabgaben bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Rechtsvorschriften und Beschlüsse Kurzinformation Vorkehrungen der Europäischen Union zur Verhinderung doppelter Stimmabgaben bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Rechtsvorschriften und Beschlüsse Fachbereich PE 6 (Europa) Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Seite 2 verhindert wird, sieht Art. 13 der Richtlinie einerseits einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten vor, andererseits wird der Herkunftsmitgliedstaat verpflichtet, gemäß seinen Rechtsvorschriften die geeigneten Vorkehrungen zu treffen. In Deutschland wurde diese Richtlinienbestimmung durch das Europawahlgesetz (§§ 6, 6b, 6c) und die Europawahlordnung (§§ 1, 17a, 17b) in deutsches Recht umgesetzt. Die Umsetzungsbestimmungen der übrigen EU-Mitgliedstaaten lassen sich einer Übersicht in der Rechtsdatenbank EUR-Lex der EU entnehmen. 3. Gesetzgebungsinitiative des EP zur Reform des sog. Direktwahlakts Die Entschließung des EP zur Reform des Wahlrechts der EU vom 11. November 2015 zielte auf eine Revision des sog. Direktwahlaktes vom 20. September 1976. Mit der Entschließung nahm das EP sein ausschließliches Initiativrecht in Anspruch, die Reform seines eigenen Wahlverfahrens in die Wege zu leiten (Art. 223 Abs. 1 AEUV). Der Vorschlag für einen Ratsbeschluss zur Änderung des sog. Direktwahlaktes enthielt neben den wesentlichen Bestimmungen, wie der Einführung einer verbindlichen Mindestschwelle, der Einführung einer einheitlichen 12-Wochen-Frist für die Erstellung der Bewerberlisten auf nationaler Ebene, der Verpflichtung zur Sicherung der Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Aufstellung der Bewerberlisten und der Einführung einer einheitlichen Frist von zwölf Wochen für die Nominierung der Spitzenkandidaten der europäischen politischen Parteien auch Empfehlungen und Aufforderungen an die Mitgliedstaaten, ohne diese als Regelungen im Entwurf des Rechtstextes zu verankern. Zu diesen Empfehlungen gehörten neben einer einheitlichen Festlegung des Mindestalters der Wähler auf 16 Jahre, einer Begrenzung der Wahlkampfkosten auf einen vertretbaren Betrag auch die Empfehlung Maßnahmen zu treffen, mit denen eine doppelte Stimmabgabe verhindert wird (Ziff. 13 der Entschließung). Diese Empfehlung wurde mit Vorschriften in Art. 1 Ziff. 9 des Vorschlags für einen Ratsbeschluss wie folgt präzisiert: „Artikel 9a Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, einschließlich derjenigen, die ihren Wohnsitz in einem Drittstaat haben oder dort arbeiten, haben das Recht, an der Wahl zum Europäischen Parlament teilzunehmen. Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Ausübung dieses Rechts sicherzustellen . Artikel 9b Jeder Mitgliedstaat benennt die Anlaufstelle, die für den Austausch von Daten über die Wähler mit den Anlaufstellen in den anderen Mitgliedstaaten zuständig ist. Diese Anlaufstelle übermittelt den anderen Anlaufstellen spätestens sechs Wochen vor dem ersten Tag der Wahl mithilfe einheitlicher und sicherer elektronischer Kommunikationsmittel Daten über Unionsbürger, die Staatsangehörige von mehr als einem Mitgliedstaat sind, sowie über Unionsbürger, die keine Staatsangehörigen des Mitgliedstaates sind, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Es werden unter anderem mindestens der Name und Vorname des entsprechenden Bürgers, sein Alter, sein Wohnort und das Datum seiner Ankunft in dem Mitgliedstaat übermittelt.“ In den langwierigen Verhandlungen mit dem Rat der EU konnte das EP eine Reihe seiner wesentlichen Vorschläge nicht durchsetzen. Hinsichtlich der Verhinderung doppelter Stimmabgaben Kurzinformation Vorkehrungen der Europäischen Union zur Verhinderung doppelter Stimmabgaben bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Rechtsvorschriften und Beschlüsse Fachbereich PE 6 (Europa) Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Seite 3 sieht der vom Rat letztlich gefasste Beschluss vom 13. Juli 2018 eine Neufassung von Art. 9 Direktwahlakt wie folgt vor: „Artikel 9 (1) Bei der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments darf jeder Wähler und jede Wählerin nur einmal wählen. (2) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine doppelte Stimmabgabe bei der Wahl zum Europäischen Parlament mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen geahndet wird.“ Der inzwischen auch vom EP gebilligte Ratsbeschluss tritt nach Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 AEUV erst in Kraft, nachdem ihm alle Mitgliedstaaten „im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften“ zugestimmt haben. Die Zustimmung steht noch in einigen Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, aus. Fachbereich Europa