© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 54/15 Zur Vereinbarkeit des Klimaschutzbeitrags mit Art. 193 AEUV und dem EU-Beihilferecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 2 Zur Vereinbarkeit des Klimaschutzbeitrags mit Art. 193 AEUV und dem EU-Beihilferecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 54/15 Abschluss der Arbeit: 26. Juni 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 5 2. Kurzdarstellung des BMWi-Vorschlags zur Einführung eines nationalen Klimaschutzbeitrags und der britischen Regelung 5 2.1. BMWi-Vorschlag 5 2.2. Britische Regelung 6 3. Zur Vereinbarkeit mit Art. 193 AEUV 7 3.1. Klimabeitrag im Lichte der Emissionshandelsrichtlichtlinie 9 3.1.1. Vorgaben zum Entsprechungsverhältnis von Zertifikaten und Emissionen 9 3.1.2. Vorgaben zur Verwendung von Zertifikaten in anderen (nationalen) Systemen 10 3.1.3. Vorgaben bezüglich (un-)zulässiger Ungleichbehandlung von Stromerzeugern? 11 3.1.4. Vorgaben im Zusammenhang mit der Kommissionszuständigkeit für die Zuteilung von Zertifikaten 13 3.2. Klimaschutzbeitrag im Lichte des Art. 193 AEUV 13 3.2.1. Einschränkung der Anwendung des Art. 193 AEUV im Einzelfall? 14 3.2.2. Schutzmaßnahme nach Art. 192 AEUV 15 3.2.3. Notifizierung bei der Kommission 15 3.2.4. (Nationaler) Klimabeitrag als verstärkte Schutzmaßnahme 16 3.2.4.1. Anforderungen an verstärkte Schutzmaßnahmen 16 3.2.4.1.1. Rechtsprechung 16 3.2.4.1.2. Schrifttum 18 3.2.4.2. Anwendung auf Klimabeitrag 19 3.2.4.2.1. Besonderheiten der Emissionsrichtlinie als Schutzmaßnahme im Sinne des Art. 192 AEUV 19 3.2.4.2.2. Klimabeitrag als zulässige Verstärkung 19 3.2.4.2.3. Zielgleichlauf von verstärkter und EU-Schutzmaßnahme 22 3.2.4.2.4. Übergriff verstärkter Schutzmaßnahmen auf andere Mitgliedstaaten 24 3.2.4.2.5. Zwischenergebnis 25 3.2.5. Vereinbarkeit mit den Verträgen 26 3.2.5.1. Zum Prüfungsumfang 26 3.2.5.2. Grundfreiheiten 27 3.2.5.2.1. Warenverkehrsfreiheit 27 3.2.5.2.2. Niederlassungsfreiheit 28 3.2.5.3. EU-Grundrechte 31 3.2.5.3.1. Zur Anwendbarkeit von EU-Grundrechten 31 3.2.5.3.2. Beeinträchtigung von Vorrang, Einheit und Wirksamkeit des Unionsrechts? 32 3.2.5.3.3. Beeinträchtigung des Schutzniveaus der Charta der Grundrechte? 32 3.2.5.3.4. Zwischenergebnis 34 3.2.5.4. Industrie-Emissionsrichtlinie 34 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 4 3.3. Ergebnis 35 4. Zur Vereinbarkeit mit EU-Beihilferecht 36 4.1. Selektive Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV? 37 4.2. Keine Staatlichkeit der Mittel im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV 37 4.3. Ergebnis 39 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 5 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund des im März dieses Jahres vorgelegten Vorschlags des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zur Einführung eines nationalen Klimaschutzbeitrags für die deutsche Stromerzeugung (BMWi-Vorschlag)1 wird der Fachbereich Europa um eine europarechtliche Bewertung der folgenden beiden Fragen gebeten: 1. Wären eine nationale Verpflichtung zum Ankauf und zur Löschung von EU-Emissionsberechtigungen und die damit verbundene einseitige Verminderung des europäischen CO2-Budgets (Verstoß gegen die Regelung „Eine Emission = Ein Zertifikat“) europarechtskonform gemäß Art. 193 AEUV und gibt es in Großbritannien eine entsprechende Regelung? 2. Steht die angedachte einseitige nationale Sonderabgabe im Widerspruch zum EU-Beihilferecht und dem weit gefassten Beihilfebegriff gemäß Art. 107 AEUV, wenn andere Energieträger nicht betroffen sind? Nach einer kurzen Darstellung des BMWi-Vorschlags einschließlich der in Bezug genommenen britischen Regelung (siehe unter 2.) wird der Vereinbarkeit des Klimaschutzbeitrags mit Art. 193 AEUV (siehe unter 3.) und dem EU-Beihilferecht (siehe unter 4.) nachgegangen. 2. Kurzdarstellung des BMWi-Vorschlags zur Einführung eines nationalen Klimaschutzbeitrags und der britischen Regelung 2.1. BMWi-Vorschlag Kern des BMWi-Vorschlags ist eine Verpflichtung für Betreiber stromerzeugender Anlagen bei Überschreitung eines vorgegebenen (Emissions-)Freibetrags, Emissionszertifikate abgeben zu müssen, die dann von der Bundesregierung gelöscht werden.2 Diese Verpflichtung soll neben und damit zusätzlich zur Abgabepflicht nach der sog. Emissionshandelsrichtlinie3 (im Folgenden auch: ETS-RL) treten. Im Ergebnis würden die betroffenen Anlagebetreiber für die über dem Freibetrag liegenden Tonnen CO2-Emissionen mehr als ein Emissionszertifikat pro Tonne abgeben 1 BMWi, Der nationale Klimaschutzbeitrag der deutschen Stromerzeugung – Ergebnisse der Task-Force „CO2-Minderung “ vom März 2015, online abrufbar unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/der-nationaleklimaschutzbeitrag -der-deutschen-stromerzeugung,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (letztmaliger Abruf vom 29.06.15). 2 Siehe hierzu und den nachfolgenden Ausführungen den BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1). Vgl. dazu auch den EU- Sachstand „Klimaschutzbeitrag für ältere Kohlekraftwerke – Europarechtlicher Zusammenhang“ vom 08.05.2015, online abrufbar unter http://www.bundestag.btg/Wissen/Europa/Sachstandsberichte /2015/PA09/EU-Sachstand_Klimaschutzbeitrag.pdf (letztmaliger Abruf vom 29.06.15). 3 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft […], ABl.EU 2003 Nr. L 275/32, mehrfach geändert, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02003L0087-20140430&qid=1430304164847&from=DE (letztmaliger Abruf am 29.06.15). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 6 müssen, obgleich ein solches Verhältnis in Art. 3 Buchst. a und Art. 12 Abs. 3 ETS-RL vorgesehen ist. Ziel und Anliegen des BMWi-Vorschlags ist eine zusätzliche Minderung von CO2-Emissionen im Bereich der (fossilen) Stromerzeugungsbranche um 22 Mio. t CO2 bis 2020.4 Hierdurch soll das nationale Klimaschutzziel für das Jahr 2020 erreicht werden, welches eine Reduktion der Treibhausgase um 40% gegenüber 1990 vorsieht. Nach Einschätzung des BMWi könne allein mit den bisher eingesetzten Instrumenten, insbesondere auch dem Emissionshandelssystem nach der Emissionshandelsrichtlinie, das Ziel nicht erreicht werden. Durch die Einführung eines Freibetrags und die Verpflichtung zur zusätzlichen Abgabe von Emissionszertifikaten werde für Anlagebetreiber ein Anreiz entstehen, den Freibetrag einzuhalten und hierdurch CO2-Emissionen zu sparen. Dabei wurde der Freibetrag so angesetzt, dass vor allem Anlagen mit hohen Emissionswerten (insb. Braunkohle) von einer möglichen Überschreitung betroffen sind. Das hierdurch erreichte Sparvolumen stellt – soweit ersichtlich – den Klimaschutzbeitrag der deutschen Stromerzeugungsbranche dar, während ggf. die zusätzlich abzugebenden Emissionszertifikate bei Überschreitung des Freibetrags im BMWi-Vorschlag als „Klimabeitrag“ bezeichnet werden.5 2.2. Britische Regelung Einen Anreiz zur Emissionsreduzierung verfolgt auch die durch den Auftraggeber in Bezug genommene britische Regelung eines sog. carbon price floor (CPF).6 Sie beruht auf einem Mindestpreismechanismus für eine Tonne CO2-Emissionen, der zum 1. April 2013 eingeführt wurde. Der Mindestpreis setzt sich aus zwei Elementen zusammen: dem Preis für ein Emissionszertifikat im Rahmen des Emissionshandelssystem und einem allein auf britischen Recht beruhenden Wert, dem sog. carbon price support (CPS). Der CPS-Wert des carbon price floor dient zugleich als Berechnungsgrundlage für eine steuerrechtliche Abgabe, die ebenfalls als CPS bezeichnet und Anlagenbetreibern für den Einsatz fossiler Energieträger bei der Stromerzeugung auferlegt wird. Diese (steuerliche) Abgabe ist Teil der sog. Climate Change Levy.7 Der Mindestpreismechanismus ist so angelegt, dass sein Wert linear steigt. Bei der Ankündigung im Jahre 2011 wurde auf Grundlage der Zertifikatspreise im Jahre 2009 ein Wert von ca. 16£/t CO2-Emissionen für die Einführung in 2013 vorgegeben, der bis 2020 auf 30£/t CO2-Emissionen steigen soll. Da die aktuelle Preisentwicklung der Emissionszertifikate niedriger verläuft als bei Ankündigung des carbon price floor angenommen, kommt es zu einem stärkeren Anstieg der CPS-Rate und damit auch zu höheren britischen Abgaben für die betroffenen Energieerzeuger. Um die daraus folgenden Nachteile im europäischen Wettbewerb zu begrenzen, wurde der carbon price floor-Mechanismus durch Einführung eines Maximalwertes für das britische Element 4 Zu Einzelheiten des Freibetrags und seinen prognostizierten Auswirkungen siehe BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), Pkt. III. Der nationale „Klimabeitrag“. 5 Siehe o. Fn. 1, Pkt. III. Der nationale „Klimabeitrag“. 6 Siehe hierzu sowie den nachfolgenden Ausführungen die offiziellen Regierungsangaben unter https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/293849/TIIN_6002_7047_carbon _price_floor_and_other_technical_amendments.pdf (letztmaliger Abruf am 29.06.15). 7 Siehe hierzu die offiziellen Regierungsangaben unter https://www.gov.uk/green-taxes-and-reliefs/climatechange -levy (letztmaliger Abruf am 29.06.15). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 7 der CPS-Rate von 18£/t CO2-Emissionen reformiert. Hierdurch werden auch die daraus folgenden individuellen CPS-Abgabensätze begrenzt. Vergleicht man die britische Regelung und den BMWi-Vorschlag, so ist zunächst festzuhalten, dass der Klimaabgabe in Gestalt zusätzlich abzugebender Emissionszertifikate bei Überschreitung des Freibetrags die individuelle CPS-Abgabe gegenüber zu stellen ist, die Anlagenbetreibern für den Einsatz fossiler Energieträger bei der Stromerzeugung auferlegt wird. Der Anreiz, Emissionen zu reduzieren, soll im ersten Fall über die bei Übersteigung des Freibetrags drohende Abgabepflicht für zusätzliche Zertifikate erreicht werden. Im zweiten Fall geht er hingegen von der Abgabenlast aus. In der Konsequenz lässt die britische Regelung das Entsprechungsverhältnis von einem Zertifikat pro Tonne CO2-Emissionen somit unberührt. Sie knüpft nur insoweit an das Emissionshandelssystem an, als die Zertifikatspreise die Höhe des carbon price floor und damit auch die carbon price support-Rate (bis zum neu festgesetzten Maximalwert) bestimmen, die wiederum Berechnungsgrundlage für die individuelle CPS-Abgabe darstellt. Ausgehend von dem gleichen Ziel einer Anreizsetzung zur CO2-Emissionsreduzierung liegen beiden Ansätzen somit unterschiedliche Konstruktionen zugrunde. 3. Zur Vereinbarkeit mit Art. 193 AEUV Nach dem Wortlaut des Art. 193 S. 1 AEUV hindern die aufgrund des Art. 192 AEUV getroffenen Schutzmaßnahmen die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Diese Vorschrift eröffnet den Mitgliedstaaten folglich die Möglichkeit , über die Vorgaben eines auf Art. 192 AEUV gestützten Rechtsaktes hinauszugehen und für ihr Hoheitsgebiet geltende weitergehende Anforderungen zu statuieren.8 Die betreffenden Maßnahmen müssen nach Art. 193 S. 2 u. 3 AEUV allerdings mit den Verträgen vereinbar sein und von der Kommission notifiziert werden. Obgleich das Anliegen dieser Vorschrift eindeutig ist, bestehen hinsichtlich der konkreten Anwendung des Art. 193 AEUV Unklarheiten, die auch vorliegend von Bedeutung sind. Die nur wenigen Entscheidungen der Unionsgerichte, in denen diese Vertragsvorschrift bisher eine Rolle gespielt hat, sind stark einzelfallbezogen und enthalten entsprechend nur sehr wenige abstrakte 8 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 46 f., EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 32; EuGH, Urt. v. 22.06.2000, Rs. C-318/18 (Fornasar u. a.), Rn. 46, 48. Aus dem Schrifttum, siehe etwa Epiney, in: Landmann /Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, 74. Ergzlgf. 2014 (im Folgenden: Landmann/Rohmer), Art. 193 AEUV, Rn. 1; Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011 (im Folgenden: Calliess/Ruffert), Art. 193 AEUV, Rn. 1; Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012 (im Folgenden: Streinz), Art. 193 AEUV, Rn. 2. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 8 Vorgaben zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen.9 Dies gilt insbesondere für die Voraussetzungen einer zulässigen verstärkenden (nationalen) Schutzmaßnahme.10 Den konstitutiven Charakter der in Art. 193 AEUV geregelten Ermächtigung zum Erlass weitergehender nationaler Maßnahmen betonend, wird im Schrifttum das Erfordernis aufgestellt, wonach der betreffende Unionsakt den von der Abweichung betroffenen Bereich abschließend regeln bzw. eine Kollision zwischen den darin enthaltenen Vorgaben und der nationalen Verstärkungsmaßnahme gegeben sein muss.11 Die Rechtsprechung nimmt eine dahingehende gesonderte Prüfung des Regelungsverhältnisses von EU-Rechtsakt und nationaler Verstärkung nur zum Teil vor.12 In anderen Fällen prüft sie diese Frage dagegen als Aspekt der Schutzverstärkung.13 Im Ergebnis dürften jedoch keine Unterschiede bestehen, da eine verstärkte nationale Schutzmaßnahme überhaupt nur dann angenommen werden kann, wenn sie inhaltlich über die Vorgaben des Unionsakts hinausgeht und damit isoliert betrachtet mit ihnen nicht vereinbar ist. Nicht nur aus Gründen der Übersicht erscheint jedoch eine gesonderte Erörterung des Regelungsverhältnisses von Unionsakt und nationaler Schutzverstärkung vorzugswürdig. Einer Anwendung des Art. 193 AEUV bedarf es nämlich auch dann nicht, wenn die Unionsmaßnahme selbst mitgliedstaatliche Abweichungen zulässt.14 Aus diesem Grunde soll dem im Schrifttum postulierten Vor- 9 Soweit ersichtlich spielte Art. 193 AEUV bisher nur in den in Fn. 8 erwähnten Entscheidungen sowie in EuGH, Urt. v. 23.10.2001, Rs. C.510/99 (Tridon), Rn. 45, und EuGH, Urt. v. 25.06.1998, Rs. C-203/96 (Dusseldorp BV), Rn. 35 ff., eine tragende Rolle. Erwähnt wird sie darüber hinaus in EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO- Energo), Rn. 25. Zur geringen Bedeutung des Art. 193 AEUV in der Rechtsprechungspraxis, siehe auch Calliess, in: Calliess/Ruffert (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 2; L. Krämer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015 (im Folgenden: von der Groeben/Schwarze/Hatje), Art. 193 AEUV, Rn. 15. 10 Siehe dazu unten unter 3.2.4.1., S. 16 ff. 11 So die Deutungen im Schrifttum, vgl. etwa Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 7 f.; Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Ergzlfg. 2014 (im Folgenden : Grabitz/Hilf/Nettesheim), Art. 193 AEUV, Rn. 5; Calliess, in: Calliess/Ruffert (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 5. In diese Richtung wohl auch die rechtliche Ersteinschätzung der Kanzlei Freshfiels Bruckhaus Deringer vom 17.04.2015 (im Folgenden: Freshfiels-Gutachten), S. 4 ff., S. 9, in der zuerst eine Kollision mit der Emissionshandelsrichtlinie geprüft und erst im Anschluss, allerdings ohne Bezugnahme auf diesen Zusammenhang, eine Anwendung des Art. 193 AEUV erörtert wird. Ebenso der Entwurf des Kurzgutachtens der Kanzlei Bird & Bird vom 04.05.2015 (im Folgenden: Bird & Bird-Gutachten), S. 9 ff. Fehlt es an einer abschließenden Regelung bzw. liegt kein Verstoß vor, könnten die Mitgliedstaaten – mangels unionssekundärrechtlicher Regelungsvorgabe – bereits nach allgemeinen Grundsätzen tätig werden und autonome Regelung erlassen, ohne dass ein Abstellen auf Art. 193 AEUV erforderlich wäre. Vgl. insoweit Calliess, in: Calliess/Ruffert (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 5; Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 7. 12 Vgl. insbesondere EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 37, 43 ff.; EuGH, Urt. v. 23.10.2001, Rs. C.510/99 (Tridon), Rn. 28 ff.; EuGH, Urt. v. 25.06.1998, Rs. C-203/96 (Chemische Afvalstoffen Dusseldorp), Rn. 24 ff. 13 So insbesondere in EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 33 ff. 14 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 09.03.2010, Rs. C-378/08 (Raffinerie Mediterranee), Rn. 68. Zum Teil unterscheidet die Rechtsprechung nicht zwischen Abweichungsmöglichkeiten nach dem jeweiligen Rechtsakt und solchen auf Grundalge des Art. 193 AEUV, siehe insbesondere EuGH, Urt. v. 22.06.2000, Rs. C-318/18 (Fornasar u. a.), Rn. 45 ff. Aus dem Schrifttum etwa Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 193 AEUV, Rn. 3, 6. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 9 gehen hier gefolgt und der Klimabeitrag zunächst im Lichte der Emissionshandelsrichtlinie betrachtet werden (siehe unter 3.1.). Anschließend ist der BMWi-Vorschlag am Maßstab des Art. 193 AEUV zu untersuchen (siehe unter 3.2.). Vorab ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich aus einer isoliert betrachteten Unvereinbarkeit der nationalen Regelung mit den unionalen Rechtsaktvorgaben (noch) kein Verstoß gegen Unionsrecht ergibt.15 Der EuGH betont mit Blick auf das Zusammenspiel von Art. 193 AEUV und Art. 192 AEUV, dass mit den Unionsregelungen im Umweltbereich „keine vollständige Harmonisierung angestrebt“ wird.16 Dies ist dahingehend zu verstehen, dass die auf Grundlage von Art. 192 AEUV erlassenen Rechtsakte im Umweltbereich ungeachtet ihrer Formulierung wegen Art. 193 AEUV bereits von vornherein nur eine Mindestharmonisierung darstellen, über welche die Mitgliedstaaten mit nationalen Maßnahmen hinausgehen dürfen.17 Entscheidend für die Unionsrechtsmäßigkeit ist gleichwohl, dass die jeweilige nationale Maßnahme im Ergebnis die Voraussetzungen des Art. 193 AEUV einhält. 3.1. Klimabeitrag im Lichte der Emissionshandelsrichtlichtlinie Somit ist im Folgen zunächst zu prüfen, ob der BMWi-Vorschlag mit Vorgaben der Emissionshandelsrichtlinie vereinbar ist bzw., ob deren Bestimmungen – soweit einschlägig für die vorliegende Frage – als abschließend anzusehen sind. Dies gilt insbesondere für Regelungen zum Entsprechungsverhältnis von Zertifikat und CO2-Emissionen sowie zur Verwendung in anderen (nationalen ) Systemen. Nur soweit eine Unvereinbarkeit bzw. abschließende Regelung anzunehmen ist, bedarf es einer Anwendung des Art. 193 AEUV und der Erfüllung seiner Voraussetzungen. 3.1.1. Vorgaben zum Entsprechungsverhältnis von Zertifikaten und Emissionen Eine ausdrückliche Vorgabe zum Entsprechungsverhältnis von Zertifikaten und CO2-Emissionen enthält die Emissionshandelsrichtlinie in Art. 3 Buchst. a) Hs. 1 ETS-Richtlinie, der den Begriff „Zertifikat“ näher bestimmt. Danach handelt es sich um ein „Zertifikat, das zur Emission von einer Tonne Kohlendioxidäquivalent in einem bestimmten Zeitraum berechtigt […]“. An dieses Entsprechungsverhältnis von einem Zertifikat pro Tonne Kohlendioxidäquivalent knüpfen sodann vor allem die Regelungen in Art. 6 Abs. 2 Buchst. e) und Art. 12 Abs. 3 ETS-RL an. Beide Vorschriften weisen auf die Pflicht zur Abgabe von Zertifikaten in Höhe der jeweils geprüften Gesamtemissionen der betreffenden Anlage hin. Art. 12 Abs. 3 ETS-Richtlinie bestimmt darüber hinaus, dass die abgegebenen Zertifikate anschließend gelöscht werden. Eine Option, von dem Entsprechungsverhältnis eines Zertifikats pro Tonne Emissionen abzuweichen , sieht die Emissionshandelsrichtlinie nicht vor. Die Regelung in Art. 24 ETS-RL ermöglicht 15 Mehrdeutig insoweit Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 4 ff.; Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), vgl. S. 9 ff., 12. 16 EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 27; EuGH, Urt. v. 22.06.2000, Rs. C-318/18 (Fornasar u. a.), Rn. 46. 17 Vgl. auch Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 2. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 10 lediglich – nach vorheriger Genehmigung durch die Kommission – eine mitgliedstaatlich veranlasste und damit einseitige Einbeziehung bisher nicht erfasster Anlagen sowie Tätigkeit und Treibhausgase in den unionsrechtlichen Emissionshandel. Vor diesem Hintergrund sind die Vorgaben der Emissionshandelsrichtlinie zum Entsprechungsverhältnis von Zertifikaten und CO2-Emissionen als abschließend zu betrachten bzw. die durch den BMWi-Vorschlag bedingte Änderung dieses Verhältnisses als unvereinbar mit deren Vorgaben anzusehen. 3.1.2. Vorgaben zur Verwendung von Zertifikaten in anderen (nationalen) Systemen In Art. 3 Buchst. a) Hs. 2 ETS-RL findet sich darüber hinaus die Bedingung, dass das Zertifikat „nur für die Erfüllung der Anforderung dieser Richtlinie [gilt]“.18 Eine ausdrückliche Option, die Zertifikate als Gegenleistung für Emissionen auch in anderen (nationalen) Systemen, wie etwa dem Klimabeitrag, einzusetzen, sieht die Emissionsrichtlinie nicht vor. Zweifel an einem daraus ableitbaren abschließenden Charakter der Regelung könnte sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben.19 Im Zusammenhang mit der Prüfung nationaler Maßnahmen bezüglich eines Verstoßes gegen den Grundsatz der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten, der in früheren verbindlichen Fassungen der Emissionshandelsrichtlinie vorgesehenen war20, führte der EuGH aus, dass die betreffende Bestimmung zwar „Abgaben entgegen [stehe], die für die Zuteilung von Zertifikaten erhoben werden. Dagegen behandeln weder Art. 10 noch eine andere Bestimmung der Richtlinie die Verwendung der Emissionszertifikate noch beschränken sie ausdrücklich das Recht der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu erlassen, um die wirtschaftlichen Folgen der Verwendung der Emissionszertifikate zu beeinflussen.“21 In den beiden einschlägigen Entscheidungen ging es in der Sache jedoch nicht um die Verwendung von Emissionszertifikaten, sondern um die zweite Variante, das zulässige Tätigwerden der 18 Hervorhebung durch Verfasser. 19 Einen abschließenden Charakter insoweit annehmend und von einen Verstoß ausgehend, allerdings ohne Hinweis auf die sogleich darzustellende Rechtsprechung, Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 6. 20 Geregelt war der Grundsatz der kostenlosen Zuteilung ursprünglich in Art. 10 ETS-Richtlinie. Er sah vor, dass für den ersten Zuteilungszeitraum von 2005 bis 2007 mindestens 95% der Zertifikate kostenlos zugeteilt werden , für den Zeitraum von 2008 bis 2012 mindestens 90%. Vgl. insoweit die zum 20.09.2009 konsolidierte Fassung der Emissionshandelsrichtlinie unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02003L0087-20090420&qid=1433150547012&from=DE (letztmaliger Abruf am 29.06.15). Durch die Änderungsrichtlinie 2009/29/EG vom 23.04.2009 erhielt Art. 10 ETS-RL seinen heutigen Inhalt, wonach die Mitgliedstaaten ab 2013 sämtliche Zertifikate versteigern, sofern sie nicht gemäß der ebenfalls neu eingeführten Art. 10a und Art. 10c ETS-Richtlinie (weiterhin) kostenlos zugeteilt werden (siehe Art. 1 Nr. 11 RL 2009/29/EG, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009L0029&qid=1433150547012&from=DE – letztmaliger Abruf am 29.06.15). Siehe zu dieser Modifikation und ihrer Bedeutung Epiney, Zur Entwicklung des Emissionshandels in der EU, ZUR 2010, 236 (238), mit weiteren Nachweisen. 21 EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 27 f.; EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 18 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 11 Mitgliedstaaten durch Erlass sog. wirtschaftspolitischer Maßnahmen.22 Ob unter den Begriff der Verwendung im Sinne der zitierten Rechtsprechung auch die Einbeziehung der Zertifikate in ein ergänzendes nationales Abgabesystem wie im Fall des Klimabeitrag fällt, lässt sich daher nicht abschließend beurteilen. Es unterstreicht jedoch den vom EuGH betonten Charakter der auf Art. 192 AEUV gestützten Vorschriften als im Ansatz (nur) mindestharmonisierend. Angesichts des klaren Wortlauts der Begriffsbestimmung in Art. 3 Buchst. a) Hs. 2 ETS-RL spricht jedoch viel dafür, dass eine „Verwendung“ der Zertifikate in anderen (nationalen) Kontexten gleichwohl nur im Rahmen von Art. 193 AEUV zulässig sein wird. 3.1.3. Vorgaben bezüglich (un-)zulässiger Ungleichbehandlung von Stromerzeugern? Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit den gutachterlichen Ersteinschätzungen des Klimabeitrags kritisch erörtert wird, bezieht sich auf die durch den BMWi-Vorschlag bedingte Benachteiligung bestimmter Stromerzeuger.23 Nach Angaben des BMWi wird der Freibetrag so angesetzt, dass „im Ergebnis ca. 90% der fossilen Stromerzeugung den ‚Klimabeitrag‘ nicht leisten müssen.“24 Da der Freibetrag zudem in den ersten 20 Jahren ab Inbetriebnahme unbegrenzt ist, beschränken sich die zu erbringenden Emissionsminderungen in den ersten 20 Jahren ab Einführung des Klimabeitrags auf ältere Anlagen. Aufgrund der Freibetragshöhe ist nach BMWi davon auszugehen, dass die Emissionsminderungen eher von den emissionsintensiven Anlagen erbracht werden. Im Ergebnis wirke „der technologieneutrale Freibetrag für Steinkohle und Gas relativ großzügig und für Braunkohle stärker.“25 Ungeachtet des Ausmaßes bei konkreter Umsetzung kann auf Grundlage dieser Informationen bereits davon ausgegangen werden, dass der Klimabeitrag im Ergebnis zu einer stärkeren Belastung des Energieträgers Braunkohle führt und damit diejenigen Erzeuger (mehr-)belastet, die mit Braunkohle Strom erzeugen. Eine solche Benachteiligung, so wird argumentiert, sei mit der Emissionshandelsrichtlinie unvereinbar .26 Ein entsprechendes Benachteiligungsverbot ergebe sich durch Auslegung der Bestimmung in Art. 10a Abs. 1 UAbs. 3 und Abs. 3 ETS-RL. Danach kommen Stromerzeuger grundsätzlich nicht in den Genuss einer ausnahmsweise kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten, sondern 22 Siehe hierzu im Einzelnen insbesondere EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 29 ff., in dem eine nationale Regelung untersucht wurde, die verhindern sollte, dass die Verbraucher die Folgen der Einbeziehung des Wertes der kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate in den Preis der Verkaufsangebote auf dem Strommarkt zu tragen haben. In EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 20 ff., ging es um die Anwendung der Schenkungssteuer auf die kostenlos zugeteilten Zertifikate. 23 Vgl. Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 8 (4. Mögliche Ungleichbehandlung der Stromerzeuger abschließend geregelt). 24 Siehe hierzu und den nachfolgenden Ausführungen BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), Pkt. III. „Der nationale Klimabeitrag“. 25 BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), Pkt. III. Der nationale „Klimabeitrag“ - Funktionsweise des Instruments im Detail. 26 So das Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 8. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 12 müssen diese durch Versteigerung erwerben (vgl. Art. 10 ETS-RL). In Verbindung mit den hiervon bestehenden wenigen Ausnahmen nach Art. 10c ETS-RL schaffe die Emissionshandelsrichtlinie eine „abschließende Diskriminierungsmöglichkeit“ in Bezug auf die Stromerzeuger.27 Diese begründe zugleich ein (Abwehr-)Recht auf „Schutz vor einer nicht vorgesehenen Schlechterbehandlung “.28 Im Hinblick auf diesen Ansatz ist zunächst festzuhalten, dass er – soweit ersichtlich – keinen Beleg in der Rechtsprechung der Unionsgerichte findet.29 Es handelt sich somit um eine individuelle Rechtsauffassung hinsichtlich der Auslegung der Emissionshandelsrichtlinie. Als solche vermag sie nach Ansicht des Verfassers in der Sache nicht zu überzeugen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass die zur Begründung in Bezug genommenen Bestimmungen der Emissionshandelsrichtlinie explizit nur die Zuteilung von Zertifikaten regeln und nicht die anschließende Verwendung bzw. Abgabepflicht, die von dem BMWi-Vorschlag tangiert wird. Zwar mag eine über die Richtlinienvorgaben zum Entsprechungsverhältnis hinausgehende Abgabepflicht Rückwirkungen auf Zuteilungsentscheidungen haben. Die für die Rechtsauffassung angeführten Bestimmungen der Emissionshandelsrichtlinie regeln jedoch nur die Art der Zuteilung (Versteigerung bzw. kostenlose Abgabe), nicht aber den Umfang der dann jeweils zugeteilten Zertifikate. Zum anderen bedürfte der Schluss von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis hinsichtlich der Zuteilungsmodalitäten hin zu einem nicht ausdrücklich geregelten subjektiven Recht auf Schutz vor sonstigen Benachteiligungen im Anwendungsbereich der Emissionshandelsrichtlinie weiterer Anhaltspunkte in dem Rechtsakt selbst. Diese sind jedoch – nach Ansicht des Verfassers – nicht erkennbar und werden in der betreffenden gutachterlichen Ersteinschätzung auch nicht vorgetragen . Allein der Hinweis, wonach die in Bezug genommenen Regelungen zur (kostenlosen) Zuteilung „gemeinschaftsweit vollharmonisiert sind“, genügt hierfür jedenfalls nicht, da die auf Grundlage von Art. 192 AEUV erlassenen Maßnahmen nach ständiger Rechtsprechung eben keine vollständige Harmonisierung anstreben.30 Nach der hier vertretenen Auffassung lassen sich der Emissionshandelsrichtlinie somit keine Vorgaben bezüglich einer (un-)zulässigen Ungleichbehandlung von Stromerzeugern hinsichtlich der Abgabeverpflichtung von Zertifikaten entnehmen. Vertritt man hingegen die gegenteilige Auffassung, so ist allein die Frage entscheidend, ob ein nationales Abweichen von dem vermeintlichen Benachteiligungsverbot den Anforderungen des Art. 193 AEUV genügt. 27 Ebenda. 28 Ebenda. 29 In den Ausführungen im Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 8, finden sich entsprechend keine Verweise auf die Rechtsprechung der Unionsgerichte. Auch werden keine Quellen aus dem Schrifttum zitiert. 30 Siehe hierzu oben die Einleitung zu 3., S. 7 f., sowie die Rechtsprechungsnachweise in Fn. 16. Etwas anderes mag für die von der Kommission erlassenen Durchführungsmaßnahmen nach Art. 10a ETS-RL gelten. Diese beziehen sich jedoch nicht auf das durch die Emissionshandelsrichtlinie vorgegebene Regel-Ausnahme-Verhältnis , sondern konkretisieren die Umsetzung der Ausnahme, nämlich die kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 13 3.1.4. Vorgaben im Zusammenhang mit der Kommissionszuständigkeit für die Zuteilung von Zertifikaten Für eine Unvereinbarkeit von Klimabeitrag und Emissionshandelsrichtlinie wird weiterhin angeführt , dass der BMWi-Vorschlag zu einem Eingriff in die Kommissionszuständigkeiten bezüglich der Festlegung der Zertifikatsmengen führe.31 Begründet wird dies mit den Konsequenzen des Klimabeitrags, nämlich der bei Überschreitung des Freibetrags entstehenden Pflicht, mehr als nur ein Zertifikat pro emittierter Tonne CO2 abgeben zu müssen. Die hierdurch bedingte Verringerung der durch die Zuteilung festgesetzten CO2-Menge würde reduziert und damit letztlich die Festlegung über die Gesamtmenge bzw. „die „Steuerungswirkung“ der (kostenlosen) Zuteilung durch die Kommission „unterlaufen“.32 Ungeachtet der Frage, inwieweit die Kommission hinsichtlich der Entscheidung über die Menge der ausgegebenen Zertifikate nicht bereits durch Vorgaben der Emissionshandelsrichtlinie determiniert wird,33 geht es bei diesem Einwand letztlich um das der Richtlinie zugrunde liegende Entsprechungsverhältnis von einem Zertifikat pro Tonne CO2-Emissionen. Hierauf basieren sowohl die Zuteilungsvorgaben der Emissionshandelsrichtlinie als auch darauf beruhende Entscheidungsbefugnisse der Kommission. Insoweit dürfte dem Aspekt eines möglichen Eingriffs in Kommissionszuständigkeiten bzw. in die entsprechenden Richtlinienvorgaben gegenüber der Festlegung des Entsprechungsverhältnisses hinsichtlich der (isolierten) Vereinbarkeit mit der Emissionshandelsrichtlinie bzw. dem abschließenden Charakter der dazu bestehenden Bestimmungen keine eigenständige Bedeutung zukommen. 3.2. Klimaschutzbeitrag im Lichte des Art. 193 AEUV Eine eindeutige (isolierte) Unvereinbarkeit des BMWi-Vorschlags mit der Emissionshandelsrichtlinie bzw. ein unzweifelhaft abgeschlossener Regelungscharakter dieses Rechtsakts ergibt sich somit nur hinsichtlich des Entsprechungsverhältnisses von einem Zertifikat pro Tonne CO2- 31 So das Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), vgl. S. 10 f. (1.1.2. Eingriff in die Festlegungskompetenz der Europäischen Kommission), unter Bezugnahme auf die Festlegung der Gesamtmenge nach Art. 9 Abs. 2 ETS-RL. In die gleiche Richtung weist auch das Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 8 (Wechselwirkung mit Steuerungssystem der EU-Kommission), allerdings unter Bezugnahme auf die Durchführungszuständigkeit der Kommission zur Harmonisierung der Regelungen über die (ausnahmsweise) kostenlose Zuteilung von Zertifikaten nach Art. 10a ETS-RL und den auf dieser Grundlage erlassenen Kommissionsbeschluss 2011/278/EU vom 27.04.2011, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02011D0278- 20140114&qid=1433244622718&from=DE – letztmaliger Abruf am 29.06.15. 32 Vgl. ebenda. 33 Dies gilt vor allem für die Entscheidungszuständigkeit nach Art. 9 Abs. 2 ETS-RL bezüglich der Gesamtmenge der ab 2013 zu vergebenden Zertifikate, auf die im Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 10 f. Bezug genommen wird. Dieser Wert ergibt sich v. a. aus den Durchschnittswerten der Allokationspläne von 2008-2012 und wird jährlich um den in Art. 9 Abs. 1 ETS-RL vorgegebenen linearen Faktor von 1,74% verringert. Siehe dazu den Kommissionsbeschluss 2010/634/EU, Erwägungsgründe 10 bis 14 sowie Art. 1, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02010D0634- 20130907&qid=1433244112122&from=DE – letztmaliger Abruf am 29.06.15. Ein größerer Spielraum dürfte der Kommission hinsichtlich der Festlegung der ausnahmsweise kostenlos zu verteilenden Zertifikate nach Art. 10a ETS-RL zukommen, auf die im Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 8, verwiesen wird. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 14 Emissionen. Ob die Emissionshandelsrichtlinie darüber hinaus einer Verwendung der in ihr vorgesehenen Zertifikate in (ergänzenden) nationalen Abgabesystemen entgegensteht, ist angesichts der Rechtsprechung unklar. Im Folgenden sollen beide Gesichtspunkte im Rahmen des Art. 193 AEUV untersucht werden. Dabei ist vorab zu klären, ob es im Einzelfall „abweichungsfeste“ Vorgaben in Unionsakten geben kann, die einer Anwendung des Art. 193 AEUV schlechthin entgegenstehen (siehe unter 3.2.1). Anschließend sind die einzelnen Voraussetzungen des Art. 193 AEUV zu betrachten (siehe unter 3.2.2. bis 3.2.5.). 3.2.1. Einschränkung der Anwendung des Art. 193 AEUV im Einzelfall? Der Anlass für die Frage, ob unionsrechtliche Vorgaben in einem auf Art. 192 AEUV gestützten Rechtsakt im Einzelfall einer Anwendung des Art. 193 AEUV entgegen stehen und damit als „abweichungsfest “ angesehen werden können, ergibt sich zum einen aus einem Urteil des Gerichtshofs zur Emissionshandelsrichtlinie (dazu sogleich). Angedeutet wird sie zum anderen in den gutachterlichen Ersteinschätzungen des BMWi-Vorschlags.34 In der einschlägigen Kommentarliteratur zu Art. 193 AEUV wird diese Frage – soweit ersichtlich – nur vereinzelt und ohne weitere Nachweise aufgegriffen.35 Das erwähnte Urteil hat den für die Emissionshandelsrichtlinie ehemals zentralen Grundsatz der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten zum Inhalt.36 Nach diesem stand die Richtlinie (nationalen ) Abgaben entgegen, die für die Zuteilung von Zertifikaten erhoben wurden.37 Prüfungsgegenstand war eine nationale Maßnahme, mit der verhindert werden sollte, dass die Verbraucher die Folgen der Einbeziehung des Wertes der kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate in den Preis der Verkaufsangebote auf dem Strommarkt zu tragen haben.38 Der Gerichtshof führte aus, dass die Mitgliedstaaten zwar das Recht hätten, „[…] Maßnahmen zu erlassen, um die wirtschaftlichen Folgen der Verwendung der Emissionszertifikate zu beeinflussen. […] Der Erlass solcher Maßnahmen darf jedoch weder den Grundsatz der kostenlosen Zuteilung der Emissionsquoten neutralisieren noch die Zielsetzung der [Emissionshandelsrichtlinie] beeinträchtigen.“39 Die Möglichkeit, dass in der betreffenden nationalen Maßnahme (auch) ein Fall der nationalen Schutzverstärkung im Sinne des Art. 193 AEUV gesehen werden könnte, wurde in der erwähnten Entscheidung nicht in Betracht gezogen. Hieraus könnte der Schluss gezogen werden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes kostenloser Zertifikatszuteilung auf Grundlage der damals geltenden Fassung der Emissionshandelsrichtlinie eine Anwendung des Art. 193 AEUV ausgeschlossen ist. 34 Im Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 6, wird eine Nutzung der Zertifikate in „vom ETS unabhängigen Parallelsystemen “ der Mitgliedstaaten abgelehnt. Nach dem Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 12, erlaube Art. 193 AEUV nur „gewisse partielle nationale Alleingänge“. 35 Vgl. L. Krämer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 9), Art. 193 AEUV, Rn. 17 ff. 36 Siehe dazu die Ausführungen oben in Fn. 20 sowie die Rechtsprechungsnachweise oben in Fn. 21. 37 EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 27; EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 18. 38 EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 32. 39 EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 28, 30. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 15 Gleiches könnte bei entsprechender Begründung auch für anderen Richtlinienvorgaben angenommen werden. In einem zweiten und – soweit ersichtlich – letzten Urteil zur Beeinträchtigung des Grundsatzes der kostenlosen Zuteilung wiederholte der EuGH die eben zitierten Passagen.40 Gegenstand der Prüfung war in dem Fall die Verhängung nationaler Schenkungssteuern auf die kostenlos zugeteilten Zertifikate.41 Der Gerichtshof gelangt im Ergebnis zu einem Verstoß gegen das Erfordernis der Unentgeltlichkeit.42 Anschließend prüfte er jedoch weiter, ob in der Besteuerung nicht eine nationale Schutzverstärkung nach Art. 193 AEUV zu sehen sei, verneinte dies jedoch schlussendlich , da mit den dadurch erzielten Einnahmen andere Ziele verfolgt wurden als sie der Emissionshandelsrichtlinie zugrunde liegen.43 Dieses Vorgehen lässt im Unterschied zum ersten Urteil darauf schließen, dass jedenfalls der Grundsatz der kostenlosen Zuteilung der Anwendung des Art. 193 AEUV nicht entgegensteht. Für ein solches Verständnis in genereller Hinsicht spricht schließlich auch der Wortlaut des Art. 193 AEUV, der eine etwaige Anwendungseinschränkung nicht vorsieht. Entscheidend bleibt somit, ob die jeweilige nationale Schutzverstärkung die einzelnen Voraussetzungen des Art. 193 AEUV erfüllt. Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Formulierung in der Begriffsdefinition in Art. 3 Buchst. a) Hs. 2 ETS-RL, wonach ein Zertifikat „nur“ für die Erfüllung der Anforderungen der Emissionshandelsrichtlinie gilt, einer Anwendung des Art. 193 AEUV nicht prinzipiell entgegenstehen . 3.2.2. Schutzmaßnahme nach Art. 192 AEUV Ist hiernach ein Rückgriff auf Art. 193 AEUV in Sachen Klimabeitrag prinzipiell möglich, gilt es zunächst zu prüfen, ob der betreffende Rechtsakt, in Bezug auf welchen eine nationale Abweichung vorgenommen werden soll, auf Art. 192 AEUV gestützt ist.44 Das ist bei der Emissionshandelsrichtlinie der Fall, die in der ursprünglichen Fassung auf die Vorgängerbestimmung des Art. 192 AEUV, nämlich ex.-Art. 175 EGV, gestützt wurde.45 3.2.3. Notifizierung bei der Kommission Als weitere formale Voraussetzung erfordert Art. 193 S. 3 AEUV eine Notifizierung der verstärkten Schutzmaßnahme bei der Kommission. Allerdings handelt es sich bei dieser Vorgabe nach 40 Vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 18 -21. 41 EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 12, 23. 42 EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 24. 43 Vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 25. 44 Vgl. etwa Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 193 AEUV, Rn. 7. 45 Vgl. den Einleitungsteil der Emissionshandelsrichtlinie (o. Fn. 3). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 16 der Rechtsprechung um eine deklaratorische Anforderung. Ein die Wirksamkeit der nationalen Schutzmaßnahme betreffender Akt seitens der Kommission ist nicht vorgesehen.46 Daher zieht der Verstoß gegen die Obliegenheit der Notifizierung als solcher nicht die Rechtswidrigkeit der nationalen Maßnahme nach sich.47 3.2.4. (Nationaler) Klimabeitrag als verstärkte Schutzmaßnahme Als erste materielle Voraussetzung muss es sich bei dem Klimabeitrag um eine zulässige „verstärkte Schutzmaßnahme“ im Sinne des Art. 193 S. 1 AEUV handeln. Dies wird in den gutachterlichen Ersteinschätzungen zum BMWi-Vorschlag verneint.48 Im Folgenden werden zunächst die (abstrakten) Vorgaben der Rechtsprechung zu diesem Kriterium dargestellt sowie deren Rezeption im Schrifttum (siehe unter 3.2.3.1.). Anschließend ist deren Anwendung auf den vorliegenden Fall zu erörtern (siehe unter 3.2.3.2.). 3.2.4.1. Anforderungen an verstärkte Schutzmaßnahmen 3.2.4.1.1. Rechtsprechung In den wenigen einschlägigen Urteilen wird das Vorliegen einer verstärkten Schutzmaßnahme nur zum Teil explizit geprüft,49 zum Teil erfolgt dies lediglich implizit.50 Eine abstrakte Begriffsbestimmung dieser Voraussetzung findet sich – soweit ersichtlich – in keiner der Entscheidungen . Den von den streitgegenständlichen verstärkten Schutzmaßnahmen betroffenen Unionsakten lagen überwiegend Harmonisierungen nationalen (materiellen) Umweltrechts zugrunde51, die sich 46 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 53. 47 Siehe hierzu Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn.13. 48 Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 9 ff.; Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 12 ff. 49 EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 25; EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro- Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 45 f., 51 f.; EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 33 ff.; EuGH, Urt. v. 23.10.2001, Rs. C-510/99 (Tridon), Rn. 44 ff. 50 EuGH, Urt. v. 25.06.1998, Rs. C-203/96 (Chemische Afvalstoffen Dusseldorp), Rn. 35 ff. 51 EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 1, 5 ff., und EuGH, Urt. v. 25.06.1998, Rs. C-203/96 (Chemische Afvalstoffen Dusseldorp), Rn. 3 ff.: Abfallrecht; EuGH, Urt. v. 23.10.2001, Rs. C_510/99 (Tridon), Rn. 3 ff.: Schutz gefährdeter Arten; EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro- Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 3 ff.: Vogelschutz- und Habitatrichtlinie. Eine Ausnahme stellt EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 3 ff., in dem es um den in der früheren Fassung der Emissionshandelsrichtlinie zentralen Grundsatz der kostenlosen Zertifikatsverteilung ging (vgl. auch oben unter Fn. 20). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 17 – soweit eine ausdrückliche Prüfung erfolgte – zudem durch ein homogenes Zielspektrum auszeichneten .52 In der Sache enthielten die (zulässigen) nationalen Schutzverstärkungen folgende Maßnahmen: Erhöhung von Grenzwerten sowie Verkürzung von Fristen53, Erstreckung von Anwendungsbereichen einzelner Vorschriften54, die Erweiterung von Untersagungsgründen im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens55 sowie eine Umwandlung eines relativen Verbotes in ein absolutes.56 Soweit hierbei eine ausdrückliche Prüfung der verstärkten Schutzmaßnahme erfolgt ist, hat der Gerichtshof überwiegend eine zweigeteilte Untersuchung durchgeführt: zunächst wurde geprüft, ob die jeweils betroffenen Vorgaben des Unionsaktes durch die nationale Maßnahme im Sinne einer Verschärfung erhöht57 und sodann, ob hiermit die gleichen Ziele wie durch den Unionsakt verfolgt wurden58, bzw. derselben Ausrichtung auf das Ziel gefolgt wurde59. In den übrigen Fällen lässt sich diese Zweiteilung zwar nicht auf den ersten Blick erkennen, sie kann den Ausführungen aber implizit entnommen werden.60 Hieraus lässt sich im Ergebnis eine Differenzierung zwischen dem Aspekt der Verstärkung einer Maßnahme und der Ermittlung ihres Schutzcharakters ableiten. Entscheidend für letzteres ist dabei nach der bisherigen Rechtsprechung ein Zielgleichlauf von nationaler Maßnahme und dem Anliegen des betroffenen Unionsaktes. Weitere Vorgaben zum Verständnis der Verstärkung und des Schutzcharakters lassen sich den Urteilen auch mit Blick auf die konkreten Einzelfälle kaum entnehmen. Insbesondere finden sich keine Ausführungen bezüglich der Frage, ob und ggf. in welchem Umfang bei Gewährleistung des Zielgleichlaufs von konzeptuellen und instrumentellen Vorgaben des betreffenden Rechtsakts abgewichen werden darf. Einen solchen Fall hatte der EuGH bisher nicht zu entscheiden. 52 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 7, 52; EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 5, 30, 38, 49, 52. 53 Siehe EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 34 ff., 42 ff. 54 Siehe EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 45 ff.; 50 ff. 55 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.06.1998, Rs. C-203/96 (Chemische Afvalstoffen Dusseldorp), Rn. 34 ff. 56 EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 42, 45 f., 52. 57 Besonders deutlich in EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 33 ff., insbesondere 34, 42, 45, 50; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 42, 45 f.; EuGH, Urt. v. 23.10.2001, Rs. C-510/99 (Tridon), Rn. 44, 49. 58 EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 38, 49, 52; EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 51 f. 59 So die Formulierung in EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 41. 60 EuGH, Urt. v. 23.10.2001, Rs. C-510/99 (Tridon), Rn. 43 ff., insb. 44 u. 49 (zwar keine ausdrückliche Prüfung nach Zielgleichlauf, dieser ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang); EuGH, Urt. v. 26.02.15, Rs. C-43/14 (ŠKO-Energo), Rn. 25 (keine ausdrückliche Prüfung nach verschärfender Abweichung, da bereits der Zielgleichlauf verneint wird). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 18 Wie an den obigen Beschreibung erkennbar wird, hielten sich die bisherigen streitgegenständlichen Schutzverstärkungen im Rahmen der durch die Rechtsakte vorgegeben konzeptuellen und instrumentellen Vorgaben. Allenfalls der Feststellung in einem der einschlägigen Urteile, wonach die nationale Maßnahme derselben Ausrichtung auf das Ziel folge61, ließe sich eine Einschränkung auf konzeptuelle und instrumentelle Vorgaben entnehmen. Entscheidungserheblich war dieser Aspekt in der zitierten Entscheidung jedoch nicht. 3.2.4.1.2. Schrifttum Im Kommentarschrifttum zu Art. 193 AEUV wird die Rechtsprechung vor allem unter Bezug auf die Entscheidung Deponiezweckverband Eiterköpfe nachgezeichnet und hierbei der Zielgleichlauf von nationaler und unionaler Regelung als grundlegende Voraussetzung einer verstärkenden Schutzmaßnahme betont.62 Hiermit vereinbar seien in jedem Fall quantitative Verstärkungen (das „Ob“ bzw. das Schutzniveau selbst betreffend), fraglich (und umstritten) sei hingegen die Zulässigkeit von Abweichungen qualitativer Natur (das „Wie“ bzw. die Modalitäten betreffend).63 Problematisiert wird hiermit im Wesentlichen die Reichweite einer verstärkten Schutzmaßnahme , d.h. in welchem Umfang sie über den EU-Rechtsakt hinausgehen und etwa konzeptuelle und instrumentelle Vorgaben überschreiten darf.64 Soweit auch qualitative Verstärkungen im Grundsatz befürwortet werden, wird im Ergebnis jedoch die entscheidende Bedeutung des Einzelfalls betont; keinesfalls dürfe der unionsrechtliche Ansatz „hintertrieben werden“65 oder der unional eingesetzte Ansatz exklusiven Charakter haben66. Daneben wird vereinzelt – allerdings weitgehend ohne Rechtsprechungsnachweise – auf Fragen der Darlegungs- bzw. Beweislast sowie des gerichtlichen Kontrollumfangs eingegangen. Danach liege ersteres bei den Mitgliedstaaten, soweit es um den Nachweis dafür gehe, dass es sich um einen gegenüber dem Sekundärrecht verstärkten Schutz handele.67 Teils wird den Mitgliedstaa- 61 So die Formulierung in EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 41. 62 Vgl. Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 17; Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 193 AEUV, Rn. 13; vgl. auch Calliess, in: Calliess/Ruffert (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 7. Dies nehmen auch die Gutachten zum Maßstab für ihre rechtlichen Ersteinschätzungen des BMWi-Vorschlags, vgl. Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 10 ff.; Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 13 ff. 63 Vgl. Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 18; Kahl, in: Streinz (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 18 f. 64 Siehe – mit anderer Terminologie als die unter Fn. 63aufgeführten Vertreter – Calliess, in: Calliess/Ruffert (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 8 f.; Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 193 AEUV, Rn. 13. 65 So etwa Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 18; vgl. ferner Calliess, in: Calliess/Ruffert (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 9. 66 Vgl. Kahl, in: Streinz (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 19. 67 So Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 193 AEUV, Rn. 14 aE; Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 23. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 19 ten hierbei allerdings ein gewisser Gestaltungsspielraum eingeräumt, der sich auch auf die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme bezieht.68 Dagegen soll die Frage, ob die nationale Schutzverstärkung dieselben Ziele verfolge und die gleiche Ausrichtung aufweise wie der Unionsakt , als Rechtsfrage gerichtlich voll überprüfbar sein.69 Über den erforderlichen Umfang einer Abweichung entscheiden nach der Rechtsprechung indes die Mitgliedstaaten.70 3.2.4.2. Anwendung auf Klimabeitrag Wendet man die bestehenden (rudimentären) Rechtsprechungsvorgaben unter Berücksichtigung ihrer Rezeption im Schrifttum auf den Klimabeitrag an, so ergeben sich mehrere offene Fragen: 3.2.4.2.1. Besonderheiten der Emissionshandelsrichtlinie als Schutzmaßnahme im Sinne des Art. 192 AEUV Wie oben ausgeführt, zielten die bisherigen streitgegenständlichen verstärkten Schutzmaßnahmen mit einer Ausnahme auf Rechtsakte, in denen nationales materielles Recht einer unionsweiten Harmonisierung zugeführt wurde. Mit der Emissionshandelsrichtlinie wird hingegen ein „System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft (nachstehend ‚Gemeinschaftssystem‘ genannt) geschaffen […]“ (vgl. Art. 1 Abs. 1 ETS-RL), „dass auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre auf ein Niveau abzielt, das eine gefährliche anthropogene Beeinträchtigung des Klimas verhindert und dessen Endziel der Schutz der Umwelt ist.“71 Nach dem EuGH beruht die allgemeine Systematik der Emissionshandelsrichtlinie „auf einer genauen Verbuchung von Vergabe, Besitz, Übertragung und Löschung der Treibhausgasemissionszertifikate […]“.72 In der Rechtsprechung gibt es keine Beispiele, aus denen geschlossen werden kann, in welchem Umfang und ggf. unter welchen (zusätzlichen) Voraussetzungen nationale Schutzverstärkungen im Rahmen eines solchen (neu eingeführten) unionsweiten Systems möglich sind. Dass eine Anwendung des Art. 193 AEUV gleichwohl nicht ausgeschlossen sein dürfte, wurde bereits im Rahmen der obigen Ausführungen zu möglichen Anwendungseinschränkungen dieser Vertragsvorschrift erörtert.73 3.2.4.2.2. Klimabeitrag als zulässige Verstärkung Im Licht bisheriger Vorgaben ist sodann zunächst zu fragen, ob der BMWi-Vorschlag zu einer Erhöhung der durch die Emissionshandelsrichtlinie vorgesehenen Anforderungen führen und, ob 68 Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 23. 69 Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 193 AEUV, Rn. 14 aE. 70 EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 61; siehe auch Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 193 AEUV, Rn. 14 aE. 71 EuGH, Urt. v. 29.04.2015, Rs. C-148/14 (Deutschland/Nordzucker), Rn. 28. 72 EuGH, Urt. v. 17.10.2013, Rs. C-203/12 (Billerud Karlsborg), Rn. 27. 73 Siehe oben unter 3.2.1., S. 14 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 20 es sich hierbei eher um eine quantitative oder eine (weitergehende) qualitative Verstärkung handeln würde. i) Zur Art der Verstärkung Nach der Rechtsprechung ist eine der Säulen des durch die Emissionshandelsrichtlinie geschaffenen Systems „die Verpflichtung der Betreiber [….] eine ihren Emissionen […] entsprechende Anzahl von Treibhausgasemissionszertifikaten zwecks Löschung abzugeben.“74 Kern des BMWi- Vorschlags ist eine Pflicht für Anlagebetreiber zur Abgabe von Zertifikaten bei Überschreitung eines Freibetrags, die neben die Abgabepflicht der Emissionshandelsrichtlinie tritt und somit das Entsprechungsverhältnis von einem Zertifikat pro Tonne CO2 zu Lasten der betroffenen Emittenten verändert. Müssen diese in der Konsequenz mehr Zertifikate abgeben, steigert das den durch die Richtlinie begründeten Anreiz, Emissionen zu verringern.75 Hierdurch werden – isoliert betrachtet – die Anforderungen der Emissionshandelsrichtlinie jedenfalls für die von dem Freibetrag betroffenen Stromerzeuger erhöht. Die Änderung des Entsprechungsverhältnisses könnte in den Kategorien des Schrifttums einerseits als (zulässige) Verstärkung quantitativer Natur angesehen werden, da innerhalb des bestehenden Systems lediglich ein Parameter geändert wird. Mit Blick auf seine Bedeutung für den Umfang der Abgabepflicht und dem Hinweis in der Begriffsdefinition in Art. 3 Buchst. a) Hs. 2 ETS-Richtlinie, wonach Zertifikate „nur“ für die Erfüllung der Anforderungen der Emissionshandelsrichtlinie gelten, ließe sich die Änderung des Entsprechungsverhältnisses andererseits auch als qualitative Abweichung beurteilen. Die Zulässigkeit einer solchen lässt sich der Rechtsprechung nicht entnehmen und ist im Schrifttum umstritten .76 ii) Prognosen hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen In einer der gutachterlichen Ersteinschätzungen des BMWi-Vorschlags wird zudem bezweifelt, dass der Klimabeitrag zu einer über das bestehende System hinausgehenden Emissionsverringerung führen wird.77 Fraglich ist, ob und wie derartige Prognosen hinsichtlich der Auswirkung einer nationalen Verstärkung an dieser Stelle der Prüfung zu berücksichtigen sind. In der Rechtsprechung findet sich dazu kein Hinweis. 74 EuGH, Urt. v. 29.04.2015, Rs. C-148/14 (Deutschland/Nordzucker), Rn. 29 75 Vgl. zum darauf zielenden Ansatz der Emissionshandelsrichtlinie EuGH, Urt. v. 17.10.2013, Rs. C-203/12 (Billerud Karlsborg), Rn. 26; EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-127/07 (Société Arcelor Atlantique et Lorraine u. a.), Rn. 31. 76 Siehe oben unter 3.2.4.1., S. 16 ff. 77 Vgl. Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 11 ff.; Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 14, 17 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 21 Für eine Berücksichtigung kann die Literaturansicht angeführt werden, wonach die Darlegungsund Beweislast, dass ein gegenüber dem Sekundärrecht verstärkter Schutz bewirkt werde, bei dem betreffenden Mitgliedstaat liege.78 Allerdings liegt bei isolierter Betrachtung – wie soeben ausgeführt – eine Erhöhung der Anforderungen der Emissionshandelsrichtlinie vor, da das Entsprechungsverhältnis zu Ungunsten der betroffenen Emittenten verändert wird. Darüber hinaus wird im Schrifttum ebenfalls vertreten, dass dem betreffenden Mitgliedsstaat hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der nationalen Schutzverstärkung ein gewisser Gestaltungsspielraum zukommt.79 Des Weiteren könnte die Forderung eines tatsächlichen Nachweises der Schutzverstärkung auch deshalb – und jedenfalls an dieser Stelle – unzulässig sein, weil sie jedenfalls teilweise einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und zwar in Bezug auf die Geeignetheit nahekommt.80 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet nach der Rechtsprechung bei Art. 193 AEUV jedoch nur dann Anwendung , wenn die nationale Schutzverstärkung mit anderen Vertragsvorschriften kollidiert.81 Ist das nicht der Fall, werden die nationalen Maßnahmen an sich gerade keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen.82 Im Schrifttum wird diese Rechtsprechungsvorgabe zum Teil kritisch und im Ergebnis ablehnend bewertet.83 Sollten Prognosen hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen bei der rechtlichen Bewertung des Verstärkungscharakters gleichwohl zu berücksichtigen sein, so müssten die Einwände einer möglichen Emissionsverlagerung84 bzw. ausbleibenden Emissionsreduzierung in Folge von Stilllegungen und dem Freiwerden von Zertifikaten85 den bisher angestellten, sehr allgemeinen Prognosen des BMWi-Vorschlag gegenübergestellt und einer tatsächlichen Bewertung zugeführt werden . Dies kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Im Übrigen weist der BMWi-Vorschlag ersichtlich keinen endgültigen Charakter auf. iii) Zwischenergebnis Eine abschließende Entscheidung, ob es sich, erstens, um eine quantitative oder qualitative Verstärkung handelt und zweitens, ob und wie Prognosen zu den tatsächlichen Auswirkungen der Verstärkung rechtlich zu berücksichtigen sind, lässt sich mangels Rechtsprechungsvorgaben nicht treffen. Dessen ungeachtet verdeutlichen die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten 78 Vgl. oben unter Fn. 67. 79 Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 23. 80 Vgl. diesbezüglich v.a. das Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 14. 81 EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 61 f. 82 EuGH, Urt. v. 14.04.2005, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Rn. 63. 83 So insbesondere Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 20 ff. 84 Vgl. Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 14, 17 f. 85 So Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 11. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 22 die bestehenden Rechtsunsicherheiten, die sich schon bzgl. der Bewertung stellen, ob eine zulässige Verstärkung im Sinne des Art. 193 AEUV vorliegt. 3.2.4.2.3. Zielgleichlauf von verstärkter und EU-Schutzmaßnahme Unterstellt man im Folgenden, dass durch den BMWi-Vorschlag eine zulässige Verstärkung bewirkt wird, ist im Anschluss zu fragen, ob mit dieser Verstärkung das gleiche Ziel bzw. die gleiche Ausrichtung verfolgt wird, wie sie der Emissionshandelsrichtlinie zugrunde liegen. Insbesondere dieser Zielgleichlauf wird in den Gutachten zur rechtlichen Ersteinschätzung des Klimabeitrags in Zweifel gezogen.86 Fragt man vor diesem Hintergrund nach dem Ziel der Emissionshandelsrichtlinie, so wird eine weitere Besonderheit dieses Rechtsaktes gegenüber den bisher in der Rechtsprechung behandelten Fällen deutlich: der Emissionshandelsrichtlinie liegt zwar ein (Haupt-)Ziel zugrunde, nämlich die Verringerung der Treibhausgasemissionen (auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise, vgl. Art. 1 Abs. 1 ETS-RL).87 Dieses Ziel soll allerdings unter der Beachtung einer Reihe von Teilzielen erreicht werden, nämlich des Schutzes der wirtschaftlichen Entwicklung, der Beschäftigungslage, der Integrität des Binnenmarktes und der Wettbewerbsbedingungen (vgl. Erwägungsgründe Nr. 5 und 7 der ETS-RL).88 Es handelt sich somit im Gegensatz zu den bisher in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen um ein heterogenes Zielspektrum.89 Erschwerend kommt hinzu, dass das Haupt- und die Teilziele der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungslage aufgrund der mit verstärkten Umweltanforderungen potentiell verbundenen Kosten durchaus gegenläufig sein und somit in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen können. Es stellt sich daher die Frage nach dem der Emissionshandelsrichtlinie zugrunde liegenden Gewichtungsverhältnis zwischen diesen. Darüber hinaus gilt es (auch hier) zu klären, ob und in welchem Umfang für das Ins-Verhältnis-setzen der Ziele die Prognosen hinsichtlich der Auswirkung des Klimabeitrags auf die Teilziele zu berücksichtigen sind. Betrachtet man den Klimabeitrag zunächst im Lichte des Hauptziels der Emissionshandelsrichtlinie , so lässt sich ein Gleichlauf der nationalen und der unionalen Anliegen jedenfalls in der Sache feststellen: Mit Hilfe dieses Instruments sollen im Stromsektor bis zum Jahr 2020 Emissionen in Höhe von 22 Mio. t CO2 einspart werden.90 Durch die Einführung eines (Emissions-)Freibetrags und einer nationalen Abgabepflicht soll ein über die Emissionshandelsrichtlinie hinausgehender bzw. sie verstärkender Anreiz geschaffen werden, Emissionen (weiter) zu senken.91 Auch sollen 86 Vgl. Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 10 ff.; Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 14 ff. 87 Siehe auch EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 43; EuGH, Urt. v. 17.10.2013, Rs. C-203/12 (Billerud Karlsborg), Rn. 26 f. 88 Siehe auch EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 43. 89 Siehe oben unter 3.2.4.1.1. S. 16 f. 90 Vgl. BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), II. Die Klimaschutzlücke. 91 Vgl. BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), III. Der nationale „Klimabeitrag“. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 23 die Gesamtemissionen innerhalb des Emissionshandelssystems sinken, denn es werde mehr Strom aus Kraftwerken mit geringen spezifischen Emissionen (Brennstoffen) erzeugt.92 Als problematisch wird hingegen die Beachtung der oben genannten Teilziele der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Beschäftigungslage eingeschätzt.93 Begründet wird dies mit den prognostizierten negativen Auswirkungen des BMWi-Vorschlags v. a. auf Braunkohlekraftwerke, die unter der Last des Klimabeitrags nicht mehr wirtschaftlich betrieben und daher von Schließungen bedroht seien.94 Zum Teil wird weitergehend gemutmaßt, dass es bei dem Klimabeitrag darum gehe, „ganz spezifisch besonders kostengünstige Kraftwerke aus dem Markt zu drängen.“95 Im BMWi-Vorschlag finden sich Ausführungen nur zu den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Kraftwerksbetreiber. Danach würden diese ihre betriebswirtschaftliche Flexibilität behalten.96 Da keine ordnungsrechtlichen Emissionsobergrenzen festgelegt würden, bliebe es die Entscheidung der Kraftwerksbetreiber, wie viel Strom sie produzieren wollen; ob und in welchem Umfang Betreiber über den Freibetrag hinaus emittieren, sei allein eine Frage der betriebswirtschaftlichen Optimierung.97 Ungeachtet der sehr allgemeinen Aussagen seitens des BMWi lässt sich darin ebenfalls eine Prognose zu den Auswirkungen des Klimabeitrags erkennen und damit letztlich eine Berücksichtigung der von der Emissionshandelsrichtlinie verfolgten Teilziele. Eine Bewertung bzw. Abwägung der Prognosen in tatsächlicher Hinsicht kann und soll an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Im Übrigen weist der BMWi-Vorschlag ersichtlich auch keinen endgültigen Charakter auf. In rechtlicher Hinsicht dürfte indes – wie einleitend zu diesem Punkt angemerkt – von Bedeutung sein, in welchem Gewicht Haupt- und Teilziele zu einander stehen. Blickt man auf den einschlägigen Erwägungsgrund 5 der Emissionshandelsrichtlinie, so findet sich die Formulierung, wonach die (völkerrechtlichen) Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgase „unter möglichst geringer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungslage erfüllt werden“. In diese Richtung weisen auch die zitierten Entscheidungen der Unionsgerichte.98 Ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Emissionsverringerung und wirtschaftlichen Belangen 92 Vgl. BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), IV. Die Anforderungen werden erfüllt. 93 Siehe Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 10 ff.; Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 14 ff. 94 Vgl. Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 11; Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 15. 95 Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 14. 96 Vgl. BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), IV. Die Anforderungen werden erfüllt. 97 Vgl. BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), IV. Die Anforderungen werden erfüllt. 98 EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 43; sowie die im Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 12, zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichts (EuG). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 24 lässt sich hieraus nicht ableiten.99 Vielmehr wird man nach dem Wortlaut sowohl des Erwägungsgrundes als auch der einschlägigen Entscheidung davon ausgehen dürfen, dass Nachteile für die Wirtschaft zur Erreichung einer Verringerung von CO2-Emissionen bis zu einem gewissen Umfang hinzunehmen sind. Dies bedingt bereits der Umstand, dass der Ausstoß von Emissionen an die Abgabe von Zertifikaten geknüpft ist, die zudem nach der aktuellen Fassung der Emissionshandelsrichtlinie grundsätzlich (kostenpflichtig) versteigert werden.100 Auf diese Weise soll gerade die Einbeziehung der Umweltkosten bei der Berechnung der Preise sichergestellt werden .101 Wie die Gewichtung letztlich vorzunehmen ist und welcher Beurteilungsspielraum dem betreffenden Mitgliedstaat hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen auf die einzelnen Ziele eingeräumt wird, wurde in der Rechtsprechung bisher nicht thematisiert. Eine abschließende Entscheidung ist aufgrund der offenen Rechtsfragen somit auch hier nicht möglich. 3.2.4.2.4. Übergriff verstärkter Schutzmaßnahmen auf andere Mitgliedstaaten Ein bisher weder in den rechtlichen Bewertungen des BMWi-Vorschlags ausdrücklich erörterter noch in der Rechtsprechung thematisierter Aspekt, der sich insbesondere am Beispiel der Emissionshandelsrichtlinie zu stellen scheint, betrifft die Auswirkungen einer verstärkten Schutzmaßnahme auf das Gesamtsystem des Emissionshandels in Bezug auf andere Mitgliedstaaten. Ansatzweise in diese Richtung weisen Einwände, wonach eine nationale, über die Emissionshandelsrichtlinie hinausgehende Abgabepflicht und anschließende Löschung von Zertifikaten eine „unzulässige Beeinträchtigung der europaweiten Steuerung des CO2-Caps dar[stellen]. Dies gefährdet die Durchführung und Zielsetzung des europäischen Emissionshandelssystem, da die Festlegung der Obergrenzen einer der entscheidenden Einflussgrößen im Cap-and-Trade-Prinzip ist.“102 Wie oben bereits ausgeführt, enthält die Emissionshandelsrichtlinie Vorgaben, nach denen die Kommission die jährliche Gesamtmenge der zu vergebenden Zertifikate berechnet (vgl. Art. 9, 9a ETS-RL)103 und nach denen sodann eine Verteilung der zu versteigernden Zertifikate auf die Mitgliedstaaten stattfindet (vgl. Art. 10 Abs. 2 ETS-RL), soweit keine kostenlose Zuteilung auf Grundlage der Art. 10a und Art. 10c ETS-RL erfolgt. Eine mitgliedstaatliche und deshalb einseitig wirkende Änderung des Entsprechungsverhältnisses wie im Fall des Klimabeitrags hat auf diese 99 So aber die Formulierung im Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 10. 100 Vgl. allgemein zum System der Emissionshandelsrichtlinie EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-127/07 (Société Arcelor Atlantique et Lorraine u. a.), Rn. 31 ff. 101 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 44. 102 Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 15. 103 Siehe oben unter 3.1.4., S. 11 f. sowie insb. Fn. 33. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 25 Zuteilungsentscheidungen zwar keinen unmittelbaren Einfluss. Sie könnte aber – systembedingt – (tatsächliche) Auswirkungen auf die Situation in anderen Mitgliedstaaten haben: Da durch die nationale und damit ergänzende Abgabepflicht zusätzliche Zertifikate durch Löschung vom Markt genommen würden, könnte dies zu einer größeren Verknappung von Zertifikaten auf dem Markt führen als dies allein auf Grundlage der Emissionshandelsrichtlinie möglich wäre104 und damit ein Steigen der Zertifikatspreise bewirken. Mit Verweis auf die derzeitige Höhe des Überschusses an Zertifikaten wird im BMWi-Vorschlag zwar davon ausgegangen, dass es zu keinen Auswirkungen auf den Zertifikatspreis kommen werde. 105 Würde dieser Fall jedoch eintreten, dann träfen die Wirkungen des Klimabeitrags nicht mehr nur die betroffenen deutschen Emittenten, hinsichtlich derer der gewollte Effekt einer größeren CO2-Emissionssenkung jedenfalls mit dem Hauptziel der Emissionshandelsrichtlinie ggf. vereinbar wäre. Betroffen wären auch Emittenten in anderen Mitgliedstaaten, in denen entweder keine oder vielleicht andere verstärkte Schutzmaßnahmen nach Art. 193 AEUV getroffen wurden. EU-ausländische Emittenten würden dann jedenfalls die tatsächlichen Konsequenzen des Klimabeitrags in Gestalt höherer Zertifikatspreise zu tragen haben. Eine sich derart auswirkende mitgliedstaatliche Schutzverstärkung würde folglich andere Mitgliedstaaten tangieren und deren Autonomie berühren, auf die Anwendung des Art. 193 AEUV in dieser Weise oder gänzlich zu verzichten. In der Rechtsprechung finden sich keine ausdrücklichen Hinweise auf die unionsrechtliche Beurteilung einer solchen Konstellation. Allerdings unterstreicht der EuGH in einem Urteil im Zusammenhang mit der Auslegung zulässiger Schutzverstärkungen im Abfallrecht, dass die hiervon betroffenen „Abfälle nur für das Gebiet der Mitgliedstaaten als gefährlich zu betrachten [sind], die eine solche Einstufung vorgenommen haben.“106 Hieraus könnte der Schluss gezogen werden, dass sich verstärkte Schutzmaßnahmen nur auf dem Hoheitsgebiet desjenigen Mitgliedstaates auswirken dürfen, der sie getroffen hat. Für ein solches Verständnis scheint auch der im Schrifttum postulierte Sinn und Zweck des Art. 193 AEUV zu sprechen, wonach diese Vorschrift eine „nationale Alleingangsmöglichkeit“ beinhalte.107 Eine abschließende Entscheidung darüber, wie mögliche Übergriffe in die durch Art. 193 AEUV eingeräumte Regelungsautonomie anderer Mitgliedstaaten unionsrechtlich zu bewerten sind, ist mangels eindeutiger Rechtsprechung jedoch nicht möglich. Zudem weist der BMWi-Vorschlag ersichtlich noch keinen endgültigen Charakter auf. 3.2.4.2.5. Zwischenergebnis Fasst man die vorstehenden Ausführungen zusammen, so lässt sich festhalten, dass eine rechtliche Bewertung, ob es sich bei dem Klimabeitrag um eine zulässige verstärkte Schutzmaßnahme handelt, nicht abschließend vorgenommen werden kann. Aufgrund der bisher wenigen und eher 104 Vgl. BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), IV. Die Anforderungen werden erfüllt („hohe Überschuss an ETS-Zertifikaten etwas vermindert“). 105 Siehe auch BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), IV. Die Anforderungen werden erfüllt. 106 EuGH, Urt. v. 22.06.2000, Rs. C-318/18 (Fornasar u. a.), Rn. 48 (Hervorhebung durch Verfasser). 107 Vgl. etwa Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 2; Kahl, in: Streinz (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 2. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 26 rudimentären Vorgaben in der Rechtsprechung, die zudem im Zusammenhang mit anderen, nicht vergleichbaren Konstellationen der Anwendung des Art. 193 AEUV entwickelt wurden, lassen sich die aufgeworfenen Rechtsfragen sowohl zur Zulässigkeit der Verstärkung als auch des Schutzcharakters des Klimabeitrags nicht eindeutig beantworten. Unklar ist ferner, wie es zu bewerten wäre, wenn die Maßnahme zu einem tatsächlichen Übergriff auf die durch Art. 193 AEUV gewährleistete Abweichungsautonomie anderer Mitgliedstaaten führen würde. 3.2.5. Vereinbarkeit mit den Verträgen Unterstellt man für die weitere Prüfung, dass eine zulässige verstärkte Schutzmaßnahme vorliegt, ist im Folgenden zu erörtern, ob der BMWi-Vorschlag nach Art. 193 S. 2 AEUV mit den „Verträgen “ vereinbar wäre. In gutachterlichen Ersteinschätzungen zum Klimabeitrag werden verschiedene Primärrechtsverstöße sowie die Unvereinbarkeit mit einem Sekundärrechtsakt eingewandt: neben Grundfreiheitseingriffen (Waren- und Niederlassungsfreiheit) soll eine Beeinträchtigung des unionsrechtlichen Eigentumsgrundrechts sowie ein Verstoß gegen die sog. Industrieemissions -Richtlinie 2010/75/EU108 vorliegen.109 Die in den Gutachten bejahte Beihilferelevanz des BMWi-Vorschlags wird dagegen – wie auch in der vorliegenden Ausarbeitung – gesondert geprüft .110 3.2.5.1. Zum Prüfungsumfang Bevor sogleich auf die einzelnen Punkte eingegangen wird, ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Verträge“ im Sinne des Art. 193 S. 2 AEUV im Kommentarschrifttum hinsichtlich des daraus folgenden Rechtsmäßigkeitsmaßstabs umstritten ist. Zum Teil wird vertreten, dass verstärkte Schutzmaßnahmen nur an Bestimmungen des Primärrechts gemessen werden können, nicht dagegen an anderen Sekundärrechtsakten.111 Andere postulieren dagegen eine umfassende Prüfung an allen in Betracht kommenden Normen des Unionsrechts.112 Im Hinblick auf den primärrechtlichen Prüfungsmaßstab ist unstreitig, dass nationale Maßnahmen am Maßstab der Grundfreiheiten 108 Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen , ABl.EU 2010 Nr. L 334/17, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/?qid=1433935574215&uri=CELEX:02010L0075-20110106 – letztmaliger Abruf am 29.06.15. 109 Vgl. Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 15 ff.; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 13 ff. (allerdings im Rahmen gesonderter Prüfung, da Anwendung von Art. 193 AEUV bereits mangels verstärkter Schutzmaßnahme abgelehnt wird; Grundrechte werden zudem nur als nationaler Verfassungsverstoß geprüft). 110 Vgl. Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 19 ff.; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 13 f. siehe dazu unten unter 4. 111 Kahl, in: Streinz (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 21; Calliess, in: Calliess/Ruffert (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 10. 112 Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 15; Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 193 AEUV, Rn. 15; L. Krämer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 9), Art. 193 AEUV, Rn. 13. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 27 zu prüfen sind, während EU-Grundrechte als ebenfalls primärrechtlicher Prüfungsmaßstab hingegen nur vereinzelt ausdrücklich erwähnt werden.113 Blickt man auf die wenigen aussagekräftigen EuGH-Entscheidungen zu diesem Thema, so beschränkten sich die Vereinbarkeitsprüfungen auf die Warenverkehrsfreiheit.114 EU-Grundrechte haben dagegen bisher – soweit ersichtlich – keine Rolle im Rahmen des Art. 193 AEUV gespielt. Nicht eindeutig ist ferner, ob auch sonstiges Sekundärrecht als Prüfungsmaßstab in Betracht kommt. In einem Fall formuliert der Gerichtshof insoweit, dass die verstärkten Schutzmaßnahmen „jedoch auch den übrigen Bestimmungen des AEU-Vertrags entsprechen [müssen].“115 Obgleich dies auf ein rein primärrechtliches Verständnis des Begriffs „Verträge“ hindeutet, untersuchte der EuGH in der gleichen Rechtssache im Anschluss an die Prüfung des Art. 193 AEUV, ob die von ihm als verstärkte Schutzmaßnahmen anerkannten nationalen Regelungen mit zwei in der Vorlagefrage aufgeführten Richtlinien aus dem Energiebereich vereinbar sind.116 Hieraus kann der Schluss gezogen werden, dass es zwar (auch) auf die Vereinbarkeit mit sonstigem Sekundärrecht ankommt, aber nicht zwingend als Voraussetzung des Art. 193 AEUV. Ungeachtet der insoweit bestehenden Rechtsunsicherheiten wird im Folgenden auf alle bisher im Raum stehenden Unionsrechtsverstöße eingegangen. 3.2.5.2. Grundfreiheiten 3.2.5.2.1. Warenverkehrsfreiheit In beiden gutachterlichen Ersteinschätzungen wird ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit als Ausfuhrfreiheit nach Art. 35 AEUV angenommen.117 Verwiesen wird dabei auf Angaben des BMWi, wonach der bisherige Exportüberschuss von Strom durch den Klimabeitrag entgegen den ursprünglichen Prognosen nicht steigen, sondern auf dem gleichen Niveau verharren würde. Hieraus einen Verstoß gegen Art. 35 AEUV abzuleiten, ist unzutreffend. Zwar wird Strom nach der Rechtsprechung des EuGH als Ware angesehen, so dass Art. 35 AEUV vorliegend anwendbar wäre.118 Es fehlt allerdings an einer verbotenen Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne dieser Vorschrift und somit bereits an einem Eingriff. Anders als die sehr weite Fassung der Maßnahmen 113 Soweit ersichtlich nur bei Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 20. 114 Siehe EuGH, Urt. v. 25.06.1998, Rs. C-203/96 (Dusseldorp BV), Rn. 39 ff.; EuGH, Urt. v. 23.10.2001, Rs. C.510/99 (Tridon), Rn. 46, 49 ff. 115 EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 54 (Hervorhebung durch Verfasser). 116 Siehe EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), Rn. 59 ff. 117 Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 16; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 14. 118 Vgl. Leible/T. Streinz, Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 34 AEUV, Rn. 28, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung . Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 28 gleicher Wirkung im Rahmen der Einfuhrfreiheit nach Art. 34 AEUV119 verbietet Art. 35 AEUV nach ständiger Rechtsprechung nur solche Maßnahmen, „die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb des Mitgliedstaats und dessen Außenhandel schaffen, so dass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt.“120 Das ist beim Klimabeitrag nicht der Fall. Die ihm zugrunde liegende ergänzende Abgabepflicht von Zertifikaten bei Überschreitung des Freibetrags mag zwar zu einer Erhöhung der Produktionskosten für die betroffenen Stromerzeuger und damit zu einem Anstieg der Preise für fossilen (Braun-)Kohlestrom führen. Hierdurch würde der Export von so gewonnener Elektrizität jedoch nicht auf andere Weise beschränkt als dies für den Verkauf auf dem Inlandsmarkt der Fall ist. Es handelt sich vielmehr um eine allgemeine klimapolitische Maßnahme, die eine spezifische Beeinträchtigung der Stromausfuhr weder bezweckt noch (tatsächlich) bewirkt und hierdurch unterschiedliche Bedingungen für den Innen- und Außenhandel eines Mitgliedstaates schafft. Würde man hingegen in einem solchen Fall eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Ausfuhrbeschränkung bejahen, würde dies bedeuten, dass jede staatliche Maßnahme, die durch Auflagen umweltrechtlicher oder sonstiger Natur zu einer Erhöhung der Herstellungskosten führt, am Maßstab des Art. 35 AEUV gemessen und von den Mitgliedstaaten gerechtfertigt werden müsste.121 Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man auch, wenn man mit einem Teil des Schrifttums die Rechtsprechung zu Art. 35 AEUV als zu eng ablehnt und – parallel zur Einfuhrfreiheit nach Art. 34 AEUV – von einem weiten Verbotsverständnis ausgeht, das auch unterschiedslos geltende Maßnahmen einschließt.122 Denn auch danach werden nur spezifische Marktaustrittsbehinderungen erfasst, nicht aber Regelungen, die lediglich allgemein die Rahmenbedingungen der inländischen Produktion und Vermarktung festlegen, selbst wenn sie den Export verteuern können, wie etwa solche des Umweltschutzes.123 3.2.5.2.2. Niederlassungsfreiheit Auch hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV wird in den gutachterlichen Ersteinschätzungen ein Verstoß angenommen. Anders als bei der Warenverkehrsfreiheit richtet 119 Hierauf stellt fälschlich das Bird & Bird-Gutachten ab (o. Fn. 11), S. 16. 120 Erstmals in EuGH, Urt. v. 08.11.1979, Rs. 15/79 (Gronveld), Rn. 7; EuGH, Urt. v. 25.06.1998, Rs. C-203/96 (Dusseldorp BV), Rn. 40; zuletzt EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-205/07 (Gysbrechts und Santurel), Rn. 40. Siehe im Einzelnen zum Normzweck des Art. 35 AEUV im Gegensatz zur Einfuhrfreiheit nach Art. 34 AEUV auch Müller- Graff, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 9), Art. 34 AEUV, Rn. 12 ff. 121 Vgl. Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 9), Art. 35 AEUV, Rn. 15, 23. 122 So etwa Leible/T. Streinz, Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 35 AEUV, Rn. 11 ff, 17. 123 Vgl. Leible/T. Streinz, Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 35 AEUV, Rn. 17. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 29 sich der Fokus allerdings auf eine von der Klimaabgabe ausgehende Beeinträchtigung des Marktzutritts EU-ausländischer Stromerzeuger.124 Diese Bewertung ist mit Blick auf den Verbotsgehalt des Art. 49 AEUV ebenfalls zweifelhaft. Zwar schützt die Niederlassungsfreiheit nach ständiger Rechtsprechung nicht nur vor Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern verbietet auch Maßnahmen, welche die Ausübung der einer selbständigen Erwerbstätigkeit behindern oder weniger attraktiv machen.125 Es ist im Schrifttum jedoch anerkannt und auch der Rechtsprechung zu entnehmen, dass die Anwendung des Beschränkungsverbots – anders als das Verbot der Diskriminierung – Grenzen unterliegt und nicht jede staatliche Maßnahme hieran geprüft wird.126 Im Einzelnen ist jedoch umstritten , wo diese Grenzen abstrakt verlaufen. Blickt man insoweit auf die Fallkonstellationen in der Rechtsprechung, so kommt das Beschränkungsverbot vor allem dort zur Anwendung, wo nationale Maßnahmen bereits den Zutritt zum Markt behindern (etwa durch Erlaubnisvorbehalte)127 oder zu Doppelbelastungen führen, weil bspw. Nachweise verlangt werden, die bereits im Herkunftsland des Niederlassungswilligen erbracht wurden.128 Bei sonstigen Regelungen, die eine Tätigkeit isoliert betrachtet weniger attraktiv machen können, prüft der Gerichthofs dagegen, ob zwischen ihr und dem Niederlassungsvorgang ein Ursachenzusammenhang besteht.129 Vorschriften, diesen Zusammenhang nicht erfüllen, werden als „zu ungewiss und mittelbar [angesehen], als dass [sie …] als geeignet angesehen werden können“, die Niederlassungsfreiheit zu behindern.130 Dies entspricht dem Normzweck der Niederlassungsfreiheit, die den Wirtschaftsakteuren eine freie Standortwahl ermöglichen soll, nicht aber das Recht verleiht, sich gegen jede Vorschrift des Niederlassungsstaates wenden zu können, die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Tätigwerden enthält.131 Insoweit gilt allein das ausdrücklich im Wortlaut des Art. 49 Abs. 2 AEUV verankerte Diskriminierungsverbot. Den darüber hinausgehenden, unterschiedslos anwendbaren wirtschaftlichen Rechtsrahmen hat 124 Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 16 f.; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 14 125 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urt. v. 30.11.1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), Rn. 37. Aus dem Schrifttum vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 49 AEUV, Rn. 88 ff. 126 Siehe dazu ausführlich Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 49 AEUV, Rn. 96 ff.; Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 9), Art. 49 AEUV, Rn. 108 ff. 127 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.03.2011, Rs. C-400/08 (Kommission/Spanien), Rn. 64 f. 128 Vgl. dazu mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 49 AEUV, Rn. 112, 114. 129 Siehe hierzu mit Nachweisen aus der Rechtsprechung Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 9), Art. 49 AEUV, Rn. 112 ff. 130 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 20.06.1996, Rs. C-418/93 u. w. (Semeraol), Rn. 32. 131 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 49 AEUV, Rn. 96, 112, 115; Tiedje, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 9), Art. 49 AEUV, Rn. 108. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 30 der Niederlassungswillige als Teil der ihm obliegenden Integrationslast ebenso hinzunehmen wie Inländer.132 Überträgt man dies auf die Klimaabgabe, so ist zunächst festzustellen, dass diese für niederlassungswillige Stromerzeuger aus dem EU-Ausland weder eine Zugangshindernis darstellt (die Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit bleibt unbeeinträchtigt, eine erneute Genehmigung etc. wird nicht eingeführt) noch zu einer Doppelbelastung führt (maßgeblich sind allein in Deutschland getätigte Emissionen). Fragt man sodann nach dem Bestehen eines hinreichenden Ursachenzusammenhangs zwischen der Klimaabgabe und einer etwaigen Niederlassungsentscheidung , so scheint dieser eher zu ungewiss und mittelbar zu sein, als dass hieraus Konsequenzen für eine Niederlassungsentscheidung gezogen würden. Denn zum einen greift der Klimabeitrag nach dem BMWi-Vorschlag erst ab einer Betriebsdauer von 20 Jahren, zum anderen soll er nach den Vorstellung des BMWi den betroffenen Stromerzeugern genügend betriebswirtschaftliche Flexibilität lassen, um die Freibeträge einzuhalten. Würde man aufgrund der Wertungsoffenheit dieser Beschränkungsformen in diesem Fall zu einem anderen Ergebnis gelangen, so wäre daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass alle die Kosten einer wirtschaftlichen Tätigkeit beeinflussenden staatlichen Maßnahmen als rechtfertigungsfähiger Eingriff in die Niederlassungsfreiheit anzusehen wären. Sollte man dennoch zur Bejahung einer Beschränkung gelangen, hinge die Vereinbarkeit des Klimabeitrags mit der Niederlassungsfreiheit von der Rechtfertigung des Verstoßes ab. Als Rechtfertigungsgrund käme hier der Umweltschutz als anerkannter zwingender Grund des Allgemeinwohls in Betracht.133 Fraglich wäre allein die Verhältnismäßigkeit. Im Schrifttum findet sich in diesem Zusammenhang die Ansicht, wonach der EuGH bei einem weiten Verständnis des Beschränkungsverbots den Mitgliedstaaten im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung einen erweiterten Spielraum einräumen würde.134 Dies vorweggenommen, wären an dieser Stelle die bereits oben angesprochenen gegenläufigen Prognosen hinsichtlich der Auswirkungen des Klimabeitrags zunächst auf ihre Richtigkeit zu prüfen und anschließend entsprechend in der Prüfung der Geeignetheit , Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu berücksichtigen. Bei der letztgenannten Prüfungsebene wären im Ergebnis die umweltschutzrechtlichen Anliegen des Klimabeitrags einerseits und die damit ggf. einhergehenden Auswirkungen auf die Niederlassungsfreiheit andererseits abzuwägen, nicht hingegen die – allenfalls im grundrechtlichen Kontext relevanten – möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Einführung einer Klimaabgabe auf hiervon betroffene Stromerzeuger.135 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der BMWi-Vorschlag ersichtlich noch keinen endgültigen Charakter aufweist. 132 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 49 AEUV, Rn. 115. 133 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 24.03.2011, Rs. C-400/08 (Kommission/Spanien), Rn. 74. 134 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 11), Art. 49 AEUV, Rn. 112. 135 So aber im Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 18 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 31 3.2.5.3. EU-Grundrechte Soweit Verstöße gegen Grundrechte im Zusammenhang mit der Klimaabgabe geltend gemacht werden, erfolgt überwiegend ein Bezug auf die nationalen Grundrechte der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG, der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG sowie des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG.136 Nur vereinzelt werden auch EU-Grundrechte erwähnt.137 Insoweit gilt es zu klären, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen diese vorliegend überhaupt anwendbar wären oder ob es tatsächlich nur auf nationale Grundrechte ankommt. 3.2.5.3.1. Zur Anwendbarkeit von EU-Grundrechten Nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) sind die Mitgliedstaaten an die EU-Grundrechte nur bei der Durchführung des Rechts der Union gebunden. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird diese Vorgabe dahingehend verstanden, dass die Mitgliedstaaten EU-Grundrechte immer dann beachten müssen, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden.138 Das ist etwa der Fall, wenn die Mitgliedstaaten Richtlinien umsetzen und zwar auch dann, wenn ihnen der betreffende Rechtsakt Spielräume einräumt oder Ausnahmetatbestände vorgesehen sind, die von den Mitgliedstaaten ausgefüllt werden können.139 Ob eine Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten auch besteht, wenn sie wie im Fall des Art. 193 AEUV auf Grundlage des Primärrechts über Unionsvorgaben hinausgehen, wurde in der Rechtsprechung bisher – soweit ersichtlich – nicht entschieden. Im Schrifttum werden hierzu unterschiedliche Ansichten vertreten. Zum Teil wird mit Verweis auf die unionsrechtliche Einräumung einer solchen Abweichungsmöglichkeit eine Grundrechtsbindung bejaht.140 Zum Teil wird sie unter Betonung des Mindestcharakters unionsrechtlicher Regelungen einerseits und mangelnder Vorgaben hinsichtlich des Wie mitgliedstaatlicher Abweichung andererseits verneint.141 Unterstellt man im Folgenden, dass Art. 193 AEUV hinsichtlich der Grundrechtsbindung ähnlich zu bewerten ist wie die Einräumung von Ausnahmetatbeständen in Richtlinien, dann ließe sich eine Anwendung der Unionsgrundrechte auf den Klimabeitrag in grundsätzlicher Hinsicht bejahen . Allerdings würde sich dann die Frage stellen, ob der BMWi-Vorschlag zwingend an ihnen zu messen wäre. Denn der Gerichtshof lässt in Fällen, in denen das streitgegenständliche nationale Recht nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, eine Anwendung nationaler Grundrechte zu genügen, soweit hierdurch weder das Schutzniveau der Charta der Grundrechte 136 Vgl. Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 27 ff.; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 15 ff. 137 So im Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 32, hinsichtlich der Eigentumsfreiheit nach Art. 17 GRCh. 138 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn, 19; EuGH, Urt. v. 27.03.2014, Rs. C-265/13 (Marcos), Rn. 29 ff. Siehe hierzu allgemein Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 676 ff. 139 So Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2. Aufl. 2013, Art. 51 GRC, Rn. 18, mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 27.06.2006, Rs. C-540/03 (P/R), Rn. 22. 140 Epiney, in: Landmann/Rohmer (o. Fn. 8), Art. 193 AEUV, Rn. 22. 141 So etwa Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2. Aufl. 2013, Art. 51 GRC, Rn. 25. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 32 noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden.142 Von einem entsprechenden Vorrang wäre konsequenterweise auch hinsichtlich des Art. 193 AEUV auszugehen, da diese Vorschrift den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, weitergehenden Umweltschutz zu verwirklichen, ohne das Wie zu bestimmen, solange nur ein Zielgleichlauf von nationaler Abweichung und unionaler Vorgabe besteht. Soweit man folglich eine (grundsätzliche) Anwendbarkeit der EU-Grundrechte auch im Rahmen des Art. 193 AEUV befürwortet, sind hierauf gestützte nationale Maßnahmen vorrangig am Maßstab nationaler Grundrechte zu überprüfen, soweit nicht der eben beschriebene Vorbehalt tangiert wird. Dies gilt es sogleich zu untersuchen. Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG in solchen Konstellationen wie hier, in denen das Unionsrecht die Ausgestaltung des nationalen Rechts nicht determiniert, nationale Grundrechte den ausschließlichen Rechtsmäßigkeitsmaßstab bilden – unter Ausschluss von EU-Grundrechten.143 Aus Sicht des deutschen Rechts wären EU-Grundrechte vorliegend in jedem Fall unanwendbar. 3.2.5.3.2. Beeinträchtigung von Vorrang, Einheit und Wirksamkeit des Unionsrechts? Aus unionsrechtlicher Perspektive ist hingegen zunächst zu fragen, ob die Anwendung nationaler Grundrechte im konkreten Fall den Vorrang, die Einheit und Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen würde. Das ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn der Klimabeitrag als zulässige verstärkte Schutzmaßnahme im Sinne des Art. 193 AEUV anzusehen ist. Denn diese Vorschrift ermöglicht den Mitgliedstaaten ja gerade den Erlass nationaler Maßnahmen, um über sekundärrechtliche Vorgaben im Umweltbereich hinauszugehen. Vorrang und Einheit des Unionsrechts dürfen somit zum Wohle des Umweltschutzes durchbrochen werden. Und die Wirksamkeit des Unionsrechtes wird insoweit nicht in Frage gestellt, als der unionsrechtlich jeweils vorgesehene Umweltschutz durch die nationale Schutzmaßnahme verstärkt wird. Erfüllt der Klimabeitrag hingegen nicht die Voraussetzungen des Art. 193 AEUV, dann ist er bereits aus diesem Grunde mit Unionsrecht unvereinbar, ohne dass es auf einen Verstoß gegen EU-Grundrechten ankäme. 3.2.5.3.3. Beeinträchtigung des Schutzniveaus der Charta der Grundrechte? Einer vorrangigen Anwendung nationaler Grundrechte könnte somit allein entgegenstehen, dass hierdurch das Schutzniveau der GRCh beeinträchtigt würde. Wann hiervon in abstrakter Hinsicht auszugehen ist, lässt sich der Rechtsprechung der Unionsgerichte – soweit ersichtlich – nicht entnehmen. Allein die Wortwahl des EuGH legt nahe, dass es jedenfalls nicht auf einen materiellen Gleichlauf im Einzelfall ankommen kann, abweichende Ergebnisse im konkreten Fall daher zulässig sind. Das dürfte insbesondere dann gelten, wenn in einem Fall wie hier der nationale Grundrechtsschutz strenger sein sollte als nach Unionsrecht. Dessen ungeachtet wird wohl zu 142 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-399/11 (Melloni), Rn. 60; EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn. 29. 143 Vgl. insbesondere BVerfG, Urt. v. 24.04.2013, 1 BvR 1215/07, NJW 2013, S. 1499 ff, Rn. 88-91; BVerwG, Urt. v. 10.10.2012, 7 C 9/10, NVwZ 2013, S. 587 ff., Rn. 25. Siehe hierzu auch Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 682 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 33 fordern sein, dass das nationale Recht einen den entsprechenden EU-Grundrechten vergleichbaren Grundrechtsschutz jedenfalls im Hinblick auf Schutzbereich und Eingriff gewährleistet, der Unionsbürger somit in subjektivrechtlicher Hinsicht nicht schutzlos gestellt wird. Unterschiede hinsichtlich der Wertungen im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung dürften hingegen hinzunehmen sein, da anderenfalls kein relevanter Raum für eine unionsrechtlich in diesen Fällen ausdrücklich vorgesehene vorrangige Anwendung nationaler Grundrechte mehr bliebe. Blickt man insoweit auf die drei oben erwähnten Grundrechte des GG, so kann beispielsweise auf das Urteil des BVerwG zur Veräußerungskürzung von Emissionsberechtigungen verwiesen werden .144 In diesem hatte das BVerwG die Vereinbarkeit nationaler Bestimmungen des in Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie ergangenen Zuteilungsgesetzes am Maßstab der genannten Grundrechte zu prüfen. Die Richtlinie räumte den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausgestaltung der Zuteilungsregelungen insoweit einen Umsetzungsspielraum ein. In der Sache wurden die genannten Grundrechte vollumfassend geprüft, ein Verstoß scheiterte jeweils (erst) an der vom Gericht bejahten Verhältnismäßigkeit der Zuteilungsregelungen.145 Bereits vor diesem Hintergrund erscheint eine Unterschreitung des unionsgrundrechtlichen Schutzniveaus, bei dem neben dem Gleichheitssatz nach Art. 20 GRCh, dem Eigentumsrecht nach Art. 17 GRCh und der Berufsfreiheit nach Art. 15 GRCh auch noch das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRCh zu beachten wäre146, eher fernliegend. Zu bedenken ist ferner, dass die Rechtsprechung der Unionsgerichte zu den genannten Grundrechten schon aus quantitativen Gründen bisher bei weitem nicht den Differenzierungsgrad aufweist wie dies hinsichtlich der entsprechenden Grundrechte des GG der Fall ist. Grundrechtsrelevante Rechtsprechung zur Emissionshandelsrichtlinie liegt mit einer Ausnahme bisher nicht vor. Diese betraf zudem nicht die Abgabepflicht und einen hierdurch möglichweise begründeten Eingriff in die genannten Grundrechte, sondern ein gleichheitsrechtliches Problem im Zusammenhang mit der Nichteinbeziehung bestimmter CO2-Emittenten in den Anwendungsbereich der Emissionshandelsrichtlinie .147 Soweit EU-grundrechtliche Implikationen dieses Rechtsakts im Schrifttum nachgezeichnet werden, bietet sich indes ein vergleichbares Bild hinsichtlich der drei Ebenen von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung wie es aus der oben angeführten nationalen Rechtsprechung bekannt ist.148 144 BVerwG, Urt. v. 10.10.2012, 7 C 9/10, NVwZ 2013, S. 587 ff. 145 BVerwG, Urt. v. 10.10.2012, 7 C 9/10, NVwZ 2013, S. 587 ff., Rn. 24 ff. (Art. 14 und 12 GG); 42 ff. (Art. 3 Abs. 1 GG). 146 Vgl. zu diesem Grundrecht allgemein Wollenschläger, Die unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh) als grundrechtlicher Pfeiler der EU-Wirtschaftsverfassung – Konturen in der Charta-Rechtsprechung des EuGH, EuZW 2015, S. 285 ff. 147 Konkret ging es um die Nichteinbeziehung von Anlagen des Chemiesektors und des Sektors der Nichteisenmetalle im Gegensatz zur Einbeziehung des Stahlsektors, vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-127/07 (Société Arcelor Atlantique et Lorraine u. a.), Rn. 23 ff. 148 Vgl. dazu ausführlich Shirvani, Klimaschutz und Unternehmensgrundrechte im EU-Recht, VerwArch 2013, S. 83 ff. (89 ff.), mit zahlreichen Nachweisen aus dem Schrifttum. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 34 3.2.5.3.4. Zwischenergebnis Vor diesem Hintergrund sprechen die besseren Argumente für eine vorrangige Anwendung nationaler Grundrechte. Danach wäre der Klimabeitrag nicht an EU-Grundrechten zu messen, ein Verstoß gegen diese scheidet demnach aus. Allein maßgeblich wäre die am Maßstab der nationalen Grundrechte zu entscheidende Rechtmäßigkeit des Klimabeitrags, die allerdings nicht Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist. Würde hiervon abweichend gleichwohl die Anwendung der EU-Grundrechte befürwortet, käme der Rechtfertigungsebene und dort insbesondere der Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. Art. 52 Abs. 1 GRCh) entscheidende Bedeutung zu. An dieser Stelle wären dann v. a. die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimabeitrags zu erörtern und die dazu bestehenden unterschiedlichen Prognosen. Dabei wäre – wie bereits an anderer Stelle hingewiesen – zu berücksichtigen, dass der BMWi-Vorschlag ersichtlich noch keinen endgültigen Charakter aufweist. 3.2.5.4. Industrie-Emissionsrichtlinie Hinsichtlich der Industrie-Emissionsrichtlinie (im Folgenden auch: IED) wird ein Verstoß des Klimabeitrags gegen deren Art. 9 Abs. 1 geltend gemacht.149 Danach dürfen Genehmigungen für Tätigkeiten bzw. Anlagen, die – wie das bei Energieerzeugern der Fall ist – sowohl unter die Industrie -Emissionsrichtlinie als auch unter die Emissionshandelsrichtlinie fallen, grundsätzlich keine Emissionsgrenzwerte enthalten. Hierdurch sollen nach dem 9. Erwägungsgrund der Industrie -Emissionsrichtlinie Doppelregelungen mit dem System des Emissionshandels vermieden werden . Zwar wird mit dem Klimabeitrag kein ausdrücklicher Emissionsgrenzwert festgelegt. Nach den in den gutachterlichen Ersteinschätzungen geäußerten Rechtsansichten wirke die an die Überschreitung des Freibetrags geknüpfte zusätzliche Abgabepflicht jedoch letztlich wie ein Emissionsgrenzwert . 150 Grundlage für die Annahme dieser Fiktion sind Prognosen, wonach der Betrieb stromerzeugender Anlagen oberhalb des Freibetrags aufgrund der Abgabepflicht unwirtschaftlich werde und die betroffenen Stromerzeuger daher – ebenso wie ein ausdrücklicher Grenzwert – zwingen würde, eine Überschreitung zu vermeiden.151 Ob diese Argumentation durchgreift und ein Verstoß gegen die Industrie-Emissionsrichtlinie anzunehmen ist, hängt von zwei Gesichtspunkten ab. Zum einen bedürfte der Klärung, ob die den gutachterlichen Ersteinschätzungen zugrunde liegenden Prognosen hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimabeitrags in tatsächlicher Hinsicht zutreffend sind. Dies kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der BMWi-Vorschlag ersichtlich noch keinen endgültigen Charakter aufweist. 149 Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 21 f.; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 13. 150 Vgl. Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 21 f.; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 13. 151 Vgl. Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 21 f.; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 13. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 35 Zum anderen wäre in rechtlicher Hinsicht zu klären, ob Art. 9 Abs. 1 IED ggf. auch einer solchen faktischen Setzung von Emissionsgrenzwerten entgegensteht. Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 IED in Verbindung mit der Definition des Begriffs „Emissionsgrenzwert“ in Art. 3 Nr. 5 IED erfasst jedenfalls nur die ausdrückliche Festlegung von Grenzwerten in Genehmigungen. Eine darüber hinausgehende Anwendung würde somit nur als Analogie in Betracht kommen. Diese erfordert zum einen eine planwidrige Regelungslücke hinsichtlich des nicht ausdrücklich geregelten Falls und zum anderen einen vergleichbare Interessenslage zwischen geregelter und nicht geregelter Konstellation.152 Ob beide Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, ist eine Frage der Auslegung, die an dieser Stelle nicht abschließend entschieden werden kann. Zweifel bestehen jedenfalls hinsichtlich des Vorliegens einer vergleichbaren Interessenslage. Denn anders als bei Festlegung eines ausdrücklichen Grenzwertes, an dessen Überschreitung mitgliedstaatliche Sanktionen knüpfen (vgl. Art. 79 IED), steht die Überschreitung des Freibetrags auch angesichts ggf. gravierender wirtschaftlicher Nachteile weiterhin im Belieben des Emittenten, ohne dass er hierbei staatliche Sanktionen fürchten muss. Im Übrigen handelt es sich dabei im Kern um den der Emissionshandelsrichtlinie zugrunde liegenden Mechanismus, der durch den Klimabeitrag lediglich verschärft wird: es geht um ein Einpreisen der Umweltkosten in die Emissionstätigkeit und ein dadurch entstehenden Anreiz zur Emissionsreduktion. Je nach Zertifikatspreis, Emissionsmenge und Betriebskosten einer Anlage könnten sich „faktische“ Emissionsgrenzwerte daher bereits allein aus dem System des unionsrechtlichen Emissionshandels ergeben. Insoweit eine Unvereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 1 IED annehmend, läge hingegen fern. Gleiches lässt sich daher für einen daran anknüpfenden nationalen Mechanismus annehmen. 3.3. Ergebnis Die Anwendung des Art. 193 AEUV auf den BMWi-Vorschlag eines Klimabeitrags ist mit zahlreichen Rechtsunsicherheiten behaftet. Diese sind zum Großteil auf die wenigen und nur rudimentären Rechtsprechungsvorgaben zurückzuführen, die zu dieser Vertragsvorschrift bisher vorliegen . Vor diesem Hintergrund werden auch im Kommentarschrifttum zu Art. 193 AEUV verschiedene Auffassung sowohl zur Frage vertreten, unter welchen Voraussetzungen ein nationaler Rechtsakt als verstärkte Schutzmaßnahme anzusehen ist, als auch zum Rechtmäßigkeitsmaßstab, der sich aus dem Begriff „Verträge“ in dieser Vertragsvorschrift ergibt. Wendet man die bestehenden Rechtsprechungsvorgaben sowie die Ansichten im Schrifttum auf den Klimabeitrag an, so lässt sich zunächst nicht eindeutig bestimmen, ob es sich bei dem Klimabeitrag um eine zulässige verstärkte Schutzmaßnahme handelt. Dies betrifft sowohl die aufgeworfenen Rechtsfragen zur Zulässigkeit der Verstärkung wie auch des Schutzcharakters des Klimabeitrags. Unklar ist ferner, wie es rechtlich zu bewerten wäre, wenn der Klimabeitrag zu einem tatsächlichen Übergriff auf die durch Art. 193 AEUV gewährleistete Abweichungsautonomie anderer Mitgliedstaaten führen würde. Unterstellt man für die weitere Prüfung eine nach Art. 193 S. 1 AEUV zulässige Schutzverstärkung , ist eine Vereinbarkeit des Klimabeitrags jedenfalls mit der Warenverkehrsfreiheit nach 152 Siehe hierzu aus der Perspektive Europäischer Methodenlehre, Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 13, Rn. 27 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 36 Art. 35 AEUV zu bejahen. Gleiches dürfte für die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV gelten , wenngleich hier eine andere Auslegung nicht schlechthin ausgeschlossen ist. Mangels einschlägiger Rechtsprechung lässt sich ferner nicht abschließend entscheiden, ob der Klimabeitrag auch mit EU-Grundrechten vereinbar sein muss. Soweit man eine grundsätzliche Anwendung der EU-Grundrechte auf nationale Maßnahmen im Sinne des Art. 193 S. 1 AEUV befürwortet, sprechen die besseren Gründe für eine unionsrechtlich vorgesehene vorrangige Anwendung nationaler Grundrechte, da jedenfalls eine zulässige verstärkte Schutzmaßnahme weder das Schutzniveau der Charta der Grundrechte der EU noch Vorrang, Einheit und Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt. Einer abschließenden Klärung entzieht sich schließlich auch die Frage, ob der Klimabeitrag ggf. als faktisch wirkender Grenzwert zu einem Verstoß gegen die Industrie- Emissionsrichtlinie führt, die für Anlagen, die auch unter die Emissionshandelsrichtlinie fallen, das Verbot ausdrücklicher Emissionsgrenzwerte enthält. Die besseren Argumente streiten indes auch hier gegen eine (analoge) Anwendung dieses Verbots auf den Klimabeitrag und damit für eine Vereinbarkeit mit der Industrie-Emissionsrichtlinie. 4. Zur Vereinbarkeit mit EU-Beihilferecht Ein Widerspruch von Klimabeitrag und EU-Beihilferecht setzt zunächst voraus, dass der Klimabeitrag den Tatbestand einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale werden dem in dieser Vorschrift geregelten grundsätzlichen Verbot staatlicher Beihilfen entnommen. Danach sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar , soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. In den gutachterlichen Ersteinschätzungen wird das Vorliegen dieser Merkmale bejaht. 153 Begründet wird dies mit einer Analogie zu der von Rechtsprechung, Kommission und Schrifttum anerkannten Beihilfekonstellation der selektiven Steuer- und Abgabenermäßigung.154 Da der Freibetrag so festgelegt werde, dass er nur Anlagen und damit Erzeuger treffe, die Strom aus emissionsintensiven Energieträgern erzeugen, v. a. aus Braunkohle, würden andere Anlagen bzw. Energieträger weitgehend freigestellt.155 In dieser Freistellung liege – vergleichbar mit einer Befreiung 153 Vgl. Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 19 ff.; Freshfields-Gutachten (o. Fn. 11), S. 13 f. 154 Siehe dazu etwa EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-5/14 (Kernkraftwerke Lippe-Ems), Rn. 71 ff.; Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung, ABl.EG 1998 Nr. C 384/3 – im Folgenden: KOM-Mitteilung Unternehmensbesteuerung ), online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31998Y1210(01)&from=EN (letztmaliger Abruf am 29.06.15). Aus dem Schrifttum siehe etwa Linn, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Hrsg.), Europäisches Beihilferecht, 2013 (im Folgenden : Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Europäisches Beihilferecht), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 554 ff. 155 Siehe zur Relevanz des Klimabeitrags im Hinblick auf die jeweiligen Energieträger den BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), III. Der nationale „Klimabeitrag“. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 37 von sonst zu zahlenden Steuern oder Abgaben – eine beihilfewidrige Begünstigung der betreffenden Anlagebetreiber.156 Ob diese Analogie zutreffend ist, hängt zum einen davon ab, ob der Klimabeitrag eine – bei Steuer- und Abgabenermäßigungen grundsätzlich gegebenen – selektive Begünstigung darstellt (siehe unter 4.1.). Zum anderen müsste die Voraussetzung der sog. Staatlichkeit der Mittel erfüllt sein, die für die Annahme einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs.1 AEUV ebenfalls konstitutiv ist (siehe unter 4.2.). 4.1. Selektive Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV? Eine Begünstigung ist bei Steuer- oder Abgabenermäßigungen dann anzunehmen, wenn den betroffenen Unternehmen „normalerweise zu tragende Belastungen vermindert werden“.157 Selektiv ist eine solche Begünstigung, wenn die hierdurch betroffenen Unternehmen dadurch „teilweise oder ganz von den finanziellen Lasten freigestellt werden, „die sich aus der normalen Anwendung des allgemeinen Steuersystems ergeben“.158 An dem Vorliegen beider Voraussetzungen bestehen im Hinblick auf den BMWi-Vorschlag Zweifel . Anders als bei Steuer- und Abgabenermäßigung ist die Freistellung bestimmter Anlagen vom Klimabeitrag nämlich nicht die Folge einer Ausnahme von einer ansonsten alle Energieerzeuger treffenden Pflicht zur Abgabe von Zertifikaten. Von dieser Abgabepflicht bestehen – im Gegenteil – gerade keine Ausnahmen. Für jede Anlage sind bei Überschreitung des Freibetrags zusätzliche Zertifikate abzugeben. Abweichungen von der normalen Anwendung des Klimabeitrags sind somit nicht vorgesehen. Als selektive Begünstigung ließe sich allenfalls die Festlegung der Freibetragshöhe ansehen. Denn diese wurde nämlich so gewählt, dass eben nur emissionsintensive Anlagen Gefahr laufen, den Freibetrag zu überschreiten, während emissionsarme Anlagen diesen problemlos werden einhalten können.159 Ob allein ein solcher Vorteil für eine beihilferechtliche Begünstigung genügt , ist fraglich. Mit einer Analogie zu beihilferelevanten Steuer- und Abgabenermäßigungen lässt er sich jedenfalls nicht begründen. Würde man gleichwohl eine (selektive) Begünstigung bejahen , dann wäre nahezu jede Festlegung von umweltrechtlichen Grenzwerten mit Steuerungsfunktion als potentielle Beihilfe einzustufen. 4.2. Keine Staatlichkeit der Mittel im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV Nimmt man dennoch eine selektive Begünstigung an, dann müsste der Klimabeitrag ferner aus staatlichen Mitteln stammen bzw. auf den Staat zurückgeführt werden, um als Beihilfe im Sinne 156 So insbesondere Bird & Bird-Gutachten (o. Fn. 11), S. 20. 157 Vgl. EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-5/14 (Kernkraftwerke Lippe-Ems), Rn. 71; KOM-Mitteilung Unternehmensbesteuerung (o. Fn. 154), Rn. 9. 158 KOM-Mitteilung Unternehmensbesteuerung (o. Fn. 154), Rn. 15. 159 BMWi-Vorschlag (o. Fn. 1), III. Der nationale „Klimabeitrag“. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 38 des Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen zu werden.160 Die dafür im Regelfall notwendige Belastung des staatlichen Haushalts wird bei Steuer- oder Abgabenermäßigungen darin erblickt, dass der Staat auf Einnahmen, die ihm sonst zustehen, verzichtet.161 Genau darin fehlt es aber bei dem Klimabeitrag. Denn die durch den Staat eingezogenen Emissionszertifikate werden gelöscht, ohne dass sich ihr Handelswert positiv im Staatshaushalt niederschlägt. Daher verzichtet der Staat auch nicht auf Einnahmen, wenn er durch die Ausgestaltung des Klimabeitrags bestimmte Emittenten von der Abgabepflicht „freistellt“. Der ggf. anzunehmenden selektiven Begünstigung stünde folglich keine Belastung des Haushaltes gegenüber, die für diese Beihilfekonstellation kennzeichnend ist. Dies gilt auch dann, wenn man das Kriterium der Belastung des Haushalts weit versteht und es genügen lässt, dass der Staat lediglich die zur Begünstigung führenden Mittel bzw. den dafür notwendigen Mittelfluss kontrolliert, ohne dass es zu einer Belastung des Haushalts kommt.162 Obgleich das Ob und das Wie eines solchen weiten Verständnisses umstritten sind, finden sich hierfür sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Kommissionspraxis Anhaltspunkte.163 Sie betreffen jedoch Konstellationen, in denen der (unzweifelhaft gegebenen) Begünstigung als einem geldwerten Vorteil eine staatlich organisierter Mittelfluss zu seiner Finanzierung gegenüber stand. Als Beispiel sei etwa auf die zum Teil laufenden Kommissionsverfahren zur Netzentgeltund EEG-Umlage-Befreiung hingewiesen. Kennzeichnend für beide Konstellationen war, dass die Kosten der als Begünstigung anzusehenden Befreiung von der Entrichtung der Netzentgelte bzw. der EEG-Umlage durch staatliche Vorgaben und unter staatlicher Kontrolle auf alle Stromendverbraucher umgelegt wurden.164 Im Ergebnis ersetzten nach der von der Kommission vertretenen Rechtsansicht die jeweiligen staatlichen Vorgaben sowie die staatliche Kontrolle des Mittelflusses die fehlende Belastung des Haushaltes. Ein solcher staatlich vorgegebener und kontrollierter Mittelfluss ist im Fall der Klimaabgabe nicht erkennbar. Der ggf. als Begünstigung angesehenen „Freistellung“ emissionsärmerer Anlagen steht keinerlei durch den Staat vorgegebene und kontrollierte Finanzierung durch Abgaben oder Umlagen gegenüber. Es fehlt somit auch nach weitem Verständnis an der einer Begünstigung gegenüberstehenden Staatlichkeit der Mittel. 160 Siehe zu diesem Merkmal Pache/Pieper, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (o. Fn. 154), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 64 ff.; Soltész, in: Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht) - Band 3: Beihilfen- und Vergaberecht, 2011 (im Folgenden: MüKo- Wettbewerbsrecht), Art. 107 AEUV, Rn. 239 ff. 161 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 22.06.2006, verb. Rs. C-182/03 und C-217/03 (Belgien und Forum, 187), Rn. 129. Siehe auch KOM-Mitteilung Unternehmensbesteuerung (o. Fn. 154), Rn. 10. Vgl. aus dem Schrifttum Linn, in: Birnstiel /Bungenberg/Heinrich (o. Fn. 154), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 571; Soltész, in: MüKo-Wettbewerbsrecht (o. Fn. 160), Art. 107 AEUV, Rn. 299 ff. 162 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 17.07.2008, Rs. C-206/06 (Essent Netwerk), Slg. 2008, I-5497, Rn. 65 ff. 163 EuGH, Urt. v. 17.07.2008, Rs. C-206/06 (Essent Netwerk), Slg. 2008, I-5497, Rn. 70. 164 Vgl. Kommission, Beschluss SA.34045 (Netzentgeltbefreiung), Rn. 37 ff.; Eröffnungsbeschluss SA.33995 (EEG- Umlagebefreiung), Rn. 81 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 54/15 Seite 39 4.3. Ergebnis Eine Unvereinbarkeit des Klimabeitrags mit dem EU-Beihilferecht ist nicht ersichtlich. Im Ergebnis fehlt es an einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Zweifel bestehen bereits in Bezug auf die Merkmale der Begünstigung und der Selektivität. In den gutachterlichen Ersteinschätzungen des BMWi-Vorschlags wird deren Vorliegen mit einer Analogie zur Beihilfekonstellation der (selektiven) Steuer- und Abgabenermäßigung begründet. Anders als in diesem Fall üblich, sieht der Klimabeitrag aber gerade keine Ausnahmen für einzelne Anlagebetreiber vor, sondern gilt bei Überschreitung des Freibetrags für alle betroffenen Anlagen in gleicher Weise. Allein aus der Festlegung der Höhe des Freibetrags ließe sich eine Begünstigung emissionsarmer Anlagen ableiten. Deren Beihilferelevanz ist jedoch fraglich. Nimmt man sie gleichwohl an, fehlt es jedoch an der sog. Staatlichkeit der Mittel. Denn die Begünstigung muss sich aus staatlichen oder zumindest staatlich kontrollierten Mitteln speisen, um eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 AEUV sein zu können. Eine Steuer- und Abgabenermäßigungen kennzeichnende Belastung des Haushalts durch Verzicht auf Einnahmen liegt jedoch nicht vor. Soweit Zertifikate eingezogen werden , erfolgt eine Löschung, ohne das ihr Handelswert dem staatlichen Haushalt zugutekommt. Durch ein Absehen von der Einziehung bei emissionsärmeren Anlagen erfolgt entsprechend auch kein Verzicht auf Einnahmen. Schließlich steht einer ggf. als Begünstigung angesehenen „Freistellung “ emissionsärmerer Anlagen keinerlei durch den Staat vorgegebene und kontrollierte Finanzierung durch Abgaben oder Umlagen gegenüber, die nach weitem Verständnis ebenfalls eine Staatlichkeit der Mittel begründet.