© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 057/20 Zur Frage der Vereinbarkeit einer Ratifizierung des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) durch Deutschland mit Art. 216 Abs. 1 AEUV vor dem Hintergrund des Brexit Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 057/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Zur Frage der Vereinbarkeit einer Ratifizierung des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) durch Deutschland mit Art. 216 Abs. 1 AEUV vor dem Hintergrund des Brexit Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 057/20 Abschluss der Arbeit: 14. August 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 057/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur Frage der Vereinbarkeit einer Ratifizierung des EPGÜ durch Deutschland mit Art. 216 Abs. 1 AEUV 4 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 057/20 Seite 4 1. Einleitung Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ)1 sieht die Schaffung eines für Rechtsstreitigkeiten über europäische Patente zuständigen, gemeinsamen Gerichts vor. Das Abkommen wurde im Jahr 2013 von 25 EU-Mitgliedstaaten, d. h. alle außer Spanien, Polen und Kroatien , unterzeichnet. Das Vereinigte Königreich hatte dieses Abkommen am 26.4.2018, also noch vor seinem EU-Austritt am 31.1.2020, zunächst ratifiziert. Mit der noch ausstehenden Ratifikation des EPGÜ durch Deutschland würde das Abkommen prinzipiell in Kraft treten. Am 20.7.2020 hat das Vereinigte Königreich seine Ratifikation des EPGÜ widerrufen („withdrawal of ratification“).2 Der Fachbereich Europa ist um Prüfung gebeten worden, ob Deutschland vor dem Hintergrund des Art. 216 Abs. 1 AEUV und der diesbezüglichen AETR-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Ratifizierung des Übereinkommens über ein Europäisches Patentgericht befugt ist, obwohl das Vereinigte Königreich infolge des Austritts aus der Europäischen Union (sog. Brexit) gemäß Art. 216 Abs. 1 AEUV als Drittland gelte. Die Frage nach der infolge des Brexit möglicherweise entfallenen Befugnis Deutschlands zur Ratifizierung des EPGÜ wird nachfolgend ausschließlich mit Blick auf die Vorgaben des Art. 216 Abs. 1 AEUV überprüft. 2. Zur Frage der Vereinbarkeit einer Ratifizierung des EPGÜ durch Deutschland mit Art. 216 Abs. 1 AEUV Nach Art. 216 Abs. 1 AEUV kann die Union „mit einem oder mehreren Drittländern oder einer oder mehreren internationalen Organisationen eine Übereinkunft schließen, wenn dies in den Verträgen vorgesehen ist oder wenn der Abschluss einer Übereinkunft im Rahmen der Politik der Union entweder zur Verwirklichung eines der in den Verträgen festgesetzten Ziele erforderlich oder in einem verbindlichen Rechtsakt der Union vorgesehen ist oder aber gemeinsame Vorschriften beeinträchtigen oder deren Anwendungsbereich ändern könnte.“ Die Vorschrift regelt die Außenzuständigkeit der Union (vgl. auch Art. 3 Abs. 2 AEUV). Den Mitgliedstaaten ist es untersagt, die Zuständigkeit der Union durch den Abschluss eigener Abkommen mit Drittstaaten zu beeinträchtigen.3 1 ABl. C 175 vom 20.6.2013, S. 1. 2 Vgl. die Informationen auf der Internetseite des Rates der Europäischen Union: https://www.consilium.europa .eu/en/documents-publications/treaties-agreements/agreement/?id=2013001. Der Wortlaut der Erklärung ist abrufbar unter: https://www.unified-patent-court.org/news/uk-withdrawal-upca. 3 Vgl. EuGH, Rs. 22/70, Kommission/Rat (AETR), Rn. 15/19. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 057/20 Seite 5 Eine solche Beeinträchtigung der Zuständigkeiten der Union könnte sich mit Blick auf das EPGÜ aus der Beteiligung eines Drittlandes ergeben, wenn durch dessen Abschluss gemeinsame Vorschriften beeinträchtigt oder deren Anwendungsbereich geändert werden könnten. Soweit davon auszugehen ist, dass der vom Vereinigten Königreich am 20.7.2020 erklärte Widerruf der Ratifikation völkerrechtlich wirksam ist,4 dürfte eine Beeinträchtigung von Unionszuständigkeiten jedenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Drittlandsbeteiligung am EPGÜ ausscheiden. Insoweit bedarf es auch nicht der Klärung, ob die Voraussetzung einer Drittlandsbeteiligung auch ohne einen Widerruf der Ratifikation bereits deshalb als nicht erfüllt anzusehen wäre, da der personelle Anwendungsbereich des EPGÜ nach seinem Art. 2 Buchst. b und c (Begriff „Vertragsmitgliedstaat “) auf EU-Mitgliedstaaten beschränkt ist und eine reguläre Anwendung des Abkommens auf das Vereinigte Königreich spätestens mit Ablauf der Übergangsfrist nach Art. 126 des Austrittsabkommens5 daher wohl ohnehin nicht möglich wäre.6 Aus dieser Sicht hätte das EPGÜ seine rechtliche Bedeutung in Bezug auf das Vereinigte Königreich infolge des Brexit auch ohne formale Beendigung verloren oder würde diese spätestens mit Ablauf der Übergangsfrist verlieren .7 4 Der Widerruf einer Ratifikation vor Inkrafttreten des betreffenden Abkommens wird im Schrifttum unter Verweis auf die Staatenpraxis wohl allgemein als zulässig angesehen, siehe Dörr, in Dörr/Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of Treaties, Second Edition 2018, Art. 18, Rn. 27 ff. Konkret in Bezug auf das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus dem EPGÜ wird dies auch aus Art. 25 Abs. 2 WVK gefolgert, siehe Tilmann , Zur Nichtigerklärung des EPGÜ-Ratifizierungsgesetzes, GRUR 2020, 441 (445). 5 Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. L 29 vom 31.1.2020, S. 7. 6 Dementsprechend geht auch der Referentenentwurf vom 10.6.2020 davon aus, dass das Vereinigte Königreich als „Nicht-Vertragsmitgliedstaat“ anzusehen ist, siehe Referentenentwurf des BMJV, „Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht“, S. 3, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_EPG%C3%9C_Vertragsgesetz .pdf;jsessionid=5483B11AD3221493315F609DDA63933D.2_cid289?__blob=publicationFile&v=3 . 7 Eine gewisse Parallele zeigt sich etwa zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, an dem das Vereinigte Königreich ebenfalls als Vertragspartei beteiligt ist, das aber infolge des Brexit auch ohne formale Kündigung in Bezug auf das Vereinigte Königreich keine Anwendung mehr finden soll. Auf dieser Annahme beruht jedenfalls das zwischen dem Vereinigten Königreich und den beteiligten EFTA-Staaten geschlossene Austrittsabkommen, siehe „Agreement on arrangements between Iceland, the Principality of Liechtenstein, the Kingdom of Norway and the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland following the withdrawal of the United Kingdom from the European Union, the EEA Agreement and other agreements applicable between the United Kingdom and the EEA EFTA States by virtue of the United Kingdom’s membership of the European Union”, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/agreement-on-arrangements-betweeniceland -liechtenstein-norway-and-uk-following-the-withdrawal-of-uk-from-the-eu-the-eea-arrangement-andother -agre. Siehe auch die Informationen auf der Internetseite der Regierung des Vereinigten Königreichs, „Explainer for the agreement on arrangements between Iceland, the Principality of Liechtenstein and the Kingdom of Norway, and the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, following the withdrawal of the United Kingdom from the European Union 20 December 2018”, S. 3, abrufbar unter: https://assets.publishing .service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/766998/Explainer_-_UK- EEA_EFTA_Separation_Agreement.pdf: “The UK is a party to the EEA Agreement by virtue of its membership of the EU. This agreement will cease to apply when the UK leaves the EU […]”. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 057/20 Seite 6 Insoweit ist folglich davon auszugehen, dass Art. 216 Abs. 1 AEUV einer Ratifikation des EPGÜ durch Deutschland nicht entgegensteht. – Fachbereich Europa –