© 2018 Deutscher Bundestag PE 6-3000-053/18 188 Europarechtliche Maßstäbe für die Beweisverwertung von Videoaufnahmen im öffentlichen Raum nicht öffentlicher Stellen Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 053/18 Seite 2 Europarechtliche Maßstäbe für die Beweisverwertung von Videoaufnahmen im öffentlichen Raum nicht öffentlicher Stellen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 053/18 Abschluss der Arbeit: 29.03.2018 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 053/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Zur Zulässigkeit der Gewinnung von Erkenntnissen mit Videoaufnahmen im öffentlichen Raum 4 2.1. Prüfungsmaßstab 5 2.2. Anwendung des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO für die untersuchte Fragestellung 7 3. Verwertbarkeit der durch Private mit Videoaufnahmen im öffentlichen Raum gewonnenen Erkenntnisse in gerichtlichen Verfahren 8 Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 053/18 Seite 4 1. Fragestellung Der nachfolgende Sachstand geht der Frage nach, ob das Recht der Europäischen Union (EU) der Verwertung von Videoaufnahmen mit Dash-Cams, Digitalkameras oder mit einem Handy als Beweis in Gerichtsverfahren entgegensteht. Die weiteren Fragen werden von WD 7 beantwortet. Nachfolgend wird zunächst untersucht, ob und in welchem Umfang Private nach dem Datenschutzrecht der EU zulässigerweise Erkenntnisse im öffentlichen Raum mit Videoaufnahmen gewinnen dürfen (2.). Sodann wird geprüft, ob sich die Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse in gerichtlichen Verfahren nach europarechtlichen Maßstäben bestimmt und, falls dies der Fall sein sollte, welche Anforderungen das EU-Recht hierfür vorsieht (3). Prüfungsmaßstab zur Klärung dieser Fragen ist die zum 25. Mai 2018 geltende Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten1 (Datenschutz- Grundverordnung, nachfolgend: DSGVO). 2. Zur Zulässigkeit der Gewinnung von Erkenntnissen mit Videoaufnahmen im öffentlichen Raum Der nachfolgende Text befasst sich mit Videoaufnahmen durch Privatpersonen. Hinsichtlich der Videoüberwachung2 durch öffentliche Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung hat der Gesetzgeber im neuen, zum 25. Mai 2018 in Kraft tretenden BDSG3 von der Bereichsausnahme in Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 UAbs. 1 lit. b) DSGVO Gebrauch gemacht, sodass hierfür § 4 BDSG Anwendung findet.4 Soweit öffentliche Stellen Videoüberwachung zur Gefahrenabwehr oder zur Verfolgung von Straftaten einsetzen, ist bereits der Anwendungsbereich des DSGVO nach Art. 2 Abs. 2 lit. d) DSGVO nicht eröffnet. Diese bestimmt sich daher nicht nach europarechtlichen Maßstäben, sondern nach § 4 BDSG.5 1 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl L 314, letzte konsolidierte Fassung abrufbar unter : https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02016R0679- 20160504&qid=1522052449905&from=DE. 2 Diese umfasst nach § 4 Abs. 1 BDSG die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen und nach § 4 Abs. 3 BDSG die Speicherung oder Verwendung der in dieser Weise erhobenen Daten . 3 Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU - DSAnpUG-EU) i.d.F. vom 30.6.2017, BGBl. I, 2097. 4 Zum Anwendungsbereich des BDSG für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen des Bundes und der Länder vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 BDSG. 5 Schaller, in: Roßnagel (Hrsg.), Das neue Datenschutzrecht, 2018, 279. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 053/18 Seite 5 2.1. Prüfungsmaßstab Nachfolgend ist zunächst zu klären, ob sich die Zulässigkeit von Videoaufnahmen im öffentlichen Raum durch nicht öffentliche Stellen nach dem neuen BDSG6 oder nach der DSGVO beurteilt . Wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten kann sich die hier untersuchte Frage nur nach § 4 BDSG beurteilen, sofern die DSGVO insoweit eine Bereichsausnahme vorsieht. Für die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume durch nicht öffentliche Stellen sieht § 4 Abs. 1 Nr. 3 BDSG folgende Regelung vor: „Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume (1) Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist nur zulässig, soweit sie 1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, 2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder 3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen (Hervorhebung durch Verfasser). Bei der Videoüberwachung von 1. öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs - und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder 2. Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs und Busverkehrs gilt der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als ein besonders wichtiges Interesse. (2) Der Umstand der Beobachtung und der Name und die Kontaktdaten des Verantwortlichen sind durch geeignete Maßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkennbar zu machen. (3) Die Speicherung oder Verwendung von nach Absatz 1 erhobenen Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Für einen anderen Zweck dürfen sie nur weiterverarbeitet werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist….“ Hinsichtlich der Erstellung von Videoaufnahmen in öffentlich zugänglichen Räumen durch Private kann sich § 4 Abs. 1 Nr. 3 BDSG nicht auf die Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 3 DSGVO stützen, da diese für die für Videoaufnahmen durch Private einschlägige Regelung in 6 Den nachfolgenden Ausführungen liegt das BDSG in seiner Fassung ab dem 25. Mai 2018 zugunde. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 053/18 Seite 6 Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO den Mitgliedstaaten keine eigene Regelungskompetenz gewährt . § 4 Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist mithin insoweit unanwendbar.7 Die Rechtmäßigkeit der Erstellung von Videoüberaufnahmen in öffentlich zugänglichen Räumen durch Private beurteilt sich mithin nach der DSGVO, soweit diese hierfür Anwendung findet. Für die mittels Dash-Cams, Digitalkameras oder Handys angefertigten Videoaufnahmen findet die DSGVO nach Art. 2 Abs. 2 DSGVO allerdings nur Anwendung, soweit hierdurch personenbezogene Daten verarbeitet werden. Dies setzt voraus, dass mit Videoaufnahmen zumindest identifizierbare Personen (Art. 4 Nr. 1 DSGV) verarbeitet werden. Formen der Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO sind deren Erhebung, Erfassung und Speicherung. Die Rechtmäßigkeit der durch Videoaufnahmen erfolgenden Verarbeitung personenbezogener Informationen beurteilt sich nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO. „Artikel 6 Rechtmäßigkeit der Verarbeitung (1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist: […] f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen , insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt. Unterabsatz 1 Buchstabe f gilt nicht für die von Behörden in Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommene Verarbeitung.“ Für den nationalen Gesetzgeber besteht wegen Fehlens einer entsprechenden Bereichsausnahme in der DSGVO keine Regelungskompetenz, abweichend vom Unionsrecht die Zulässigkeit von Videoaufnahmen durch Private durch eine eigenständig normierte Interessenabwägung zu regeln. Bereits zu der nahezu wortlautgleichen Vorgängerregelung zu Art. 6 DSGVO, Art. 7 Richtlinie 95/46/EG, hatte der EuGH dargelegt, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten keine anderen als die in Art. 7 Richtlinie 96/46 EG aufgezählten Grundsätze einführen und zudem nicht durch zusätzliche Bedingungen den Gehalt der in Art. 7 normierten Erlaubnistatbestände verändern dürfen.8 7 Nebel und Schaller, in: Roßnagel (Hrsg.), Das neue Datenschutzrecht, 2018, 111, 279; Piltz, Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 27. März 2017 zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) BT-Drucksache 18/11325, (nachfolgend: Anhörung), 15 f.; Wolff, Abhörung, S. 10; Jandt, ZRP 2018, 16 (18). 8 EuGH, Urt. v. 19.10.2016, C- 582/14 (Breyer) Rn. 57. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 053/18 Seite 7 „Art. 5 der Richtlinie 95/46 erlaubt den Mitgliedstaaten zwar, nach Maßgabe ihres Kapitels II und damit ihres Art. 7 die Voraussetzungen näher zu bestimmen, unter denen die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist, doch kann von dem Ermessen, über das die Mitgliedstaaten nach Art. 5 verfügen, nur im Einklang mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel der Wahrung eines Gleichgewichts zwischen dem freien Verkehr personenbezogener Daten und dem Schutz der Privatsphäre Gebrauch gemacht werden. Die Mitgliedstaaten dürfen nach Art. 5 der Richtlinie in Bezug auf die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten keine anderen als die in Art. 7 der Richtlinie aufgezählten Grundsätze einführen und auch nicht durch zusätzliche Bedingungen die Tragweite der sechs in Art. 7 vorgesehenen Grundsätze verändern“ Die Zulässigkeit der Erstellung von Videoaufnahmen durch Private bestimmt sich mithin (allein) nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO. 2.2. Anwendung des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO für die untersuchte Fragestellung Die Zulässigkeit von Videoaufnahmen durch Private im öffentlichen Raum kann mit Blick auf die in der dafür einschlägigen Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO verwandten unbestimmten Rechtsbegriffe9 und der vorzunehmenden Abwägung der mit der Videoaufnahme verfolgten „berechtigten Interessen“ mit den Interessen oder Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, nur im Einzelfall ermittelt werden.10 Es ist Aufgabe der Rechtsprechung, auf Grundlage dieser neuen datenschutzrechtlichen Regelungen genauere Leitlinien für die Zulässigkeit von Videoaufnahmen herauszubilden. Die DSGVO spezifiziert die im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO vorzunehmende Interessenabwägung näher in ihrem Erwägungsgrund 47. „Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung kann durch die berechtigten Interessen eines Verantwortlichen , auch eines Verantwortlichen, dem die personenbezogenen Daten offengelegt werden dürfen, oder eines Dritten begründet sein, sofern die Interessen oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen; dabei sind die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person, die auf ihrer Beziehung zu dem Verantwortlichen beruhen, zu berücksichtigen. Ein berechtigtes Interesse könnte beispielsweise vorliegen, wenn eine maßgebliche und angemessene Beziehung zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen besteht, z. B. wenn die betroffene Person ein Kunde des Verantwortlichen ist oder in seinen Diensten steht. Auf jeden Fall wäre das Bestehen eines berechtigten Interesses besonders sorgfältig abzuwägen, wobei auch zu prüfen ist, ob eine betroffene Person zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten und angesichts der Umstände, unter denen sie erfolgt, vernünftigerweise absehen kann, dass möglicherweise eine Verarbeitung für diesen Zweck erfolgen wird. Insbesondere dann, wenn personenbezogene Daten in Situationen verarbeitet werden, in denen eine betroffene Person vernünftigerweise nicht mit einer weiteren Verarbeitung rechnen muss, könnten die Interessen und Grundrechte der betroffenen Person das Interesse des Verantwortlichen überwiegen. […]“ 9 Vgl. dazu Bull, JZ 2017, 797 (804). 10 Jandt, ZRP 2018, 16 (18); Schwenke, NJW 2018, 823 (826). Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 053/18 Seite 8 Soweit nach vorstehenden Maßstäben sich Videoaufnahmen durch Private im öffentlichen Raum als unzulässig erweisen, folgte daraus allerdings noch nicht, dass diese dann in gerichtlichen Verfahren nicht als Beweismittel verwertet werden dürfen,11 da jeder Verarbeitungsvorgang nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO, etwa die Speicherung personenbezogener Daten und ihre anschließende Verwendung, eigenständig datenschutzrechtlich zu bewerten ist. Nachfolgend wird untersucht, ob für die Verwertung von Videoaufnahmen in gerichtlichen Verfahren als Beweismittel europarechtliche Regelungen einschlägig sind. Soweit dies nicht der Fall ist bestimmt sich dies nach dem Recht der Mitgliedstaaten. 3. Verwertbarkeit der durch Private mit Videoaufnahmen im öffentlichen Raum gewonnenen Erkenntnisse in gerichtlichen Verfahren Wie bereits dargelegt, ist die Verwertung der mit Videoaufnahmen erhobenen personenbezogenen Daten gegenüber ihrer Erhebung durch die Videoaufnahme selbst nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO datenschutzrechtlich eigenständig zu beurteilen. Art. 2 Abs. 2 lit. d) DSGVO schließt aus dem Anwendungsbereich der DSGVO die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung , Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, aus, so dass sich die Beweisverwertung von Videoaufnahmen in Straf- und Bußgeldverfahren mangels weiterer einschlägiger europarechtlicher Regelungen nicht nach dem Recht der EU, sondern nach dem Recht der Mitgliedstaaten bestimmt.12 Für die Beweisverwertung in anderen Verfahren – insb. im Rahmen zivilgerichtlicher Verfahren – gilt folgendes: Die Verwertung von sich auf identifizierte oder identifizierbare Personen beziehenden Informationen als Beweismittel für gerichtliche Entscheidungen ist nach Art. 4 Nr. 1, 2 DSGVO eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die nach Art. 2 Abs. 2 DSGVO den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet. Der Beweisantritt durch Privatpersonen mit von diesen vorgenommenen Videoaufnahmen unterfällt Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO, dessen Zulässigkeit sich nach den oben unter 2.2. dargestellten Maßstäben bemisst. Davon zu unterscheiden ist die gerichtliche Zulassung der Videoaufnahme als Beweismittel, die gerichtliche Beweiswürdigung und die darauf gestützte Entscheidung eines Gerichts, die tatbestandlich als Ausübung hoheitlicher Gewalt Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e) DSGVO unterfallen. 11 So das OLG Hamburg, 6.10.2017, 1 Rev 12/17 auf Grundlage des vor dem 25.5.2018 geltenden Datenschutzrechts . 12 Dazu Geminn/Richter in: Roßnagel (Hrsg.), Das neue Datenschutzrecht, 2018, 347. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 053/18 Seite 9 Nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e) DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig , wenn diese für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, wovon auch die Rechtsprechung durch Gerichte umfasst ist13, erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Die Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e) DSGVO kann – anders als die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Privatpersonen nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO – nach Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1 lit. b) DSGVO im Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, geregelt werden. Art. 6 Abs. 2 DSGVO eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eigener datenschutzrechtlicher Regelungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e) DSGVO, die allerdings den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 DSGVO genügen müssen, indem diese der Gewährleistung einer rechtmäßigen, fairen Verarbeitung dienen und als „Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften “ der DSGVO spezifische Anforderungen für die Verarbeitung sowie sonstige Maßnahmen präziser bestimmen.14 Von dieser Öffnungsklausel hat der Bundesgesetzgeber mit dem neuen BDSG15 Gebrauch gemacht, die die Erhebung sowie die Speicherung und Verwendung der durch Videoüberwachung erhobenen Daten in § 4 BDSG regelt. Die Verwertung der durch Private mit Videoaufnahmen im öffentlichen Raum gewonnenen Erkenntnisse durch Gerichte bestimmt sich mithin nicht nach der DSGVO sondern nach dem Recht der Mitgliedstaaten, in Deutschland insb. nach § 4 BDSG. - Fachbereich Europa - 13 Der Begriff der öffentlichen Gewalt wird in der DSGVO nicht definiert. Der Erwägungsgrund 45 verdeutlicht, dass durch eine Behörde oder eine andere unter das öffentliche Recht fallende natürliche oder juristische Person handeln muss; vgl. dazu auch Schaller, in: Roßnagel (Hrsg.), Das neue Datenschutzrecht, 2018, 273. 14 Frenzel, in: Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung Bundesdatenschutzgesetz, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 32. 15 Vgl. oben Fn. 3.