© 2018 Deutscher Bundestag PE 6-3000-049/18 188 Der Schutz von Hinweisgebern im Recht der Europäischen Union Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 2 Der Schutz von Hinweisgebern im Recht der Europäischen Union Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 049/18 Abschluss der Arbeit: 23. März 2018 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Der Schutz von Zeugen oder Hinweisgebern im geltenden EU-Recht 4 2.1. Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten 4 2.2. Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer 5 2.3. Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) 6 2.4. Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und –Erdgasaktivitäten 8 2.5. Richtlinie (EU) 2016/943 über den Schutz vertraulichen Knowhows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung 8 3. Standpunkte und Initiativen von EU-Organen zur Verbesserung des Schutzes von Informanten 9 3.1. Standpunkte und Initiativen der Kommission 9 3.2. Standpunkte und Initiativen des Europäischen Parlaments 10 4. Zusammenfassung 11 Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa ist um die Klärung der europarechtlichen Grundlagen zum Schutz von Zeugen oder Hinweisgebern vor Repressionen infolge einer Informationsweitergabe, insb. im Rahmen von Zeugenschutzprogrammen, ersucht worden. Nachfolgend werden der Schutz von Zeugen oder Hinweisgebern im geltenden EU-Recht (2.) und die auf EU-Ebene geführte Diskussion zur Stärkung des Schutzes von Zeugen oder Hinweisgebern im EU-Recht (3.) dargestellt. 2. Der Schutz von Zeugen oder Hinweisgebern im geltenden EU-Recht Derzeit besteht unionsweit kein umfassendes Regelwerk zum Schutz von Hinweisgebern,1 sondern nur sektorale Regelungen zum Schutz von Zeugen und Informanten. 2.1. Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten Die Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten2 verpflichtet in Art. 18 die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen zum Schutz der Opfer von Straftaten und ihrer Familienangehörigen vor sekundärer und wiederholter Viktimisierung, vor Einschüchterung und vor Vergeltung. „Artikel 18 Schutzanspruch Unbeschadet der Verteidigungsrechte stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Maßnahmen zum Schutz der Opfer und ihrer Familienangehörigen vor sekundärer und wiederholter Viktimisierung , vor Einschüchterung und vor Vergeltung, insbesondere vor der Gefahr einer emotionalen oder psychologischen Schädigung, und zum Schutz der Würde der Opfer bei der Vernehmung oder bei Zeugenaussagen zur Verfügung stehen. Erforderlichenfalls umfassen die Maßnahmen auch Verfahren, die im einzelstaatlichen Recht im Hinblick auf den physischen Schutz der Opfer und ihrer Familienangehörigen vorgesehen sind.“ In Art. 19 ff. der Richtlinie werden Anforderungen normiert zur Gewährleistung des Opferschutzes während der verschiedenen Stadien des Strafverfahrens. Mit welchen Maßnahmen der Zeugenschutz gewährleistet werden soll, wird in den Erwägungsgründen 52 bis 63 näher ausgeführt. Im Erwägungsgrund 63 werden Leitlinien formuliert zur Ermutigung von Opfern, Strafanzeige zu erstatten: 1 Dazu die Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments „Organisierte Kriminalität“ (März 2016) S. 23, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2016/558779/EPRS_IDA(2016)558779_DE.pdf. 2 Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlament und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI. ABl L 315/57, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012L0029&rid=1. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 5 „Um die Opfer zur Anzeige von Straftaten zu ermutigen, die Anzeige zu erleichtern und den Opfern die Möglichkeit zu geben, den Kreislauf wiederholter Viktimisierung zu unterbrechen , ist es unbedingt notwendig, dass den Opfern verlässliche Unterstützungsdienste zur Verfügung stehen und dass die zuständigen Behörden in der Lage sind, auf die Anzeigen der Opfer in einer respektvollen, einfühlsamen, professionellen und diskriminierungsfreien Art und Weise zu reagieren. Hierdurch könnte das Vertrauen von Opfern in die Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten erhöht und die Zahl der nicht angezeigten Straftaten verringert werden. Angehörige der Rechtsberufe, bei denen Opfer voraussichtlich Straftaten anzeigen, sollten angemessen geschult werden, damit die Anzeige von Straftaten erleichtert wird; ferner sollten Maßnahmen ergriffen werden, durch die Dritte in die Lage versetzt werden, Anzeige zu erstatten, was auch unter Mitwirkung von Organisationen der Zivilgesellschaft erfolgen kann. Es sollte die Möglichkeit bestehen, Kommunikationstechnologien wie E-Mail, Videoaufzeichnungen oder elektronische Formulare für die Anzeigeerstattung zu nutzen.“ 2.2. Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer Die Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer3 verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer Vielzahl von Maßnahmen zur Unterstützung von Opfern des Menschenhandels (Art. 11 ff). Art. 12 dieser Richtlinie sieht eine Vielzahl von verpflichtenden Maßnahmen zum Schutz der Opfer von Menschenhandel bei Strafermittlungen und Strafverfahren vor, insb. zu einem Zugang zu Zeugenschutzprogrammen oder vergleichbaren Maßnahmen (Art. 12 Abs. 3 RL 2011/36/EU). „Artikel 12 Schutz der Opfer von Menschenhandel bei Strafermittlungen und Strafverfahren (1) Die in diesem Artikel genannten Schutzmaßnahmen werden zusätzlich zu den im Rahmenbeschluss 2001/220/JI festgelegten Rechten angewandt. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Opfer von Menschenhandel unverzüglich Zugang zu Rechtsberatung sowie — gemäß der Stellung von Opfern in der betreffenden Rechtsordnung — zu rechtlicher Vertretung, auch zum Zweck der Geltendmachung einer Entschädigung, haben. Rechtsberatung und rechtliche Vertretung sind unentgeltlich, wenn das Opfer nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Opfer von Menschenhandel auf der Grundlage einer individuellen Risikoabschätzung angemessen geschützt werden, unter anderem in- 3 Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlament und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, ABl L 101/1, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011L0036&rid=1. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 6 dem sie gegebenenfalls und im Einklang mit den nationalen Rechts und Verfahrensvorschriften Zugang zu Zeugenschutzprogrammen oder vergleichbaren Maßnahmen erhalten. (4) Unbeschadet der Verteidigungsrechte stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Opfer von Menschenhandel entsprechend einer von den zuständigen Behörden vorgenommenen Einschätzung ihrer persönlichen Umstände eine besondere Behandlung zur Verhinderung sekundärer Viktimisierung erhalten, wobei im Einklang mit den durch das nationale Recht, richterliches Ermessen, Gepflogenheiten oder Leitlinien festgelegten Grundlagen Folgendes so weit wie möglich zu vermeiden ist: a) nicht erforderliche Wiederholungen von Vernehmungen während der Ermittlungen, der Strafverfolgung und des Gerichtsverfahrens; b) Sichtkontakt zwischen Opfer und Beschuldigten, auch während der Beweisaufnahme, zum Beispiel bei Gesprächen und kontradiktorischen Befragungen, durch geeignete Mittel, einschließlich Kommunikationstechnologie; c) Zeugenaussagen in öffentlichen Gerichtsverhandlungen und d) nicht erforderliche Fragen zum Privatleben.“ 2.3. Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) Nach Art. 32 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung )4 müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass, um einen Anreiz für die Meldung von Verstößen gegen die Marktmissbrauchsverordnung zu schaffen, Informanten vor Vergeltungsmaßnahmen , Diskriminierung oder anderen Arten ungerechter Behandlung geschützt werden. „Artikel 32 Meldung von Verstößen (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die zuständigen Behörden wirksame Mechanismen schaffen, um die Meldung tatsächlicher oder möglicher Verstöße gegen diese Verordnung zu ermöglichen. (2) Die in Absatz 1 genannten Mechanismen umfassen mindestens Folgendes: a) spezielle Verfahren für die Entgegennahme der Meldungen über Verstöße und deren Nachverfolgung, einschließlich der Einrichtung sicherer Kommunikationskanäle für derartige Meldungen; 4 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlament und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl L 173/1, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0596&rid=1. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 7 b) einen angemessenen Schutz von Personen, die im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags beschäftigt sind, die Verstöße melden oder denen Verstöße zur Last gelegt werden, vor Vergeltungsmaßnahmen, Diskriminierung oder anderen Arten ungerechter Behandlung und c) den Schutz personenbezogener Daten sowohl der Person, die den Verstoß meldet, als auch der natürlichen Person, die den Verstoß mutmaßlich begangen hat, einschließlich Schutz in Bezug auf die Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität während aller Phasen des Verfahrens, und zwar unbeschadet der Tatsache, ob die Offenlegung von Informationen nach dem nationalen Recht im Rahmen der Ermittlungen oder des darauf folgenden Gerichtsverfahrens erforderlich sind. (3) Die Mitgliedstaaten verpflichten Arbeitgeber, die in Bereichen tätig sind, die durch Finanzdienstleistungsregulierung geregelt werden, angemessene interne Verfahren einzurichten , über die ihre Mitarbeiter Verstöße gegen diese Verordnung melden können. (4) Im Einklang mit nationalem Recht können die Mitgliedstaaten finanzielle Anreize für Personen, die relevante Informationen über mögliche Verstöße gegen diese Verordnung bereitstellen, unter der Voraussetzung gewähren, dass diese Personen nicht bereits zuvor anderen gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen zur Meldung solcher Informationen unterliegen, sowie unter der Voraussetzung, dass die Informationen neu sind und dass sie zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen oder einer strafrechtlichen Sanktion oder einer anderen verwaltungsrechtlichen Maßnahme für einen Verstoß gegen diese Verordnung führen. (5) Die Kommission erlässt Durchführungsrechtsakte zur Festlegung der in Absatz 1 genannten Verfahren, einschließlich zur Meldung und Nachverfolgung von Meldungen und der Maßnahmen zum Schutz von Personen, die auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags tätig sind, sowie Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 36 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen .“ Nach Erwägungsgrund 74 dieser Verordnung sollen finanzielle Anreize Informanten dazu bewegen , Verstöße gegen diese Verordnung zur Kenntnis zu bringen: „(74) Informanten können den zuständigen Behörden neue Informationen zur Kenntnis bringen, die diese bei der Aufdeckung von Insidergeschäften und Marktmanipulation und der Verhängung von Sanktionen unterstützen. Bei Furcht vor Vergeltung oder beim Fehlen von Anreizen können Hinweise von Informanten jedoch unterbleiben. Die Meldung von Verstößen gegen diese Richtlinie ist erforderlich, damit die zuständigen Behörden Marktmissbrauch aufdecken und Sanktionen verhängen können. Maßnahmen in Bezug auf Mitteilungen von Informanten sind erforderlich, um die Aufdeckung von Marktmissbrauch zu erleichtern und den Schutz und die Einhaltung der Rechte des Informanten und der Person , gegen die sich die Vorwürfe richten, sicherzustellen. Deshalb sollte diese Verordnung sicherstellen, dass angemessene Vorkehrungen bestehen, um Informanten zur Unterrichtung der zuständigen Behörden über mögliche Verstöße gegen diese Verordnung zu befähigen und sie vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Die Mitgliedstaaten sollten finanzielle Anreize für Personen schaffen können, die relevante Informationen über potenzielle Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 8 Verstöße gegen diese Verordnung liefern. Diese finanziellen Anreize sollten Informanten jedoch nur zugutekommen, wenn sie neue Informationen mitteilen, zu deren Meldung sie nicht ohnehin rechtsverpflichtet sind, und wenn diese Informationen zur Verhängung von Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung führen. Daneben sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ihre Regelungen in Bezug auf Mitteilungen Informanten Mechanismen und Verfahren umfassen, die den Personen, gegen die sich die Vorwürfe richten, angemessenen Schutz bieten, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten, das Recht auf Verteidigung und auf Anhörung vor dem Erlass sie betreffender Entscheidungen sowie gerichtliche Rechtsbehelfe gegen sie betreffende Entscheidungen.“ 2.4. Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und –Erdgasaktivitäten Nach dem Erwägungsgrund 41 der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore- Erdöl- und -Erdgasaktivitäten5 sollen angemessene Mittel zur vertraulichen Meldung von Bedenken gegen die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und Erdgasaktivitäten und zum Schutz von Informanten geschaffen und gefördert werden. Im Anhang IV zu den Vorkehrungen der Betreiber und der Eigentümer zur Verhütung schwerer Unfälle gemäß Artikel 19 dieser Richtlinie wird als eine der von den Mitgliedstaaten sicherzustellenden Maßnahmen der Schutz von Informanten hervorgehoben (Ziff. 1 e) iv)). 2.5. Richtlinie (EU) 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung Die Richtlinie (EU) 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung6 hebt in ihrem Erwägungsgrund 20 hervor, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe nicht dazu dienen sollten, Whistleblowing -Aktivitäten einzuschränken. „(20) Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten nicht dazu dienen, Whistleblowing-Aktivitäten einzuschränken. Daher sollte sich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht auf Fälle erstrecken, in denen die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insoweit dem öffentlichen Interesse dient, als ein regelwidriges Verhalten, ein Fehlverhalten oder eine illegale Tätigkeit von unmittelbarer Relevanz aufgedeckt wird. Das sollte nicht so verstanden werden, dass die zuständigen Gerichte daran gehindert seien, Ausnahmen von der Anwendung der Maßnahmen, Verfah- 5 Richtlinie 2013/30/EU des Europäischen Parlament und des Rates vom 12. Juni 2013 über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und –Erdgasaktivitäten und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG, ABl L 178/66, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013L0030&rid=1. 6 Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlament und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABl L 157/1, abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016L0943&rid=1. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 9 ren und Rechtsbehelfe in den Fällen zuzulassen, in denen der Antragsgegner allen Grund hatte, in gutem Glauben davon auszugehen, dass sein Verhalten den in dieser Richtlinie festgelegten angemessenen Kriterien entspricht.“ 3. Standpunkte und Initiativen von EU-Organen zur Verbesserung des Schutzes von Informanten 3.1. Standpunkte und Initiativen der Kommission In dem „Arbeitsdokument der Kommission über die Durchführbarkeit einer EU-Regelung für den Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten“7 werden drei Optionen hierfür dargelegt: • Festhalten am bestehenden legislativem und operativem Instrumentarium und dieses durch eine umfassendere Koordinierung einer europäischen Zeugenschutzpolitik zu ergänzen , • Harmonisierung des Zeugenschutzes in der EU durch die Festlegung von Mindeststandards in einer verbindlichen Regelung auf Basis entsprechender Vorarbeiten von Europol und der Empfehlungen von Europol und • Intensivere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Umsiedlung von Zeugen durch verbindliche Normen auf Grundlage bilateraler Abkommen.8 Die Kommission verweist in diesem Arbeitsdokument darauf, dass entsprechende Abkommen aus Gründen der Sicherheit und Vertraulichkeit nicht veröffentlicht würden. In diesem Arbeitsdokument aus dem Jahr 2007 erachtet die Kommission im Rahmen ihrer Folgeneinschätzung ein sofortiges legislatives Handeln im Bereich des Zeugenschutzes auf EU- Ebene als verführt.9 In ihrer „Mitteilung über weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz und der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung“10 verweist die Kommission darauf, dass sie die Bestimmungen der Mitgliedstaaten zum Schutz von Hinweisgebern weiterhin beobachten und diese zur Verbesserung ihres Schutzes anhalten werde. Die Möglichkeit eines Handelns auf EU-Ebene werde geprüft.11 Zur Fortentwicklung des Schutzes von Hinweisgebern hat die Kommission vom 7 KOM(2007) 693 endg. vom 13.11.2007, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52007DC0693&from=DE. 8 KOM(2007) 693 endg. S. 7 ff. 9 KOM(2007) 693 endg. S. 9. 10 Vom 5.7.2016, KOM(2016) 451 endg., abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016DC0451&rid=1. 11 KOM(2016) 451 endg. S. 11. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 10 3. März bis zum 29. Mai 2017 eine öffentlich Konsultation durchgeführt und die Ergebnisse dieser Konsultation veröffentlicht.12 Im Zusammenhang mit der anlässlich der Ermordung des slowakischen Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova im EP-Plenum unter Beteiligung von Rat und Kommission am 14.03.2018 geführten Debatte zu dem Schutz investigativer Journalisten in Europa kündigte die Kommission einen baldigen Gesetzentwurf zur Verstärkung des Schutzes für Whistleblower an.13 Eine entsprechende Initiative hierzu wird für den 28. März 2018 erwartet.14 Im Rahmen dieser Debatte hatte das Mitglied des EP SMOLKOVA (S&D, SVK) der Einführung der Europäischen Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang Bedeutung beigemessen15, ohne allerdings deutlich werden zu lassen, welche operative Funktion diese Institution zum Schutz von Hinweisgebern erhalten soll. Die Verordnung (EU) 2017/1939 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA)16 bewegt sich im bisherigen Rahmen des Unionsrechts wenn im Erwägungsgrund 50 im Wesentlichen die Mitgliedstaaten in die Pflicht genommen werden, den Schutz von Hinweisgebern zu gewährleisten. Dort heißt es: „Hinweisgeber können der EUStA neue Informationen zur Kenntnis bringen und sie dadurch in ihrer Arbeit der strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung sowie der Anklageerhebung in Bezug auf Personen, die Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union begangen haben, unterstützen. Hinweisgeber können jedoch aus Angst vor Vergeltung abgeschreckt werden. Zur Erleichterung der Aufdeckung von Straftaten, die in die Zuständigkeit der EUStA fallen, werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, im Einklang mit ihren nationalen Rechtsvorschriften wirksame Verfahren vorzusehen, um die Meldung etwaiger Straftaten, die in die Zuständigkeit der EUStA fallen, zu ermöglichen und den Schutz der Personen, die diese Straftaten melden, vor Vergeltung und insbesondere vor nachteiligen oder diskriminierenden Maßnahmen im Beschäftigungsverhältnis sicherzustellen. Die EUStA sollte erforderlichenfalls ihre eigenen internen Vorschriften entwickeln.“ 3.2. Standpunkte und Initiativen des Europäischen Parlaments In ihrem am 17. September 2013 angenommenen Entschließungsantrag „zu organisiertem Verbrechen , Korruption und Geldwäsche: Empfohlene Maßnahmen und Initiativen“ hat das Europä- 12 Summary results of the public consultation on whistleblower protection, abrufbar unter: http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:TcP- NMc1RNAJ:ec.europa.eu/newsroom/just/document.cfm%3Fdoc_id%3D47885+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de. 13 Ständige Vertretung EU Brüssel, BRUEEU_2018-03-16_53600, EP-Plenarwoche in Straßburg vom 12.-15.03.2018, Schutz investigativer Journalisten in Europa und Fall des ermordeten slowakischen Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova, S. 2, abrufbar unter: http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=185110. 14 PE 5, EU-Vorausschau 2018 für den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe vom 8.3.2018, VS-Nfd, S. 3, 15. 15 Anlage zur DKOR vom 16.3.2018 – Schutz investigativer Journalisten in Europa (Fn. 13). 16 Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), ABl L 283/1, abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017R1939&from=DE. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 11 ische Parlament (EP) im Rahmen eines europäischen Aktionsplans zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Korruption und Geldwäsche die Einführung einheitlicher Vorschriften auf europäischer Ebene zum Schutz von Zeugen, Informanten und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten , gefordert.17 In der Entschließung des EP vom 24. Oktober 2017 „Legitime Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern , die aus Gründen des öffentlichen Interesses vertrauliche Informationen über Unternehmen und öffentliche Einrichtungen offenlegen“18 fordert das EP die Kommission zum Schutz von Hinweisgebern auf, „nach Ermittlung einer geeigneten Rechtsgrundlage, die es der EU erlaubt , weitere Maßnahmen zu ergreifen, vor Ende dieses Jahres, einen horizontalen Gesetzgebungsvorschlag zur Schaffung eines umfassenden gemeinsamen Rechtsrahmens vorzulegen, der Hinweisgebern in der EU ein hohes Maß an Schutz im öffentlichen und privaten Sektor sowie in nationalen und europäischen Institutionen, einschließlich der einschlägigen nationalen und europäischen Einrichtungen, Ämter und Agenturen gewährleistet, wobei dem nationalen Kontext Rechnung zu tragen ist und es den Mitgliedstaaten uneingeschränkt möglich sein muss, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen; betont, dass es derzeit mehrere Rechtsgrundlagen gibt, die es der Union ermöglichen, in diesem Bereich tätig zu werden; fordert die Kommission auf, diese Möglichkeiten zu prüfen, um ein umfassendes, kohärentes und wirksames Instrument vorzuschlagen ; erinnert die Kommission an die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung entwickelte Doktrin der Annexkompetenzen der Union („implied powers“), die es der Union ermöglicht, auf mehrere Rechtsgrundlagen zurückzugreifen;…“19 4. Zusammenfassung Abgesehen von den oben unter 2. dargestellten sektoralen Regelungen im Unionsrecht zum Schutz von Hinweisgebern vor bestimmten Formen von Repression in einzelnen Bereichen, gibt es derzeit nach Einschätzung des EP noch keinen unionsrechtlichen Rahmen, der einen wirksamen und einheitlichen Schutz von Hinweisgebern gewährleistet und deren Rechtsstellung unionsrechtlich festlegt.20 Im Rahmen ihres eingegrenzten Regelungsbereichs sieht bereits de lege lata die Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer in Art. 12 Abs. 3 eine unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, Hinweisgebern Zugang zu Zeugenschutzprogrammen oder vergleichbaren Maßnahmen zu gewähren. Anlässlich der Ermordung des slowakischen Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova hat die Kommission einen baldigen Gesetzentwurf zur Verstärkung des Schutzes für Whistleblower angekündigt. Eckpunkte zu diesem Vorhaben wurden noch nicht 17 Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments zu organisiertem Verbrechen, Korruption und Geldwäsche: Empfohlene Maßnahmen und Initiativen (Schlussbericht), 2013/2107(INI), abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A7-2013- 0307+0+DOC+XML+V0//DE. 18 2016/2224(INI), abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8- TA-2017-0402+0+DOC+XML+V0//DE. 19 Punkt 1. der Entschließung. Auf die weiteren Forderungen des EP unter Punkt 6., 8., 12., 13. wird verwiesen. 20 So Ziffer AB. der Entschließung des EP vom 24. Oktober 2017 zu legitimen Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern (Fn. 16). Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 049/18 Seite 12 bekanntgegeben. Mit Blick auf die bereits bestehenden unionsrechtlichen Regelungen zum Schutz von Hinweisgebern und die vom EP und der Kommission vertretenen Standpunkte zur Fortentwicklung dieses Schutzes ist zu vermuten, dass die angekündigte Verstärkung des Schutzes für Whistleblower durch verbindliche unionsrechtliche Vorgaben an die Mitgliedstaaten erfolgen wird. - Fachbereich Europa -