© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 58/17 Unionsrechtliche Fragen zur Einführung eines Genehmigungsvorbehalts für die Beteiligung an Rüstungsunternehmen in Drittstaaten Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 2 Unionsrechtliche Fragen zur Einführung eines Genehmigungsvorbehalts für die Beteiligung an Rüstungsunternehmen in Drittstaaten Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 58/17 Abschluss der Arbeit: 16. Oktober 2017 Fachbereich: PE 6 – Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Konkretisierung der Fragestellung 4 2.1. Von einer Genehmigungspflicht betroffene Handlungen 4 2.2. Von einer Genehmigungspflicht betroffene Gegenstände 5 3. Zuständigkeitsverteilung 5 3.1. Vorbemerkung zur Zuständigkeit 5 3.2. Handelspolitische Zuständigkeit der EU 6 3.2.1. Ausschließliche Zuständigkeit der EU im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik 6 3.2.2. Investitionstätigkeiten im Bereich Rüstung als Teil der gemeinsamen Handelspolitik 7 3.3. Maßnahmen im Rahmen der GASP und restriktive Maßnahmen 7 3.4. Ausnahmen bei wesentlichen Sicherheitsinteressen 9 3.4.1. Anwendungsbereich von Art. 346 AEUV 9 3.4.2. Anwendbarkeit auf Investitionstätigkeiten in Drittstaaten 10 3.4.3. Sonderfall: GASP 11 3.5. Geteilte Zuständigkeit von EU und Mitgliedstaaten 11 4. Unionsrechtliche Prämissen eines Genehmigungsvorbehalts 12 4.1. Grundfreiheiten 12 4.1.1. Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit 12 4.1.2. Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit 13 4.1.3. Rechtfertigung 13 4.1.3.1. Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Art. 65 Abs. 1 lit. b) AEUV 13 4.1.3.2. Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen, Art. 346 AEUV 14 4.1.3.3. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 15 4.1.4. Zusammenfassung 16 4.2. Unionsgrundrechte 16 4.2.1. Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte 16 4.2.2. Betroffenheit der unternehmerischen Freiheit, Art. 16 GRCh 17 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung setzt sich mit der Frage des unionsrechtlichen Rahmens zur Schaffung eines mitgliedstaatlichen Genehmigungsvorbehalts für inländische natürliche Personen bzw. juristische Personen mit Sitz in Deutschland für die Gründung von Joint-Ventures und Tochterunternehmen in Drittstaaten zum Zweck der Entwicklung und Produktion von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern (im Folgenden: Genehmigungsvorbehalt) auseinander. 2. Konkretisierung der Fragestellung 2.1. Von einer Genehmigungspflicht betroffene Handlungen Die vorliegende Fragestellung bezieht sich auf die Beteiligung inländischer natürlicher oder juristischer Personen an Joint-Ventures bzw. Tochterunternehmen in Drittstaaten zum Zweck der Entwicklung und Produktion von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Vor diesem Hintergrund ist die dieser Ausarbeitung zugrundeliegende Fragestellung dahingehend zu konkretisieren , dass sich die nachfolgenden Ausführungen auf den unionsrechtlichen Rahmen für eine (mitgliedstaatliche ) Beschränkung von Direktinvestitionen in Drittstaaten zur dortigen Gründung von Joint-Ventures und Tochterunternehmen zum Zweck der Entwicklung und Produktion von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern beschränken.1 Die Fragestellung betrifft hingegen weder den Handel inländischer natürlicher oder juristischer Personen im europäischen Binnenmarkt noch die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus Deutschland in Drittstaaten.2 Dementsprechend wird im Folgenden nicht auf Fragen der Lieferung ausfuhrgenehmigungspflichtiger Güter und von Militärtechnologie aus Deutschland sowie der technischen Unterstützung bestimmter militärischer Endverwendungen im Sinne von Art. 1 der Gemeinsame Aktion 2000/401/GASP3 von Joint-Ventures bzw. Tochterunternehmen eingegangen.4 1 Zum umgekehrten Fall einer Beteiligung ausländischer Investoren an gebietsansässigen Rüstungsunternehmen vgl. § 5 Abs. 2 Außenwirtschaftsgesetz vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1482), geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2789). 2 Zur Ausfuhr von Rüstungsgütern vgl. Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern, ABl. L 335 vom 13. Dezember 2008, S. 99, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008E0944&from=DE; Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. L 134 vom 29. Mai 2009, S. 1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009R0428- 20161116&qid=1506509161985&from=DE. 3 Gemeinsame Aktion 2000/401/GASP des Rates vom 22. Juni 2000 betreffend die Kontrolle von technischer Unterstützung in Bezug auf bestimmte militärische Endverwendungen, ABl. L 159 vom 30. Juni 2000, S. 216, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32000E0401&from=DE. 4 Vgl. BT-Drs. 18/13277. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 5 2.2. Von einer Genehmigungspflicht betroffene Gegenstände Unter dem Begriff Rüstungsgüter werden vorliegend solche Waren verstanden, die in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste der Außenwirtschaftsverordnung (AWV)5 aufgeführt sind und nur mit einer gültigen Ausfuhrgenehmigung ausgeführt werden dürfen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 AWV). Erfasst werden demnach Güter, die vorrangig oder ausschließlich einer militärischen Verwendung dienen , d.h. Waffen und Munition jeglicher Art sowie Zubehör, Ersatzteile oder Befestigungsvorrichtungen für Waffen, gepanzerte Fahrzeuge, Schutzvorrichtungen oder Schutzkleidung sowie einschlägige Software oder Technologien. Eine besondere Kategorie der allgemeinen Rüstungsgüter bilden Kriegswaffen, d.h. die in der Anlage zum Kriegswaffenkontrollgesetz6 aufgeführten Gegenstände , Stoffe und Organismen, die zur Kriegsführung bestimmt sind. Nicht erfasst von den folgenden Ausführungen sind Fragen betreffend Dual-Use Güter nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 428/20097, d.h. Wirtschaftsgüter, die für zivile Zwecke produziert wurden, aber auch im militärischen Bereich verwendet werden können. 3. Zuständigkeitsverteilung 3.1. Vorbemerkung zur Zuständigkeit Ein nationaler Genehmigungsvorbehalt setzt zunächst voraus, dass die Mitgliedstaaten im Verhältnis zur EU die Kompetenz zum Erlass einer solchen Regelung besitzen. Fallen derartige Regelungen in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, können sie kompetenziell derartige Regelungen erlassen. Wenn hingegen die Union für diese Frage ausschließlich zuständig ist, darf ein Mitgliedstaat derartige Regelungen nicht erlassen, sofern er nicht von der EU hierzu ermächtigt wird oder Rechtsakte der EU durchführt (Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 AEUV). Besteht eine zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit, können die Mitgliedstaaten tätig werden, solange und soweit die EU hierzu keine Regelungen erlassen hat (Art. 2 Abs. 2 S. 2 AEUV). Bei parallelen Zuständigkeiten können hingegen die Union und die Mitgliedstaaten Maßnahmen erlassen. Die Zuständigkeit wird durch den Sachbereich bestimmt, zu dem eine Regelung gehört. Der Genehmigungsvorbehalt für die Beteiligung an Rüstungsunternehmen in Drittstaaten könnte in verschiedene Sachbereiche fallen: die gemeinsame Handelspolitik, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) oder restriktive Maßnahmen. Die Abgrenzung der zu untersuchenden Bereiche ist vorliegend nicht eindeutig. 5 Außenwirtschaftsverordnung vom 2.8.2013 (BGBl. I S. 2865), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 27.4.2017 (BAnz AT 03.05.2017 V1). 6 Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 990 (BGBl. I S. 2506), zuletzt geändert durch Artikel 6 Absatz 2 des Gesetzes vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872). 7 Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck , ABl. L 134 vom 29. Mai 2009, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R0428&qid=1495616113477&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 6 3.2. Handelspolitische Zuständigkeit der EU 3.2.1. Ausschließliche Zuständigkeit der EU im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik Art. 3 Abs. 1 lit. e) AEUV weist der EU die ausschließliche Zuständigkeit für die gemeinsame Handelspolitik zu. Hierzu zählen gemäß Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV auch Maßnahmen betreffend ausländische Direktinvestitionen. Der Begriff der ausländischen Direktinvestitionen umfasst sowohl grenzüberschreitende Investitionen von unionsangehörigen natürlichen oder juristischen Personen in Drittstaaten als auch Investitionen von drittstaatsangehörigen natürlichen oder juristischen Personen in den Mitgliedstaaten der Union.8 Zu ausländischen Direktinvestitionen zählen alle ausländischen Investitionen, die dauerhafte und direkte Beziehungen zu dem Unternehmen schaffen, dem Kapital zum Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit zugeführt wird.9 Werden Investitionen in Form einer Beteiligung getätigt, so setzt diese Zielsetzung in Abgrenzung zu Portfolioinvestitionen voraus, dass die Aktien ihrem Inhaber die Möglichkeit geben, sich tatsächlich an der Führung dieses Unternehmens oder an dessen Kontrolle zu beteiligen.10 Die Union verfügt daher nach Art. 3 Abs. 1 lit. e) AEUV über die ausschließliche Zuständigkeit für die Genehmigung von Verpflichtungen, die sich auf Direktinvestitionen natürlicher oder juristischer Personen dieses Drittstaats in der Union und umgekehrt beziehen, die die Möglichkeit bieten, sich tatsächlich an der Verwaltung oder Kontrolle einer Gesellschaft zu beteiligen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.11 Die ausschließliche Zuständigkeit der Union führt zu einer generellen Sperrwirkung gegenüber den Mitgliedstaaten, so dass diese keine Rechtsakte in diesem Bereich erlassen dürfen, es sei denn, sie wurden hierzu von der Union ermächtigt oder sie führen Rechtsakte der Union durch (vgl. Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 AEUV).12 8 Vgl. Cottier/Trinberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 207 AEUV, Rn. 53. 9 Vgl. EuGH, Rs. C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Rn. 182; EuGH, Rs. C-157/05 (Holböck), Rn. 35; EuGH, Rs. C-326/07 (Kommission/Italien), Rn. 3. 10 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-282/4 und C-283/04 (Kommission/Niederlande), Rs. 19; vgl. EuGH, Rs. C-196/04 (Cadburry Schweppes), Rn. 31; EuGH, Rs. C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation) Rn. 181 f.; EuGH, Rs. C-326/07 (Kommission/Italien), Rn. 35; EuGH, Rs. C-464/14 (SECIL), Rn. 75 f. 11 EuGH, Gutachten 2/15 (EUSFTA), Rn. 82. 12 Vgl. Vgl. Obwexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7.Aufl. 2015, Art. 2 AEUV, Rn.16. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 7 3.2.2. Investitionstätigkeiten im Bereich Rüstung als Teil der gemeinsamen Handelspolitik Fraglich ist, ob Investitionstätigkeiten in Drittstaaten im Bereich Rüstungsgüter von der gemeinsamen Handelspolitik erfasst werden, so dass dementsprechend die Einführung einer Genehmigungspflicht eine nationale handelspolitische Maßnahme darstellt, die nur mit einer besonderen Ermächtigung13 zulässig ist.14 Der EuGH hat festgestellt, dass Maßnahmen zur Verhinderung oder Beschränkung der Ausfuhr von Rüstungsgütern dem Bereich der unionalen Handelspolitik nicht pauschal mit der Begründung entzogen werden können, dass mit ihnen außen- oder sicherheitspolitische Zwecke verfolgt würden.15 Für den Bereich der Ausfuhrpolitik16 hat der EuGH zudem betont, dass ein außen- oder sicherheitspolitischer Zweck einer Maßnahme diese nicht dem Anwendungsbereich der allgemeinen Handelspolitik nach Art. 207 AEUV entzieht.17 Diese Feststellungen des EuGH sowie die Maßstäbe zur Zuordnung einer Maßnahme zur gemeinsamen Handelspolitik18 lassen den Schluss zu, dass auch investitionsregulierende Maßnahmen im Bereich Rüstungsgüter von der gemeinsamen Handelspolitik erfasst werden. 3.3. Maßnahmen im Rahmen der GASP und restriktive Maßnahmen Der Genehmigungsvorbehalt könnte aufgrund seiner in der Fragestellung skizzierten Zielrichtung auch in den Bereich der GASP fallen. Hierfür streitet, dass die EU im Jahr 2000 Kontrollbestimmungen (Verbot oder Genehmigungspflicht) für die technische Unterstützung bestimmter militä- 13 Für eine solche Ermächtigung für die Ausgestaltung der Kontrollverfahren in den Mitgliedstaaten im Bereich der Warenausfuhr vgl. Verordnung (EU) 2015/479 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 über eine gemeinsame Ausfuhrregelung, ABl. L 83 vom 27. März 2015, S. 34, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0479&from=DE sowie Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung , der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. L 134 vom 29. Mai 2009, S. 1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009R0428-20161116&qid=1506509161985&from=DE. 14 Vgl. EuGH, Rs. C-70/94 (Werner), Rn. 12 ff. 15 Vgl. EuGH, Rs. C-83/94 (Leifer), Rn. 9 f.; EuGH, Rs. C-70/94(Werner), Rn. 7 ff. 16 Vgl. Verordnung (EU) 2015/479 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2015 über eine gemeinsame Ausfuhrregelung, ABl. L 83 vom 27. März 2015, S. 34, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0479&qid=1495622311820&from=DE; Obwexer, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 3 AEUV, Rn.23. 17 EuGH, Rs. C-83/94 (Leifer), Rn. 9 f.; EuGH, Rs. C-70/94 (Werner), Rn. 7 ff. 18 Vgl. EuGH, Gutachten 2/15 (EUSFTA), Rn. 36: „Dagegen ist ein Rechtsakt der Union Teil der gemeinsamen Handelspolitik, wenn er speziell diesen Handelsverkehr betrifft, weil er ihn im Wesentlichen fördern, erleichtern oder regeln soll und sich direkt und sofort auf ihn auswirkt (vgl. u. a. Urteile vom 18. Juli 2013, Daiichi Sankyo und Sanofi-Aventis Deutschland, C-414/11, EU:C:2013:520, Rn. 51, sowie vom 22. Oktober 2013, Kommission /Rat, C-137/12, EU:C:2013:675, Rn. 57, und Gutachten 3/15 [Vertrag von Marrakesch über den Zugang zu veröffentlichten Werken] vom 14. Februar 2017, EU:C:2017:114, Rn. 61).“. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 8 rischer Endverwendungen als Gemeinsame Aktion 2000/401/GASP im Rahmen der GASP festgelegt hat,19 die in Deutschland mit der Regelung in § 49 AWV umgesetzt worden sind.20 Zudem hat der Rat im Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP21 für die beim Transfer von Militärtechnologie und Militärgütern von allen Mitgliedstaaten zu befolgende Mindeststandards festgelegt. Diese Rechtspraxis lässt darauf schließen, dass auch die Einführung des Genehmigungsvorbehalts für die Beteiligung an Rüstungsunternehmen in Drittstaaten in den Bereich der GASP fallen würde, die alle Bereiche der Außenpolitik sowie sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union umfasst. Art. 215 AEUV öffnet die gemeinsame Handelspolitik im Bereich der Embargomaßnahmen für die GASP.22 Gemäß Art. 215 Abs. 1 AEUV erlässt der Rat restriktive Maßnahmen, wenn ein Beschluss im Rahmen der GASP die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern vorsieht.23 Art. 215 AEUV normiert mithin ein zweistufiges Verfahren, in dem er einen intergouvernementalen GASP-Beschluss mit supranationalem Unionsrecht verknüpft.24 Auf Art. 215 AEUV und vorangehende GASP-Beschlüsse kann die EU nach Stimmen in der Literatur auch mit Güterembargos zusammenhängende Maßnahmen wie das Verbot technischer Hilfe und Dienstleistungen stützen.25 Allerdings ist Art. 215 AEUV ausweislich seines Titels auf restriktive Maßnahmen ausgelegt. Er dient nach Ansicht in der Literatur der Ausübung von Druck auf einen oder mehrere Drittstaaten oder natürliche bzw. juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten, um ein im Rahmen der GASP definiertes, also nicht rein handelspolitisches Ziel zu erreichen.26 Es ist daher fraglich, ob sie auch zur Abgrenzung von (anderen) GASP-Maßnahmen herangezogen werden kann. Eine abschließende Feststellung, ob ein Genehmigungsvorbehalt für die Beteiligung an Rüstungsunternehmen in Drittstaaten eine restriktive Maßnahme im Sinne des Art. 215 19 Gemeinsame Aktion 2000/401/GASP des Rates vom 22. Juni 2000 betreffend die Kontrolle von technischer Unterstützung in bezug auf bestimmte militärische Endverwendungen, ABl. vom 30. Juni 2000, L 159/216, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2000:159:0216:0217:DE:PDF. 20 Hocke/Sachs/Pelz, Außenwirtschaftsrecht, 2017, § 49 AWV, Rn. 1. 21 Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern, ABl. L 335 vom 13. Dezember 2008, S. 99, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008E0944&qid=1507800765256&from=DE. 22 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 40 EUV, Rn. 7. 23 Niestedt, in: Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 3. Egl. Oktober 2013, 50. Systematische Darstellung von Embargo- und Sanktionsmaßnahmen, Rn. 58. 24 Osteneck, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 215 AEUV, Rn. 15. 25 Schneider/Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 53. Egl, Mai 2014, Art. 215 AEUV, Rn. 37; Kokott, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 215 AEUV, Rn. 13. 26 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 215 AEUV, Rn. 20; Kokott, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 215 AEUV, Rn. 14. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 9 AEUV darstellt oder dafür ein Embargo gegenüber einem bestimmten Staat o. ä. erforderlich ist, ist daher nicht möglich. 3.4. Ausnahmen bei wesentlichen Sicherheitsinteressen Im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik ergeben sich eigenständige außenwirtschaftliche Entscheidungsbefugnisse der Mitgliedstaaten aus der sog. Schutzklausel des Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV. Auch beim Bestehen einer ausschließlichen Unionskompetenz im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik kann jeder Mitgliedstaat gemäß Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen. 3.4.1. Anwendungsbereich von Art. 346 AEUV Gemäß Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV kann ein Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen, die von den auf EU-Ebene getroffenen Maßnahmen abweichen oder über diese hinausgehen. Zur Rechtfertigung unilateraler Maßnahmen müssen die auf EU-Ebene getroffenen Maßnahmen zur Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen des betreffenden Mitgliedstaats nicht ausreichen. Zur gerichtlichen Kontrolle der Maßnahme ist vom jeweiligen Mitgliedstaat zudem substantiiert darzulegen, welche spezifischen Sicherheitsinteressen genau einen nationalen Alleingang erfordern.27 Mit Blick auf die Anwendung von Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV ist anzumerken, dass die dogmatische Einordnung der Norm variiert. Einige Autoren sehen in der Norm die Begründung einer parallelen oder geteilten Kompetenz von Union und Mitgliedstaaten im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik unter sicherheitspolitischen Aspekten.28 Danach lässt die Ermöglichung von unilateralen Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaaten die ausschließliche Zuständigkeit der EU gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e) AEUV iVm Art. 207 AEUV unberührt, begründet in dem von Art. 346 AEUV erfassten Bereich jedoch eine geteilte Zuständigkeit von EU und Mitgliedstaaten.29 Andere Autoren sehen in der Norm die Grundlage (einer Rechtfertigung) für ein nationales Abweichen von den Bestimmungen des Unionsrechts.30 Ungeachtet dieser dogmatischen Unterschiede besteht insoweit Einigkeit, dass Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV den Mitgliedstaaten den Erlass von nationa- 27 Vgl. EuGH, Rs. C-284/05 (Kommission/Finnland), Rn. 47; EuGH, Rs. C-38/06 (Kommission/Portugal), Rn. 64; EuGH, Rs. C-246/12 P (Ellinika Nafpigeia/Kommission), Rn. 18. 28 Kokott, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 346 AEUV, Rn. 1; Karpenstein, in: Schwarze, EU-Kommentar , 3. Aufl. 2012, Art. 346 AEUV, Rn. 2 und 12. 29 Vgl. Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 346 AEUV, Rn. 1. 30 Dittert, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 346 AEUV, Rn. 25; Weiß, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 57. Egl. August 2015, Art. 207 AEUV, Rn. 90; Boysen, in: von Arnauld, Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 9, Rn. 45. Einen Rechtfertigungsgrund bejaht auch Karpenstein, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 346 AEUV, Rn. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 10 len Regelungen im Bereich des Rüstungsexports unter Abweichung von den Vorgaben des Unionsrechts ermöglicht.31 Demnach können Maßnahmen, die jedenfalls den Handel mit Rüstungsgütern betreffen, unter den Voraussetzungen des Art. 346 Abs. 1 lit. b) durch die Mitgliedstaaten vorgenommen werden. 3.4.2. Anwendbarkeit auf Investitionstätigkeiten in Drittstaaten Der Anwendungsbereich von Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV bezieht sich dem Wortlaut nach auf Maßnahmen betreffend die Produktion und den Handel mit bestimmten, durch den Rat festgelegten 32 Rüstungsgütern. Die Bestimmung ermöglicht den Mitgliedstaaten den Erlass von nationalen Maßnahmen, die nicht mit dem Unionsrecht in Einklang stehen, sofern diese erforderlich sind, um wesentliche Sicherheitsinteressen zu wahren. Die Aufrüstung von Drittstaaten berührt in aller Regel wesentliche Sicherheitsinteressen eines Staates. Folglich tangiert nach Ansicht der Literatur jedenfalls der Export von Waffen und eindeutig militärischen Zwecken dienendem Material immer die Sicherheitsinteressen des exportierenden Staates.33 In diese Richtung geht auch die Argumentation des EuGH, der angesichts der Schwierigkeit, die Sicherheitslage eines Staates isoliert zu betrachten zu dem Ergebnis gekommen ist, „dass die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker die Sicherheit eines Mitgliedstaats beeinträchtigen kann.“34 Fraglich ist, ob Investitionstätigkeiten von europäischen natürlichen oder juristischen Personen in Drittstaaten in gleicher Weise wie Exporttätigkeiten von Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV erfasst werden. Dafür könnte insbesondere die vergleichbare Interessenlage sprechen, wofür das Argument spräche, dass es für die Wahrung der Sicherheitsinteressen eines Staates unerheblich ist, ob die Sicherheit durch den Export von Rüstungsgütern oder die von inländischen natürlichen oder juristischen Personen finanzierte und gelenkte Produktion von Rüstungsgütern in anderen Staaten gefährdet wird. Ausgehend von der Annahme, dass sich der Anwendungsbereich von Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV auch auf Investitionstätigkeiten von inländischen natürlichen oder juristischen Personen bezieht, lassen sich die vorstehenden Erwägungen auch auf die Gefährdung der Sicherheitsinteressen des betreffenden Mitgliedstaates durch Investitionstätigkeiten übertragen . Demnach kann die Investitionstätigkeit in Drittstaaten zur Produktion und Verbreitung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen das friedliche Zusammenleben der Völker und mithin die Sicherheit des exportierenden Staats beeinträchtigen. 31 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 346 AEUV, Rn. 6; Jaeckel, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der EU, 46. Egl, Stand: Oktober 2011, Art. 346 AEUV, Rn. 3; Karpenstein, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 346 AEUV, Rn. 1. 32 Aufgestellt durch Beschluss Nr. 255/58 des Rates, einsehbar in der schriftlichen Anfrage E-1323/2001 vom 3. Mai 2001, ABl. C 364 E, S. 85 sowie in Auszügen in den Rats-Dok. 14538/08 und Rats-Dok. 14538/4/08 REV 4; vgl. hierzu EuG, Rs. T-26/01 (Fiocchi Munizioni/Kommission), Rn. 61; EuGH, Rs. C-337/05 (Kommission/ Italien), Rn. 47 f. 33 Jaeckel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 46. Egl. Oktober 2011, Art. 346 AEUV, Rn. 14. 34 EuGH, Rs. C-83/94 (Leifer), Rn. 28. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 11 3.4.3. Sonderfall: GASP In der Literatur ist umstritten, ob Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV auch auf Maßnahmen im Bereich der GASP Anwendung findet. So vertritt beispielsweise Jaeckel die Ansicht, dass Mitgliedstaaten sich nicht auf Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV berufen können, um von GASP-Maßnahmen abzuweichen . 35 Dittert geht hingegen davon aus, dass Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV auch zur nationalen Abweichung von GASP-Maßnahmen berechtigt.36 Diese Ansicht findet eine Stütze im Wortlaut des Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV, denn gemäß Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV stehen die Vorschriften der Verträge (damit ist neben dem AEUV auch der EUV, in dem die Bestimmungen zur GASP enthalten sind, umfasst) Maßnahmen der Mitgliedstaaten für die Wahrung ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen nicht entgegen. Es sind indes keine Maßnahmen auf Ebene der GASP ersichtlich, welche die Investitionstätigkeit von natürlichen oder juristischen inländischen Personen in Drittstaaten zum Zweck der Entwicklung und Produktion von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern regulieren. Dementsprechend stellt sich vorliegend nicht die Frage, ob bestehende GASP-Maßnahmen dazu führen, dass eine nationale Maßnahme nicht erforderlich ist. 3.5. Geteilte Zuständigkeit von EU und Mitgliedstaaten Geht man von der dogmatischen Zuordnung aus, wonach Art. 346 AEUV eine zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit begründet,37 könnte eine Beschränkung der Handlungsbefugnis der Mitgliedstaaten in dem von Art. 346 AEUV erfassten Bereich dann bestehen, wenn und soweit die EU von ihren Zuständigkeiten in diesem Bereich Gebrauch gemacht hat und hierdurch ein eigenständiges Handeln der Mitgliedstaaten gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 AEUV gesperrt wäre.38 Mit Blick auf den Regelungsbereich des Genehmigungsvorbehalts, der Gegenstand dieser Ausarbeitung ist, sind die vom Unionsgesetzgeber erlassenen Regelungen im Bereich des Handels mit Rüstungsgütern innerhalb der Union, insbesondere die Richtlinie 2009/43/EG39 und die Verordnung (EU) 2015/47940, nicht einschlägig. Vorliegend könnte jedoch eine Begrenzung des mitglied- 35 Jaeckel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 46. Egl. Oktober 2011, Art. 346 AEUV, Rn. 10. 36 Dittert, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 346 AEUV, Rn. 1. 37 Siehe oben 3.4.1. 38 Vgl. Obwexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7.Aufl. 2015, Art. 2 AEUV, Rn. 25; Callies, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 2 AEUV, Rn. 11. 39 Richtlinie 2009/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 zur Vereinfachung der Bedingung für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern, ABl. L 146 vom 10. Juni 2009, S. 1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009L0043-20160928&qid=1495639077630&from=DE. 40 Verordnung (EU) 2015/479 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 über eine gemeinsame Ausfuhrregelung, ABl. vom 27. März 2015, L 83/34, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0479&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 12 staatlichen Handelns aus den Regelungen der Gemeinsamen Aktion 2000/401/GASP folgen, wonach die Mitgliedstaaten die technische Unterstützung ebenso wie mündlichen Technologietransfer im Bereich konventioneller Rüstung in bestimmten Drittstaaten kontrollieren müssen. Auch dies betrifft jedoch primär den Export von Dienstleistungen und nicht die von der Fragestellung erfasste Investitionstätigkeit an sich, so dass auch insoweit keine Sperrwirkung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 S. 2 AEUV besteht. 4. Unionsrechtliche Prämissen eines Genehmigungsvorbehalts Die Einführung eines Genehmigungsvorbehalts müsste sowohl mit dem primären als auch mit dem sekundären Unionsrecht vereinbar sein. 4.1. Grundfreiheiten Mangels abschließender Harmonisierung durch sekundärrechtliche Regelungen ist ein Genehmigungsvorbehalt auf die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu überprüfen. Da der eingangs skizzierte Genehmigungsvorbehalt nicht die Tätigkeit im Binnenmarkt, sondern ein Handeln in Drittstaaten umfasst, kommt vorliegend insbesondere die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) als Maßstab für die Einführung eines Genehmigungsvorbehalts in Betracht.41 4.1.1. Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit Der Begriff des Kapitalverkehrs wird weder in den Gemeinschaftsverträgen, noch im sekundären Gemeinschaftsrecht definiert. Aus einer Zusammenschau kapitalverkehrsrelevanter primär- und sekundärrechtlicher Regelungen, der Rechtsprechung des EuGH und aus dem ökonomischen Verständnis wird der Begriff so verstanden, dass unter Kapitalverkehr jede über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinweg stattfindende Übertragung von Geld- oder Sachkapital zu verstehen ist, die primär zu Anlagezwecken erfolgt.42 Dementsprechend werden ausländische Direktinvestitionen vom Begriff des Kapitalverkehrs in Art. 63 AEUV erfasst.43 Die Anwendbarkeit der Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr setzt zudem einen Sachverhalt voraus, der eine Verbindung zum Handel zwischen den Mitgliedstaaten aufweist.44 Für eine Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit ist zudem im konkreten Fall zu prüfen, ob eine Ausnahme im Kapitalverkehr mit Drittstaaten gemäß Art. 64 AEUV besteht.45 41 Zur Abgrenzung zu anderen Grundfreiheiten, insbesondere der Niederlassungsfreiheit, vgl. Sedlaczek/Züger, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 63 AEUV, Rn. 31 ff. 42 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 63 AEUV Rn. 10. 43 Vgl. EuGH, Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich), Rn. 37; EuGH, Rs. C-174/04 (Kommission/Italien), Rn. 28; EuGH, Rs. C-112/05 (Kommission/Deutschland), Rn. 18. 44 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-515/99 u.a. (Reisch u. a.), Rn. 24; EuGH, Rs. C-139/12 (Caixa d’Estalvis i Pensions de Barcelona ), Rn. 42. 45 Vgl. EuGH, Rs. C-317/15 (X), Rn. 20 ff.; EuGH, Rs. C-560/13 (Wagner-Raith), Rn. 20 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 13 4.1.2. Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten.46 Ausgehend von einem weiten Eingriffsbegriff wird als Beschränkung jedes direkte wie indirekte Hindernis verstanden, das den transnationalen Kapital- oder Zahlungsverkehr behindert oder weniger attraktiv macht, somit geeignet ist, nachteilige Folgen für den Inhaber oder Empfänger des Kapitals nach sich zu ziehen oder auch nur die freie Entscheidung über die Investition von Finanz- oder Sachkapital oder die Finanzierung einer solchen zu beeinflussen.47 Vor diesem Hintergrund kann ein Genehmigungsvorbehalt durch das Erfordernis einer behördlichen Genehmigung als eine unterschiedslos wirkende Maßnahme betrachtet werden, die als Marktaustrittshindernis geeignet ist, die Ausübung der Grundfreiheiten weniger attraktiv zu machen , aktuell oder potentiell, direkt oder indirekt zu behindern oder zu beeinträchtigen.48 4.1.3. Rechtfertigung Der freie Kapitalverkehr darf durch eine nationale Regelung nur beschränkt werden, wenn diese aus einem der in Art. 65 AEUV genannten Gründe oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.49 Sofern die Einführung eines Genehmigungsvorbehalts eine Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit jedenfalls im Sinne von Art. 63 AEUV bewirkt, kommen vorliegend insbesondere die in Art. 65 AEUV genannten Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit oder die Art. 346 AEUV genannten Gründe der öffentlichen Sicherheit als Rechtfertigungsgründe in Betracht. In jedem Fall muss die innerstaatliche Maßnahme geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.50 4.1.3.1. Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Art. 65 Abs. 1 lit. b) AEUV Eine aus dem Genehmigungsvorbehalt resultierende Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit könnte aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gemäß Art. 65 Abs. 1 lit. b) AEUV gerechtfertigt werden.51 Der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit umfasst sowohl die 46 Vgl. EuGH, Rs. C-589/13 (Familienprivatstiftung Eisenstadt), Rn. 53. 47 Sedlaczek/Züger, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 63 AEUV, Rn. 9. 48 Vgl. EuGH, verb. Rs. Rs. C-163/94 u.a. (Sanz de Lera u. a.), Rn. 24 f.; EuGH, Rs. C-54/99 (Église de Scientologie), Rn. 14; EuGH, Rs. C-567/07 (Woningstichting Sint Servatius), Rn. 24. 49 Vgl. EuGH, Rs. C-271/09 (Kommission/Polen), Rn. 55. 50 EuGH, Rs. C-108/09 (Ker-Optika), Rn. 57; EuGH, Rs. C-484/10 (Ascafor und Asidac), Rn. 58. 51 Eine auf Art. 36 AEUV gestützte Rechtfertigung ist dabei nachrangig gegenüber einer Rechtfertigung im Rahmen von Art. 346 AEUV, der speziell für Rüstungsgüter weitergehende Rechtfertigungsmöglichkeiten vorsieht, vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 36 AEUV, Rn. 197 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-367/89 (Richardt), Rn. 22. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 14 innere als auch die äußere Sicherheit des Staates.52 Als Ausnahmevorschrift ist Art. 65 Abs. 1 lit. b) AEUV eng auszulegen und erfasst nur staatliche Interessen von fundamentaler Bedeutung, d.h. die Existenz des Staates, das Funktionieren seiner Wirtschaft, seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste oder um das Überleben seiner Bevölkerung.53 Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung ist dagegen bei einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung , die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, betroffen.54 Die Verbote oder Beschränkungen dürfen aber nach Art. 65 Abs. 1 lit. b) AEUV kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten darstellen. Zudem dürfen mit den nationalen Maßnahmen keine rein wirtschaftlichen Zwecke verfolgt werden.55 In diesem Rahmen obliegt es den Mitgliedstaaten, die geeigneten Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer inneren und äußeren Sicherheit zu ergreifen, sofern eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Einzelfall tatsächlich vorliegt und substantiiert nachgewiesen werden kann.56 Mangels entsprechender Informationen kann vorliegend keine weitergehende Bewertung einer möglichen Rechtfertigung des oben genannten Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit vorgenommen werden. 4.1.3.2. Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen, Art. 346 AEUV Eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit könnte gem. Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV gerechtfertigt werden, wonach die Vorschriften der Verträge die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, im Zusammenhang mit der Herstellung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial, die in der von Art. 346 Abs. 2 AEUV in Bezug genommenen Liste aufgeführt sind,57 sowie dem Handel damit die Maßnahmen zu ergreifen, die ihres Erachtens für die Wahrung ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind. Dabei besitzt Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV in seinem Anwendungsbereich eine allgemeine Tragweite, die alle allgemeinen Vorschriften des Primärrechts und mithin auch die Grundfreiheiten berühren kann. Nach Art. 346 Abs. 1 lit. b) Hs. 2 AEUV dürfen die auf dieser Grundlage ergriffenen Maßnahmen nicht die Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren beeinträchtigen. Indem Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV bestimmt, dass ein Mitgliedstaat in Bezug auf die betreffenden Tätigkeiten die Maßnahmen ergreift, die „seines Erachtens“ für die Wahrung seiner wesentlichen 52 EuGH, Rs. C-367/89 (Richardt), Rn. 22. 53 EuGH, Rs. C-72/83 (Campus Oil), Rn. 34; vgl. im Überblick Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 52. Egl. Januar 2014, Art. 65 AEUV, Rn. 52 ff. sowie Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 36 AEUV, Rn. 55. 54 EuGH, Rs. 30/77 (Bouchereau), Rn.33 ff.; vgl. auch Leible/Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 55. EL 2015, Art. 36 AEUV, Rn. 20. 55 EuGH, Rs. C-39/11 (VBV Vorsorgekasse), Rn 29. 56 Vgl. Schwarz, Das Verbot des Umschlags von Kernbrennstoffen in Seehäfen als bundesstaatliches Problem, DÖV 2012, S. 457 (463 f.). 57 Vgl. Beschluss Nr. 255/58 des Rates, einsehbar in der schriftlichen Anfrage E-1323/2001 vom 3. Mai 2001, ABl. C 364 E, S. 85 sowie in Auszügen in den Rats-Dok. 14538/08 und Rats-Dok. 14538/4/08 REV 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 15 Sicherheitsinteressen „erforderlich“ sind, räumt er den Mitgliedstaaten außerdem ein weites Ermessen bei der Beurteilung der Bedürfnisse im Zusammenhang mit der Wahrung dieser Interessen ein.58 Zugleich ist die Bestimmung eng auszulegen, soweit auf Ihrer Grundlage von Grundfreiheiten abgewichen werden soll.59 Für eine Rechtfertigung von beschränkenden Regelungen auf Grundlage von Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV genügt es dementsprechend nicht, dass sich der jeweilige Mitgliedstaat auf seine wesentlichen Sicherheitsinteressen beruft.60 Vielmehr muss dieser nachweisen , dass die beschränkende Regelung für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist.61 Vor diesem Hintergrund liegt zunächst die Annahme nahe, dass ein Genehmigungsvorbehalt potenziell der Wahrung von Sicherheitsinteressen dienen kann. Hierfür streitet Erwägungsgrund Nr. 2 der Gemeinsamen Aktion 2000/401/GASP, wonach die Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EU hinsichtlich der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und der Ausfuhr konventioneller Militärgüter in Länder, gegen die ein Waffenembargo verhängt wurde, ein wirksames Ausfuhrkontrollsystem erfordert, das sich auch auf die technische Unterstützung für Massenvernichtungswaffen und Flugkörper und für konventionelle Militärgüter erstreckt. Ein Genehmigungsvorbehalt für die technische Unterstützung der Rüstungsproduktion in Mitgliedstaaten der EU, ohne das gegen diese Staaten ein Waffenembargo verhängt worden ist, geht über die Gemeinsame Aktion 2000/401/GASP hinaus, erfüllt aber grundsätzlich denselben, in der Union anerkannten Zweck. 4.1.3.3. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Eine nationale Maßnahme zur Wahrung von Sicherheitsinteressen des betroffenen Mitgliedstaates, die eine Grundfreiheit beeinträchtigt, muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Das setzt zunächst voraus, dass die Regelung dazu geeignet ist, das von ihr verfolgte Ziel zu fördern.62 Zudem darf die Maßnahme nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessene und 58 Vgl. EuG, Rs. T-26/01 (Fiocchi munizioni), Rn. 58. 59 EuGH, Rs. C-284/05 (Kommission/Finnland), Rn. 46; EuGH, Rs. C-615/10 (Insinööritoimisto InsTiimi Oy), Rn. 35. 60 EuGH, Rs. C-284/05 (Kommission/Finnland), Rn. 45 ff.; EuGH, Rs. C-615/10 (Insinööritoimisto InsTiimi Oy), Rn. 35; EuGH, Rs. C-474/12 (Schiebel Aircraft), Rn.34. 61 EuGH, Rs. C-414/97 (Kommission/Spanien), Rn. 22; EuGH, Rs. C-474/12 (Schiebel Aircraft), Rn. 32 ff.; zur Justiziabilität gemäß Art. 348 AEUV einer auf Art. 346 AEUV gestützten Entscheidung, insbesondere im Hinblick auf die Beweislast, vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Colomber zu EuGH, verb. Rs. C-284/05 u.a. (Kommission /Finnland u.a.), Rn. 112 ff. 62 EuGH, Rs. 152/78 (Kommission/Frankreich), Rn. 15 ff.; EuGH, Rs. C-137/09 (Joesmans), Rn.70; EuGH, Rs. C- 176/11 (HIT u.a.), Rn.22. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 16 erforderliche Maß hinausgehen.63 Dabei besitzen die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Wahl der geeigneten Maßnahmen einen nur begrenzt justitiablen Prognose- und Gestaltungsspielraum.64 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es zur Wahrung nationaler Sicherheitsinteressen erforderlich ist, die Beteiligung an der Rüstungsproduktion in Drittstaaten einem Genehmigungsvorbehalt zu unterwerfen. Dabei erscheint die Verhältnismäßigkeit einer Rechtfertigung gemäß Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV nicht ausgeschlossen; Anhaltspunkte für eine mögliche verhältnismäßige Ausgestaltung einer Genehmigungspflicht ergeben sich diesbezüglich beispielsweise aus Art. 2 des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP65. Mangels entsprechender Informationen und einem konkreten Prüfprogramm kann vorliegend jedoch keine weitergehende Bewertung der Verhältnismäßigkeit eines potentiell gerechtfertigten Eingriffs in die Kapitalverkehrsfreiheit vorgenommen werden. 4.1.4. Zusammenfassung Ein die Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne von Art. 63 AEUV beschränkender Genehmigungsvorbehalt könnte potentiell auf die Rechtfertigungsgründe gemäß Art. 65 AEUV oder Art. 346 AEUV gestützt werden, sofern der jeweilige Rechtfertigungsgrund substantiiert dargelegt werden kann und die Maßnahme im Übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Mangels entsprechender Informationen kann vorliegend keine abschließende Bewertung der in Frage kommenden Rechtfertigungsgründe und ihrer Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden. 4.2. Unionsgrundrechte Nationale Maßnahmen bei der Durchführung des Unionsrechts müssen mit den in der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) normierten Unionsgrundrechten vereinbar sein. 4.2.1. Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte Eine Anwendung der in der GRCh normierten Unionsgrundrechte auf mitgliedstaatliche Maßnahmen setzt voraus, dass der betreffende Mitgliedstaat bei der Durchführung des Unionsrechts (Art. 51 Abs. 1 GRCh) handelt. Das betrifft nach der Rechtsprechung des EuGH alle unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, d.h. wenn eine nationale Regelung in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt.66 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine nationale Regelung geeignet ist, eine oder mehrere der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu beeinträchtigen, und der betreffende Mitgliedstaat sich auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses beruft, um 63 Vgl. EuGH, Rs. C-54/05 (Kommission/Finnland), Rn.38; EuGH, Rs. C-110/05 (Kommission/.Italien), Rn. 59; EuGH, Rs. C-474/12 (Schiebel Aircraft), Rn. 37. 64 EuGH, Rs. 293/93 (Houtwipper), Rn. 22. 65 Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern, ABl. L 335 vom 13. Dezember 2008, S. 99, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008E0944&qid=1507800765256&from=DE. 66 EuGH, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn. 19 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 58/17 Seite 17 eine solche Beeinträchtigung zu rechtfertigen. Unter diesen Umständen können Ausnahmen für die betreffende nationale Regelung nur dann gelten, wenn sie im Einklang mit den Grundrechten steht, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.67 Nimmt ein Mitgliedstaat im Unionsrecht vorgesehene Ausnahmen in Anspruch, um eine Beschränkung einer durch den Vertrag garantierten Grundfreiheit zu rechtfertigen, muss dies daher als „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta angesehen werden.68 4.2.2. Betroffenheit der unternehmerischen Freiheit, Art. 16 GRCh Mit Blick auf das Ziel des Genehmigungsvorbehalts und seiner potenziellen Auswirkungen kommt vorliegend zunächst das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GRCh) in Betracht.69 Der durch diese Bestimmung gewährte Schutz umfasst die Freiheit, eine Wirtschaftsoder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb.70 Die potenziell – vorbehaltlich einer Prüfung im konkreten Einzelfall – durch einen Genehmigungsvorbehalt betroffene Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, unterliegt jedoch weiten Grundrechtsschranken.71 Nach der allgemeinen Schranke des Art. 52 Abs. 1 GRCh sind Einschränkungen der Ausübung der in der Charta verankerten Rechte zulässig, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.72 Bezüglich der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 16 GRCh kann auf die oben genannten Erwägungen zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Kapitalverkehrsfreiheit und dessen Verhältnismäßigkeit verwiesen werden. Eine weitergehende Prüfung, insbesondere mit Blick auf den Wesensgehalt des Grundrechts und der konkreten Verhältnismäßigkeit der nationalen Maßnahme, kann vorliegend mangels weitergehender, konkreter Informationen nicht erfolgen. – Fachbereich Europa – 67 EuGH, Rs. C-390/12 (Pfleger), Rn. 35; EuGH, Rs. C-201/15 (AGET Iraklis), Rn. 63. 68 EuGH, Rs. C-390/12 (Pfleger), Rn. 36; EuGH, Rs. C-201/15 (AGET Iraklis), Rn. 64. 69 Zur Abgrenzung zur Eigentumsgarantie im Unionsrecht gemäß Art. 17 GRCh, die sich nicht auf die vorliegend wohl einschlägigen Erwerbsaussichten einer Investitionstätigkeit in Drittstaaten bezieht, vgl. Sonnenvend, in: Grabenwarter/Müller-Graff/Hatje, EnzEuR Bd. 2, 2014, § 14, Rn. 30 ff.; EGMR, Urteile vom 13. Juni 1979, Marckx/Belgien (ECLI:CE:ECHR:1979:0613JUD000683374, Rn. 50), vom 11. Januar 2007, Anheuser-Busch/ Portugal (ECLI:CE:ECHR:2007:0111JUD007304901, Rn. 64), und vom 13. März 2012, Malik/Vereinigtes Königreich (ECLI:CE:ECHR:2012:0313JUD002378008, Rn. 93). 70 EuGH, Rs. C-283/11 (Sky Österreich), Rn. 42. 71 Zur Schrankensystematik vgl. Bernsdorff, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2014, Art. 16, Rn. 9 ff.; Grabenwarter, in: Grabenwarter/Müller-Graff/Hatje, EnzEuR Bd. 2, 2014, § 13, Rn. 41 ff. 72 EuGH, Rs. C-12/11 (McDonagh), Rn. 61.