© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 51/15 Die Mitgliedschaft im „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa “ als Begründung für ein Verbot des Anbaus von gentechnisch veränderten Organismen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 2 Die Mitgliedschaft im „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa“ als Begründung für ein Verbot des Anbaus von gentechnisch veränderten Organismen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 51/15 Abschluss der Arbeit: 21. April 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Das Europäische Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa 4 3. Neufassung der Richtlinie 2001/18/EG 5 3.1. Systematik von Art. 26b RL 2001/18/EG n.F. 5 3.2. Handlungsoptionen der Mitgliedstaaten 6 4. Folgerungen für die Begründung eines Anbauverbots von GVO 7 4.1. Begründung eines Anbauverbotes 7 4.2. Grundsatz des Vertrauensschutzes 9 4.3. Verhältnismäßigkeit 10 5. Zusammenfassung 10 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht auf die Frage ein, ob und inwieweit die Mitgliedschaft im „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa“1 als Begründung für ein Verbot des Anbaus von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) gemäß der Richtlinie 2001/18/EG2 in der durch die Richtlinie (EU) 2015/4123 geänderten Fassung herangezogen werden kann. 2. Das Europäische Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa Das „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa“4 verfolgt das Ziel, dass die Gemeinden und Regionen für das eigene Gebiet selbstständig über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen entscheiden können. Darüber hinaus dient es als europäische Plattform für den Austausch von Informationen. Auf Ebene des Unionsrechts besteht keine allgemeine Definition des Begriffs der gentechnikfreien Region. Nach der Definition des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) e.V. ist eine gentechnikfreie Region „ein Gebiet, in dem die Eigentümer, Nutzer und Bewirtschafter v.a. land- und forstwirtschaftlicher Flächen wissentlich keine gentechnisch veränderten Kulturen verwenden. Darüber hinaus verpflichten sich einige GFR [gentechnikfreie Regionen , Anm. d. Verf.], auch im Bereich der Tierhaltung, keine GVO-haltigen Futtermittel einzusetzen . Als gentechnikfreie Regionen gelten sowohl Aktivitäten in kleinräumigen Gebieten (= Regionen innerhalb einer Gemeinde oder Gemarkung) als auch großflächige GFR, die mehrere Gemeinden , einen Landkreis oder einen Natur-, Kultur- und Wirtschaftsraum umfassen.“5 Dabei soll die Gentechnikfreiheit durch die Vorlage von Selbstverpflichtungserklärungen der Eigentümer, Nutzer oder Bewirtschafter der lokalen Flächen sichergestellt werden. Die Selbstverpflichtungserklärungen beinhalten regelmäßig eine Klausel, wonach kein gentechnisch verändertes Saat- und Pflanzgut eingesetzt wird. Nach der Definition des BUND ist eine gentechnikfreie Kommune „eine Stadt oder eine Gemeinde , die sich verpflichtet, die Verwendung gentechnisch veränderter Pflanzen und gentech- 1 Vgl. hierzu http://www.gmo-free-regions.org/. 2 Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates, ABl. L 106/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02001L0018-20080321&qid=1429523667072&from=DE. 3 Richtlinie (EU) 2015/412 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG zu der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen, ABl. L 68/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015L0412&from=DE. 4 Für einen Überblick über die Regionen, die sich als gentechnikfrei erklärt haben, vgl. http://www.gmo-free-regions .org/gmo-free-regions/germany.html. 5 Abrufbar unter http://www.gentechnikfreie-regionen.de/regionen-gemeinden/definitionen/definition-gentechnikfreie -region-gfr.html, vgl. hierzu beispielsweise http://gentechnikfreies-wolfhagen.de/. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 5 nisch veränderten Saatguts auf allen eigenen Flächen zu untersagen. Dazu führt sie einen Beschluss des Stadt- oder Gemeinderates herbei und schreibt den Ausschluss von Agro-Gentechnik in ihren Pachtverträgen verbindlich fest.“6 Der Beschluss beinhaltet, dass in den neu abzuschließenden Pachtverträgen über eigene land- und forstwirtschaftliche Flächen eine Ausschluss-Klausel für den Einsatz der Agro-Gentechnik enthalten ist und Pächter weder gentechnisch verändertes Saat- noch Pflanzgut verwenden dürfen. Schließlich gilt nach der Definition des BUND „ein Bundesland als gentechnikfrei, wenn sich die jeweilige Landesregierung im Koalitionsvertrag oder das Parlament über einen Landtagsbeschluss gegen Gentechnik auf dem Acker ausspricht. Die Beschlüsse spiegeln den politischen Willen von Landesregierung oder Landesparlament wieder. Will ein Landwirt dennoch Gentech-Pflanzen anbauen , kann er das auf seinem eigenen Grund und Boden tun.“7 Für die Teilnahme einer gentechnikfreien Region am „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa “ muss die „Charter of the regions and local authorities of europe on the subject of coexistence of genetically modified crops with traditional and organic farming” (Charta der gentechnikfreien Regionen bzw. Charta von Florenz)8 unterzeichnet werden. In der Charta wird u.a. das Recht der einzelnen Regionen eingefordert, sich selbst als gentechnikfrei bezeichnen und das biologische oder konventionelle Saatgut vor gentechnischer Verunreinigung schützen zu können. Zudem soll die Verantwortung nach dem Verursacherprinzip geregelt werden. 3. Neufassung der Richtlinie 2001/18/EG 3.1. Systematik von Art. 26b RL 2001/18/EG n.F. Nach der bislang geltenden Rechtslage bestehen für die Mitgliedstaaten nur begrenzte Möglichkeiten , ein Anbauverbot für EU-weit zugelassene GVO auszusprechen.9 Insbesondere konnten sich nationale Anbauverbote de lege lata grundsätzlich nicht auf politische, soziale, ökonomische 6 Abrufbar unter http://www.gentechnikfreie-regionen.de/regionen-gemeinden/definitionen/definition-gentechnikfreie -kommune-gfk.html, vgl. hierzu beispielsweise http://www.stmuv.bayern.de/umwelt/gentechnik/kommunen /. 7 Abrufbar unter http://www.gentechnikfreie-regionen.de/regionen-gemeinden/definitionen/definition-gentechnikfreies -bundesland-gfb.html, vgl. hierzu beispielsweise den Koalitionsvertrag zwischen der CDU Hessen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen, S. 25, abrufbar unter https://www.hessen.de/sites/default/files/media /staatskanzlei/koalitionsvertrag_2013-12-18.pdf sowie die Pressemitteilung des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 12. November 2014, abrufbar unter https://umweltministerium.hessen.de/presse/pressemitteilung/hessen-soll-gentechnikfrei-bleiben. 8 Abrufbar unter http://gmo-free-regions-nrw.de/Portals/0/Charter_en.pdf. 9 Beispielsweise Art. 34 Verordnung (EG) 1829/2013, Art. 23 Richtlinie 2001/18/EG und Art. 114 Abs. 4 und 5 AEUV, vgl. hierzu EuGH, Rs. C-58/10 bis C-68/10 (Monsanto SAS u. a.). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 6 oder ethische Gründe, sondern allein auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen, die auf eine von dem jeweiligen GVO ausgehende Gefahr schließen lassen.10 Basierend auf einem Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 201011 wird den Mitgliedstaaten nunmehr durch den neuen Art. 26b Abs. 3 RL 2001/18/EG n.F. gestattet, im Rahmen einer sog. Opt-Out-Regelung den Anbau für die EU zugelassener GVO auf ihrem Hoheitsgebiet oder in Teilen desselben aus anderen als den bisher im Rahmen des EU-weiten Zulassungssystems von GVO möglichen Gründen zu beschränken oder zu untersagen.12 Die Regelung verfolgt einerseits den Zweck, das auf der wissenschaftlichen Bewertung von Umwelt- und Gesundheitsrisiken beruhende EU-weite Zulassungssystem bzw. den freien Verkehr von GVO innerhalb der EU beizubehalten . Andererseits wird den Mitgliedstaaten die Freiheit eingeräumt, selbst – entsprechend der EU-weit uneinheitlichen Position zum Anbau von GVO – über bestimmte, den Anbau von GVO betreffende nationale oder regionale Aspekte zu entscheiden.13 Die Änderung betrifft alle GVO, die im Rahmen der RL 2001/18/EG oder im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1829/200314 zum Anbau in der EU zugelassen sind. Die den Mitgliedstaaten gewährte Entscheidungsfreiheit bezieht sich dabei lediglich auf den Anbau von GVO, nicht aber auf das Inverkehrbringen und den Import von zugelassenem GVO-Saatgut. 3.2. Handlungsoptionen der Mitgliedstaaten Gemäß Art. 26b Abs. 1 und 2 RL 2001/18/EG n.F. kann ein Mitgliedstaat in einem Verfahren auf Zulassung eines bestimmten GVO oder während der Erneuerung der Zustimmung bzw. Zulassung dazu auffordern, dass der geografische Geltungsbereich der schriftlichen Zustimmung bzw. Zulassung so geändert wird, dass das Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats insgesamt oder teilweise vom Anbau ausgeschlossen ist. Stimmt der Antragsteller dieser Aufforderung zu, wird die (Wieder-) Zulassung entsprechend eingeschränkt, bis der Mitgliedstaat gemäß Art. 26b Abs. 5 RL 2001/18/EG n.F. ein gegenteiliges Ersuchen vorträgt. 10 So auch Keich, Ausgewählte Probleme des Gentechnikrechts im Fokus europäischer und nationaler Rechtsprechung, NuR 2012, 539, 544. 11 Vorschlag der Kommission vom 13. Juli 2010 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen, KOM(2010) 375 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010PC0375&qid=1429523269126&from=DE vgl. hierzu auch MEMO/10/325 vom 13. Juli 2010, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO- 10-325_de.htm sowie Mary Dobbs, Legalising General Prohibitions on Cultivation of Genetically Modified Organisms , 11 German Law Journal 1347-1372 (2010). 12 Zu den Einzelheiten des Vorschlags sowie das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG wird verwiesen auf die Ausarbeitung „Verfahren zur Änderung der EU-Freisetzungsrichtlinie“, PE 6 -3000 - 84/14 sowie den EU-Sachstand, Neuer Vorschlag zur Errichtung eines „Opting-Out“ im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO), PE 3 v. 14. März 2014, PE-Dok 102/2014, abrufbar unter http://www.bundestag.btg/Wissen/Europa/Sachstandsberichte/2014/PA10/EU-Sachstand_Opting-Out-GVO.pdf. 13 Vorschlag KOM(2010) 375 endg., S. 7. 14 Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl. L 268/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003R1829&rid=3. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 7 Stellt ein Mitgliedstaat während der Zulassungsverfahren keinen Antrag auf Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs der Zulassung oder widerspricht der Antragsteller, kann der Mitgliedstaat für ein Anbauverbot eine sog. Opt-out-Lösung wählen. Hierzu muss der Mitgliedstaat gemäß Art. 26b Abs. 3 RL 2001/18/EG n.F. begründen, dass die Beschränkung notwendig ist, um ein berechtigtes Ziel zu schützen. Art. 26b Abs. 3 RL 2001/18/EG n.F. enthält eine nicht abschließende Liste möglicher solcher Ziele einschließlich der Agrarpolitik, Landnutzung, sozioökonomische Auswirkungen und umweltpolitische Ziele. Die Gründe dürfen jedoch nicht im Widerspruch zu der gemäß der RL 2001/18/EG n.F. oder der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen des Zulassungsverfahrens stehen. Diese Opt- Out-Möglichkeit besteht für alle zukünftig zugelassenen GVO; für bereits zugelassene GVO ergeben sich die Übergangsregelungen aus Art. 26c RL 2001/18/EG n.F. 4. Folgerungen für die Begründung eines Anbauverbots von GVO Damit die Mitgliedschaft im „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa“ als Begründung für ein Anbauverbot von GVO herangezogen werden kann, müsste die Mitgliedschaft Ausdruck eines zwingenden Grundes im Sinne des Art. 26b Abs. 3 RL 2001/18/EG n.F. sein (hierzu 4.1.). Sofern die Mitgliedschaft ein Anbauverbot zu begründen vermag, müsste das Anbauverbot zudem mit dem Unionsrecht im Einklang stehen (hierzu 4.2.) und insgesamt verhältnismäßig sein (hierzu 4.3.). 4.1. Begründung eines Anbauverbotes Während die Bedingungen an ein Anbauverbot in früheren Vorschlägen für eine Neufassung der RL 2001/18/EG im Richtlinientext nur allgemein formuliert und erst durch Ausführungen in den Erwägungsgründen des jeweiligen Vorschlags konkretisiert worden sind,15 muss sich ein Mitgliedstaat im Hinblick auf die weiterhin grundsätzlich EU-weite Zulassung des GVO bei seiner Entscheidung für ein nationales oder regionales Anbauverbot nunmehr auf einen oder mehrere der in Art. 26b Abs. 3 RL 2001/18/EG n.F. genannten Gründe stützen. Damit entspricht die Regelung den Anforderungen an die Grundsätze der Rechtssicherheit und Bestimmtheit. Danach muss eine Private belastende Regelung klar und deutlich sein, damit diese 15 Vgl. hierzu die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament vom 10. September 2014 gemäß Artikel 294 Absatz 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union betreffend den Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von genetisch veränderten Organismen (GVO) auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen, KOM(2014) 570 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52014PC0570&qid=1429525430932&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 8 ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit Vorkehrungen treffen können.16 Die konkreten Verbotsgründe tragen insoweit zur Rechtssicherheit bei, dass die Mitgliedstaaten ein Anbauverbot im Wesentlichen nur auf im Voraus bestimmte Gründe stützen könnten und dadurch zugleich der legitime Zweck eines Anbauverbotes im Voraus bestimmbar ist, welcher wiederum maßgeblich für eine justiziable Prüfung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist. Dementsprechend obliegt einem Mitgliedstaat bei dem Erlass von Maßnahmen für ein Anbauverbot die konkrete Begründung, dass die Heranziehung eines bestimmten Grundes hierfür durch Anliegen, die mit diesem Grund unmittelbar verbunden sind, auch wirklich gerechtfertigt war. Diese Bestimmtheit der Regelung ermöglicht einerseits eine größere Einzelfalladäquanz potenzieller Anbauverbote.17 Zugleich stellt sich jedoch die Frage der Beweisbarkeit, dass mit dem Verbot tatsächlich beispielsweise die geltend gemachten umweltpolitischen Ziele verfolgt werden, insbesondere in dem Fall, dass sich Verbots- oder Beschränkungsmaßnahmen auf allgemeinere, weitergehende Kriterien wie die der öffentlichen Ordnung oder Ethik stützen.18 Die konkreten Verbotsgründe müssen zudem im Kontext der Abgrenzung einer Anbauverbotsbegründung von dem vorausgehenden EU-weiten Zulassungsverfahren von GVO betrachtet werden . Weiterhin wird von der EFSA19 für jeden GVO auf EU-Ebene eine Bewertung der potenziellen Risiken für Gesundheit und Umwelt durchgeführt, in der auch wissenschaftliche Informationen berücksichtigt werden, die von nationalen Behörden hinsichtlich nationaler Aspekte an sie übermittelt werden. Die Gründe für ein staatliches oder regionales Anbauverbot dürfen nicht im Widerspruch zu der auf EU-Ebene durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung stehen bzw. deren Wert als wissenschaftliche Grundlage des Zulassungsverfahrens in Frage stellen. Die hinreichend bestimmte Beschränkung potenzieller Anbauverbotsgründe trägt dementsprechend dazu bei, dass von den Mitgliedstaaten keine Gründe angeführt werden (können), die bereits Gegenstand der umfassenden Prüfung durch die EFSA waren.20 16 EuGH, Rs. 169/80 (Gondrand Fréres), Rn. 17; zu dem im nationalen Recht erforderlichen Grad an Bestimmtheit vgl. BVerfGE 19, 354 (361 ff.); 23, 62 (72), wonach ein Eingriffsrecht dann zu unbestimmt ist, wenn nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht wird. Welche Anforderungen an das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelfall zu stellen sind, hängt von der Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen und von der Eigenart des geregelten Sachverhalts sowie davon ab, in welchem Umfang dieser einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist, vgl. BVerfGE 56, 1(13), 58, 257 (277 f.) sowie im Falle der Heranziehung von Rechtsakten anderer Normgeber BVerfGE 19, 17 (31). 17 Vgl. die Mitteilung der Kommission vom 16. Juli 2010 an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Freiheit der Mitgliedstaaten, über den Anbau von genetisch veränderten Kulturen zu entscheiden, KOM(2010) 380 endg., S. 7, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0380&qid=1400159041934&from=DE. 18 Zu ethischen oder religiösen Gründen vgl. EuGH, Rs. C-165/08 (Kommission/Polen), Rn. 52 ff. 19 Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (englisch: European Food Safety Authority, EFSA). 20 Mitteilung der Kommission vom 16. Juli 2010 an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Freiheit der Mitgliedstaaten, über den Anbau von genetisch veränderten Kulturen zu entscheiden, KOM(2010) 380 endg., S. 6, online abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0380&qid=1400159041934&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 9 4.2. Grundsatz des Vertrauensschutzes Die Begründung eines Anbauverbotes müsste mit den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen und insbesondere dem Grundsatz des Vertrauensschutzes der Union vereinbar sein. Dies beruht auf dem Umstand, dass ein Unternehmen mit der EU-weiten Zulassung eines GVO eine eigentumsrechtlich geschützte Position erwirbt, welche auch das Vertrauen des Rechteinhabers auf den Fortbestand der vom Gesetzgeber bzw. der Kommission als Zulassungsstelle geschaffenen Ausübungsoption des Anbaurechts von GVO umfasst. Im Hinblick auf die Zulassung eines GVO nach Art. 20 Verordnung (EG) Nr. 1829/200321 hat der EuGH entschieden, dass mit einer Zulassung der Verwendung von GVO auch ein Bestandsschutz für die Verwendung des GVO als Saatgut einhergeht.22 Ein mitgliedstaatliches Anbauverbot bewirkt demgegenüber potenziell einen Eingriff in (grund-) rechtliche Positionen des Unternehmens, welches im Besitz einer EU-weiten Zulassung eines GVO ist. Der Umfang der grundrechtlichen Gewährleistungen wird dabei maßgeblich durch den Grad der unionsrechtlichen Determinierung der jeweiligen Handlungsgrundlage bestimmt. Aus deutscher Sicht wird eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzt, in dem Maße nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen, in dem die umzusetzende Richtlinie keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben macht.23 Hieraus folgt: je umfassender die Gründe für ein Anbauverbot auf Unionsebene verbindlich konkretisiert werden, desto weniger an grundrechtlichen Maßstäben des Grundgesetzes zu messender Umsetzungsspielraum verbleibt den Mitgliedstaaten. In diesem Kontext ist anzumerken, dass die Formulierung „beispielhaft Folgendes“ darauf hindeutet, dass die konkret benannten Gründe lediglich als Regelbeispiele zu verstehen sind. Vor diesem Hintergrund muss eine Entscheidung, die nachträglich in das grundsätzlich aus einer EU-weiten Zulassung folgende Recht eingreift, GVO in einem Mitgliedstaat anzubauen, das berechtigte Vertrauen des Zulassungsinhabers in den Bestand und Umfang der Zulassung achten.24 Eine vom Umfang der Zulassung abweichende Entscheidung eines Mitgliedstaates muss daher auf ein zwingendes öffentliches Interesse gestützt werden, welches nicht mit den von der EFSA im Rahmen des Zulassungsverfahren zu prüfenden Risiken für Gesundheit Umwelt identisch ist. Zudem muss das zwingende öffentliche Interesse im Einzelfall und in Anbetracht der konkreten Umstände das Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung einer Lage, die er als (jedenfalls für die Laufzeit der Zulassung) als dauerhaft ansehen durfte, überwiegen.25 21 Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl. L 268/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003R1829&rid=3. 22 EuGH, Rs. C-58/10 bis C-68/10 (Monsanto SAS u. a.), Rn. 45 ff. 23 Vgl. BVerfGE 118, 79 (95 ff.). 24 Vgl. hierzu EuGH, Rs. 14/81 (Alpha Steel), Rn. 10 ff.; EuGH, Rs. C-248/89 (Cargill), Rn. 18; EuGH, Rs. C-90/95 (De Compete), Rn. 35 ff. 25 EuGH, Rs. C-90/95 (De Compete), Rn. 39. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 51/15 Seite 10 Im Hinblick auf ein mögliches Anbauverbot trotz bestehender Zulassung gem. Art. 34 Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 hat der EuGH festgestellt, dass ein solches überwiegendes öffentliches Interesse insbesondere dann vorliegt, wenn der GVO wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder Umwelt darstellt.26 4.3. Verhältnismäßigkeit Darüber hinaus muss für ein obligatorisches Anbauverbot die Begründung auch dem (unionsrechtlichen ) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dementsprechend muss das Anbauverbot tatsächlich einem dem allgemeinen Wohl der EU bzw. – im Umfang des durch die Richtlinie eröffneten Handlungsspielraums der Mitgliedstaaten – einem dem mitgliedstaatlichen Gemeinwohl dienenden Ziel entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen , nicht tragbaren Eingriff in die Rechte des Zulassungsinhabers darstellen, der das Eigentumsrecht in seinem Wesensgehalt antastet.27 5. Zusammenfassung Die Mitgliedschaft im „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa“ bringt gemäß den oben dargestellten Definitionen von gentechnikfreien Regionen jedenfalls das umweltpolitische Ziel auch im Sinne des Art. 191 AEUV zum Ausdruck, sich zu einer GVO-freien Landwirtschaft auf den jeweiligen Flächen zu bekennen. Im Übrigen ist die Mitgliedschaft im „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa“ in der Sache eine freiwillige Selbstverpflichtung des Nutzungs- und Verfügungsberechtigten im Hinblick auf die gegenwärtige und künftige Nutzung seines Grundeigentums . Vor diesem Hintergrund ist die Mitgliedschaft in dem Netzwerk an sich jedoch kein zwingender Grund, der in Art. 26b Abs. 3 RL 2001/18/EG n.F. aufgeführt ist oder den aufgeführten Gründen entspricht und der ein Anbauverbot von zugelassenen GVO rechtfertigen kann. Sofern die Mitgliedschaft eine private Interessenvereinigung betrifft, beruht sie zudem – vorbehaltlich einer entsprechenden nationalen Regelung in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/41228 – bereits nicht auf einer Maßnahme des jeweiligen Mitgliedstaates, die im Verfahren des Art. 26b Abs. 4 RL 2001/18/EG n.F. erlassen worden ist und aus der ein Anbauverbot für sein gesamtes Hoheitsgebiet oder Teile davon folgt. Vor diesem Hintergrund erscheint alleine die Mitgliedschaft im „Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Europa“ als nicht ausreichend für die Begründung eines regionalen GVO-Anbauverbots gemäß Art. 26b Abs. 3 RL 2001/18/EG. - Fachbereich Europa - 26 EuGH, Rs. C-58/10 bis C-68/10 (Monsanto SAS u. a.), Rn. 75 ff. 27 Vgl. hierzu grundlegend EuGH, Rs. 44/79 (Hauer), Rn. 23. 28 In diesem Kontext und mit Blick auf den Begriff der „Gentechnikfreien Region“ bzw. des „Gentechnikfreien Bundeslandes“ stellte sich zudem die Frage nach der autonomen Regelungszuständigkeit der Bundesländer bezüglich des Ausbringens von GVO in die Umwelt, vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 24. November 2010, Az. 1 BvF 2/05.