© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 55/17 Unionsrechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit von Vereinen mit selektiver Mitgliederstruktur Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Unionsrechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit von Vereinen mit selektiver Mitgliederstruktur Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Folgerungen für die Vereinbarkeit der skizzierten Änderung von Art. 52 Abs. 2 AO mit dem Unionsrecht 7 5.1. Maßstäbe des Unionsrechts 7 5.2. Folgerungen 8 Unionsrechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit von Vereinen mit selektiver Mitgliederstruktur Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 55/17 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung erörtert unionsrechtliche Fragen in Bezug auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Mai 2017 zur Versagung der Gemeinnützigkeit eines Vereins, der nur Männer als Mitglieder aufnimmt.1 Ausgehend von der Anwendbarkeit des Unionsrechts auf das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht (hierzu 2.) wird der Frage nachgegangen, ob eine Änderung des § 52 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO)2 mit dem Unionsrecht vereinbar wäre, wenn dort ausdrücklich die Gemeinnützigkeit von Vereinen bestätigt werden würde, die nur ein Geschlecht aufnehmen. 2. Kompetenzverteilung Das Urteil des BFH betrifft die Entscheidung des Gesetzgebers für eine steuerrechtliche Entlastung aus Gründen der in § 52 AO festgelegten gemeinnützigen Zwecke. Diese Entlastungsentscheidung verwirklicht sich durch die Ausgestaltung der direkten Steuern, insbesondere der einkommenssteuerlichen Abziehbarkeit von Zuwendungen zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke (§ 10b EStG) und der Befreiung von unbeschränkt und ggf. beschränkt (§§ 2, 5 Abs. 2 S. 2 KStG) steuerpflichtigen Körperschaften von der Körperschaftssteuer (§ 5 KStG). Die Zuständigkeit der EU im Bereich des Steuerrechts ist im Wesentlichen begrenzt auf Regelungen zur Harmonisierung der indirekten Steuern (Art. 113 AEUV). Im Bereich der direkten Steuern sind die Handlungsspielräume der Union darauf beschränkt, dass sich die Maßnahmen zur Angleichung von Vorschriften unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken müssen (Art. 115 AEUV).3 Entsprechend seiner begrenzten kompetenziellen Möglichkeiten hat der Unionsgesetzgeber keine Maßnahmen zur Harmonisierung mitgliedstaatlichen Regelungen betreffend die Festlegung gemeinnütziger Zwecke getroffen.4 So betreffen 1 BFH, Urteil vom 17.5.2017, V R 52/15. 2 Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002, BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61, zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 18. Juli 2017, BGBl. I S. 2745. 3 Vgl. Classen, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 115 AEUV, Rn. 16 ff. sowie als Beispiel für eine auf Art. 115 zu stützende Regelung den Vorschlag der Kommission vom 25.10.2016 für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, KOM(2016) 685 final. 4 Vgl. hierzu den – zurückgenommenen – Vorschlag der Kommission vom 8. Februar 2012 für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Stiftung (FE), KOM(2012) 35 endg, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012PC0035&qid=1504100394616&from=DE sowie hierzu Hopt/Hippel/u.a., Feasibility Study on a European Foundation Statute, Universität Heidelberg/MPI Heidelberg, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/eufoundation/feasibilitystudy_en.pdf. Unionsrechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit von Vereinen mit selektiver Mitgliederstruktur Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 55/17 Seite 5 die sekundärrechtlichen Regelungen zur Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten5 nur den Bereich der indirekten Steuern und definieren zudem nicht den Begriff der Gemeinnützigkeit. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Unionsrecht keine unmittelbaren Regelungen mit gemeinnützigkeitsrechtlichen Bezügen enthält. Vielmehr ist es im Rahmen der Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten dem nationalen Recht vorbehalten, welche Interessen es zum Zwecke der Gemeinnützigkeit anerkennt.6 3. Festlegung steuerbegünstigter Zwecke Vor diesem Hintergrund obliegt dem deutschen Gesetzgeber die Festlegung des Gemeinnützigkeitsrechts einschließlich der Tatbestände, die er als gemeinnützige Förderung der Allgemeinheit anerkennt. Dabei lässt sich das System des (steuerrechtlichen) Gemeinnützigkeitsrechts dahingehend umschreiben, dass der Gemeinwohlfinanzierung eine konzeptionelle Alternativität von Steuerzahlung und Gemeinnützigkeit zugrunde liegt, bei der die selbstlose Einkommensverwendung durch eine Minderung steuerbarer Leistungsfähigkeit anerkannt wird.7 Diese steuerliche Anerkennung privater Präferenzbildung betreffend die Gemeinwohlförderung steht unter dem Vorbehalt der Definition und Anerkennung steuerbegünstigter Zwecke (vgl. § 10b EStG) durch den Gesetzgeber.8 Bei der Bestimmung steuerlich relevanter Gemeinwohlzwecke9 besitzt der Gesetzgeber einen weiten Handlungs- und Ermessensspielraum, der insbesondere durch die Staatsaufgaben und Staatsziele des Grundgesetzes10 determiniert wird.11 Hierzu zählt u.a. der Verfassungsauftrag des Staates zur Durchsetzung der Gleichberechtigung in der gesellschaftlichen 5 Vgl. Art. 132 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem , ABl. L 347, S. 1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02006L0112-20160601&from=DE, vgl. hierzu EuGH, Rs. C-498/03 (Kingscrest). 6 Vgl. Generalanwältin Stix-Hackl, Schlussanträge vom 15. Dezember 2005 in der Rs. C-386/04 (Stauffer), Rn. 94. 7 Kirchhof, in: Jachmann (Hrsg.), Gemeinnützigkeit, DStjG 26 (2003), S. 1 (5); Kube, IStR 2005, S. 496 ff.; vgl. auch EuGH, Rs. C-318/07 (Persche), Rn. 45. 8 Hufeld, in: Grupp/Hufeld (Hrsg.), FS Mußgnug, 2005, S. 255 (258). 9 Zum Begriff des Gemeinwohls vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Auflage 2006, § 71. 10 Zum Begriff vgl. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 377 ff. 11 Hufeld, in: Grupp/Hufeld (Hrsg.), FS Mußgnug, 2005, S. 255 (258) mit Verweis auf Seer, in: Jachmann (Hrsg.), Gemeinnützigkeit, DStjG 26 (2003), S. 11 (16). Unionsrechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit von Vereinen mit selektiver Mitgliederstruktur Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 55/17 Seite 6 Wirklichkeit (Art. 3 Abs. 2 GG),12 so dass einer nach Geschlecht differenzierenden Definition der Gemeinwohlbelange von Verfassungs wegen Grenzen gesetzt sein dürften.13 4. Anwendung des Unionsrechts auf die Festlegung steuerbegünstigter Zwecke 4.1. Vorbemerkung Soweit der EuGH bislang mit Fragen des nationalen Gemeinnützigkeitsrechts befasst worden ist, ging es hierbei insbesondere entweder um die Vereinbarkeit gemeinnützigkeitsabhängiger Steuervergünstigungen mit dem europäischen Beihilfenverbot (Art. 107 f. AEUV)14 oder um die Anwendung gemeinnützigkeitsabhängiger Steuervergünstigungen auf im Ausland als gemeinnützig anerkannte Einrichtungen15 bzw. bei der Ausübung der Freizügigkeit im Rahmen der Grundfreiheiten und der Unionsbürgerschaft.16 Demgegenüber wirft die dieser Ausarbeitung zugrundeliegende Fragestellung, indem sie auf die mögliche Determinierung des nationalen Gesetzgebers bei der Festlegung gemeinnütziger Zwecke abzielt, eine bislang – soweit ersichtlich – nicht durch den EuGH geklärte Frage auf. 4.2. Anwendbarkeit des Unionsrechts Aufgrund und im Rahmen der europäischen Integration Deutschlands (Art. 23 GG) muss der Gesetzgeber auch das Unionsrecht und dessen Vorrangwirkung in der deutschen Rechtsordnung achten.17 Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse auch im Bereich der direkten Steuern unter Wahrung des Unionsrechts ausüben müssen .18 12 Vgl. Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 74. EL 2015, Art. 3 Abs. 2, Rn. 56 ff.; Vogel, in: Klein (Hrsg.), FS Benda, 1995, S. 395 ff. 13 Vgl. hierzu Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 069/17 vom 11. August 2017, S. 8. 14 Vgl. EuGH, Rs. C-222/04 (Cassa di Risparmio di Firenze). 15 Zur Beschränkung des Status einer steuerbegünstigten Körperschaft auf inländische Körperschaften vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 Nr. 2 KStG a.F. sowie dagegen EuGH, Rs. C-386/04 (Stauffer); EuGH, Rs. C-218/07 (Persche). 16 Vgl. EuGH, Rs. C-281/06 (Jundt) zu § 3 Nr. 26 EStG a.F. und seiner Änderung durch das Jahressteuergesetz 2009 (BT-Drs. 16/10189, BT-Drs. 16/11055, BGBl. I 2008, S. 2794) sowie EuGH, Rs. C-76/05 (Schwarz und Gootjes- Schwarz) zu § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG a.F. 17 Vgl. Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hsrg.), SK-Lissabon, 2. Auflage 2018, § 8, Rn. 8 ff.; Wollenschläger, in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 2, 2015, Art. 23, Rn. 9 ff. 18 EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 21, 26; EuGH, Rs. C-391/97 (Gschwind), Rn. 20; EuGH, Rs. C-334/02 (Kommission/Frankreich), Rn. 21; EuGH, Rs. C-440/08 (Gielen), Rn. 3; EuGH, Rs. C-155/09 (Kommission/Griechenland ), Rn. 21; EuGH, Rs. C-10/10 (Kommission/Österreich), Rn. 23. Unionsrechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit von Vereinen mit selektiver Mitgliederstruktur Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 55/17 Seite 7 Anhaltspunkte für eine mögliche Determinierung des nationalen Gesetzgebers bei der Definition allgemeinnütziger Zwecke lassen sich aus den Entscheidungen des EuGH in der Rs. C-39/04 (Laboratoires Fournier) und der Rs. C-386/04 (Stauffer) ableiten. In der Rs. C-39/04 (Laboratoires Fournier) setzte sich der EuGH der Unionsrechtskonformität einer steuerlichen Begünstigung von Aufwendungen auseinander, die auf in Frankreich ausgeführte Forschungstätigkeiten beschränkt war. Bezüglich der Privilegierung der Aufwendungen für Forschungstätigkeiten in Frankreich stellte der EuGH fest: „Eine solche Regelung steht nämlich in direktem Gegensatz zu den Zielen der Gemeinschaftspolitik im Bereich Forschung und technologische Entwicklung […]“.19 In der Rs. C-386/04 (Stauffer) führt der EuGH zur staatlichen Definitionsmacht bei der Definition allgemeinnütziger Zwecke aus: „Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit nämlich über ein Ermessen, das sie entsprechend dem Gemeinschaftsrecht ausüben müssen […]. Unter diesen Voraussetzungen steht ihnen die Entscheidung frei, welche Interessen der Allgemeinheit sie dadurch fördern wollen, dass sie Vereinigungen und Stiftungen, die selbstlos mit diesen Interessen zusammenhängende Ziele verfolgen, Vergünstigungen gewähren.“20 Hieraus lässt sich folgern, dass die Verfassungsziele der Union die Mitgliedstaaten bei der Festlegung allgemeinnütziger Ziele binden können.21 Dem entspricht, dass die Verfassungsziele der Union nach verbreiteter Auffassung in der Literatur insbesondere als Auslegungsdirektiven wirken , sofern sie rechtlich substanziiert oder substanziierbar sind.22 Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten kommt insbesondere in der Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 3 EUV zum Ausdruck, die Union bei der Erfüllung der Aufgaben zu unterstützen sowie alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele gefährden könnten. 5. Folgerungen für die Vereinbarkeit der skizzierten Änderung von Art. 52 Abs. 2 AO mit dem Unionsrecht 5.1. Maßstäbe des Unionsrechts Die EU fördert im Rahmen des Ziels der Errichtung des Binnenmarktes die Gleichstellung von Frauen und Männern (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 EUV); die EU achtet den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger (Art. 9 S. 1 EUV); die EU wirkt bei allen ihren Tätigkeiten darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern (Art. 8 AEUV); bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und Maßnahmen zielt die EU darauf ab, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts zu bekämpfen (Art. 10 AEUV); im 19 EuGH, Rs. C-39/04 (Laboratoires Fournier), Rn. 23. 20 EuGH, Rs. C-386/04 (Stauffer), Rn. 39 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-415/04 (Stichting Kinderopvang Enschede), Rn. 23. 21 Hufeld, in: Grupp/Hufeld (Hrsg.), FS Mußgnug, 2005, S. 255 (259). 22 Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), EU-Wirtschaftsrecht, 31. EL 2012, A.I. Verfassungsziele der Europäischen Union, Rn. 178 ff. Unionsrechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit von Vereinen mit selektiver Mitgliederstruktur Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 55/17 Seite 8 Rahmen ihrer Zuständigkeiten kann die EU geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts zu bekämpfen (Art. 19 Abs. 1 AEUV); der EU sowie den Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts (Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU (GRCh)) sind Diskriminierungen wegen des Geschlechts verboten (Art. 21 GRCh) und sie müssen die Gleichheit von Männern und Frauen sicherstellen (Art. 23 GRCh). 5.2. Folgerungen Die vorstehend genannten Ziele und Pflichten lassen auf einen Normkonflikt zwischen den Verfassungszielen der EU und der in der Fragestellung skizzierten Neufassung des Art. 52 Abs. 2 AO schließen. Eine Entscheidung des Gesetzgebers dafür, dass eine gemeinnützige Förderung der Allgemeinheit auch dann vorliegen kann, wenn eine Einrichtung nur Personen eines bestimmten Geschlechts offensteht, stünde im direkten Gegensatz zu den Zielen der Union im Bereich der Gleichheit und Diskriminierungsfreiheit.23 Steht Deutschland in der Pflicht, die vorgenannten Ziele der Union nicht zu gefährden, so stünde dies auch der skizzierten Neufassung von Art. 52 Abs. 2 AO entgegen. Vor dem Hintergrund der Maßstäbe des Unionsrechts und seiner Einflüsse auf die Ausgestaltung des nationalen Gemeinnützigkeitsrechts bestehen mithin begründete Zweifel , ob die in der Fragestellung angesprochene Neufassung von Art. 52 AO mit dem Unionsrecht vereinbar wäre. Ergänzend ist einerseits darauf hinzuweisen, dass sich entsprechende Erwägungen des EuGH gegen territoriale Begrenzungen der Steuervergünstigungen für gemeinnützige Zwecke24 richten,25 nicht aber gegen die Definitionsmacht der Mitgliedstaaten über die inhaltliche Festlegung allgemeinnütziger Zwecke. Andererseits muss der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet sein, damit die Verfassungsziele der Union Wirkung entfalten können. Läge der erforderliche grenzüberschreitende Sachverhalt vor, insbesondere durch eine Ausübung der Freizügigkeit im Rahmen der Grundfreiheiten und der Unionsbürgerschaft,26 so könnte der vorstehend genannte Zielkonflikt bspw. dazu führen, dass der Spende an einen in Deutschland als gemeinnützig aner- 23 Für eine dementsprechende Feststellung im Bereich Forschung und technologische Entwicklung vgl. EuGH, Rs. C-39/04 (Laboratoires Fournier), Rn. 23. 24 Bspw. ein inlandsbezogenes Verständnis der Allgemeinheit i.S.v. § 52 Abs. 1 S. 2 AO, vgl. von Hippel, EuZW 2006, S. 614 (616 ff.). 25 Vgl. EuGH, Rs. C-386/04 (Stauffer), Rn. 30 ff.; EuGH, Rs. C-318/07 (Persche), Rn. 42 ff.; vgl. hierzu von Proff, IStR 2009, S. 371 (374). 26 Vgl. Reimer/Ribbrock, RiW 2005, S. 612 ff.; Helios/Schlotter, IStR 2006, S. 483 (485 ff.); Geibel, GPR 2010, S. 61 (62 ff.). Unionsrechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit von Vereinen mit selektiver Mitgliederstruktur Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 55/17 Seite 9 kannten Verein mit einem nach Geschlecht definierten Mitgliederkreis mangels „Förderung identischer Interessen der Allgemeinheit“27 in unionsrechtlich gerechtfertigter Weise28 die Abzugsfähigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat versagt bleibt.29 Die Anwendbarkeit der Norm auf reine Binnensachverhalte bliebe jedoch hiervon unberührt und ist nach nationalem Recht30 zu bewerten. - Fachbereich Europa - 27 EuGH, Rs. C-386/04 (Stauffer), Rn. 40, 48. 28 Vgl. EuGH, Rs. C-386/04 (Stauffer), Rn. 43 ff.; EuGH, Rs. C-318/07 (Persche), Rn. 51 ff. 29 Vgl. EuGH, Rs. C-386/04 (Stauffer), Rn. 48; EuGH, Rs. C-318/07 (Persche), Rn. 47 ff.; Hufeld, GPR 2009, S. 121 (126); Helios/Schlotter, IStR 2006, S. 483 (485 ff.); von Proff, IStR 2009, S. 371 (377). 30 Vgl. hierzu Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 069/17 vom 11. August 2017.