© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 058/20 Zur Frage der Vereinbarkeit eines Verbots von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten in Betrieben der Fleischwirtschaft mit Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 2 Zur Frage der Vereinbarkeit eines Verbots von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten in Betrieben der Fleischwirtschaft mit Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 058/20 Abschluss der Arbeit: 3. Juli 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Eckpunkte für ein „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ 4 3. Unionsrechtliche Anforderungen für ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen 5 3.1. Vorgaben in Bezug auf die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen 5 3.1.1. Keine vorrangige Anwendung der Entsenderichtlinie 6 3.1.2. Prüfung der Dienstleistungsfreiheit 8 3.1.2.1. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit 8 3.1.2.2. Zu den Anforderungen an die Rechtfertigung 9 3.1.2.2.1. Berücksichtigung der unterschiedlichen Möglichkeiten zur Kontrolle von im EU-Ausland niedergelassener Unternehmen 9 3.1.2.2.2. Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit einer Beschränkung 10 3.2. Vorgaben in Bezug auf den Einsatz von Leiharbeit 12 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich wurde um Prüfung gebeten, ob das Vorhaben der Bundesregierung, Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen in Betrieben der Fleischwirtschaft in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten zu verbieten, mit Unionsrecht, insbesondere den Grundfreiheiten und dem Diskriminierungsverbot vereinbar wäre. 2. Eckpunkte für ein „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ Nähere Informationen zu dem Vorhaben ergeben sich aus einem vom Bundeskabinett am 20. Mai 2020 beschlossen Eckpunktepapier.1 Ein Gesetzentwurf liegt bislang nicht vor. Das Eckpunktepapier skizziert die verschiedenen geplanten Maßnahmen, zu denen u.a. eine verbesserte Kontrolle der Einhaltung der Arbeits-, Infektions- und Gesundheitsschutzstandards zählt. Im Hinblick auf das geplante Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen geht aus Punkt 3 Folgendes hervor: „Ab dem 1. Januar 2021 soll das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft im Sinne des § 6 Absatz 10 Arbeitnehmer-Entsendegesetzes nur noch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des eigenen Betriebes zulässig sein. Damit wären Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen nicht mehr möglich . […]“ Der Handlungsbedarf ergebe sich laut Eckpunktepapier daraus, dass trotz verstärkter Maßnahmen und Initiativen zur Verbesserung der Arbeits- und Unterkunftsbedingungen nach wie vor Missstände festzustellen seien: „Dabei werden Teile der Fleischwirtschaft bereits seit vielen Jahren wegen ihrer Arbeitsund Unterkunftsbedingungen massiv kritisiert. Konkret werden u.a. Überbelegungen und Wuchermieten, Verstöße gegen Hygiene-, Abstands- und Arbeitsschutzbestimmungen (insbesondere fehlende Schutzausrüstung, zu geringer Sicherheitsabstand, keine arbeitsmedizinische Versorgung) sowie Verstöße gegen das Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz angeführt . In den letzten Jahren wurden verstärkt Maßnahmen ergriffen und Initiativen gestartet, um die Situation in der Fleischwirtschaft zu verbessern. Dazu zählen u.a. die Aufnahme der Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“ oder die Leitlinie „Arbeitsschutz bei der Kooperation mehrerer Arbeitgeber im Rahmen von Werkverträgen“. 1 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vom 20. Mai 2020, abrufbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Pressemitteilungen /2020/eckpunkte-arbeitsschutzprogramm-fleischwirtschaft.pdf Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 5 Aktuelle Missstände zeigen, dass weiterer Handlungsbedarf besteht. Dieser besteht vor allem in besseren Kontrollen und effektiverer Kontrollierbarkeit, besserer Hygiene und Kontaktreduktion in Unterkünften und beim Transport sowie der Sicherung des Arbeitsschutzes .“2 Auf der Grundlage dieser sehr allgemeinen Hinweise über Inhalt, Reichweite und Begründung des geplanten Verbots von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen in Bezug auf das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft erscheint eine rechtliche Prüfung der Vereinbarkeit eines solchen Verbots mit unionsrechtlichen Vorgaben nur eingeschränkt möglich. In den nachfolgenden Ausführungen sind somit in erster Linie die unionsrechtlichen Maßstäbe aufzuzeigen, an denen ein konkretes gesetzliches Verbot zu messen wäre. 3. Unionsrechtliche Anforderungen für ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen Ein nationales Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen könnte, soweit davon auch die grenzüberschreitende Entsendung oder Überlassung von Arbeitnehmern erfasst ist, gegen die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV verstoßen (hierzu unter 3.1.). In diesem Zusammenhang ist auf die Bedeutung der Entsenderichtlinie3 einzugehen. Darüber hinaus könnte ein solches Verbot im Hinblick auf Arbeitnehmerüberlassungen auch ungeachtet eines grenzüberschreitenden Bezugs gegen Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie4 verstoßen (hierzu unter 3.2.). 3.1. Vorgaben in Bezug auf die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen Aus primärrechtlicher Sicht wird das Recht zur grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmern von der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV geschützt.5 Auch die Überlassung 2 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vom 20. Mai 2020, S. 1 f., abrufbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Pressemitteilungen /2020/eckpunkte-arbeitsschutzprogramm-fleischwirtschaft.pdf 3 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. 4 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit. 5 EuGH, Rs. C-113/89, Rush Portuguesa, Rn. 11 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 6 von Arbeitnehmern stellt nach der Rechtsprechung des EuGH eine von dieser Vertragsbestimmung erfasste Dienstleistung dar.6 Hierauf kann sich sowohl der Erbringer, als auch der Empfänger der Dienstleistung berufen.7 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Schutz entsandter Arbeitnehmer während ihrer Entsendung im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit von der Entsenderichtlinie erfasst wird (Art. 1). Konkret wird durch Art. 3 Abs. 1 der Entsenderichtlinie festgelegt, in Hinblick auf welche Aspekte die „Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ des Aufnahmemitgliedstaates zu beachten sind, ohne jedoch den Inhalt der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu harmonisieren .8 Nach der Rechtsprechung des EuGH wird durch diese Vorschrift der Grad an Schutz vorgegeben , den der Aufnahmemitgliedstaat in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen zugunsten der von diesen in sein Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmer abzuverlangen berechtigt ist.9 Für andere als in dieser Vorschrift aufgeführte Aspekte darf der Aufnahmemitgliedstaat Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nur nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 10 Entsenderichtlinie anwenden. Von der hiernach im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit somit grundsätzlich vorrangigen Anwendung der speziellen Vorgaben der Entsenderichtlinie sieht der EuGH lediglich dann ab, wenn die in Rede stehende nationale Regelung „die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen […] nicht unmittelbar betrifft“.10 Derartige nationale Maßnahmen unterfallen nicht der Entsenderichtlinie und sind daher am Maßstab der Dienstleistungsfreiheit zu überprüfen.11 Da ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Art. 3 Abs. 1 Entsenderichtlinie – wie sogleich zu zeigen sein wird – nicht unmittelbar im Sinne dieser Rechtsprechung betrifft (hierzu unter 3.1.1.), ist im Weiteren die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV als Prüfungsmaßstab heranzuziehen (hierzu unter 3.1.2.). 3.1.1. Keine vorrangige Anwendung der Entsenderichtlinie Die Entsenderichtlinie findet sowohl auf die grenzüberschreitende Entsendung als auch Überlassung von Arbeitnehmern Anwendung (Art. 1 Abs. 3). 6 EuGH, Rs. C-493/99, Kommission/Deutschland, Rn. 18. In bestimmten Konstellationen der Arbeitnehmerüberlassung kann allerdings auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit maßgeblich sein, EuGH, Rs. C-113/89, Rush Portuguesa , Rn. 16. 7 EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 54. 8 EuGH, Rs. C-522/12, Isbir, Rn. 33. 9 EuGH, Rs. C-346/06, Rüffert, Rn. 33. 10 EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 46. 11 Vgl. EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 52. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 7 Die für den Schutz der entsandten Arbeitnehmer maßgebliche Vorschrift in Art. 3 Entsenderichtlinie bezieht sich (in der ab 30. Juli 2020 maßgeblichen Fassung12) nach ihrem Abs. 1 Buchst. a bis i auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bezüglich folgender Aspekte: „a) Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten; b) bezahlter Mindestjahresurlaub; c) Entlohnung, einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme; d) Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen ; e) Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz; f) Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen; g) Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen ; h) Bedingungen für die Unterkünfte von Arbeitnehmern, wenn sie vom Arbeitgeber für Arbeitnehmer, die von ihrem regelmäßigen Arbeitsplatz entfernt sind, zur Verfügung gestellt werden; i) Zulagen oder Kostenerstattungen zur Deckung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten für Arbeitnehmer, die aus beruflichen Gründen nicht zu Hause wohnen.“ Nach dem Eckpunktepapier zielt das geplante Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen zwar allgemein darauf ab, die Einhaltung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz (Buchst. b) und die Bedingungen für die Unterkünfte (Buchst. h) zu verbessern. Allerdings gestaltet ein solches Verbot die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nicht inhaltlich aus, indem es etwa konkrete Anforderungen in Bezug auf die Unterkünfte für Arbeitnehmer formulieren würde. Das Eckpunktepapier geht nicht näher darauf ein, in welcher Weise ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen zu einer Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen führen soll. Es findet sich lediglich ein allgemeiner Hinweis, dass sich der 12 Siehe Art. 3 der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in Bezug auf die Richtlinie 2018/957 aktuell eine Nichtigkeitsklage beim EuGH anhängig ist, siehe Rs. C-620/18. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 8 Handlungsbedarf auf eine „effektivere Kontrollierbarkeit“13 beziehe. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage ergibt sich, dass damit wohl Schwierigkeiten der Kontrolle der der Einhaltung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bei Subunternehmern gemeint sind.14 Derartige Schwierigkeiten würden sich durch eine direkte Anstellung der betreffenden Arbeitnehmer bei dem jeweiligen Betrieb erübrigen. Zur Frage der Anwendung des Art. 3 Entsenderichtlinie auf ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen liegt zwar, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung des EuGH vor. Soweit man ein solches Verbot im Lichte des Eckpunktepapiers („effektiveren Kontrollierbarkeit “) jedoch als ein Element eines Systems wirksamer Kontrollen begreift, ließe sich auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache De Clercq verweisen. Darin hatte der EuGH festgestellt , dass bestimmte nationale Maßnahmen, die gewährleisten sollen, dass die zuständigen „Behörden wirksame Kontrollen vornehmen können, um die Einhaltung der […] Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen sicherzustellen“, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Art. 3 Abs. 1 Entsenderichtlinie nicht unmittelbar betreffen und somit nicht in ihren Anwendungsbereich fallen.15 Im Ergebnis dürfte somit vorliegend davon auszugehen sein, dass ein solches Verbot nicht den in der Rechtsprechung geforderten Unmittelbarkeitsbezug erfüllt und die Entsendrichtlinie somit nicht anwendbar ist. 3.1.2. Prüfung der Dienstleistungsfreiheit 3.1.2.1. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verlangt Art. 56 AEUV „nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Umstands , dass er in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist als dem, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten 13 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vom 20. Mai 2020, S. 2, abrufbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Pressemitteilungen /2020/eckpunkte-arbeitsschutzprogramm-fleischwirtschaft.pdf 14 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/6041 – Arbeitsschutzkontrollen in Deutschland, Bundestagsdrucksache 19/7218 vom 22. Januar 2019, S. 4: „Die Überwachung des Arbeitsschutzes bei Subunternehmern und insbesondere in Subunternehmer-“ketten“, bei denen ausländische Beschäftigte oder Subunternehmer involviert sind, dies ist gerade in den sicherheitskritischen Branchen wie im Baugewerbe, bei Schlachthöfen, in der Abfallwirtschaft häufig der Fall, stellt für den Vollzug des Arbeitsschutzgesetzes und der entsprechenden Vorschriften eine grundsätzliche Herausforderung dar, etwa weil aufwändige Recherchen über den Arbeitgeberstatus etc. erforderlich sind“. 15 EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 46 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 9 –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort rechtmäßig vergleichbare Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden , zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.“16 Soweit ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen nicht ausschließlich auf Entsendungen durch EU-ausländische Unternehmen anwendbar ist, ist darin keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu sehen. Anhaltspunkte für eine mittelbare Diskriminierung sind nicht ersichtlich. Allerdings unterbindet ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen die grenzüberschreitende Entsendung und Überlassung von Arbeitnehmer in dem betreffenden Bereich und stellt somit eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar. 3.1.2.2. Zu den Anforderungen an die Rechtfertigung Die durch eine nationale Maßnahme bewirkte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit kann gerechtfertigt sein, wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruht und geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was dazu erforderlich ist.17 Die mit dem Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen wohl bezweckte „effektivere Kontrollierbarkeit“18 dient letztlich der Einhaltung bestimmter Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der betreffenden Arbeitnehmer (wie Sicherheit, Gesundheit und Hygiene am Arbeitsplatz und die Unterkunftsbedingungen für die Arbeitnehmer), die zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen. 3.1.2.2.1. Berücksichtigung der unterschiedlichen Möglichkeiten zur Kontrolle von im EU-Ausland niedergelassener Unternehmen In seiner Rechtsprechung hat sich der EuGH bereits mit dem von mitgliedstaatlicher Seite geltend gemachten Bedürfnis für besondere Maßnahmen zur Gewährleistung einer wirksamen Kontrolle von Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat entsenden, befasst und anerkannt, dass sich die Kontrollmöglichkeiten insoweit unterscheiden: „48 Der Gerichtshof hat nämlich bereits festgestellt, dass zwischen Unternehmen, die in dem Mitgliedstaat niedergelassen sind, in dessen Hoheitsgebiet die Dienstleistung erbracht wird, und Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind 16 Vgl. EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 53, dort mwN. 17 EuGH, Rs. C-577/10, Kommission/Belgien, Rn. 44, 49. 18 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vom 20. Mai 2020, S. 2, abrufbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Pressemitteilungen /2020/eckpunkte-arbeitsschutzprogramm-fleischwirtschaft.pdf Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 10 und Erwerbstätige in den erstgenannten Mitgliedstaat entsenden, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, objektive Unterschiede bestehen, was die Möglichkeit betrifft, über die die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Dienstleistung erbracht wird, verfügen, um die Einhaltung der Regeln zu prüfen, mit denen gewährleistet werden soll, dass die Rechte beachtet werden, die Erwerbstätigen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats durch dessen nationale Rechtsvorschriften eingeräumt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2001, Finalarte u. a., C‑49/98, C‑50/98, C‑52/98 bis C‑54/98 und C‑68/98 bis C‑71/98, Slg. 2001, I‑7831, Randnrn. 63, 64 und 73). […]“19 In den betreffenden Fällen ging es allerdings stets um Maßnahmen, die die grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern nicht als solche untersagten, sondern lediglich die Kontrollen in Bezug auf die (grundsätzlich erlaubte) Entsendung betrafen.20 Bei einem Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen erscheint es daher angezeigt, besonders zu prüfen, ob dieses unter Berücksichtigung seiner konkreten Begründung und Ausgestaltung tatsächlich erforderlich ist, um die Einhaltung bestimmter Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sicherstellen zu können. 3.1.2.2.2. Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit einer Beschränkung Nach der Rechtsprechung des EuGH obliegt es dem Mitgliedstaat die Erforderlichkeit der betreffenden Maßnahme „hinreichend überzeugend“ darzulegen.21 Hieran dürften bei einem Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen, das eine besonders einschneidende Beschränkung des von der Dienstleistungsfreiheit umfassten Rechts zur grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmers bewirkt, sehr hohe Anforderungen zu stellen sein. Dies ergibt sich vorliegend auch daraus, dass die Union mit der Richtlinie 2014/67/EU22 einen rechtlichen Rahmen zur Gewährleistung u.a. der „Durchsetzung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen “ im Aufnahmemitgliedstaat geschaffen hat, wodurch letztlich die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit erleichtert werden soll (vgl. Art. 1 der Richtlinie 2014/67/EU, Art. 53 Abs. 1 AEUV). Vor diesem Hintergrund wäre ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen wohl allenfalls zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber konkret darlegt, dass selbst unter Ausschöpfung aller in der Richtlinie 2014/67/EU vorgesehenen und auf ihrer Grundlage zulässigen Mittel (u.a. in Bezug auf Verwaltungszusammenarbeit, Überwachung der Einhaltung, Durchsetzung, Haftung, Sanktionen), eine wirksame Kontrolle aufgrund außergewöhnlicher Umstände in dem betreffenden Sektor praktisch nicht hinreichend gewährleistet werden kann. 19 EuGH, Rs. C‑577/10, Kommission/Belgien, Rn. 48. 20 Die betreffenden Fälle betrafen insbesondere Meldepflichten, EuGH, Rs. C‑577/10, Kommission/Belgien; EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq. 21 EuGH, Rs. C‑577/10, Kommission/Belgien, Rn. 55. 22 Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt -Informationssystems („IMI-Verordnung“ ) Text von Bedeutung für den EWR. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 11 Allein auf der Grundlage der im Eckpunktepapier genannten allgemeinen Gründe kann nicht beurteilt werden, ob die Voraussetzungen vorliegen, aufgrund derer ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen zu rechtfertigen wäre. Zweifel an der Erforderlichkeit könnten sich ergeben, sofern ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen mit Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrollen speziell in Bezug auf Werkvertragsunternehmen kombiniert würde. Dies könnte als Hinweis darauf gewertet werden, dass der Gesetzgeber selbst nicht überzeugt ist, bereits alle Möglichkeiten zur Effektuierung der Kontrollen in Bezug auf Werkvertragsunternehmen in diesem Bereich ausgeschöpft zu haben. Insoweit wirft es Fragen auf, wenn in dem Eckpunktepapier neben allgemeinen Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrollen auch solche speziell in Bezug auf Werkvertragsunternehmen vorgesehen sind: „1. Der Zoll und die Arbeitsschutzverwaltungen sollen, auch in Zusammenarbeit mit den Berufsgenossenschaften sowie den kommunalen Ordnungs- und Gesundheitsämtern, zeitnah die erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen ergreifen, um die Einhaltung der Arbeits -, Infektions- und Gesundheitsschutzstandards durch die Arbeitgeber und Werkvertragsunternehmen insbesondere in der Fleischwirtschaft, in denen häufig eine Gemeinschaftsunterbringung von eigenen, überlassenen oder bei Werkvertragsunternehmen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfolgt, sicherzustellen. Dazu sind auch gemeinschaftliche Schwerpunkteinsätze vorzusehen. Die Bundesregierung wird eine Novelle des Arbeitsschutzgesetzes (FF: BMAS) vorlegen, um das gemeinsame Ziel besserer Kontrolle wirkungsvoll voranzubringen. Wir streben an, die Überwachungsquote durch die Arbeitsschutzbehörden der Länder verbindlich und deutlich zu erhöhen (vgl. Bund-Länder-Einigung zum Arbeitsschutz und Beschluss der 96. Arbeits- und Sozialministerkonferenz) sowie in Betrieben und Branchen mit einem höheren Risiko für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten Schwerpunkte zu setzen. Ferner soll der Arbeitsschutz im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Werkvertragsunternehmer gestärkt und besser kontrolliert werden können. Im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sollen - sofern nötig - spezifische verbindliche Arbeitsschutzund Hygienemaßnahmen (u.a. in Unterkünften) kurzfristiger ermöglicht werden. […] 4. Um eine effektive Kontrolle von Unterbringungsbedingungen insbesondere in der Fleischbranche zu ermöglichen, sollen die eine Unterkunft stellenden Arbeitgeber einschließlich der Werkvertragsunternehmen verpflichtet werden, die zuständigen Behörden über den Einsatz sowie den Wohnort ihrer ausländischen Arbeitskräfte zu informieren.“23 (Hervorhebungen hinzugefügt) 23 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vom 20. Mai 2020, S. 2 f., abrufbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Pressemitteilungen /2020/eckpunkte-arbeitsschutzprogramm-fleischwirtschaft.pdf Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 058/20 Seite 12 3.2. Vorgaben in Bezug auf den Einsatz von Leiharbeit Ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen könnte gegen Art. 4 Leiharbeitsrichtlinie verstoßen, wonach „Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit […] nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt [sind]“. Zu dieser Vorschrift liegt, soweit ersichtlich, bislang nur ein einziges Urteil des EuGH vor. Darin stellt der EuGH fest, dass diese Vorschrift ausschließlich eine an die mitgliedstaatlichen Behörden gerichtete Überprüfungsverpflichtung enthält, jedoch keine Verpflichtung begründet, Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 gerechtfertigt sind.24 Vor diesem Hintergrund ist auf diese Vorschrift an dieser Stelle nicht näher einzugehen. – Fachbereich Europa – 24 EuGH, Rs. C-533/13, AKT, Rn. 32.