© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 54/17 Unionsrechtliche Fragen zum Vorschlag zur Einführung einer „Euro- Dividende“ Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 2 Unionsrechtliche Fragen zum Vorschlag zur Einführung einer „Euro-Dividende“ Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 54/17 Abschluss der Arbeit: 15. August 2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vorschlag zur Einführung einer „Euro-Dividende“ 4 3. Kontext des Vorschlags 4 4. Unionsrechtliche Fragen bezüglich der einnahmenseitigen Aspekte des Vorschlags 6 4.1. Vorbemerkung 6 4.2. Mehrwertsteuer-Eigenmittel als Teil des EU-Haushalts 7 4.2.1. Eigenmittelsystem 7 4.2.2. Mehrwertsteuersystem 8 4.2.3. MwSt-Eigenmittel 9 4.3. Erforderliche Änderungen zur Einführung einer „Euro-Dividende“ 9 4.3.1. Vorbemerkung 9 4.3.2. Änderungen des MwSt-Systems und des Eigenmittelsystems 9 4.3.3. Verfassungsrechtliche Aspekte 9 5. Unionsrechtliche Fragen bezüglich der ausgabenseitigen Aspekte des Vorschlags 10 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung erörtert unionsrechtliche Fragen in Bezug auf den von Philippe van Parijs formulierten Vorschlag zur Einführung einer „Euro-Dividende“.1 Die Ausarbeitung setzt sich mit dem unionsrechtlichen Rahmen bezüglich der einnahmen- und ausgabenseitigen Aspekte des Vorschlags auseinander. Hierbei ist anzumerken, dass diese Aspekte im Vorschlag nur vage umrissen werden. Mangels einer konkreten Substantiierung kann die vorliegende Ausarbeitung nur den allgemeinen Rahmen des Unionsrechts darstellen, in dem sich der Vorschlag bewegt. Die Ausarbeitung geht nicht auf die (rechts-)politischen Ausführungen des Vorschlags zur Begründung der Notwendigkeit der Einführung einer „Euro-Dividende“ ein. 2. Vorschlag zur Einführung einer „Euro-Dividende“ Der vorliegende Vorschlag skizziert die Idee der Einführung einer „Euro-Dividende“. Danach soll „jeder Person, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der Europäischen Union oder einem der Mitgliedstaaten hat, die den Euro entweder eingeführt haben oder dies in Kürze tun werden“,2 ein Grundeinkommen von durchschnittlich 200 Euro pro Monat gezahlt werden. Durch dieses Grundeinkommen soll jedem Einwohner eine universelle, bedingungslose Basis geboten werden, die nach Belieben durch Arbeitseinkommen, Kapitalerträge oder Sozialleistungen ergänzt werden könne. Der Vorschlag sieht vor, das Grundeinkommen differenziert auszugestalten: Je nach Lebenshaltungskosten könne sein Niveau von Land zu Land variieren, für jüngere Menschen niedriger und für Ältere höher ausfallen. Die „Euro-Dividende“ von durchschnittlich 200 Euro pro Monat für alle in der EU ansässigen Personen soll über die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer finanziert werden. Hierzu sieht der Vorschlag vor, „die harmonisierte Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage der EU mit einem Satz von etwa 20 Prozent“ zu besteuern.3 3. Kontext des Vorschlags Auf EU-Ebene lassen sich keine konkreten Gesetzgebungsvorschläge ausmachen, die dem Konzept einer „Euro-Dividende“ entsprechen. Jedoch lässt sich der Vorschlag anderen, im Folgenden beispielhaft aufgeführten Entwürfen und Forderungen zur Einführung eines EU-weiten Grundeinkommens im Kontext der sozialen Integration der EU zuordnen. 1 Vorschlag abrufbar unter https://www.socialeurope.eu/the-euro-dividend. 2 „It consists of paying a modest basic income to every legal resident of the European Union, or at least of the subset of member states that either have adopted the Euro or are committed to doing so soon.“ 3 „It is to be financed by the Value Added Tax. To fund a Euro-dividend averaging 200 Euros per month for all EU residents, one needs to tax the EU’s harmonized VAT base at a rate of about 20%, which amounts to close to 10% of the EU’s GDP.“ Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 5 So hat beispielsweise das Europäische Parlament (EP) die Europäische Kommission in seiner Entschließung vom 8. Oktober 20084 im Rahmen seiner Erwägungen betreffend „Gewährleistung ausreichender Zuwendungen, um allen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen zu können“ aufgefordert, „die armutsbekämpfende Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens für alle zu prüfen“. In seiner Entschließung vom 20. Oktober 20105 hat das EP die Auffassung vertreten, „dass die verschiedenen Erfahrungen mit Mindesteinkommen sowie mit dem bedingungslosen Grundeinkommen für alle, gepaart mit zusätzlichen Maßnahmen zur sozialen Einbeziehung und zum sozialen Schutz, zeigen, dass es sich um wirksame Formen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung und zur Gewährleistung eines Lebens in Würde für alle handelt“. In dieser Entschließung hat das EP die Kommission aufgefordert, „eine Initiative zur Unterstützung anderer Erfahrungen in den Mitgliedstaaten auf den Weg zu bringen, die bewährte Verfahren berücksichtigen und anregen und individuell verschiedener Modelle des angemessenen Armut verhindernden Mindest- bzw. Grundeinkommens als Maßnahme zur Armutsprävention und zur Sicherung der sozialen Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle Bürger, deren Bedürftigkeit im jeweiligen regionalen Maßstab nachzuweisen ist, bejahen, ohne die Besonderheiten der einzelnen Mitgliedstaaten in Frage zu stellen“. Die Initiative der Kommission soll nach Auffassung des EP in der Ausarbeitung eines Aktionsplans münden, der die Umsetzung einer europäischen Initiative zum Mindesteinkommen in den Mitgliedstaaten unter Achtung der unterschiedlichen nationalen Gepflogenheiten, tarifvertraglicher Vereinbarungen und der nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten flankieren soll und der Erreichung bestimmter Ziele dient. Zudem fordert das EP die Kommission in seiner Entschließung vom 20. Oktober 2010 auf zu prüfen, „wie verschiedene Modelle bedingungsloser und der Armut vorbeugender Grundeinkommen für alle zur gesellschaftlichen , kulturellen und politischen Eingliederung beitragen könnten, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, dass sie nicht stigmatisierend wirken und geeignet sind, Fälle von verschleierter Armut zu vermeiden“. Auf der Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die wirtschaftspolitische Steuerung der Europäischen Union vom 20. bis 22. Januar 2014 wurde von mehreren nationalen Abgeordneten die Einführung eines einheitlichen europäischen Mindestlohns bzw. eines staatlich festzusetzenden Grundeinkommens vorgeschlagen.6 4 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Oktober 2008 zur Förderung der sozialen Integration und die Bekämpfung der Armut, einschließlich der Kinderarmut, in der EU (2008/2034(INI)), ABl. C 9E vom 15.1.2010, S. 11, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52008IP0467&from=DE. 5 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20. Oktober 2010 zu der Bedeutung des Mindesteinkommens für die Bekämpfung der Armut und die Förderung einer integrativen Gesellschaft in Europa (2010/2039(INI)), ABl. C 70E vom 8. März 2012, S. 8, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010IP0375&qid=1502724796238&from=DE. 6 Vgl. BT-Drs. 18/2120, S. 7. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 6 In ihrem Reflexionspapier zur sozialen Dimension Europas vom 26. April 20177 hat die Kommission dargelegt, dass alle Länder aufgerufen seien, „im nationalen oder europäischen Kontext innovativ zu werden. Von der Erprobung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Finnland bis hin zu einer Grundeinkommens-Garantie in Griechenland nimmt die Bereitschaft zu, neue Modelle zu testen, um auf neue Realitäten zu reagieren.“ Im Juni 2017 haben der Rat und die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten , das EP und die Kommission gemeinsam erklärt:8 „Zur Beseitigung von Ungleichheiten werden die EU und ihre Mitgliedstaaten außerdem effiziente, nachhaltige und gerechte Sozialschutzsysteme unterstützen, um ein Grundeinkommen sicherzustellen, Rückfälle in die extreme Armut zu verhindern und die Resilienz zu fördern. Sie werden sich mit den für wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten relevanten Faktoren und Trends befassen und ihre Instrumente und Konzepte stärker auf die Bekämpfung von Ungleichheiten ausrichten.“ Darüber hinaus wurden auf Grundlage von Art. 11 Abs. 4 EUV, Art. 24 AEUV Europäische Bürgerinitiativen zur Einführung eines Grundeinkommens angestoßen.9 4. Unionsrechtliche Fragen bezüglich der einnahmenseitigen Aspekte des Vorschlags 4.1. Vorbemerkung Der Vorschlag wird vorliegend so verstanden, dass die „Euro-Dividende“ durch die EU an alle in der EU-Ansässigen geleistet werden soll. Der Vorschlag ist insoweit weder eindeutig noch widerspruchsfrei . Bezüglich des Kreises der Leistungsberechtigten stellt der Vorschlag zunächst auf alle Personen ab, „die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der Europäischen Union oder einem der Mitgliedstaaten [haben], die den Euro entweder eingeführt haben oder dies in Kürze tun werden“. Dies umfasst dem Wortlaut nach neben Unionsbürgern auch Drittstaatsangehörige, die in einem EU-Mitgliedstaat rechtmäßig ansässig sind. Auf diesen Personenkreis lassen sich die im Vorschlag skizzierten Erwägungen zur Migration zwischen den Mitgliedstaaten nicht in gleicher Weise anwenden. Zudem stellt der Vorschlag später auf die Verteilung der Vorteile der europäischen Integration „unter der europäischen Bevölkerung“ ab, was wiederum eine Beschränkung der „Euro-Dividende“ auf den Kreis der Unionsbürger nahelegt. Zudem bleibt fraglich, warum der Vorschlag eingangs auf die Ansässigkeit eines Leistungsberechtigten in einem Mitgliedstaat des Euroraums bzw. einem diesem Raum in Kürze beitretenden Mitgliedstaat abstellt, ohne dass diese Differenzierung im Folgenden weiter aufgegriffen wird. Insofern stellt sich die Frage nach dem Titel des vorgeschlagenen Grundeinkommens, wenn dieses 7 KOM(2017) 206 final, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:cea6403b-2b4c-11e7- 9412-01aa75ed71a1.0018.02/DOC_1&format=PDF. 8 ABl. C 210 vom 30. Juni 2017, S. 1, Rn. 37, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:42017Y0630(01)&qid=1502724796238&from=DE. 9 Vgl. http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives/obsolete/details/2013/000001; http://ec.europa .eu/citizens-initiative/public/documents/1210 sowie http://basicincome2013.eu/de/ und http://www.ebigrundeinkommen .de/. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 7 nicht mit der Integration der Wirtschafts- und Währungsunion verbunden ist, sondern auf alle in der EU ansässigen Personen gleichermaßen Anwendung finden soll. Wenn der Kreis der Leistungsberechtigten hingegen auf die in einem (künftigen) Euro-Mitgliedstaat ansässigen Personen beschränkt wäre, so würfe dies einerseits Fragen nach der Konsistenz der Vorschlagsbegründung, insbesondere im Hinblick auf die Erwägungen zur Migration und der Verteilung der EU-weiten Integrationsgewinne auf. Andererseits stellte sich die Frage nach einer gleichheitsgerechten und diskriminierungsfreien Ausgestaltung der „Euro-Dividende“, der mangels einer weitergehenden Substantiierung des Vorschlags vorliegend nicht nachgegangen werden kann. Sofern der Kreis der Leistungsberechtigten einer „Euro-Dividende“ alle Unionsbürger umfasst, bestünde bei einer gegenwärtigen Gesamtbevölkerung in der EU von 511,81 Mio. Personen10 und einer durchschnittlich in Höhe von 200 Euro pro Person zu zahlenden „Euro-Dividende“ ein monatlicher Finanzierungsbedarf in Höhe von 102,362 Mrd. Euro und mithin ein jährlicher Finanzierungsbedarf von 1,228 Bill. Euro. Sofern sich der Kreis der Leistungsberechtigten auf die Staatsangehörigen der Euro-Mitgliedstaaten beschränkt, bestünde bei einer gegenwärtigen Gesamtbevölkerung im Euro-Währungsgebiet von 342,01 Mio. Personen11 und einer durchschnittlich in Höhe von 200 Euro pro Person zu zahlenden „Euro-Dividende“ ein monatlicher Finanzierungsbedarf in Höhe von 68,402 Mrd. Euro und mithin ein jährlicher Finanzierungsbedarf von 820,824 Mrd. Euro. 4.2. Mehrwertsteuer-Eigenmittel als Teil des EU-Haushalts 4.2.1. Eigenmittelsystem Der Haushalt der EU, der für das Jahr 2017 157,9 Mrd. Euro umfasst, wird aus Eigenmitteln und sonstigen Einnahmen finanziert (Art. 311 Abs. 2 AEUV). Der Begriff der Eigenmittel bezeichnet Finanzmittel, die selbständig durch das Unionsrecht bestimmt werden.12 Die Eigenmittelkategorien , dh die konkrete Auswahl der Finanzmittel, werden durch Beschluss gem. Art. 311 Abs. 3 AEUV festgelegt und durch die Eigenmittelobergrenze begrenzt.13 Der Beschluss 2014/335/EU, Euratom nennt vier Einnahmequellen für den EU-Haushalt, darunter der im Vorschlag für eine „Euro-Dividende“ angesprochene Satz der Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten. Ge- 10 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14035/umfrage/europaeische-union-bevoelkerung-einwohner/ sowie das Statista-Dossier zur Bevölkerung in der Europäischen Union und der Euro-Zone, abrufbar unter https://de.statista.com/statistik/studie/id/24756/dokument/bevoelkerung-in-eu-und-euro-zone-statista-dossier/. 11 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14035/umfrage/europaeische-union-bevoelkerung-einwohner/. 12 Häde, Finanzausgleich, 1996, 432 ff.; Streinz/Niedobitek, EUV/AEUV, Art. 311 AEUV Rn. 5 ff. 13 Vgl. Beschluss 2014/335/EU, Euratom (ABl. 2014 L 168, 105) sowie hierzu KOM(2011) 510 endg. iVm KOM(2011) 511 endg., KOM(2011) 512 endg. Zur Entwicklung des Systems der Eigenmittelfinanzierung vgl. BT-Drs. 16/7686, 15 ff.; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Bieber, Europäisches Unionsrecht, Art. 311 AEUV Rn. 16 ff.; Häde, Finanzausgleich, 1996, 425 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 8 mäß Art. 2 Abs. 1 lit. b iVm Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses 2014/335/EU wird auf die harmonisierte MwSt.-Bemessungsgrundlage jedes EU-Mitgliedstaates ein einheitlicher Satz von 0,3 %14 angewandt. Die für diese Zwecke heranzuziehende Bemessungsgrundlage darf 50 % des in Art. 2 Abs. 7 Beschluss 2014/335/EU definierten Bruttonationaleinkommens (BNE) eines jeden Mitgliedstaats nicht überschreiten.15 Die sich aus Abgabenerhebungen ergebenden Eigenmittel der EU werden von den Mitgliedstaaten nach den innerstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben, die ggf. den Unionsregeln zur Durchführung des Systems der Eigenmittel (Art. 311 Abs. 4 und Art. 322 Abs. 2 AEUV) anzupassen sind (vgl. Art. 8 Beschluss 2014/335/EU, Euratom sowie Art. 2 Verordnung (EU, Euratom) Nr. 608/2014). 4.2.2. Mehrwertsteuersystem Mit Blick auf die Ziele, das Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, wird die Erhebung der MwSt in den Mitgliedstaaten als indirekte Steuer auf Grundlage von Art. 113 AEUV (zuvor Art. 93 EGV) durch die Richtlinie 2006/112/EG (im Folgenden: MwSt-RL)16 harmonisiert. Danach unterliegen alle Umsätze, die in der EU gegen Entgelt durch einen Steuerpflichtigen erwirtschaftet werden sowie Einfuhren durch solche Personen der MwSt. Die Bemessungsgrundlage der MwSt umfasst bei der Lieferung von Gegenständen und der Erbringung von Dienstleistungen und dem innereuropäischen Erwerb von Gegenständen alle Zahlungen, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer als Gegenleistung erhält. Dabei beruht das Regime der Umsatzbesteuerung im Binnenmarkt für grenzüberschreitende gewerbliche Lieferungen auf dem modifizierten Bestimmungslandprinzip sowie für den Privatverbrauch grundsätzlich auf dem Ursprungslandprinzip. Ungeachtet der Anwendung von ermäßigten Steuersätzen und MwSt-Befreiungen sieht die MwSt-RL in allen EU-Mitgliedstaaten für Gegenstände und Dienstleistungen einen Mindestnormalsatz von 15 % vor. Gegenwärtig liegt der niedrigste MwSt-Satz in einem Mitgliedstaat bei 18 %, der höchste MwSt-Satz liegt bei 27 %.17 14 Hiervon abweichend wird der Abrufsatz der MwSt.-Eigenmittel für Deutschland, die Niederlande und Schweden für den Zeitraum 2014-2020 auf 0,15 % festgesetzt, Art. 2 Abs. 4 UAbs. 2 Beschluss 2014/335/EU. 15 D.h. das BNE eines Jahres zu Marktpreisen, wie es von der Kommission in Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 549/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (ESVG 2010) errechnet wird. 16 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006L0112&from=DE; zu den Änderungen der MwSt-Richtlinie vgl. im Überblick http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=celex:32006L0112. 17 Vgl. die Übersicht über die MwSt-Sätze in den Mitgliedstaaten mit Stand vom 1. Januar 2017 unter https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/resources/documents/taxation /vat/how_vat_works/rates/vat_rates_en.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 9 4.2.3. MwSt-Eigenmittel Auf Grundlage der durch die Mitgliedstaaten erhobenen MwSt und des hierauf gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b, Abs. 4 Beschluss 2014/335/EU anzuwendenden Abrufsatzes ergaben sich für den Haushalt 2015 für die EU MwSt-Eigenmittel in Höhe von 18,087 Mrd. Euro,18 die damit 12,3 % des Gesamthaushalts der EU ausmachten. 4.3. Erforderliche Änderungen zur Einführung einer „Euro-Dividende“ 4.3.1. Vorbemerkung Zur Einführung einer „Euro-Dividende“ erscheint eine Änderung des gegenwärtigen Eigenmittelsystems sowie des MwSt-Systems erforderlich, um die notwendigen Einnahmen aus den MwSt- Eigenmitteln generieren zu können. Diesbezüglich ist anzumerken, dass der Vorschlag hinsichtlich der Maßnahmen zur Finanzierung einer „Euro-Dividende“ nicht eindeutig ist. So wird auf eine entsprechende Erhöhung der innerstaatlichen Steuersätze auf 20 % hingewiesen, wobei dieser „nicht auf die unveränderten Mehrwertsteuersätze aufgeschlagen werden“ müsste. Unklar ist, ob sich der Vorschlag lediglich auf eine Reform des MwSt-Systems oder (auch) auf die staatlichen MwSt-Einnahmen als Teil des EU-Eigenmittelsystems bezieht. Vor diesem Hintergrund können im Folgenden mögliche Schritte zur Einführung einer „Euro-Dividende“ lediglich umrissen werden. 4.3.2. Änderungen des MwSt-Systems und des Eigenmittelsystems Bezüglich des MwSt-Systems bzw. der MwSt-Richtlinie könnte dies im besonderen Gesetzgebungsverfahren (Art. 113 AEUV) eine Anhebung des Mindestnormalsatzes von 15 % auf 20 % sowie Änderungen bzw. Aufhebungen der ermäßigten Steuersätze und MwSt-Befreiungen betreffen . Unionsrechtlich stellt sich hierbei die Frage nach den in Art. 113 AEUV normierten Anforderungen und Grenzen für eine Harmonisierung der indirekten Steuern.19 Darüber hinaus wäre eine Änderung des Eigenmittelsystems erforderlich, um einen umfassenderen Zugriff der EU auf die MwSt-Einnahmen zu ermöglichen. Ausgehend von diesbezüglichen Regelungen im Beschluss 2014/335/EU, Euratom beträfe dies insbesondere eine Anhebung des Abrufsatzes. 4.3.3. Verfassungsrechtliche Aspekte Mit Blick auf die erforderlichen Änderungen des Eigenmittelsystems ist darauf hinzuweisen, dass dessen primärrechtliche Regeln keine eigenständige Finanzierungshoheit und insbesondere keine originären Besteuerungsbefugnisse der EU begründen. Entsprechend dem Grundsatz der 18 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163677/umfrage/einnahmequellen-der-eu/ sowie http://ec.europa .eu/budget/figures/interactive/index_de.cfm; für das Haushaltsjahr 2017 vgl. Endgültiger Erlass (EU, Euratom ) 2017/292 des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2017, ABl. L 51 vom 28. Februar 2017, S. 16, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017B0292&from=DE. 19 Vgl. Seiler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 60. Ergänzungslieferung 2016, Art. 113 AEUV, Rn. 27 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 10 begrenzten Einzelermächtigung liegt das Letztentscheidungsrecht bei der Beschlussfassung über das Eigenmittelsystem bei den Mitgliedstaaten. Der Eigenmittelbeschluss tritt erst in Kraft, nachdem ihm alle Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften zugestimmt haben. Mit Blick auf die parlamentarische Integrationsverantwortung für die Ausgestaltung des Eigenmittelsystems erfordert die Zustimmung zu einem Eigenmittelbeschluss des Rates gem. Art. 311 Abs. 3 AEUV der Zustimmung durch Gesetz gem. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG iVm § 3 Abs. 1 IntVG und Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG 20 bzw. gegebenenfalls gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 iVm Art. 79 Abs. 2 GG.21 Insofern dürfte zu beachten sein, dass die MwSt (bzw. Umsatzsteuer) mit ihrem Aufkommen von 106,529 Mrd. Euro einen Anteil von 33,6 % der gesamten Einnahmen des Bundes im Jahr 2016 ausgemacht hat.22 Bei einem ansonsten unveränderten Eigenmittelsystem der EU, insbesondere im Hinblick auf die BNE-Eigenmittel, stellte sich bei einem Abrufsatz von derzeit 0,3 % auf 20% auf die erhobenen MwSt die Frage nach den Bedingungen und Grenzen der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit des Verfassungsstaates im Rahmen der europäischen Integration Deutschlands.23 5. Unionsrechtliche Fragen bezüglich der ausgabenseitigen Aspekte des Vorschlags Ausgabenseitig wird die Politik der EU determiniert durch den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR). Dieser legt die politischen Prioritäten der EU in finanzieller Hinsicht sowie die jährlichen Höchstbeträge fest, die von der EU in den einzelnen Politikfeldern während der Laufzeit des MFR ausgegeben werden dürfen. Zugleich soll der MFR als Rahmen für die Finanzplanung und die Haushaltsdisziplin sicherstellen, dass die Ausgaben der EU vorhersehbar sind und innerhalb der vereinbarten Grenzen bleiben. Der aktuelle, im Dezember 2013 verabschiedete MFR umfasst die Jahre von 2014 bis einschließlich 2020 und beläuft sich auf 960 Mrd. Euro an Verpflichtungen sowie 908,4 Mrd. Euro an Zahlungen für den 7-Jahres-Zeitraum, ausgedrückt in Preisen von 2011.24 Im Rahmen des MFR und unter Beachtung seiner Festlegungen wird die Entscheidung über den Haushalt der EU für jedes Haushaltsjahr getroffen (vgl. Art. 310, 313 ff. AEUV). Hierzu legt die Kommission einen Haushaltsentwurf vor, der vom Rat und EP in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren (Art. 314 AEUV) angenommen werden muss. Die Einführung einer „Euro- Dividende“ setzt demnach eine entsprechende Änderung des MFR und Festlegung im jeweiligen 20 Zur Zustimmung durch Gesetz v. 28.5.2015 (BGBl. 2015 II 798) vgl. BT-Drs. 18/4047, 18/4409. 21 Vgl. Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen, 2. Auflage 2017, § 7, Rn. 105 f. 22 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74052/umfrage/steuereinnahmen-des-bundes/. 23 Vgl. BVerfGE 129, 124 (167 ff.); 129, 124 (171 f.); 130, 318 (345); 132, 195 (239 f.); 135, 317 (400). 24 Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1311/2013 des Rates vom 2. Dezember 2013 zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014–2020, ABl. L 347 vom 20. Dezember 2013, S. 884, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R1311&qid=1502802211833&from=DE, geändert durch die Verordnung (EU, Euratom) 2015/623 des Rates vom 21. April 2015 zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1311/2013 zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014-2020, ABl. L 103 vom 22. April 2015, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0623&from=DE. Zur Halbzeitüberprüfung des aktuellen MFR vgl. KOM(2016)601-608 endg; KOM(2016)597endg; KOM(2016)615 endg. sowie im Überblick http://ec.europa .eu/budget/mff/figures/index_de.cfm. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/17 Seite 11 Haushalt unter Wahrung der Haushaltsgrundsätze der EU,25 insbesondere des Prinzips des Haushaltsausgleichs (Art. 310 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV), voraus. Darüber hinaus erfordert die Einführung einer „Euro-Dividende“ eine sekundärrechtliche Festlegung des Grundeinkommens, bspw. bezüglich der Bestimmung der Leistungsempfänger und der Modalitäten der Auszahlung. Ebenso wie bei der Festlegung der Einnahmen wird der Entscheidungsspielraum des Unionsgesetzgebers dabei durch den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung kompetenziell beschränkt. Mit Blick auf die Erwägungen des Vorschlags zur Mobilität der Unionsbürger kommt insoweit Art. 20 Abs. 3 AEUV als Ermächtigungsgrundlage in Betracht. Danach kann die EU Maßnahmen treffen, die auf eine Erleichterung der Ausübung der Freizügigkeit abzielen, die sich auf die soziale Sicherheit und den sozialen Schutz beziehen. Indem eine „Euro-Dividende“ nicht an die tatsächliche Ausübung der Unionsbürgerfreizügigkeit anknüpft, sondern allgemein auf eine „soziale Solidarität“ und Umverteilung der Gewinne der europäischen Integration abzielt, erscheint bereits zweifelhaft, ob das Grundeinkommen auf Art. 21 Abs. 3 AEUV gestützt werden kann. Zudem ist die Ausübung der Freizügigkeit gem. Art. 20 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 21 Abs. 1 AEUV durch die Beschränkungen und Bedingungen des Unionsrechts begrenzt. Als Gewährleistungsrecht bedingt Art. 21 AEUV einen Gleichbehandlungsanspruch bezüglich staatlicher Regelungen und Leistungen, auch im Hinblick auf existenzsichernde Leistungen,26 wobei eine Differenzierung der Leistungsempfänger nach ihrem unterschiedlichen Aufenthaltsstatus gerechtfertigt ist. Art. 21 Abs. 3 AEUV impliziert hingegen kein Recht auf voraussetzungslose Leistung.27 Aufgrund auf die sozialpolitischen Erwägungen des Vorschlags kommt zudem Art. 153 AEUV als Ermächtigungsgrundlage in Betracht. Hier erscheint zweifelhaft, ob die „Euro-Dividende“ in ihrer skizzierten Form als Maßnahme zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung in der EU Union (Art. 153 Abs. 1 lit. j AEUV) betrachtet werden kann, da sie ausdrücklich nicht den in Hinblick auf Art. 151 AEUV erforderlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsleben aufweist.28 Entsprechendes ist anzunehmen für die Annahme einer Maßnahme zur Modernisierung der Systeme des sozialen Schutzes (Art. 153 Abs. 1 lit. k AEUV). Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Einführung einer „Euro-Dividende “ als Maßnahme zur Unterstützung der Mitgliedstaaten (Art. 153 Abs. 2 lit. a AEUV) oder als Mindestvorschrift (Art. 153 Abs. 2 lit. b AEUV) qualifiziert werden kann. Zusammenfassend erscheint zweifelhaft, ob das gegenwärtige Primärrecht der EU über hinreichende Grundlagen zur Einführung eines voraussetzungslosen Grundeinkommens in Form der vorgeschlagenen „Euro-Dividende“ verfügt. - Fachbereich Europa - 25 Vgl. Waldhoff, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 310 AEUV, Rn. 20 ff. 26 Vgl. LSG NRW, Beschluss vom 21. Juni 2017, L 12 AS 807/17 B ER, Rn. 31; BSG, Urteil vom 09. März 2016, B 14 AS 20/15 R, Rn. 31. 27 Vgl. EuGH, Rs. C-67/14 (Alimanovic), Rn. 40 ff. 28 Benecke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 60. Ergänzungslieferung 2016, Art. 153 AEUV, Rn. 96.