© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 056/20 Staatshaftungsansprüche wegen der nationalen Ausgestaltung der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung durch den Pensions-Sicherungs-Verein Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung durch den Pensions-Sicherungs-Verein Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 056/20 Abschluss der Arbeit: 07.08.2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Umsetzung von Richtlinien 4 2.1. Voraussetzungen des unionrechtlichen Staatshaftungsanspruchs 4 2.2. „Hinreichend qualifizierter Verstoß“ 5 2.2.1. Allgemeine Anforderungen 5 2.2.2. Anforderungen im Hinblick auf die fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien 6 3. Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersvorsorge in der Bundesrepublik Deutschland 7 3.1. Sachverhalt und Gang des Verfahrens 7 3.2. Schlussfolgerungen aus dem Urteil 9 3.3. Reaktion des Gesetzgebers 11 4. Risiko einer staatshaftungsrechtlichen Inanspruchnahme und Ergebnis 13 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa wurde beauftragt, zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen möglicherweise ein individueller (unionsrechtlicher) Staatshaftungsanspruch für solche Versorgungsberechtigte besteht, die aufgrund der nationalen Ausgestaltung der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung über den Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) Nachteile erleiden. Dabei sind solche Versorgungsberechtigten Gegenstand der Untersuchung, deren betriebliche Altersversorgung (durchgeführt im Wege der Direktzusage/Pensionszusage, Unterstützungskasse, Pensionsfonds, regulierte Pensionskasse oder bestimmte Direktversicherung) nach der letzten Änderung des Betriebsrentengesetzes vom 12. Juni 20201 grundsätzlich über den PSV gegen Insolvenzen abgesichert sind. Für die Einschätzung, ob die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme Deutschlands aus Staatshaftungsansprüchen wegen einer etwaigen fehlerhaften Umsetzung der Insolvenzschutzrichtlinie 2008/94/EG vorliegen, findet insbesondere die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Dezember 2019 (Rs. C-168/18) besondere Berücksichtigung . In einem allgemeinen Teil werden zunächst die Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs gegen Mitgliedstaaten wegen der fehlerhaften Umsetzung von Richtlinien dargelegt . Im Anschluss daran ist vor dem Hintergrund der zuvor genannten EuGH-Entscheidung zu untersuchen, ob die Bundesrepublik Deutschland inzwischen die Richtlinie 2008/94/EG vollständig in nationales Recht umgesetzt hat und ob noch ein Risiko besteht, dass Versorgungsberechtigte Staatshaftungsansprüche wegen etwaiger Umsetzungsmängel geltend machen können. 2. Unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Umsetzung von Richtlinien Im Rahmen der Entscheidung in der Rechtssache Francovich hat der EuGH einen „unmittelbar im Gemeinschafrecht begründeten“ Anspruch auf Entschädigung Einzelner wegen mitgliedstaatlicher Verstöße gegen das Primärrecht bzw. auf dessen Grundlage erlassenen Bestimmungen grundsätzlich anerkannt.2 Im Folgenden ist auf die Voraussetzungen dieses Anspruchs näher einzugehen . 2.1. Voraussetzungen des unionrechtlichen Staatshaftungsanspruchs Eine Voraussetzung eines unionsrechtlichen Haftungsanspruchs ist zunächst der Verstoß gegen eine Norm des Unionsrechts, die dem Geschädigten Rechte zu verleihen bezweckt. Ferner muss 1 Art. 8a des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12. Juni 2020 (BGBl. I, S. 1248). 2 EuGH, Urteil vom 19.11.1991, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich/Italien), Slg. 1991, I-5403, Rn. 35, 41; vgl. dazu aus dem Schrifttum: Jacob/Kottmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 67. EL Juni 2019, Art. 340 AEUV, Rn. 139; Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 340 AEUV, Rn. 38. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 5 der Verstoß hinreichend qualifiziert sein und schließlich muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Schaden des Geschädigten bestehen.3 Besondere Bedeutung kommt dabei dem Merkmal der „hinreichenden Qualifizierung des Verstoßes“ gegen das Unionsrecht zu. 2.2. „Hinreichend qualifizierter Verstoß“ 2.2.1. Allgemeine Anforderungen In Anlehnung an die Staatshaftung der Union für die von der Union, d. h. von ihren Organen verursachten Schäden gemäß Art. 340 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), fordert der EuGH für eine mitgliedstaatliche Haftung eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Unionsrechts.4 Eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Unionsrechts soll nach Ansicht des EuGH immer dann vorliegen, wenn ein den Mitgliedstaaten und ihren Organen im Rahmen der Umsetzung oder des Vollzuges unionsrechtlicher Normen zukommender Ermessensspielraum „offenkundig und erheblich“ überschritten wird.5 Soweit ein Mitgliedstaat nur über einen erheblich verringerten oder sogar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt, soll bereits die bloße Verletzung des Unionsrechts für einen hinreichend qualifizierten Verstoß ausreichen.6 Zur Feststellung einer „offenkundigen und erheblichen“ Überschreitung des genannten Ermessensspielraums greift der EuGH nach seiner Rechtsprechung in der Rechtssache „Brasserie du Pêcheur“ grundsätzlich auf eine Reihe von Kriterien zurück: „Insoweit gehören zu den Gesichtspunkten, die das zuständige Gericht gegebenenfalls zu berücksichtigen hat, das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen oder Gemeinschaftsbehörden beläßt, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen oder der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums 3 EuGH, Urteil vom 19.11.1991, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich/Italien), Slg. 1991, I-5403, Rn. 40; EuGH, Urteil vom 4.7.2000, Rs. C-424/97 (Haim/Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein), Slg. 2000, I-5148, Rn. 36; siehe dazu auch Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 340 AEUV, Rn. 42; Terchechte, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 340 AEUV, Rn. 52. 4 EuGH, Urteil vom 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pêcheur/Bundesrepublik u. a.), Slg. 1996, I-1131, Rn. 51; siehe dazu auch Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 340 AEUV, Rn. 47. 5 EuGH, Urteil vom 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pêcheur/Bundesrepublik u. a.), Slg. 1996, I-1131, Rn. 55; siehe dazu auch Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 340 AEUV, Rn. 19 m. w. N. 6 EuGH, Urteil vom 23.5.1996, Rs. C-5/94 (The Queen/Ministry of Agriculture), Slg. 1996, I-2604, Rn. 28; siehe dazu auch Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 340 AEUV, Rn. 44. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 6 und der Umstand, daß die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen haben, daß nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden.“7 Ferner soll der Komplexität des zu regelnden Sachverhalts und die Schwierigkeiten bei der Anwendung und Auslegung von Vorschriften Rechnung getragen werden.8 Weitere Kriterien sollen nach der Rechtsprechung des EuGH die Betroffenheit einer begrenzten und klar umrissenen Gruppe von Geschädigten9 und der Eintritt eines über die wirtschaftlichen Risiken hinausgehenden Schadens10 sein. Die vorgenannten Kriterien sind im Schrifttum – insbesondere im Hinblick auf die zahlenmäßige Bestimmbarkeit der betroffenen Gruppe – nicht unumstritten .11 2.2.2. Anforderungen im Hinblick auf die fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien Im Hinblick auf die fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien gelten im Grundsatz die unter Ziff. 2.2.1 dargestellten Voraussetzungen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen Unionsrecht .12 Ferner soll nach Ansicht der Literatur mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Dillenkofer eine fehlerhafte Umsetzung nur dann einen hinreichend qualifizierten Verstoß darstellen, wenn seine Auslegung unvertretbar und völlig von der Hand zu weisen ist.13 In Fällen , in denen der Ermessensspielraum des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers bei der Umsetzung 7 EuGH, Urteil vom 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pêcheur/Bundesrepublik u. a.), Slg. 1996, I-1131, Rn. 56; siehe dazu auch Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 340 AEUV, Rn. 56. 8 EuGH, Urteil vom 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pêcheur/Bundesrepublik u. a.), Slg. 1996, I-1131, Rn. 43; siehe dazu auch Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 340 AEUV, Rn. 43. 9 Vgl. EuGH, Urteil vom 4.10.1979, Rs. 238/78 (Ireks-Arkady/Rat u. a.), Slg. 1979, I- 2957, Rn. 12 ff.; siehe dazu auch Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 340 AEUV, Rn. 20 m. w. N. 10 Vgl. EuGH, Urteil vom 4.10.1979, Rs. 238/78 (Ireks-Arkady/Rat u. a.), Slg. 1979, I- 2957, Rn. 12 ff.; siehe dazu auch Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 340 AEUV, Rn. 20 m. w. N. 11 Vgl. hierzu die Darstellung bei Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 340 AEUV, Rn. 21 f. m. w. N. 12 EuGH, Urteil vom 26.3.1996, Rs. C-392/93 (The Queen/H. M. Treasury), Slg. 1996, I-1654, Rn. 40; hierzu Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 340 AEUV, Rn. 21 f. m. w. N. 13 Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 340 AEUV, Rn. 89 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 26.3.1996, Rs. C-392/93 (The Queen/H. M. Treasury), Slg. 1996, I-1654, Rn. 43; EuGH, Urteil vom 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94; C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94 (Dillenkofer u. a./Bundesrepublik), Slg. 1996, I- 4867, Rn. 50; siehe dazu auch Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 340 AEUV, Rn. 49; Terchechte, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 340 AEUV, Rn. 52. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 7 von Richtlinien erheblich verringert bzw. auf Null reduziert ist, kann bereits jeder Verstoß gegen Grundfreiheiten zu einem hinreichend qualifizierten Verstoß führen.14 3. Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersvorsorge in der Bundesrepublik Deutschland In seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 hat der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren über die Auslegung der Richtlinie 2008/94/EG15 entschieden.16 Ihm wurden vom Bundesarbeitsgericht (BAG) vier Fragen vorgelegt, welche sich mit Art. 8 dieser Richtlinie und deren Bedeutung für die Insolvenzsicherung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über den PSV auseinandersetzen. 3.1. Sachverhalt und Gang des Verfahrens Gegenstand des Rechtsstreits waren Ansprüche des Klägers auf Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung. Im Dezember 2000 wurde dem Kläger von seiner ehemaligen Arbeitgeberin eine Betriebsrente im Sinne des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) gewährt. Diese setzte sich aus einer monatlichen Pensionszulage und einem jährlichem Weihnachtsgeld zusammen. Beides sollte unmittelbar von der Arbeitgeberin gezahlt werden. Hinzu kam eine Pensionskassenrente, die auf der Grundlage der Beiträge dieser ehemaligen Arbeitgeberin von der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft (PKDW), einer überbetrieblichen Einrichtung, die den Arbeitnehmern einen Rechtsanspruch auf die Leistungen gewährt, ausgezahlt wurde. Die PKDW geriet im Jahr 2003 in wirtschaftliche Schwierigkeiten und kürzte mit Zustimmung der zuständigen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die zu erbringenden Leistungen. Insgesamt wurde die Rente des klagenden Arbeitnehmers zwischen 2003 und 2013 um insgesamt 13,8 % gekürzt, was für den Betroffenen einen Verlust von 82,74 Euro pro Monat und eine Verringerung des Gesamtbetrags der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung die er über die Pensionskasse erhielt um 7,4 % bedeutete. Aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG ergibt sich jedoch eine Einstandspflicht der Arbeitgeberin für die Fälle, in denen eine von ihr beauftragte Zusatzversorgungseinrichtung die versprochenen Leistungen nicht mehr erbringen kann. Dieser kam die Arbeitgeberin nach und zahlte die vertraglich zugesicherte Betriebsrente in vereinbarter Höhe. Im Januar 2012 wurde jedoch über das Vermögen der ehemaligen Arbeitgeberin ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die monatliche Pensionszulage und das Weihnachtsgeld als direkte Leistungen der ehemaligen Arbeitgeberin wurden vom PSV übernommen. Dieser erklärte bezüglich des Ausgleichs der gesenkten Betriebsrente, dass er anders als die ehemalige Arbeitgeberin nicht weiter 14 EuGH, Urteil vom 17.10.1996, verb. Rs. C-283/94, C-291/94 und C-292/94 (Denkavit u. a./Bundesamt für Finanzen ), Slg. 1996, I-5085, Rn. 51 – 53; siehe dazu auch Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 340 AEUV, Rn. 90. 15 Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283/36). 16 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-168/18 (Pensions-Sicherungs-Verein). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 8 für die Differenz zum ursprünglich vereinbarten Betrag einstehen werde, da das BetrAVG für diese Situation keine Insolvenzsicherung vorsähe. Der Versorgungsberechtigte klagte auf Zahlung dieser Differenz, die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen, im Berufungsverfahren wurde ihr jedoch stattgegeben. Das daraufhin vom PSV angerufene BAG führte aus, dass es im Ausgangsverfahren Frage entscheiden müsse, ob der PSV verpflichtet sei, für die Forderung des Klägers gegen seine ehemalige Arbeitgeberin einzustehen, weil diese zahlungsunfähig sei und folglich ihre eigene Pflicht, für die von der PKDW erbrachten Leistungen einzustehen, nicht erfüllen könne. Der EuGH wurde zur Klärung einiger Fragen im Zusammenhang mit Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG angerufen. Art. 8 lautet: „Die Mitgliedstaaten vergewissern sich, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers aus dessen Unternehmen oder Betrieb bereits ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer erworbenen Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der einzelstaatlichen gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit getroffen werden.“ Auf die erste Vorlagefrage zur Eröffnung des Anwendungsbereichs der Insolvenzschutzrichtlinie auf diese Fallkonstellation hin stellt der EuGH fest, „dass Art. 8 […] dahin auszulegen ist, dass er auf eine Situation anwendbar ist, in der ein Arbeitgeber, der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine über überbetriebliche Einrichtung gewährt, infolge seiner Zahlungsunfähigkeit nicht für den Ausgleich der Verluste einstehen kann, die sich aus der Kürzung der von dieser überbetrieblichen Einrichtung erbrachten Leistungen ergeben, wobei diese Kürzung von der diese Einrichtung überwachenden staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht genehmigt wurde.“17 Die zweite Vorlagefrage bezog sich darauf, unter welchen Umständen die durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erlittenen Einbußen des ehemaligen Arbeitnehmers bei den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden können . Das würde dazu führen, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet wären, einen Mindestschutz für die betriebliche Altersversorgung zu gewährleisten, wobei ihnen allerdings ein weiter Ermessensspielraum zustehe. Kürzungen im Hinblick auf legitime wirtschaftliche und soziale Ziele können gerechtfertigt sein, solange der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung stellt der EuGH fest, dass der Betriebsrentner mindestens die Hälfte der versprochenen Leistungen im Alter erhalten müsse, damit eine Mindestsicherung vorliegt.18 Hinzukommt aber, dass eine Kürzung von weniger als 50 % trotzdem unverhältnismäßig sein kann, „wenn dieser ehemalige Arbeitnehmer […] bereits unterhalb der 17 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-168/18, Rn. 36. 18 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-168/18, Rn. 41. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 9 von Eurostat für den betreffenden Mitgliedstaat ermittelten Armutsgefährdungsschwelle lebt oder künftig leben müsste.“19 Die beiden letzten Vorlagefragen zielten zum einen auf die unmittelbare Wirkung der Insolvenzschutzrichtlinie ab, zum anderen wurde gefragt, ob eine privatrechtlich organisierte Einrichtung eines Mitgliedstaates wie der PSV als eine öffentliche Stelle im Sinne der Richtlinie und damit Adressatin etwaiger Forderungen nach Art. 8 der Richtlinie angesehen werden könne. Darauf antwortet der EuGH, „dass der eine Mindestschutzpflicht vorsehende Art. 8 der Richtlinie 2008/94 unmittelbare Wirkung entfalten kann, so dass er gegenüber einer privatrechtlichen Einrichtung geltend gemacht werden kann, die vom Staat als Träger der Arbeitgeberinsolvenzsicherung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung bestimmt worden ist, wenn diese Einrichtung in Anbetracht der Aufgabe, mit der sie betraut ist, und der Bedingungen, unter denen sie sie erfüllt, dem Staat gleichgestellt werden kann, sofern sich die Aufgabe der Sicherung, mit der sie betraut ist, tatsächlich auf die Arten von Leistungen bei Alter erstreckt, für die der in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehene Mindestschutz verlangt wird.“ Das Urteil des EuGH hatte große Auswirkungen auf das Recht der Betriebsrenten und trifft klare Aussagen dazu, wo in der Umsetzung der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber noch Probleme bestanden. Inzwischen hat auch das BAG erneut unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage seit Juni 2020 (siehe Abschnitt 3.3.) in der Sache entschieden.20 3.2. Schlussfolgerungen aus dem Urteil Fraglich ist nun, welche Auswirkungen das Urteil für die Insolvenzsicherung der über Pensionskassen organisierten Betriebsrenten hat. Im Schrifttum wurde der Klärung dieser Fragen erhebliche Bedeutung zugemessen und das Urteil vielfach besprochen.21 Die Antwort auf Vorlagefrage Nr. 1 macht deutlich, dass Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG verlangt , dass die Mitgliedstaaten auch bei der Durchführung der betrieblichen Altersversorgung im Wege der Pensionskassen einen Mindestschutz zur Insolvenzsicherung vorsehen müssen.22 Die ursprüngliche Ausnahme von der Insolvenzsicherung ergab sich aus der lange vorherrschenden Meinung heraus, dass in dieser Situation die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zu Leistungsausfällen führen kann. In den Insolvenzschutz wurden nur die Durchführungswege der unmittelbaren Versorgungszusage, der Versorgung durch Unterstützungskassen und einigen Arten 19 EuGH, Urt. v. 18.12.2019, Rs. C-168/18, Rn. 46. 20 BAG, Urt. v. 21.7.2020, 3 AZR 142/16 – bisher ist nur eine Pressemitteilung veröffentlicht worden, die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus. 21 Bissels/Fuchs, Aktuelles Arbeitsrecht in Krise und Insolvenz. Oktober bis Dezember 2019, NZI 2020 S. 107 (109 f.); Heller/Langohr-Plato, Insolvenzsicherung von Pensionskassenzusagen in Deutschland auf der Grundlage europarechtlicher Regelungen, BetrAV 2020, S. 2 ff.; Matthießen, Insolvenzschutz bei gekürzten Pensionskassenrenten , BetrAV 2020, S. 109 ff.;; Rolfs, Zur Einstandspflicht des PSV für Leistungskürzungen durch die Pensionskasse („Pensions-Sicherungs-Verein“), EWiR 2020, S. 89 f.; Schminke, Keine unverhältnismäßigen Kürzungen von Betriebsrenten in der EU – Pensionskassen, AuR 2020, S. 275 ff. 22 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-168/18 Rn. 35; Matthießen, BetrAV 2020, S. 109 (112). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 10 von Direktversicherungen aufgenommen. Bei Pensionskassen und einem Teil der Direktversicherungen wurde dafür keine Notwendigkeit gesehen, da die staatliche Versicherungsaufsicht und die Anlagevorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) einen ausreichenden Schutz der Versorgung böten.23 Aufgrund aktueller wirtschaftlicher Entwicklungen käme es aber derzeit immer häufiger zu finanziellen Problemen bei den Pensionskassen, welche daraufhin mit Genehmigung der BaFin die vertraglich vereinbarten Betriebsrenten der Versorgungsberechtigten reduzieren . Die Einschätzungen des Gesetzgebers bei Einführung des ursprünglichen Insolvenzschutzes passten nicht mehr zur aktuellen Situation an den Kapitalmärkten und vor diesem Hintergrund wurde Handlungsbedarf, zur Gewährleistung des unionsrechtlich gebotenen Schutzes gesehen .24 Hinsichtlich der Höhe des Mindestschutzes einer Insolvenzsicherung knüpft die Antwort auf die zweite Vorlagefrage an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an. Art. 8 der Richtlinie ist sehr allgemein gehalten und verlangt kein konkretes Sicherungsniveau, sondern nur, dass die Mitgliedstaaten „die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer“ treffen . Dieser unbestimmte Rechtsbegriff musste hier durch den Gerichtshof erneut ausgelegt werden . Die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung eingeführte Untergrenze von 50 % der ursprünglichen Betriebsrentenzusage wurde dahingehend erweitert, dass eine unverhältnismäßige Kürzung auch dann vorliegen kann, wenn der Versorgungsberechtigte unter die von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, für die Deutschland ermittelte Armutsgefährdungsschwelle fällt.25 Wenn sich eine solche Lage ergeben sollte, stellt sich die Frage, ob Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG unmittelbare Geltung entfaltet und der PSV für diese Leistungskürzungen haften muss. Die unmittelbare Geltung wird vom EuGH anhand von drei Kriterien geprüft: Es muss unbedingt und hinreichend genau bestimmt sein, wer zum geschützten Personenkreis der Vorschrift gehören soll, was der Inhalt des Schutzes sein soll und wer diesen Schutz gewährleisten muss. Der EuGH bejaht grundsätzlich das Vorliegen dieser Voraussetzungen.26 Beim dritten Kriterium bestand aber besonderer Klärungsbedarf hinsichtlich der direkten Geltendmachung der Ansprüche aus der Richtlinie gegenüber dem PSV. Dieser sei laut EuGH zwar eine privatrechtliche Einrichtung , mit der Erhebung der Beiträge zur Insolvenzsicherung kraft öffentlichen Rechts bei den Arbeitgebern und der Möglichkeit der Zwangsvollstreckung durch Verwaltungsakt sei diese aber 23 BT-Drs. 7/2843, S. 9; ausführlich Heller/Langohr-Plato, BetrAV 2020, S. 2 (2 f.); Matthießen, BetrAV 2020, S. 109 (109 f.). 24 Vgl. Heller/Langohr-Plato, BetrAV 2020, S. 2. 25 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. 168/18, Rn. 42 ff. 26 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. 168/18 Rn. 49 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 11 dem Staat gleichzustellen, sodass die in Art. 8 der Richtlinie genannten Bestimmungen grundsätzlich auch ihm gegenüber geltend gemacht werden können.27 Den Anträgen des Generalanwalts folgend gelte dies aber nur, insoweit dieser Einrichtung die Pflicht, den von Art. 8 der Richtlinie verlangten Mindestschutz im Bereich der Leistungen bei Alter sicherzustellen, übertragen wurde. Ob dies der Fall ist, habe das BAG zu entscheiden, auch wenn sich aus den Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland vor dem EuGH ergäbe, dass dies gerade bei gekürzten Leistungen von Pensionskassen nicht so sei.28 Eine Geltendmachung der Ansprüche gegenüber dem PSV erschien nach der alten Rechtslage also nicht möglich.29 Deshalb wurde, um den Anforderungen der Richtlinie 2008/94/EG gerecht zu werden, gefordert, dass für den Fall, dass bei der Durchführung der betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse sowohl der Arbeitgeber als auch die Pensionskasse nicht mehr in der Lage sind, die Leistungen in der zugesagten Höhe zu erbringen, einen Insolvenzschutz durch eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des BetrAVG einzurichten.30 Bezogen auf diese Situation wurde in der Literatur vertreten, dass Deutschland die Insolvenzschutzrichtlinie zum Zeitpunkt des EuGH-Urteils mit dem bisherigen BetrAVG vor der aktuellen Sozialrechtsreform nicht umfassend umgesetzt habe.31 3.3. Reaktion des Gesetzgebers Im Juni 2020 hat der Gesetzgeber auf das Urteil des EuGH vom 19.12.2019 noch vor der aktuellsten Entscheidung des BAG reagiert und verschiedene Änderungen am BetrAVG vorgenommen.32 Der Fall, dass sowohl die Pensionskasse als auch der Arbeitgeber über die Einstandspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG nicht die versprochene Leistung der betrieblichen Altersversorgung leisten , wird von nun an in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BetrAVG geregelt: „(1) Versorgungsempfänger, deren Ansprüche aus einer unmittelbaren Versorgungszusage des Arbeitgebers nicht erfüllt werden, weil über das Vermögen des Arbeitgebers oder über seinen Nachlaß das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, und ihre Hinterbliebenen haben gegen den Träger der Insolvenzsicherung einen Anspruch in Höhe der Leistung, die der Arbeitgeber aufgrund der Versorgungszusage zu erbringen hätte, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre. Satz 1 gilt entsprechend, […] 3. wenn über das Vermögen oder den Nachlass des Arbeitgebers, dessen Versorgungszusage von einem Pensionsfonds oder einer Pensionskasse durchgeführt wird, das Insolvenzverfahren eröff- 27 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. 168/18 Rn. 54, 55. 28 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. 168/18 Rn. 56. 29 Heller/Langohr-Plato, BetrAV 2020, S. 2 (8); Bissels/Fuchs, NZI 2020, 107 (110). 30 Bissels/Fuchs, NZI 2020, 107 (110). 31 Matthießen, BetrAV 2020, S. 109 (113). 32 Gesetz vom 12. Juni 2020 (Fn. 1). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 12 net worden ist und soweit der Pensionsfonds oder die Pensionskasse die nach der Versorgungszusage des Arbeitgebers vorgesehene Leistung nicht erbringt; ein Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung besteht nicht, wenn eine Pensionskasse einem Sicherungsfonds nach dem Dritten Teil des Versicherungsaufsichtsgesetzes angehört oder in Form einer gemeinsamen Einrichtung nach § 4 des Tarifvertragsgesetzes organisiert ist.“ Diese zentrale Vorschrift zum Einbezug der Pensionskassen in die Insolvenzsicherung durch den PSV soll ausweislich des verabschiedeten Gesetzesentwurfs dazu dienen, die ursprüngliche Annahme , dass kein Bedarf für eine solche Sicherung bestünde, zu korrigieren.33 Die Vorgaben des EuGH aus der Rs. C-168/18 werden sogar übererfüllt, da hier eine unbedingte Einstandspflicht des PSV für Pensionskassenzusagen vorgesehen ist, unabhängig davon, ob es sich um eine Kürzung um mehr als 50 % handelt oder die Armutsgefährdungsschwelle erreicht wird.34 Im aktuellen § 30 Abs. 2, 3 BetrAVG sind Übergangsregelungen vorgesehen: „(2) Wenn die betriebliche Altersversorgung über eine Pensionskasse nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 durchgeführt wird, besteht ein Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung , wenn der Sicherungsfall nach dem 31. Dezember 2021 eingetreten ist. Die Beitragspflicht des Arbeitgebers, der betriebliche Altersversorgung über eine Pensionskasse nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 durchführt, beginnt im Jahr 2021 […] (3) Ist der Sicherungsfall nach Absatz 2 vor dem 1. Januar 2022 eingetreten, besteht ein Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung, wenn die Pensionskasse die nach der Versorgungszusage des Arbeitgebers vorgesehene Leistung um mehr als die Hälfte kürzt oder das Einkommen des ehemaligen Arbeitnehmers wegen einer Kürzung unter die von Eurostat für Deutschland ermittelte Armutsgefährdungsschwelle fällt. Leistungen werden nur auf Antrag und nicht rückwirkend erbracht; sie können mit Nebenbestimmungen versehen werden. Mit dem Antrag sind Unterlagen vorzulegen, die den Anspruch belegen. Die Kosten, die dem Träger der Insolvenzsicherung insofern entstehen, werden vom Bund übernommen; Einzelheiten werden in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Träger der Insolvenzsicherung und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen geregelt.“ Bis zum Beginn der umfassenden Absicherung der Betriebsrenten mit dem Jahr 2022 werden entsprechend der Rechtsprechung des EuGH35 zur Gewährung eines Insolvenzschutzes zwei Kriterien angewandt: Einerseits besteht ein Anspruch gegen den PSV als Träger der Insolvenzsicherung dann, wenn die Pensionskasse die versprochene Leistung um mehr als die Hälfte reduziert, andererseits besteht dieser Anspruch auch, wenn die Leistung zwar nicht um mehr als die Hälfe reduziert wird, das Einkommen des anspruchsberechtigten Arbeitnehmers wegen der Kürzung unter die für Deutschland von Eurostat vorgesehene Armutsgefährdungsschwelle absinkt. Betroffene können sich nach § 30 Abs. 3 BetrAVG direkt an den PSV wenden, die Kosten werden 33 BT- Drucksache 19/19037, S. 55 ff. 34 BAG zu gekürzter Betriebsrente: Das Pleite-Domino, in: Legal Tribune Online, 22.7.2020 (abgerufen am: 3.8.2020). 35 Umfassende Darstellung der Rechtsprechungslinie bei Matthießen, BetrAV 2020, S. 109 (111 f.). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 13 übergangsweise vom Bund getragen, sodass die Arbeitgeber, die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über Pensionskassen zugesagt haben, in die Beitragsfinanzierung des PSV integriert werden können, § 30 Abs. 2 S. 2 BetrAVG. Im Schrifttum wird bisher vereinzelt angemerkt, dass die fehlende Absicherung der Pensionskassenrenten nicht die einzige Schutzlücke im Recht der Betriebsrenten gewesen sei. Es gäbe noch andere denkbare Konstellationen, in denen es zu einer erheblichen Reduzierung der Betriebsrenten kommen könne, sodass sich der Gesetzgeber immer fragen müsse, wie der EuGH die Haftung eines Mitgliedstaates für die unzureichende Umsetzung der Insolvenzschutzrichtlinie beurteilen müsste, wenn eine offensichtliche Unverhältnismäßigkeit – anders als im PSV-Urteil – vorliegen würde und gegen die Untergrenzen der Rechtsprechung verstoßen würde.36 4. Risiko einer staatshaftungsrechtlichen Inanspruchnahme und Ergebnis Da die Bundesrepublik Deutschland mit der Gesetzesreform37 die betriebliche Altersversorgung, die über Pensionskassen organisiert ist, mit in den Insolvenzschutz des PSV einbezogen hat, hat sie grundsätzlich den Anforderungen, die der EuGH an die Umsetzung der Richtlinie 2008/94/EG stellt, Rechnung getragen.38 Durch die Reform des BetrAVG wurde zumindest die Insolvenzsicherung für solche Fälle wie in der Entscheidung in der Rs. C-168/18 vorgegeben umgesetzt. Die Übergangsregelungen entsprechen den Anforderungen der Unionsgerichte und die Neuregelung in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BetrAVG setzt die Vorgaben der Insolvenzschutzrichtlinie sogar überschießend um, sodass mehr als ein bloßer Mindestschutz bei der Absicherung der Pensionskassen besteht. Die vom PSV abgesicherten Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung nach dem Stand des aktuellen BetrAVG scheinen somit die unionsrechtlichen Vorgaben zu erfüllen . Das zentrale Tatbestandsmerkmal des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs gegen Mitgliedstaaten liegt mithin nicht mehr vor. Die aktuelle Reform ist in der Fachliteratur aber bisher nur ansatzweise diskutiert worden, so dass die Bewertung im Schrifttum abzuwarten bleibt. Nicht abschließend untersucht wird, ob weitere Lücken bei der Umsetzung der Insolvenzschutzrichtlinie im deutschen Recht bestehen. Im Schrifttum werden beispielsweise Sicherungslücken in dem hypothetischen Fall gesehen, dass die Protektor Lebensversicherung AG, die Sicherungseinrichtung der Lebensversicherungen, die Zusage einer betrieblichen Altersversorgung durch den Arbeitgeber über eine Direktversicherung übernimmt und von einem Recht auf Leistungskürzung mit Genehmigung der BaFin Gebrauch macht.39 Diese Durchführungswege sind aber auch nach der Gesetzesreform nicht durch den PSV abgesichert, sondern es wurde als zweites System 36 Schminke, AuR 2020, S. 275 ff.; vgl. auch die Stellungnahme des DGB (Ausschussdrucksache 19 (11) 601, S. 20 ff., 31) mit seinen generellen Bedenken zur Vereinbarkeit der Insolvenzsicherung bestimmter Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung durch die Protektor Lebensversicherung AG. 37 Gesetz vom 12. Juni 2020 (Fn.1). 38 Vgl. BAG zu gekürzter Betriebsrente: Das Pleite-Domino, in: Legal Tribune Online, 22.7.2020, (abgerufen am: 3.8.2020) 39 Schminke, AuR 2020, S. 275 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 056/20 Seite 14 die Insolvenzsicherung über Protektor beibehalten, was nicht Gegenstand dieser Ausarbeitung ist. Im Zusammenhang mit der hier dargestellten Problematik ist auf ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV zu verweisen, welches die Insolvenzsicherung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bei Betriebsübergängen thematisiert.40 Das BAG hat auch in diesem Fall verschiedene Fragen an den EuGH gerichtet, der unter Umständen auch Aussagen zur Wirkung von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG treffen muss. Die Schlussanträge des Generalanwalts 41 liegen bereits vor, die Entscheidung des Gerichtshofs und eventuell damit einhergehende Auswirkungen auf das Betriebsrentenrecht im Zusammenspiel mit dem arbeitsrechtlichen Betriebsübergang bleiben abzuwarten.42 Abschließend ist noch einmal auf das Merkmal des „hinreichend qualifizierten Verstoßes“ eines staatshaftungsrechtlichen Anspruchs gegen Mitgliedstaaten hinzuweisen, an welches der EuGH recht strenge Anforderungen stellt.43 Der deutsche Gesetzgeber hat auf ein Problem bei der Umsetzung des Art. 8 der Insolvenzschutzrichtlinie umfassend reagiert. Inwieweit weitere Schutzmaßnahmen in anderen Konstellationen und bisher noch unvorhersehbaren wirtschaftlichen Situationen notwendig sein werden, erfordert komplexe gesetzgeberische Bewertungen. Dem Mitgliedstaat wird bei der Umsetzung von Richtlinien grundsätzlich ein gewisses Ermessen eingeräumt . Auch die Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH in Vorabentscheidungsverfahren fördert mögliche Verstöße gegen Rechtsakte der EU erst zutage. Vor diesem Hintergrund führt nicht jede oft sich erst aus der ex post Perspektive uniongerichtlicher Entscheidungen erweisende fehlerhafte Umsetzung von EU-Richtlinien zu einem unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch . Ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, ist von Fall zu Fall anhand der oben genannten Kriterien genau zu untersuchen. - Fachbereich Europa - 40 BAG, Beschl. v. 16.10.2018, 3 AZR 878/16 (A). 41 Schlussanträge von GA Tanchev vom 5.3.2020, verb. Rs. C-674/18 und C-675/18. 42 Detaillierte Darstellung der Problematik bei Polloczek/Rein, NZI 2019, 65. 43 Siehe Abschnitt 2.2.