© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 53/16 Fragen zu der Mitwirkung des Bundestages bei der vorläufigen Anwendung und dem Abschluss von Freihandelsabkommen der EU Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 2 Fragen zu der Mitwirkung des Bundestages bei der vorläufigen Anwendung und dem Abschluss von Freihandelsabkommen der EU Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 53/16 Abschluss der Arbeit: 13. April 2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vorbemerkungen 4 2.1. Abgrenzung von EU-Abkommen und gemischten Abkommen 4 2.1.1. EU-Abkommen 4 2.1.2. Gemischtes Abkommen 5 2.1.3. Maßstäbe zur Abgrenzung von EU-Abkommen und gemischten Abkommen 5 3. Mitwirkung des Bundestages vor einer Abstimmung im Rat 6 3.1. Wertungen im Gutachten 6 3.1.1. Befassungspflicht 6 3.1.2. Zustimmungspflicht 7 3.2. Bewertung 7 3.2.1. Befassungspflicht 7 3.2.1.1. Struktur der Mitwirkungsrechte 7 3.2.1.1.1. Unterrichtungsrechte 8 3.2.1.1.2. Stellungnahmerecht 8 3.2.1.2. Integrationsverantwortung 9 3.2.1.3. Folgerungen 10 3.2.2. Zustimmungspflicht 10 3.2.2.1. Umfang des Stellungnahmerechts 10 3.2.2.2. Folgerungen 11 4. Mitwirkung des Bundestages bei der vorläufigen Anwendung 12 5. Rechtliche Grundlagen der vorläufigen Anwendung 12 6. Beteiligungsrechte des Bundestages bei Handelsabkommen der EU 13 6.1. Mitwirkung beim Abschluss eines EU-Abkommens 14 6.1.1. Paraphierung 14 6.1.2. Unterzeichnung 15 6.1.3. Vorläufige Anwendung des Abkommens 15 6.1.4. Abschluss 16 6.1.5. Mitwirkung beim Abschluss eines gemischten Abkommens 16 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 4 1. Fragestellung Diese Ausarbeitung setzt sich mit Fragen der Parlamentsbeteiligung beim Abschluss und der vorläufigen Anwendung von Handelsabkommen der Europäischen Union (EU) auseinander. Der Auftrag, der dieser Ausarbeitung zugrunde liegt, verweist darauf, dass durch den Vertrag von Lissabon Handelsangelegenheiten auf die EU-Ebene übertragen worden sind. Im Falle von sogenannten gemischten Abkommen sei die Ratifikation durch die nationalen Instanzen vorgesehen. Ein Handelsabkommen könne, wie am Beispiel Südkorea geschehen, vorläufig in Kraft treten. Hierzu benötige es einen positiven Beschluss des Rates. Ein Gutachten von Prof. Dr. Weiß komme nun zu dem Schluss, dass vor dem Ratsbeschluss der Deutsche Bundestag einer solchen vorläufigen Anwendung seine Zustimmung erteilen muss.1 2. Vorbemerkungen 2.1. Abgrenzung von EU-Abkommen und gemischten Abkommen Ob und in welcher Form die nationalen Parlamente bei dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu beteiligen sind richtet sich zunächst danach, um welche Art von völkerrechtlichem Vertrag es sich handelt. Hierfür kommen der Abschluss als bilaterales Handelsabkommen nach Art. 207 AEUV zwischen der EU und dem Vertragspartner (im Folgenden: EU-Abkommen) oder als multilaterales gemischtes Abkommen zwischen dem Vertragspartner und der EU sowie ihren Mitgliedstaaten (im Folgenden: gemischtes Abkommen) in Betracht. 2.1.1. EU-Abkommen Die EU kann gem. Art. 207 iVm Art. 216 AEUV Handelsabkommen mit Drittstaaten und anderen internationalen Organisationen abschließen. Dabei ermächtigt Art. 216 AEUV zum Vertragsschluss und Art. 207 AEUV bestimmt den – gem. Art. 2 Abs. 6, 3 Abs. 1 lit. e) AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden – Vertragsgegenstand der gemeinsamen Handelspolitik . Die Mitgliedstaaten sind nicht befugt, in dem von Art. 207 AEUV erfassten Politikbereich eigene Handelsabkommen abzuschließen (Art. 2 Abs. 1 1. HS AEUV). Die gemeinsame Handelspolitik gem. Art. 207 AEUV erfasst alle Maßnahmen, die den Handelsverkehr – also den Warenaustausch – mit dritten Staaten regeln, sowie alle Maßnahmen, deren Hauptzweck in der Beeinflussung der Handelsströme und des Handelsvolumens liegt.2 So werden gem. Art. 207 Abs. 1 AEUV vor allem die Änderung von Zollsätzen, der Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen, die den Handel mit Waren und Dienstleistungen betreffen, die Handelsaspekte des geistigen Eigentums , die ausländischen Direktinvestitionen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaß- 1 Weiß, Verfassungsprobleme der vorläufigen Anwendung von EU-Freihandelsabkommen, Gutachten im Auftrag von Foodwatch vom 15. März 2016 (im Folgenden: Gutachten), abrufbar unter https://www.foodwatch.org/fileadmin/Themen/TTIP_Freihandel/Dokumente/2016-03-26_Prof_Weiss_Gutachten _Verfassungsprobleme_einstweiliger_Anwendung.pdf. 2 Vgl. den Überblick bei Nettesheim/Duvigneau, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 207 AEUV, Rn. 6 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 5 nahmen, die Ausfuhrpolitik sowie handelspolitische Schutzmaßnahmen von der Vorschrift erfasst . Die Aufzählung der Gegenstände der Handelspolitik ist jedoch nicht abschließend, d.h. die Union ist nicht auf die genannten Instrumente beschränkt.3 Handelt es sich bei dem Abkommen um ein reines Handelsabkommen im Sinne des Art. 207 AEUV, muss es nur das Ratifizierungsverfahren der EU durchlaufen und nicht (zusätzlich) die Ratifizierungsverfahren der 28 Mitgliedstaaten gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften .4 Gleichwohl werden auch die Mitgliedstaaten durch ein EU-Abkommen verpflichtet und die Regelungen des Abkommens gelten auch in den nationalen Rechtsordnungen. 2.1.2. Gemischtes Abkommen Betrifft ein Abkommen mit Drittstaaten aber Gegenstände, die nicht vollständig in den handelspolitischen Kompetenzbereich der Union fallen, sondern auch in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten, wird das Abkommen als gemischtes Abkommen abgeschlossen. Darunter versteht man völkerrechtliche Verträge, die die EU unter Mitwirkung der Mitgliedstaaten auf der Grundlage sowohl von Unions- als auch von mitgliedstaatlichen Kompetenzen abschließt.5 Ein „gemischtes Abkommen“ muss obligatorisch dann geschlossen werden, wenn die Abkommensmaterie sowohl Zuständigkeitsbereiche der EU als auch Bereiche betrifft, die in die ausschließliche , nicht auf die EU übertragene Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder in die zwischen Union und Mitgliedstaaten gem. Art. 4 AEUV geteilten Zuständigkeiten fallen.6 Betrifft ein Abkommen also auch weitere, über Art. 207 EUV hinausgehende Materien, so könnte hierfür keine ausschließliche Kompetenz der EU gegeben sein, sodass eine Ratifikation auch durch die Mitgliedstaaten erforderlich wäre.7 2.1.3. Maßstäbe zur Abgrenzung von EU-Abkommen und gemischten Abkommen Die konkrete Qualifizierung einer Übereinkunft als gemischtes Abkommen oder als EU-Abkommen wird zunächst durch den Anwendungsbereich des Unionsrechts und den Regelungsumfang des betreffenden Abkommens bestimmt.8 Hierfür sind ex ante die Kompetenzen zu beurteilen, 3 Vgl. den Überblick bei Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 207 AEUV, Rn. 40 f. 4 In Deutschland erfolgt die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge gemäß Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2/08 u. a., Rdnr. 373, BVerfGE 123, 267 (amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerfG); Bungenberg, Außenbeziehungen und Außenhandelspolitik , Europarecht (EuR) 2009, S. 195, 204. Siehe dazu auch unten unter 5.3. 5 Vgl. Vranes, Gemischte Abkommen und die Zuständigkeit des EuGH – Grundlagen und neuere Entwicklungen in den Außenbeziehungen, Europarecht (EuR) 2009, S. 44 (44). 6 Vgl. Bollrath, Die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik, 2008, S. 63; Bungenberg, Going Global? The EU Common Commercial Policy after Lisbon, in: Herrmann/Terhechte (Hrsg.), European Yearbook of International Economic Law 2010, S. 123 (133). 7 Zu den Ratifikationsverfahren siehe unten unter 5. 8 Vgl. EuGH, Gutachten 1/03 (Lugano Konvention), Rn. 126. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 6 die durch das Abkommen potenziell berührt werden.9 Mit Blick auf die Wahrnehmung der gemeinsamen Handelspolitik gemäß Art. 133 EGV (nun: Art. 207 AEUV) hat der EuGH festgestellt, dass die Norm dann maßgeblicher Anhaltspunkt ist, wenn sich ein Abkommen „unmittelbar und sofort“ auf den Handel auswirkt.10 Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten bei Abkommen im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik (vgl. Art. 207 Abs. 6 AEUV) stellt der EuGH sowohl auf das vorherrschende Ziel als auch auf die vorherrschenden Elemente des Abkommens ab.11 Dementsprechend stellt sich die Frage, ob sich das Abkommen ausschließlich auf Aspekte der Gemeinsamen Handelspolitik beschränkt oder darüber hinaus weitere Materien betrifft, die nicht vom Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik erfasst sind.12 3. Mitwirkung des Bundestages vor einer Abstimmung im Rat Im Folgenden geht die Ausarbeitung auf die Frage ein, ob die im o.g. Gutachten genannte Auffassung zutrifft, dass sich der Bundestag mit der vorläufigen Anwendung eines Abkommens befassen muss und dass der deutsche Vertreter einem Beschlussvorschlag für eine vorläufige Anwendung eines EU-Freihandelsabkommen nur zustimmen darf, nachdem der Bundestag hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ausgehend von den im Gutachten dargestellten Positionen (hierzu 3.1.) beziehen sich die folgenden Ausführungen auf die Beschlüsse des Rates zur vorläufigen Anwendung einer Übereinkunft gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV (hierzu 3.2.).13 3.1. Wertungen im Gutachten 3.1.1. Befassungspflicht Im Gutachten wird die Auffassung vertreten, dass es verfassungsrechtlich wie demokratiepolitisch unakzeptabel sei, dass die vorläufige Anwendung eines Abkommens an den Parlamenten vorbei erfolge. Hierzu wird ausgeführt, dass der Rat durch seine Festlegung der Reichweite der vorläufigen Anwendung auch über die verfassungsrechtlich und -praktisch grundlegende Frage der Kompetenzverteilung in der EU entscheide. Setzte der Rat auch Abkommensteile vorläufig in Kraft, die unter die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, so berühre diese zu weite Kompetenzbeanspruchung die nationale Zuständigkeit und damit den Entscheidungsraum des deutschen Gesetzgebers. Zudem seien die umfangreichen Freihandelsabkommen der neuen Genera- 9 Vgl. Haag, in: Bieber/Epiney/Haag (Hrsg.), Die Europäische Union, § 33 Rn. 18. 10 EuGH, Rs. C-94/03 (Kommission/Rat), Rn. 42; vgl. auch EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 33 ff. 11 EuGH, Rs. C-268/94 (Portugal/Rat), Rn. 35 ff.; EuGH, Gutachten 2/00 (Cartagena), Rn. 20 ff. 12 Vgl. Kumin/Bittner, Die „gemischten“ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, in: EuR-Beiheft 2/2012, S. 75 (76 ff.); Hahn, in: Calliess /Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 207 AEUV, Rn. 11 f. 13 Im Folgenden bleiben dementsprechend die Frage eines Zustimmungsvorbehalts beim Abschluss eines Abkommens gemäß Art. 218 Abs. 6 AEUV sowie die im Gutachten (S. 6 f.) angesprochenen Aspekte eines Zustimmungserfordernisses im Hinblick auf beschließende Vertragsorgane in Freihandelsabkommen außer Betracht. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 7 tion von hoher politischer Bedeutung. Aus den grundlegenden politischen und verfassungsrechtlichen Dimensionen der Freihandelsabkommen der neuen Generation verdichte sich das Stellungnahmerecht des Bundestags zu einer Befassungspflicht.14 3.1.2. Zustimmungspflicht In dem Gutachten wird über das Bestehen einer Befassungspflicht hinaus argumentiert, dass der deutsche Vertreter im Rat der vorläufigen Anwendung nur auf Grundlage einer entsprechenden Entscheidung des Deutschen Bundestages zustimmen dürfe.15 Hierfür wird auf die vom BVerfG betonte Integrationsverantwortung des Deutschen Bundestags für die Entwicklung der Europäischen Integration verwiesen. Deren Ausübung erfordere die Beteiligung des Bundestages bei der Ausübung wenig bestimmter EU-Zuständigkeiten. Dies betreffe insbesondere die Fälle, in denen im Rahmen von Freihandelsverträgen Vertragsorgane eingesetzt werden, die eigenständige Zuständigkeiten ausüben und in bestimmten Fällen verbindliche Entscheidungen treffen dürfen. Mit Blick auf den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung fehle es der EU an einer Befugnis für die Übertragung rechtserheblicher Entscheidungen auf Vertragsorgane bzw. für eine Delegation von Hoheitsbefugnissen der EU auf völkerrechtliche Gremien. Die diesbezügliche Delegationsbefugnis der EU sei zu unbestimmt und stelle daher eine verfassungswidrige Blankettermächtigung dar. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf ihre rechtlichen Wirkungen müsse die deutsche Beteiligung im Rat bereits bei der vorläufigen Anwendung des Abkommens ansetzen. Die verfassungsrechtliche Integrationsverantwortung für die neuen Freihandelsabkommen spreche daher nicht nur für die Notwendigkeit einer Stellungnahme des Bundestags, sondern sogar für einen Zustimmungsvorbehalt. Danach dürfe der deutsche Vertreter im Rat der vorläufigen Anwendung nur mit Zustimmung des Deutschen Bundestages zustimmen. 3.2. Bewertung 3.2.1. Befassungspflicht Anknüpfend an das Stellungnahmerecht des Bundestages gemäß Art. 23 Abs. 3 GG iVm § 8 EUZBBG stellt sich die Frage, ob sich dieses Stellungnahmerecht – entsprechend den Darstellungen im Gutachten – zu einer Befassungspflicht verstärken kann. 3.2.1.1. Struktur der Mitwirkungsrechte Insoweit ist zunächst anzumerken, dass das Verfahren zum Abschluss von Freihandelsabkommen der EU gemäß Art. 218 AEUV einschließlich des Beschlusses des Rates zur vorläufigen Anwendung solcher Abkommen gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV ein spezifisch auf den Integrationsprozess bezogenes Verfahren16 und somit eine Angelegenheit der EU gemäß Art. 23 Abs. 2 GG ist. 14 Gutachten, S. 5. 15 Gutachten, S. 7. 16 BVerfGE 131, 152 (199 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 8 3.2.1.1.1. Unterrichtungsrechte Dementsprechend unterliegt das Verfahren zunächst den Unterrichtungspflichten gemäß Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG.17 Die Grundsätze und Einzelheiten der Unterrichtung und des Rechts zur Stellungnahme des Bundestages ergeben sich aus §§ 4 ff. EUZBBG. Die Unterrichtungspflichten sollen den Bundestag in die Lage versetzen, sich „fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt. Das schließt es aus, dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt , und gebietet die Weiterleitung sämtlicher Dokumente, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden.“18 3.2.1.1.2. Stellungnahmerecht Darüber ist ein Beschluss des Rates auch im Rahmen von Art. 218 Abs. 5 AEUV als rechtserhebliche Handlung eines Unionsorgans ein Rechtssetzungsakt, für den Art. 23 Abs. 3 GG iVm § 8 EUZBBG ein spezifisches Stellungnahmerecht des Bundestages vorsieht.19 Im Interesse einer effektiven Mitwirkung des Bundestages ist die Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß Art. 23 Abs. 3 S. 1 GG und § 8 Abs. 1 S. 1 EUZBBG bereits vor der Mitwirkungshandlung der Bundesregierung auf europäischer Ebene einzuräumen.20 Hierbei verpflichtet § 8 Abs. 1 S. 2 EUZBBG die Regierung zum einen, den Bundestag fortlaufend über den Beratungsverlauf zu informieren, um es den Abgeordneten zu ermöglichen, den geeigneten Zeitpunkt für die Beschlussfassung über eine Stellungnahme eigenständig zu bestimmen. Mit dem Stellungnahmerecht des Bundestages, das sich auf den gesamten Prozess der Willensbildung auf europäischer Ebene zu Rechtsetzungsakten der EU erstreckt,21 korrespondiert eine Berücksichtigungspflicht der Bundesregierung. Gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 EUZBBG muss die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundestages ihren Verhandlungen zugrunde legen. Die Bundesregierung wird hierdurch zum einen verpflichtet, sich mit den darin enthaltenen Positionen und Forderungen zu befassen. Zum anderen hat sie diese in ihre Willensbildung auf nationaler und europäischer Ebene sowie in ihre Verhandlungsstrategie einzubeziehen (Befassungs- und Berücksichtigungspflicht ). Der Bundestag ist fortlaufend über die Berücksichtigung einer Stellungnahme in den Verhandlungen auf europäischer Ebene zu unterrichten (§ 8 Abs. 2 S. 2 EUZBBG). 17 Vgl. hierzu BVerfGE 131, 152 (194 ff.). Für die Frage der Ermöglichung einer Unterrichtung auf EU-Ebene vgl. https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/EU-USA_Freihandelsabkommen /TTIP-Klageschrift.pdf. 18 BVerfGE 131, 152 (212). 19 Vgl. zum folgenden Referat PE 2, Vermerk „Verfahren bei Abgabe einer Stellungnahme nach § 8 EUZBBG“ vom 1. Dezember 2015. 20 Vgl. Wollenschläger, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 23, Rn. 131. 21 Vgl. BT-Drs. 12/3896, S. 19. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 9 Bei Stellungnahmen zu EU-Rechtsetzungsakten statuiert § 8 Abs. 4 EUZBBG zusätzlich zu den für alle Stellungnahmen geltenden Regeln weitere Pflichten der Bundesregierung und konkretisiert auf diese Weise die aus Art. 23 Abs. 3 S. 1 GG erwachsende Befassungs- und Berücksichtigungspflicht . So hat die Regierung einen Parlamentsvorbehalt einzulegen, wenn wesentliche Belange der Stellungnahme von ihr in den Verhandlungen auf EU-Ebene nicht durchsetzbar sind und hierüber angemessen gesondert zu berichten (§ 8 Abs. 4 S. 1 bis 3 EUZBBG). Des Weiteren bemüht sie sich um die Herstellung von Einvernehmen mit dem Bundestag vor der abschließenden Entscheidung (§ 8 Abs. 4 S. 4 und 5 EUZBBG). Dieses Bemühen der Bundesregierung hat über die bloße Unterrichtung nach den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 2 S. 2 und Abs. 4 S. 2 EUZBBG hinauszugehen. § 8 Abs. 4 S. 4 EUZBBG verlangt vielmehr, dass die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag aktiv und ausdrücklich um Unterstützung für die zwar von der Stellungnahme des Bundestages abweichende, aber aus Regierungssicht durchsetzbar erscheinende Position wirbt und um Zustimmung bittet. Das Parlament hat nach § 8 Abs. 4 EUZZBG kein „Vetorecht“, sondern kann auf die Verhandlungen auf EU-Ebene und die Verhandlungsposition der Bundesregierung nur im Rahmen seiner Mitwirkungsbefugnisse nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 GG Einfluss nehmen. § 8 Abs. 4 S. 6 EUZBBG stellt fest, dass die Bundesregierung „aus wichtigen außen- und integrationspolitischen Gründen“ von den Forderungen des Parlaments abweichen kann. Zwar befindet allein sie darüber , ob solche Gründe vorliegen, jedoch hat sie dem Bundestag gegenüber die abweichende Entscheidung zu begründen (§ 8 Abs. 5 S. 2 EUZBBG). 3.2.1.2. Integrationsverantwortung Mit Blick auf die im Gutachten zur Begründung vorgetragenen „grundlegenden politischen und verfassungsrechtlichen Dimensionen der Freihandelsabkommen der neuen Generation“22 könnte sich eine Handlungspflicht des Bundestages in Form einer Befassungspflicht aus der Verantwortung der deutschen Verfassungsorgane für die Einhaltung des Integrationsprogramms ergeben.23 Im Hinblick auf den Umfang dieser Integrationsverantwortung hat das BVerfG festgestellt, dass aus dieser Verantwortung für den Bundestag und die Bundesregierung die Pflicht erwachse, „über die Einhaltung des Integrationsprogramms zu wachen und bei offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen durch Organe der Europäischen Union nicht nur Mitwirkungs- und Umsetzungshandlungen zu unterlassen, sondern aktiv auf die Einhaltung des Integrationsprogramms hinzuwirken.“24 Vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf das subjektiv -öffentliche Recht aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG folgert das BVerfG, dass der Bürger verlangen könne, „dass Bundestag und Bundesregierung sich aktiv mit der Frage auseinandersetzen, wie 22 Gutachten, S. 5. 23 Zum Begriff der Integrationsverantwortung vgl. BVerfGE 123, 267 (352 f.). 24 BVerfGE 134, 366 (395). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 10 die Kompetenzordnung wiederhergestellt werden kann, und eine positive Entscheidung darüber herbeiführen, welche Wege dafür beschritten werden sollen.“25 3.2.1.3. Folgerungen Diese Erwägungen streiten jedenfalls bei offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen durch die Europäischen Organe dafür, dass sich der Bundestag aufgrund seiner Integrationsverantwortung hiermit befassen muss. Jedoch ergeben sich weder aus der Verfassung , noch aus den einfachgesetzlichen Bestimmungen zwingende Anhaltspunkte für eine konkrete Art und Weise, in der diese Befassung zu erfolgen hat. Mit Blick auf die vielfältigen Reaktionsmöglichkeiten und das dementsprechende politische Ermessen des Parlaments26 stellt sich die im Gutachten postulierte, über ein Stellungnahmerecht hinausgehende „Befassungspflicht “ des Bundestages als eine politische, nicht aber als eine konkrete Rechtspflicht dar. 3.2.2. Zustimmungspflicht Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich radizierten Beteiligungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union stellt sich die Frage, ob die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat zu einer vorläufigen Anwendung eines EU-Freihandelsabkommens eine vorherige Ermächtigung durch den Deutschen Bundestag erfordert. 3.2.2.1. Umfang des Stellungnahmerechts Die in Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG vorgesehene und gemäß Art. 23 Abs. 3 S. 3 GG durch § 8 EUZBBG konkretisierte Berücksichtigungspflicht umfasst eine politische Bindung, jedoch keine rechtliche Bindung der Bundesregierung bzw. des deutschen Vertreters im Rat durch die Stellungnahme des Bundestages.27 Die Begrenzung des Stellungnahmerechts auf eine politische Bindung beruht darauf, dass das grundgesetzliche System der Gewaltenteilung auch im Rahmen von Art. 23 GG zugleich Grund und, mit Blick auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung und den Grundsatz der Außenvertretung durch den Bund (Art. 32 Abs. 1 GG), Grenze der Informationsund Mitwirkungsrechte des Parlaments gegenüber der Regierung ist. Bei der Einführung von Art. 23 GG hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber gegen eine ursprünglich vorgesehene Bindung an die Stellungnahmen des Bundestages und für eine schwächere Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme entschieden.28 Um gleichwohl eine effektive Mitwirkung des Deut- 25 BVerfGE 134, 366 (397). 26 Vgl. dementsprechend das Sondervotum von Bundesverfassungsrichterin Lübbe-Wolff in BVerfGE 134, 366 (422). 27 Vgl. BT-Drs. 12/3896, S. 22; BVerfGE 89, 155 (211 f.), Mayer, Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 231; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 75. EL 2015, Art. 23, Rn. 147. 28 BVerfGE 131, 152 (203 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 11 schen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union trotz Fehlens formaler Bindungsmöglichkeiten zu gewährleisten, setzte der Bundestag im Gegenzug eine strengere Fassung der Unterrichtungspflicht durch. 3.2.2.2. Folgerungen Der Gegenstand der Zustimmungspflicht bildet vorliegend der Beschluss des Rates zur vorläufigen Anwendung eines Freihandelskommens gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV. Dieser Beschluss kann lediglich solche Bestandteile des Abkommens umfassen, die in die Zuständigkeit der EU fallen. Dementsprechend bezieht sich die hier in Frage stehende Zustimmungspflicht nicht auf das innerstaatliche Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zu dem in die mitgliedstaatliche Zuständigkeit fallenden Teil des Abkommens, sondern auf eine Handlung der EU im Rahmen ihrer begrenzten Einzelermächtigung. Aus innerstaatlicher Sicht beträfe die Zustimmungspflicht somit das Verhältnis der Mitwirkung von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der EU, welches durch Art. 23 GG gewaltenteilig ausgestaltet wird. Auf Grundlage dieser institutionellen und funktionellen Legitimation (Art. 20 Abs. 2 GG) ist insbesondere das politische Handeln auf der Grundlage des Primärrechts und die konkrete Ausfüllung und Entwicklung des Integrationsprogramms Aufgabe der Bundesregierung.29 Innerhalb des zustimmungsgesetzlich radizierten Rahmens besitzt die Regierung einen weit bemessenen Spielraum zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung ,30 so dass die Mitwirkungs- und Informationsrechte des Parlaments schon aus Gründen einer funktionsgerechten31 Zuordnung hoheitlicher Befugnisse in diesem Bereich beschränkt sind.32 Hieraus folgt, dass eine – mit Blick auf die Integrationsverantwortung – aus dem Demokratieprinzip abgeleitete, erweiternde Auslegung der Zustimmungs- oder Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages unter Überspielung der konkreten Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatli- 29 Vgl. BVerfGE 104, 151 (207); 118, 244 (259). 30 Dieser Handlungs- und Ermessensspielraum würde jedenfalls dann überschritten und der Bundestag in seinem Rechts auf Teilhabe am europäischen Integrationsprozess verletzt, wenn die Bundesregierung bzw. europäische Organe die Anwendung oder Fortentwicklung des Integrationssystems jenseits der erteilten Ermächtigung ultra vires betreiben würden, d.h. die von dem ursprünglichen Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt und damit auch nicht mehr parlamentarisch mitverantwortet wäre, vgl. hierzu BVerfGE 12, 267 (353 ff.); 126, 286 (302 ff.); 134, 366 ff. 31 Vgl. BVerfGE 68, 1 (87) und 131, 152 (195) mit der Feststellung, dass die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs auf der Annahme beruht, dass institutionell und auf Dauer typischerweise alleine die Bundesregierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen. 32 Vgl. BVerfGE 49, 89 (125); 104, 151 (207); 124, 78 (120); 131, 152 (195) sowie BVerfGE 9, 268 (279 f.), wonach die Zweige der Staatsgewalt aufeinander bezogen und miteinander verschränkt sind, aber ihrer jeweiligen Eigenheit und ihrer spezifischen Aufgaben und Zuständigkeiten nicht beraubt werden dürfen, vgl. hierzu auch Hailbronner, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (2006), S. 8 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 12 cher Macht im Grundgesetz die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ungerechtfertigt beschneiden würde und auf eine nicht funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt hinausliefe.33 Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass alleine aus dem – bereits durch Art. 23 GG gewaltenteilig ausdifferenzierten – Aspekt der Integrationsverantwortung ein Zustimmungserfordernis des Bundestages für Handlungen des deutschen Vertreters im Rat ergibt. Eine abweichende Beurteilung setzte zumindest eine ausdrückliche Beschränkung des Handlungsspielraums des deutschen Vertreters im Rat voraus.34 4. Mitwirkung des Bundestages bei der vorläufigen Anwendung Die im Folgenden behandelte Frage, ob und – wenn ja – auf welcher Grundlage der Deutsche Bundestag weitere Möglichkeiten für eine parlamentarische Beteiligung im Rahmen der vorläufigen Anwendung von EU-Handelsabkommen hat, richtet sich nach dem Mitwirkungsgegenstand. Dies ist im Fall eines Beschlusses des Rates gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV das Handeln der Bundesregierung im Rat. Der vom Rat gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV zu treffende Beschluss zur Genehmigung der vorläufigen Anwendung eines Übereinkommens ist ein Rechtsetzungsakt der EU. Dementsprechend umfasst das Mitwirkungsrecht des Bundestages gemäß den vorgenannten Grundsätzen der Mitwirkung in Angelegenheiten der EU primär das auf seinen Informationsrechten (Art. 23 Abs. 2 GG) aufbauende Stellungnahmerecht (Art. 23 Abs. 3 GG, § 8 EUZBBG). Die Stellungnahme hat jedoch keine die Bundesregierung bindende Wirkung, sondern muss von der Bundesregierung bei den Verhandlungen lediglich berücksichtigt werden (Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG, § 8 Abs. 3 EUZBBG). 5. Rechtliche Grundlagen der vorläufigen Anwendung Die unionsrechtliche Grundlage der vorläufigen Anwendung von EU-Handelsabkommen ohne Beteiligung der nationalen Parlamente beruht auf dem Zustimmungsgesetz von Bundestag und Bundesrat zum Integrationsprogramm der EU.35 Mit der Ratifikation des Primärrechts durch die Gesetzgebungsorgane wurde der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl für das von der Exekutive vereinbarte Vertragsrecht erteilt.36 Dieses Zustimmungsgesetz bildet die Grundlage nicht nur 33 Vgl. BVerfGE 49, 89 (124 ff.); 68, 1 (87); 90, 286 (363); 104, 151 (207); 108, 34 (44); 131, 152 (195). 34 Zu einer solchen ausdrücklichen Beschränkung vgl. beispielsweise die in §§ 2 ff. IntVG benannten Ratifikationsvorbehalte bzw. die hierzu äquivalenten Zustimmungsvorbehalte sowie § 4 Abs. 2 ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG), wonach die Bundesregierung Beschlüssen in den ESM-Gremien, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, nur dann zustimmen darf, wenn der Bundestag vorher selbst einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Dieser konstitutive Parlamentsvorbehalt leitet sich unmittelbar aus dem Budgetrecht des Parlaments ab. Eine „Abweichungsmöglichkeit“ wie in § 8 Abs. 4 S. 6 EUZBBG besteht nicht. 35 Für die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland vgl. zuletzt das Gesetz zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, BGBl. II 2008, S. 1038 sowie hierzu BT-Drs. 16/8300 (Gesetzentwurf), BT-Drs. 16/8917 (Beschlussempfehlung und Bericht) und BT-Plenarprot. 16/157, S. 16450D - 16485C (2. Beratung und Schlussabstimmung ). 36 Vgl. BVerfGE 123, 267 (355). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 13 für die Geltung und Anwendung des Vertrags im innerstaatlichen Recht, sondern auch für die Mitwirkung der Bundesregierung am Vollzug des Integrationsprogramms und seiner Fortentwicklung .37 In diesem Programm hat der Bundesgesetzgeber Hoheitsbefugnisse auf die EU übertragen, die von den EU-Organen im Rahmen dieser begrenzten Einzelermächtigungen wahrgenommen werden können. Vor diesem Hintergrund ist die vorläufige Anwendung von Freihandelsabkommen durch den Rat und ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments durch das Zustimmungsgesetz legitimiert.38 Diese Handlungsbefugnis des Rates ist solange und soweit durch das staatliche Integrationsprogramm gedeckt, wie sich der Beschluss auf Bereiche des jeweiligen Abkommens beschränkt, die in die Zuständigkeit der EU fallen. Vor dem Hintergrund der integrationsgesetzlich übertragenen Zuständigkeiten im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik39 betrifft der im Gutachten angesprochene Aspekt der „Parlamentsentmachtung durch Vertragsorgane“40 weniger eine Frage der verfassungswidrigen „Blankettermächtigung zur Ausübung öffentlicher Gewalt“41 im Rahmen der insbesondere durch Art. 218 Abs. 9 AEUV übertragbaren Entscheidungszuständigkeiten,42 sondern vielmehr eine Frage nach dem Umfang und den Grenzen einer „Delegationsbefugnis“ der EU im Rahmen der ihr im Rahmen des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung übertragenen Zuständigkeiten im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik, welche verfassungsrechtlich die Frage nach einer offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen durch EU-Organe aufwirft .43 6. Beteiligungsrechte des Bundestages bei Handelsabkommen der EU Abschließend gibt die Ausarbeitung einen Überblick darüber, vor welchen Entscheidungen der Bundesregierung im Rat und in welcher Form der Deutsche Bundestag beteiligt werden muss. Hierbei ist zwischen EU-Abkommen und gemischten Abkommen zu differenzieren: Während bei 37 BVerfGE 118, 244 (258 f.) mit Verweis u.a. auf Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, in: VVDStRL 56 (1997), S. 38 (54 f.), vgl. auch Kokott, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, DVBl. 1996, S. 937 ff. 38 Die Entscheidung des Rates erfährt eine Legitimation im Sinne des Konzepts der dualen Legitimation zudem durch parlamentarische Rückgebundenheit der mitgliedstaatlichen Vertreter im Rat. 39 Vgl. hierzu BVerfG 123, 267 (416 ff.). 40 Gutachten, S. 6 f. 41 Vgl. BVerfGE 123, 267 (351 ff.) mit Verweis auf BVerfGE 58, 1 (37); 89, 155 (183 f., 187). 42 Zu Art. 218 Abs. 9 AEUV vgl. EuGH, Rs. C-399/12 (Deutschland/Rat), Rn. 48 ff.; EuGH, Rs. C-73/14 (Rat/Kommission ), Rn. 61 ff. 43 Vgl. BVerfGE 123, 267 [351 ff., 400); 126, 286 (302 ff.); 134, 366 (392 ff.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 14 EU-Abkommen nur eine Ratifikation44 durch die EU erforderlich ist, ist bei gemischten Abkommen eine Ratifikation sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene erforderlich. 6.1. Mitwirkung beim Abschluss eines EU-Abkommens Bei reinen EU-Abkommen muss nur das Ratifizierungsverfahren der EU und nicht (zusätzlich) auch die Ratifizierungsverfahren der 28 Mitgliedstaaten durchlaufen werden. Da die Mitgliedstaaten in diesem Fall zwar durch den Vertrag gebunden, nicht aber selbst Vertragspartner des Abkommens werden, kommt es auch auf die völkerrechtliche Vertretungsmacht und die Mitwirkungsrechte des Bundestages nach Art. 59 GG nicht an. Die Bundesrepublik Deutschland hat der EU das Recht zum Abschluss von reinen Handelsabkommen mit der Zustimmung zu den Unionsverträgen bereits übertragen. Ein Erfordernis eines weiteren Zustimmungsgesetzes des Bundes zu dem Abkommen wäre insofern systemwidrig. Jedoch sind EU-Abkommen eine Angelegenheit der EU im Sinne von Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG. Dementsprechend besitzt der Bundestag bereits vor Abschluss des Abkommens in den nachfolgend dargestellten Verfahrensstufen des Art. 218 AEUV die in Art. 23 Abs. 2 und 3 GG normierten und durch §§ 1, 3 Abs. 1 Nr. 4, 5 EUZBBG konkretisierten Informations- und Unterrichtungsrechte . Danach ist der Bundestag schon in einer frühen Phase über die Verhandlungen zu dem Freihandelsabkommen zu unterrichten, und er kann zu dem Vorhaben Stellung nehmen. Die Beteiligung des Deutschen Bundestages ist bei EU-Abkommen damit im Wesentlichen auf das Recht zur Stellungnahme und Informationsrechte beschränkt.45 6.1.1. Paraphierung Nachdem der Rat den Verhandlungsführer der Union (Kommission oder Hoher Vertreter) zur Aufnahme von Verhandlungen ermächtigt hat (Art. 218 Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 207 Abs. 3 AEUV), nimmt dieser die Verhandlungen entsprechend den Verhandlungsleitlinien des Rates 44 Der Begriff Ratifikation bezeichnet einerseits den Abschluss des internen bzw. innerstaatlichen Genehmigungsverfahrens (innerstaatliche Ratifikation) für einen völkerrechtlichen Vertrag. Die innerstaatliche Ratifikation besteht in der Regel aus der Zustimmung des Gesetzgebers (Parlament), ggf. ergänzt um bzw. ersetzt durch eine Volksabstimmung, sowie der Unterschrift des Staatsoberhaupts (eigentliche Ratifikation). Andererseits bezeichnet der Begriff der Ratifikation im Völkerrecht die Notifizierung und Hinterlegung des unterzeichneten völkerrechtlichen Vertrages, der ihm zur Wirksamkeit verhilft (völkerrechtliche Ratifikation). Die innerstaatliche Ratifikation geht der völkerrechtlichen Ratifikation voraus. Im Falle eines gemischten Abkommens tritt zu der innerstaatlichen auch die unionsinterne Ratifikation des Abkommens durch die EU nach Art. 207 i.V.m. Art. 218 AEUV durch einstimmigen Beschluss des Rates. Anschließend müssen sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU den Vertrag entsprechend den völkervertragsrechtlichen Bestimmungen ratifizieren. Vgl. hierzu Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 59 GG, Rn. 173 ff.; Schmalenbach , in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EV, 4. Auflage 2011, Art. 218 EGV, Rn. 29; Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR 2007, Beiheft 3, 57 (77). 45 Siehe hierzu oben 3.2.1.1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 15 auf. Am Ende der Verhandlungen wird der Vertragstext durch die beteiligten Parteien durch Paraphierung vorläufig fixiert.46 Die Paraphierung ist die Feststellung des Verhandlungsergebnisses und die Festlegung des Vertragstextes mittels Zeichnung des ausgehandelten Vertragstextes durch die Delegationsleiter.47 Anders als bei der späteren Unterzeichnung des Abkommens tritt hierdurch jedoch noch keine Bindung der Union ein, d.h. der Vertragstext kann später noch geändert werden. 6.1.2. Unterzeichnung Die Unterzeichnung des Abkommens obliegt gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV dem Rat, der alternativ die Kommission zur Unterzeichnung des Abkommens ermächtigen kann. Der Rat genehmigt das ausgehandelte und unterschriebene, aber noch nicht ratifizierte Abkommen durch Beschluss (Art. 218 Abs. 2 AEUV). Dabei entscheidet dieser in der Regel mit qualifizierter Mehrheit (Art. 218 Abs. 8 UAbs. 1 iVm Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV). In den Fällen des Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 sowie Art. 207 Abs. 4 UAbs. 2 und 3 AEUV ist Einstimmigkeit erforderlich. Das Europäischen Parlament (EP) ist im Rahmen der Unterzeichnung unverzüglich und umfassend zu informieren (Art. 218 Abs. 10 AEUV). 6.1.3. Vorläufige Anwendung des Abkommens Art. 218 Abs. 5 AEUV eröffnet die Möglichkeit, das Abkommen durch einen Beschluss des Rates mit der Unterzeichnung für die Union vorläufig anwendbar zu erklären. Damit werden gegenüber einem Vertragspartner, der diese Verpflichtung ebenfalls abgibt, völkerrechtliche Rechte und Pflichten schon vor dem Inkrafttreten des Abkommens begründet. Die vorläufige Anwendbarkeit des Abkommens endet, wenn die Beendigung von der anderen Partei notifiziert wird oder das Abkommen in Kraft tritt.48 Für die Unterzeichnung und den möglichen Beschluss über die vorläufige Anwendung des Abkommens ist jeweils ein Ratsbeschluss mit grundsätzlich qualifizierter Mehrheit erforderlich (Art. 218 Abs. 8 i.V.m. Art. 238 Abs. 2 AEUV).49 46 Vgl. Art. 9 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 47 Vgl. Art. 10 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 48 Vgl. Art. 25 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 49 Vgl. hierzu Schiffbauer, Mehrheitserfordernisse für Abstimmungen im Rat über TTIP, CETA & Co., EuZW 2016, S. 252 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 16 6.1.4. Abschluss Erst mit dem Abschluss des Abkommens wird die EU als Völkerrechtssubjekt gem. Art. 47 EUV Vertragspartei und das Abkommen wird für die Union völkerrechtlich verbindlich. Der völkerrechtliche Abschluss erfolgt nach dem durch das Völkerrecht dafür vorgesehenen Akt.50 Als Akt der förmlichen Bestätigung und als Ausdruck des völkerrechtlichen Bindungswillens51 korrespondiert auf Unionsseite ein Beschluss des Rates, der die unionsrechtliche Genehmigung des Abkommens und zugleich die Ermächtigung zum völkerrechtlichen Abschluss des Abkommens darstellt (Art. 218 Abs. 6 AEUV). 6.1.5. Mitwirkung beim Abschluss eines gemischten Abkommens Betrifft ein Abkommen über Art. 207 EUV hinausgehende Materien bzw. erfassen die Regelungen nicht (nur) ausschließliche Kompetenzen der EU, so ist auch eine Ratifikation des Abkommens durch die Mitgliedstaaten erforderlich. Dementsprechend tritt im Falle eines gemischten Abkommens zu der unionsinternen Ratifikation des Abkommens durch die EU nach Art. 207 i.V.m. Art. 218 AEUV durch einstimmigen Beschluss des Rates auch die innerstaatliche Ratifikation durch die Mitgliedstaaten hinzu.52 Damit erfolgen Verhandlungen und Abschluss gemischter Abkommen rechtlich in einer Addition der Verfahren nach Art. 218 AEUV und der nationalen Verfahren der Mitgliedstaaten. Anschließend müssen sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU den Vertrag entsprechend den völkervertragsrechtlichen Bestimmungen ratifizieren. Da die Bundesrepublik Deutschland bei einem Abschluss als gemischtes Abkommen selbst auch Vertragspartner des Abkommens würde, käme es auf die Regelungen für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch den Bund an. Maßgeblich ist diesbezüglich Art. 59 Abs. 2 GG.53 Danach bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Im Hinblick auf die Mitwirkungs- und Unterrichtungsrechte des Bundestages im Vorfeld des Vertragsgesetzes ist zu erwägen, den in die mitgliedstaatliche Zuständigkeit fallenden Teil des gemischten Abkommens aufgrund seines Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis- 50 Vgl. Art. 11 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 51 Vgl. Art. 11 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 52 Vgl. Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EV, 4. Auflage 2011, Art. 218 EGV, Rn. 29; Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR 2007, Beiheft 3, 57 (77). 53 Vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2/08 u. a., Rn. 373, Bungenberg, Außenbeziehungen und Außenhandelspolitik, EuR 2009, S. 195, 204. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 53/16 Seite 17 ses zum Unionsrecht ebenfalls als Angelegenheit der EU gemäß Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG zu betrachten .54 In diesem Fall besäße der Bundestag ebenfalls die oben beschriebenen Mitwirkungs- und Informationsrechte aus Art. 23 Abs. 2 und 3 GG. - Fachbereich Europa - 54 Vgl. v. Arnauld, Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 13. Januar 2016, abrufbar unter http://www.bundestag .de/blob/401408/a0de796e1196a3932979673e45068b90/arnauld-data.pdf sowie § 3 Abs. 3 EUZBBG und BVerfGE 131, 152 (199).