© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 49/15 Vorläufiger Rechtsschutz vor Unionsgerichten gegenüber Maßnahmen der EZB im Zusammenhang mit der Liquiditätsversorgung von mitgliedstaatlichen Geschäftsbanken Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 2 Vorläufiger Rechtsschutz vor Unionsgerichten gegenüber Maßnahmen der EZB im Zusammenhang mit der Liquiditätsversorgung von mitgliedstaatlichen Geschäftsbanken Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 49/15 Abschluss der Arbeit: 22.05.2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Liquiditätsversorgung mitgliedstaatlicher Geschäftsbanken im Eurosystem 4 2.1. Reguläre und temporäre geldpolitische Maßnahmen 5 2.2. Notfall-Liquiditätshilfe 6 3. Vorläufiger Rechtsschutz vor Unionsgerichten 7 4. Erfolgsaussichten in der Sache 8 4.1. Zulässigkeit eines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz 9 4.2. Begründetheit eines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz 11 4.2.1. Erfolgsaussichten in der Hauptsache 11 4.2.1.1. Maßstab für die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache 12 4.2.1.2. Gerichtliche Kontrolldichte 12 4.2.1.2.1. Allgemeine Vorgaben 12 4.2.1.2.2. Im konkreten Fall 14 4.2.1.3. Rechtmäßigkeitserwägungen 14 4.2.1.3.1. Ausschluss auf Grundlage von Art. 18 ESZB-Satzung 15 4.2.1.3.2. Unterbindung von ELA nach Art. 14.4 ESZB-Satzung 15 4.2.1.4. Zwischenergebnis 19 4.2.1.5. Dringlichkeit und Interessensabwägung 21 5. Ergebnis 23 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht der Frage nach, welche Möglichkeiten ein Mitgliedstaat hätte, wenn er der Auffassung wäre, „dass seine Banken unrechtmäßig von der Euro-Geldversorgung abgeschnitten worden sind (EuGH-Eilverfahren etc.)? Dabei wäre insbesondere zu berücksichtigen, ob ein betroffenes Land ein Eilverfahren durchsetzen kann und in welchem Zeitraum der EuGH eine Entscheidung treffen müsste.“ Im Folgenden werden zunächst kurz die Mechanismen der Liquiditätsversorgung im Eurosystem (siehe unter 2.) dargestellt. Aufbauend auf den Ausführungen in der Ausarbeitung des Fachbereichs vom 23. März 2014 zu Fragen der Liquiditätsversorgung von Kreditinstituten durch die EZB1 (im Folgenden: Ausarbeitung zur Liquiditätsversorgung) geht es dabei insbesondere um die rechtsschutzrelevanten Aspekte der jeweiligen Verfahren. Sodann werden die Grundzüge des vorläufigen Rechtsschutzes auf Unionsebene beschrieben (siehe unter 3.). Anschließend wird erörtert , welche Möglichkeit für einen Mitgliedstaat besteht, vorläufigen Rechtsschutz vor Unionsgerichten in Anspruch zu nehmen, wenn ggf. alle seine Geschäftsbanken von der Liquiditätsversorgung ausgeschlossen werden (siehe unter 4.). Die Ausarbeitung schließt mit einem zusammenfassenden Ergebnis (siehe unter 5.). 2. Liquiditätsversorgung mitgliedstaatlicher Geschäftsbanken im Eurosystem Hinsichtlich der Liquiditätsversorgung mitgliedstaatlicher Geschäftsbanken im Eurosystem unterscheidet die Ausarbeitung zur Liquiditätsversorgung2 zwischen Maßnahmen nach dem regulären geldpolitischen Handlungsrahmen, temporären geldpolitischen Sondermaßnahmen und der Notfall-Liquiditätshilfe.3 Die beiden erst genannten Bereiche sollen in diesem Kontext gemeinsam betrachtet werden, da sie ihre Rechtsgrundlage beide in Art. 18 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank4 (kurz: ESZB-Satzung) finden (siehe unter 2.1.). Bei der Notfall-Liquiditätshilfe (Emergency Liquidity Assistance, ELA) handelt es sich dagegen um ein in der Verantwortung und auf Rechnung allein der Nationalen Zentralbanken (NZB) stehendes bzw. durchgeführtes Instrument im Sinne des Art. 14.4. ESZB- Satzung (siehe unter 2.2.).5 1 2 Fn. 1 3 Siehe die Angaben oben in Fn. 1. Nicht weiter eingegangen wird im Rahmen dieser Ausarbeitung auf den sog. privaten Interbankenmarkt, auf dem sich die Geschäftsbanken untereinander mit Liquidität versorgt haben. Dieser ist seit Beginn der Banken- und Finanzkrise jedoch nahezu vollständig zum Erliegen gekommen, so dass eine Refinanzierung im Wesentlichen nur noch über die EZB bzw. die NZBen erfolgt. 4 Online abrufbar etwa unter https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/c_32620121026de_protocol_4.pdf (letztmaliger Abruf am 22.02.16). 5 Vgl. hierzu Steven, in: Siekmann (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Währungsunion, 2013 (im Folgenden: EWU-Kommentar), Art. 14 Satzung, Rn. 44 ff. (allgemeine Ausführungen), Rn. 50 (speziell zu ELA). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 5 2.1. Reguläre und temporäre geldpolitische Maßnahmen Die Inanspruchnahme regulärer und auch temporärer Maßnahmen zur Geldversorgung seitens mitgliedstaatlicher Geschäftsbanken aus Euro-Ländern setzt u. a. die Unterlegung mit Sicherheiten voraus.6 Welche Sicherheiten unter welchen Bedingungen als notenbankfähig angesehen werden , entscheidet der EZB-Rat auf Grundlage von Art. 127 Abs. 2 erster Spglstr. AEUV und der ESZB-Satzung (vgl. insb. Art. 18.2.). Maßgebend in allgemeiner Hinsicht ist zurzeit die darauf gestützte Leitlinie der Europäischen Zentralbank über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems (im Folgenden: Leitlinie 2011/14).7 Diese enthält in ihrem Anhang I in Kapitel 6 u .a. die Zulassungskriterien für notenbankfähige Sicherheiten. Daneben bestehen besondere Vorgaben, die der Finanzkrise geschuldet sind. Hierzu zählt insbesondere die Leitlinie über zusätzliche zeitlich befristete Maßnahmen hinsichtlich der Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems und der Notenbankfähigkeit von Sicherheiten (im Folgenden: Leitlinie 2014/31).8 Nach Art. 8 dieser Leitlinie wurden bspw. die Bonitätsschwellenwerte der Leitlinie 2011/14 für solche marktfähigen Schuldtitel ausgesetzt, „die von den Zentralregierungen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets begeben oder in vollem Umfang garantiert sind, für die ein Programm der Europäischen Union/des Internationalen Währungsfonds besteht, es sei denn, der EZB-Rat stellt fest, dass der betreffende Mitgliedstaat die mit der finanziellen Unterstützung und/oder dem makroökonomischen Programm verbundenen Auflagen nicht erfüllt“ (Art. 8 Abs. 2). Betroffen hiervon waren auch Schuldtitel der Hellenischen Republik und der Republik Zypern, die allerdings besonderen Abschlägen unterlagen (vgl. Art. 8 Abs. 3 Leitlinie 2014/13). In der Konsequenz werden Staatsanleihen dieser Staaten als Sicherheiten von Geschäftsbanken für Kreditgeschäfte mit der EZB bzw. den NZB akzeptiert, obgleich sie nach den Vorgaben der Leitlinie 2011/14 die Mindestanforderungen für notenbankfähige Sicherheiten 6 In der vorliegenden Ausarbeitung wird die Frage nach der (institutionellen) Zulassung von Kreditinstituten (sog. Geschäftspartner) zur Liquiditätsversorgung im Rahmen geldpolitischer Geschäfte des Eurosystems nicht weiter behandelt. Grundvoraussetzung hierfür ist die Einbeziehung in das Mindestreservesystem des Eurosystems gemäß Art. 19.1. ESZB-Satzung. Vgl. hierzu die Ausführungen der EZB in der Leitlinie EZB/2011/14 vom 20. September 2011, ABl.EU 2011 Nr. L 331/ 1, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02011O0014-20140605&qid=1429791056891&from=DE (letztmaliger Abruf am 22.02.16), Anhang 1, Kap. 2., S. 14 ff. 7 Siehe die Angaben o. in Fn. 6. 8 EZB/2014/31 vom 9. Juli 2014, ABl.EU 2014 Nr. L 240/28, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02014O0031- 20141215&qid=1429791783315&from=DE (letztmaliger Abruf am 22.02.16). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 6 nicht erfüllen. Für Schuldtitel der Hellenischen Republik hat die EZB diese Sonderregelung allerdings per Beschluss von Februar dieses Jahres wieder aufgehoben.9 Die Steuerung des Zugangs zur Geldversorgung erfolgt in diesem Kontext somit durch Rechtsakte der EZB, in denen in allgemeiner Hinsicht (Leitlinie 2011/14) oder für besondere Fälle (Leitlinie 2014/31 u. Beschluss 2015/300) die Anforderungen an notenbankfähige Sicherheiten verbindlich festgelegt werden. Ein Ausschluss aller Geschäftsbanken eines Mitgliedstaates von der auf dieser Grundlage erfolgenden Liquiditätsversorgung käme dann in Betracht, wenn die betreffenden Geschäftsbanken über keinerlei notenbankfähige Sicherheiten verfügen würden. In einem solchen Fall bliebe allerdings noch die sog. Notfall-Liquiditätshilfe. 2.2. Notfall-Liquiditätshilfe Hinter der Notfall-Liquiditätshilfe (sog. ELA) verbergen sich Maßnahmen für solvente Finanzinstitute oder eine Gruppe solventer Finanzinstitute, die vorübergehende Liquiditätsprobleme aufweisen .10 Wie soeben beschrieben, kommt die Inanspruchnahme von ELA insbesondere dann in Betracht, wenn Geschäftsbanken nicht über notenbankfähige Sicherheiten für Refinanzierungsgeschäfte mit der EZB verfügen und aus diesem Grund keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zu Liquiditätsversorgung im Rahmen regulärer oder temporärer geldpolitischer Maßnahmen haben.11 Bei der Notfall-Liquiditätshilfe handelt es sich zwar um (autonome) Maßnahmen der NZB und damit der Mitgliedstaaten, die nicht Teil der einheitlichen Geldpolitik sind.12 Die Gewährung derartiger Hilfen kann aber die einheitliche Geldpolitik beeinflussen.13 Daher kann ELA nach Art. 14.4 ESZB-Satzung beschränkt werden, soweit deren Gewährung nicht mit den Zielen und 9 Vgl. Beschluss (EU) 2015/300 der EZB vom 10. Februar 2015, ABl.EU 2015 Nr. L 53/29, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015D0006&from=DE (letztmaliger Abruf am 22.02.16). Nach Art. 1 Abs. 1 gilt die Hellenische Republik nicht mehr als im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 8 der Leitlinie EZB/2014/31 im Einklang mit einem Programm der Europäischen Union/des Internationalen Währungsfonds stehend. 10 Vgl. die Beschreibung der EZB in dem EZB-Dokument „Verfahren, die der Rolle des EZB-Rates gemäß Art. 14.4 ESZB-Satzung hinsichtlich der Gewährung von ELA an einzelne Kreditinstitute zugrunde liegen“ (im Folgenden : EZB, ELA-Verfahren); online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/201402_elaprocedures .de.pdf?f7dbc28df4f31e59e7c9c5f7b3a64601 (letztmaliger Abruf am 22.02.16). 11 Siehe Ausarbeitung Liquiditätshilfen (o. Fn. 1), Pkt. 3.3., S. 6. Vgl. auch zum Fall der Hellenischen Republik, EZB-Press Release vom 4. Februar 2015, online abrufbar unter https://www.ecb.europa .eu/press/pr/date/2015/html/pr150204.en.html (letztmaliger Abruf am 22.02.16). 12 Vgl. Steven, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 5), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 50; Siehe auch EZB, ELA-Verfahren (o. Fn. 10). Von der Kommission wird die Gewährung solcher Notfallhilfen daher als beihilferelevant im Sinne des Art. 107 AEUV eingestuft, vgl. die sog. Bankenmitteilung der Kommission, ABl.EU 2013 Nr. C 216/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52013XC0730(01)&from=DE (letztmaliger Abruf am22.02.16 ), Rn. 62 ff. 13 Vgl. Steven, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 5), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 50. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 7 Aufgaben des ESZB vereinbar ist.14 Erforderlich ist hierfür ein Beschluss des EZB-Rates mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen.15 Die Steuerung der Geldversorgung erfolgt somit auch hier durch Rechtsakte der EZB, die allerdings nur einen mehr abwehrenden und weniger – wie im Fall der Vorgaben für notenbankfähige Sicherheiten – gestaltenden Charakter aufweisen. Soweit hierdurch eine vollständige Untersagung der Notfall-Liquiditätshilfe für ein Mitgliedstaat erfolgen würde, wären ggf. alle seine Geschäftsbanken betroffen, soweit Ihnen die unionsrechtlichen Liquiditätskänale, etwa mangels notenbankfähiger Sicherheiten, nicht mehr zur Verfügung stehen.16 3. Vorläufiger Rechtsschutz vor Unionsgerichten Die EU-Verträge eröffnen nicht nur die Möglichkeit, (rechtsverbindliche) Handlungen aller EU- Organe und -institutionen – und damit auch der EZB – in sog. Hauptsacheverfahren (insbesondere der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV) vor dem Europäischen Gerichtshof auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen (vgl. allgemein Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV), sondern enthalten darüber hinaus in Art. 278 und Art. 279 AEUV Regelungen zum vorläufigen Rechtsschutz. Hierbei handelt es sich ausweislich des Vertragswortlauts um zwei verschiedene Instrumente des vorläufigen Rechtsschutzes.17 Beide weisen aber weitgehend gleichgelagerte tatbestandliche Voraussetzungen auf.18 Welches der beiden Instrumente zu wählen ist, hängt im Ergebnis von dem Rechtsschutzbegehren des hieran Interessierten und von der Rechtsschutzsituation im Hauptsacheverfahren ab.19 Unter Berücksichtigung des letztgenannten Gesichtspunktes gelangt Art. 278 AEUV zur Anwendung , wenn in der Hauptsache eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV anhängig ist und es um die Rechtsmäßigkeitskontrolle einer Organhandlung geht. Anders als im deutschen Verwaltungsprozessrecht hat die Nichtigkeitsklage nach Unionsrecht keine aufschiebende Wirkung (vgl. Art. 278 S. 1 AEUV), so dass die angegriffene Handlung bis zur Entscheidung in der Hauptsache Rechtwirkungen entfaltet und durchgeführt bzw. vollstreckt werden kann. Hiergegen bietet Art. 278 S. 2 AEUV Schutz. Danach kann der EU-Gerichtshof auf Antrag die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen. 14 Steven, in: EWU-Kommentar (o. Fn.5), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 53. 15 Siehe zu Einzelheiten der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Überprüfung von ELA-Gewährungen die Beschreibung unter EZB, ELA-Verfahren (o. Fn. 10); Ausarbeitung Liquiditätshilfen (o. Fn. 1), Pkt. 3.3., S. 6. 16 Vgl. etwa das Beispiel Zyperns, beschrieben in der Ausarbeitung zur Liquiditätsversorgung, S. 10 (5.1.2). 17 Daneben besteht noch die Aussetzung der Zwangsvollstreckung nach Art. 299 Abs. 4 AEUV, die bei näherer Betrachtung allerdings nur einen ausdrücklich geregelten Unterfall des Art. 278 AEUV darstellt, vgl. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 11, Rn. 4; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5: Wirkungen und Rechtsschutz, 2010 (im Folgenden: Frenz, Rechtsschutz), Rn. 3588. 18 Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 5; Ehricke, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 278/279 AEUV, Rn. 2; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3591. 19 Vgl. Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 4; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3588. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 8 Geht das Rechtsschutzbegehren über die Aussetzung der Durchführung einer Organhandlung hinaus, so stellt Art. 279 AEUV das – ggf. auch zusätzlich zu Art. 278 AEUV – in Betracht kommende Instrument des vorläufigen Rechtsschutzes dar. Der Hauptsache liegt dann regelmäßig eine Untätigkeitsklage nach Art. 265 AEUV, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 259 AEUV oder eine Amtshaftungsklage nach Art. 268 AEUV i.V.m. Art. 340 Abs. 2 AEUV zugrunde. Bis zur Entscheidung geht es dem Kläger regelmäßig um die vorläufige Gewährung eines besonderen Vorteils, welches der EU-Gerichtshof gemäß Art. 279 AEUV in Gestalt einer einstweiligen Anordnung gewähren kann. Zu beachten ist jedoch, dass mit dem vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich nicht über den Antrag in der Hauptsache hinausgegangen werden darf.20 In der Praxis des EU-Rechtsschutzsystems spielen die beiden genannten Instrumente des vorläufigen Rechtsschutzes nur eine untergeordnete Rolle. Von den 912 im Jahre 2014 neu eingegangenen Rechtssachen beim Gericht21 entfielen lediglich 45 auf Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes , was einem Anteil von 4,9 % entspricht.22 Zur Verfahrensdauer in diesem Bereich liegen – soweit ersichtlich – keine statistischen Angaben des EU-Gerichtshofs vor.23 Betrachtet man die im Jahre 2014 vier positiv beschiedenen Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz von den insgesamt 48 in dem betreffenden Jahr erledigten Verfahren24, so wurde über drei Anträge innerhalb von 4 Monaten und über einen Antrag innerhalb von 8 Monaten entschieden. An dieser Gegenüberstellung ist auch die niedrige Erfolgsquote der Verfahren erkennbar. Im Schrifttum wird dieser Umstand u. a. auf die sehr strengen Voraussetzungen zurückgeführt, die in der Rechtsprechung an die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt werden.25 4. Erfolgsaussichten in der Sache Im Folgenden soll die Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes durch einen Mitgliedstaat für den Fall untersucht werden, dass alle seiner Geschäftsbanken von dem Zugang zur oben beschriebenen Liquiditätsversorgung ausgeschlossen werden. Der Erfolg eines entsprechenden 20 Vgl. zu diesem Problem allgemein Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 14), Rn. 3612 f.; Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 29 f. 21 Der Europäische Gerichtshof setzt sich aus drei Teilgerichten zusammen, vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EUV: dem Gerichtshof (EuGH), dem Gericht (abgekürzt EuG) und dem Europäischen Gericht für den öffentlichen Dienst (Eu- GöD) als dem bisher einzigen Fachgericht. Für den überwiegenden Anteil der Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz außerhalb der beim EuGöD erstinstanzlich anhängigen dienstrechtlichen Streitigkeiten ist in erster Instanz das Gericht (EuG) zuständig. 22 Errechnet auf Grundlage der Daten im Jahresbericht 2014 des Europäischen Gerichtshofs, online abrufbar unter http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2015-04/de_ecj_annual_report_2014_pr1.pdf (letztmaliger Abruf am 22.02.16), vgl. die Statistiken auf S. 188 u. 200, vgl. auch den Textbericht auf S. 165 ff. Siehe auch Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 7, mit Angaben für den Zeitraum 2007 bis 2012. 23 Die dazu im Jahresbericht des Europäischen Gerichtshofs (o. Fn. 22) allgemein enthaltenen statistischen Angaben weisen Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nicht gesondert aus, vgl. S. 196. 24 Siehe die statistischen Angaben im Jahresbericht des Europäischen Gerichtshofs (o. Fn. 22), S. 200. 25 So etwa Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 7. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 9 Antrags wäre zum einen von seiner Zulässigkeit (siehe unter 4.1.) und zum anderen von seiner Begründetheit abhängig (siehe unter 4.2.). Vor ab sei darauf hingewiesen, dass zu dieser oder eine vergleichbaren Frage bisher keine Rechtsprechung der Unionsgerichte vorliegt. Soweit ersichtlich, sind mit Ausnahme zweier für die vorliegende Problematik nicht relevanter dienstrechtlicher Streitigkeiten bisher keine gegen die EZB gerichteten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden wurden.26 Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten sind daher die allgemein in der Rechtsprechung entwickelten Vorgaben zum vorläufigen Rechtsschutz. 4.1. Zulässigkeit eines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz Vor der (eigentlichen) Zulässigkeitsprüfung wäre ggf. zu klären, welches der beiden Instrumente – Art. 278 oder Art. 279 AEUV – dem Rechtsschutzbegehren besser Rechnung tragen würde.27 Dies hängt allerdings vom Einzelfall ab und kann nicht allgemein festgelegt werden. Betrachtet man jedoch die obigen Ausführungen zur Liquiditätsversorgung, so lässt sich festhalten, dass die EZB sowohl hinsichtlich der Anforderungen an die notenbankfähigen Sicherheiten als auch bezüglich einer Einschränkung von ELA jeweils durch verbindliche Rechtsakte tätig wird bzw. werden würde. Wenn sich der Ausschluss von der Liquiditätsversorgung daraus ergeben würde, wäre in der Hauptsache gegen den betreffenden Rechtsakt eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV zu erheben. Im vorläufigen Rechtsschutz würde es somit in der Regel um die Aussetzung der Durchführung dieses Rechtsaktes nach Art. 278 S. 2 AEUV gehen. In der Konsequenz würde die geltende Rechtslage aufrecht erhalten und damit entsprechend auch die bestehende Liquiditätsversorgung . Für eine einstweilige Anordnung nach Art. 279 AEUV wäre insoweit kein Bedarf. Diese käme allenfalls dann in Betracht, wenn in der Hauptsache eine Untätigkeitsklage nach Art. 265 AEUV statthaft wäre. Denkbar wäre dies, wenn sich der Ausschluss von der Liquiditätsversorgung aus dem Unterlassen eines Rechtsaktes seitens der EZB ergeben würde. Oben wurde bereits ausgeführt, dass beide Instrumente des vorläufigen Rechtsschutzes im Wesentlichen die gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen aufweisen, so dass im Folgenden – unabhängig von der möglichen prozessualen Konstellationen im Einzelfall – nicht weiter zwischen den beiden Verfahren nach Art. 278 und 279 AEUV unterschieden wird. Hiervon ausgehend kann vorweggenommen werden, dass bei einem durch einen Mitgliedstaat gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz in der Regel keine Probleme hinsichtlich der Zulässigkeit bestehen. Das betrifft insbesondere diejenigen Voraussetzungen, die sich aus der sog. Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes zum Hauptsacheverfahren ergeben.28 Danach muss 26 Dies ergab die Auswertung der einschlägigen Rechtsprechungsdatenbank des Europäischen Gerichtshofs unter Angabe der EZB als Partei und der vorläufigen Rechtsschutzes als einschlägige Verfahrensart. Die Datenbank ist unter http://curia.europa.eu/juris/recherche.jsf?language=de online abrufbar (letztmaliger Abruf am 22.02.16). Bei den zwei dienstrechtlichen Streitigkeiten handelt es sich um die Rechtssachen T-320/02 R und T-373/00 R. 27 Erörtern ließe sich diese Frage auch im Rahmen der Zulässigkeit unter dem Prüfungspunkt des statthaften Antragsgegenstandes , vgl. etwa Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 16), § 11, Rn. 23 ff. 28 Vgl. Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3596. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 10 das Hauptsacheverfahren zumindest zeitgleich mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz anhängig gemacht werden29 und es darf nicht offensichtlich unzulässig sein30; Antragsgegenstand und Antragsbefugnis orientieren sich ebenfalls am Hauptsachverfahren31, ebenso wie die erstinstanzliche Zuständigkeit.32 Da Mitgliedstaaten zu den sog. privilegierten Klägern zählen und im Rahmen der hier in Betracht kommenden Hauptsachekonstellationen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV oder ggf. einer Untätigkeitsklage nach Art. 265 AEUV ohne weiteres in zulässiger Weise rechtsverbindliche Maßnahmen der EZB bzw. deren Unterlassen überprüfen lassen könnten (vgl. auch Art. 35.1 ESZB-Satzung)33, wären auch entsprechende Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich zulässig. Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass es hier nicht unmittelbar um mitgliedstaatliche Interessen gehen würde, sondern um die der auf die Liquiditätsversorgung angewiesenen Geschäftsbanken . Es ist nämlich anerkannt, dass Mitgliedstaaten (sowie die ebenfalls klageprivilegierten EU-Organe) in Hauptsache- und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch (unmittelbare ) Interessen Dritter verfolgen können.34 Da für eine mögliche Klage nach Art. 263 oder 265 AEUV nach Art. 256 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 51 lit. a) und b) der Satzung des Gerichtshofs in erster Instanz das Gericht (EuG) zuständig wäre35, wären darauf bezogene Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz ebenfalls beim EuG anhängig zu machen. 29 Vgl. Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 12 ff.; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3600 ff. 30 Vgl. Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 16. 31 Vgl. Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 21 ff.; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3605 ff. 32 Vgl. Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 9 ff.; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3597 ff. 33 Siehe etwa EuG, Urt. v. 04.03.2015, Rs. T-496/11 (Vereinigtes Königreich/EZB), Rn. 71 ff. Vgl. aus dem Schrifttum etwa Hahn/Häde, Währungsrecht, 2. Aufl. 2010, § 19, Rn. 5 (Nichtigkeitsklage) u. Rn. 13 (Untätigkeitsklage ); Gaiser, Gerichtliche Kontrolle im Europäischen System der Zentralbanken, EuR 2002, S. 517 (526 f. bzw. 529). Eine andere Situation ergäbe sich bei Klagen natürlicher und juristischer Personen, die nur bei Nachweis einer Klagebefugnis (unmittelbare und individuelle Betroffenheit, vgl. Art. 263 Abs. 4 bzw. Art. 265 Abs. 3 AEUV) in zulässiger Weise Klage erheben könnten; vgl. zum Individualrechtsschutz gegen EZB-Rechtshandlungen , Kerber/Städter, Die EZB in der Krise. Unabhängigkeit und Rechtsbindung im Spannungsverhältnis, EuZW 2011, S. 536 ff. 34 Vgl. bspw. EuGH, Beschluss vom 28.06.1990, Rs. C-195/90 R (Kommission/Deutschland), Rn. 15 f. Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3604; Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 32; Stoll/Rigod, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergzlfg. 2014 (im Folgenden: Grabitz/Hilf/Nettesheim), Art. 279 AEUV, Rn. 22. 35 Nach Art. 256 Abs. 1 AEUV ist für Klagen u. a. nach Art. 263 und 265 AEUV das EuG in erster Instanz zuständig , soweit keine Übertragung an Fachgerichte erfolgte und in der Satzung des Gerichtshofs kein Vorbehalt zugunsten des EuGH besteht. Eine Übertragung an Fachgerichte hat insoweit nicht stattgefunden. Der erwähnte Art. 51 der Satzung des Gerichtshofs behält dem EuGH keine gegen die EZB gerichteten mitgliedstaatliche Klagen vor. Siehe insoweit auch Herrmann, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 5), Art. 35 ESZB-Satzung, Rn. 9. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 11 Einer gesonderten Prüfung bedürfte allenfalls das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses, welches jedoch nur in besonderen Konstellationen fehlen wird.36 Hiervon wäre vorliegend jedoch nicht auszugehen. Daher wäre ein gegen die EZB gerichteter mitgliedstaatlicher Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich zulässig. 4.2. Begründetheit eines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz Über den Erfolg des vorläufigen Rechtsschutzes würde bei mitgliedstaatlicher Antragstellung somit regelmäßig die Begründetheit eines entsprechenden Antrags entscheiden. Diese erfordert drei kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen: die Glaubhaftmachung der Notwendigkeit vorläufigen Rechtsschutzes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, hinter der sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache verbergen (sog. fumus boni iuris; siehe unter 4.2.1), die Glaubhaftmachung der Dringlichkeit und eine zugunsten des Antragstellers ausfallenden Interessensabwägung , die nicht selten mit der Dringlichkeitsprüfung verbunden wird (siehe unter 3.2.2.2).37 Eine bestimmte Prüfungsreihenfolge dieser Voraussetzungen besteht nicht; soweit nur eine der Voraussetzungen fehlt, ist der entsprechende Antrag unbegründet und wird zurückgewiesen.38 In der Rechtsprechungspraxis beschränken sich die Entscheidungsgründe der Unionsgerichte in derartigen Fällen auf die jeweils fehlende Voraussetzung. 4.2.1. Erfolgsaussichten in der Hauptsache Hinsichtlich der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gilt es drei Unterpunkte zu unterscheiden: Zunächst ist der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes anzulegende Maßstab für die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu bestimmen (siehe unter 4.2.1.1.). Anschließend sind unter Berücksichtigung dieses Maßstabs die eigentlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu untersuchen. Dabei geht es im Ergebnis um eine Rechtmäßigkeitskontrolle. Gegenstand dieser wäre das Verhalten der EZB, mit welchem diese die Geschäftsbanken des antragstellenden Mitgliedstaates von der Liquiditätsversorgung ausgeschlossen hätte. Wie oben dargestellt , hinge es vom Einzelfall ab, ob es sich hierbei – wovon zunächst auszugehen wäre – um 36 Das ist etwa dann der Fall, wenn der Antrags- bzw. Klagegegner in der Hauptsache das gerügte Verhalten beendet hat, vgl. hierzu und den sonstigen Konstellationen des ausnahmsweise fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses, Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 36 ff.; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 14), Rn. 3616 f. 37 Vgl. ausdrücklich zu den ersten beiden genannten Voraussetzungen Art. 104 § 2 EuG-Verfahrensordnung. Die Interessensabwägung ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung. Siehe insoweit aus der neueren Rechtsprechung etwa EuGH, Beschluss vom 19.12.2013, Rs. C-426/13 P(R) (Kommission/Deutschland), Rn. 40. Aus dem Schrifttum, vgl. Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 40 ff.; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3625 ff. 38 Vgl. etwa EuGH, Beschluss vom 120.7.1996, Rs. C-180/96 R (Vereinigtes Königreich/Kommission), Rn. 45. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 12 die Überprüfung eines Rechtsaktes der EZB (Konstellation der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV) handeln würde oder ggf. auch seines Unterlassens (Konstellation nach Art. 265 AEUV). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit in der Hauptsache ist in allgemeiner Hinsicht neben den jeweils vorgetragenen Rechtswidrigkeitseinwänden (sog. Anfechtungsgründen) insbesondere die gerichtliche Kontrolldichte von entscheidender Bedeutung.39 Sie bestimmt, in welchem Umfang das in Frage stehende rechtserhebliche Verhalten – hier das der EZB – einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden kann.40 Diese Frage gilt es vorweg zu klären (siehe unter 4.2.1.2.), bevor im Anschluss unter Berücksichtigung der Kontrolldichte die Rechtmäßigkeit als solche erörtert werden kann (siehe unter 4.2.1.3.). 4.2.1.1. Maßstab für die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Im vorläufigen Rechtsschutz erfolgt aufgrund der Eilbedürftigkeit nur eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache.41 Welcher Wahrscheinlichkeitsmaßstab hierbei anzulegen ist, ergibt sich aus der Rechtsprechung. Soweit die Hauptsache schwierige und komplexe Rechtsfragen aufwirft, gilt die Voraussetzung des fumus boni iuris bereits als erfüllt, „wenn im Stadium des Verfahrens der einstweiligen Anordnung ein Streit besteht, dessen Entscheidung sich nicht sofort aufdrängt, so dass die Klage prima facie nicht einer ernsthaften Grundlage entbehrt .“42 Gestaltet sich die Hauptsache hinsichtlich der ihr zugrunde liegenden Rechtsfragen weniger schwierig, bestehen höhere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Erfolgsaussichten : die betreffende Klage darf dann jedenfalls nicht als unbegründet erscheinen.43 4.2.1.2. Gerichtliche Kontrolldichte 4.2.1.2.1. Allgemeine Vorgaben Ausdrückliche Vorgaben zum Umfang einer gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle lassen sich dem Primärrecht im Allgemeinen und den Art. 263 und 265 AEUV im Besonderen nicht entnehmen . Sie ergeben sich jedoch aus der Rechtsprechung der Unionsgerichte, die u. a. in solchen Fällen richterliche Zurückhaltung übt und den EU-Organen einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum einräumt, in denen die Notwendigkeit einer komplexen wirtschaftlichen Beurteilung 39 Vgl. Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 545; Schwarze, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 263 AEUV, Rn. 72. 40 Siehe etwa Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 34), Art. 263 AEUV, Rn. 186 ff. 41 Siehe etwa EuGH, Beschluss vom 19.12.2013, Rs. C-426/13 P(R) (Kommission/Deutschland), Rn. 41. Aus dem Schrifttum Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 43; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 14), Rn. 3627 f.; Stoll/Rigod, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 34), Art. 279 AEUV, Rn. 26 f. 42 EuGH, Beschluss vom 19.12.2013, Rs. C-426/13 P(R) (Kommission/Deutschland), Rn. 41. Vgl. ferner EuGH, Beschluss vom 28.06.1990, Rs. C-195/90 R (Kommission/Deutschland), Rn. 21. 43 Vgl. EuGH, Beschluss vom 10.10.1989, Rs. C-246/89 R (Kommission/Vereinigtes Königreich), Rn. 33; EuGH, Beschluss vom 28.06.1990, Rs. C-195/90 (Kommission/Bundesrepublik), Rn. 19. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 13 besteht, etwa bei der Ermittlung ökonomischer Tatsachen, der Ermittlung und Bewertung ökonomischer Zusammenhänge und Prognoseentscheidungen.44 Dies gilt nach bisheriger Rechtsprechung zum einen für die (administrative) Tätigkeit der Kommission im Wettbewerbsrecht (Beihilfe -, Kartell- und Fusionskontrollrecht) sowie im Antidumping- und Außenhandelsrecht.45 Zum anderen wird dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen eingeräumt, wenn dessen „Tätigkeit politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen beinhaltet und wenn […] komplexe Beurteilungen und Prüfungen“ vorzunehmen sind.46 Obgleich in Bezug auf die EZB zu dieser Frage bisher noch keine Entscheidungen der Unionsgerichte vorliegen, dürfte auch dieser ein weiter Ermessensspielraum zukommen, soweit ihrer Tätigkeit ebenfalls komplexe wirtschaftliche Beurteilungen und währungspolitische Entscheidungen zugrunde liegen.47 Zu einer in diesen Konstellationen entsprechend eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte gelangt auch der Generalanwalt Villalón in seinen Schlussanträgen zu dem Vorabentscheidungsersuchen des BVerfG zum OMT-Programm der EZB.48 Er begründet dies mit der der EZB durch das Primärrecht ausschließlich übertragenen Aufgabe der Ausübung der Währungspolitik , der ein ausgeprägt technischer Charakter und ein hoher Spezialisierungsgrad zu Eigen sei.49 Zur Konzipierung und Durchführung der Währungspolitik seien der EZB „[…] weitreichende Mittel zugewiesen werden, mit denen sie ihren Aufgaben nachkommen kann. Dank dieser Mittel verfügt die EZB zugleich über besonders wertvolle Kenntnisse und Informationen, die es ihr ermöglichen, ihren Auftrag effizienter auszuführen und zudem im Laufe der Zeit ihren technischen Sachverstand und ihr Ansehen zu steigern . Diese Eckpunkte sind von grundlegender Bedeutung, um sicherzustellen, dass die Impulse der Währungspolitik tatsächlich die Wirtschaft erreichen, besteht doch, wie bereits ausgeführt, eine der Funktionen der heutigen Zentralbanken in dem Umgang mit Erwartungen , und hierfür bilden technischer Sachverstand, Ansehen und öffentliche Kommunikation die elementaren Werkzeuge. Notwendige Konsequenz hieraus ist, dass der EZB für die Konzipierung und Durchführung der Währungspolitik der Union ein weites Ermessen eingeräumt wird […]. Die Gerichte müssen daher bei einer Kontrolle der Tätigkeit der EZB die Gefahr vermeiden, sich 44 Siehe hierzu mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 41), Art. 263 AEUV, Rn. 191. 45 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 34), Art. 263 AEUV, Rn. 191, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung . 46 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-127/07 P (Société Arcelor Atlantique et Lorraine u.a.), Rn. 57, mit weiteren Nachweisen. Siehe ferner EuGH, Urt. 01.02.2007, Rs. C-266/05 P (Sison/Rat), Rn. 33. 47 Vgl. etwa Schilmöller, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015 (im Folgenden: von der Groeben/Schwarze/Hatje), Art. 35 ESZB-Satzung, Rn. 2 f., mit weiteren Nachweisen. 48 GA Villalón, Schlussanträge vom 14.01.2015 zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a./Deutscher Bundestag), Rn. 107 ff. (111). 49 Vgl. GA Villalón, aaO., Rn. 107, 109. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 14 an die Stelle dieses Organs zu setzen, indem sie sich auf ein hochgradig technisches Terrain begeben, auf dem eine Spezialisierung und Erfahrung erforderlich sind, die nach den Verträgen allein bei der EZB liegen. Deshalb muss die Intensität der gerichtlichen Kontrolle des Handelns der EZB unbeschadet ihres zwingenden Charakters durch ein erhebliches Maß an Zurückhaltung gekennzeichnet sein.“50 Ist hiernach von einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte bei entsprechenden Tätigkeiten auch der EZB auszugehen51, stellt sich die Frage, in welchem Umfang und unter welchen Gesichtspunkte ihr Handeln insoweit der (zurückgenommenen) gerichtlichen Kontrolle unterworfen bleibt. Anknüpfend an die zu anderen Organen bzw. zum Unionsgesetzgeber ergangene Rechtsprechung dürfte sich die gerichtliche Nachprüfung auch der EZB-Rechtsakte im Allgemeinen auf eine (materielle) Evidenzkontrolle reduzieren und sich im Wesentlichen auf Verfahrensfragen und Formalien konzentrieren.52 Hiervon ausgenommen sind nach bisheriger Rechtsprechung jedoch die tatsächlichen Grundlagen der betreffenden Unionsakte: sachliche Richtigkeit, Kohärenz und Tragfähigkeit unterliegen einer vollständigen Prüfung – anders als die dann auf dieser Grundlage getroffenen rechtlichen Schlussfolgerungen.53 4.2.1.2.2. Im konkreten Fall Blickt man vor diesem Hintergrund auf den Umfang der gerichtlichen Kontrolldichte im vorliegenden Fall, so entscheidet darüber der von der Kontrolle betroffene Tätigkeitsbereich der EZB, hier die Liquiditätsversorgung. Wie oben ausgeführt, handelt es sich dabei um grundlegende Maßnahmen der Geldpolitik nach Art. 127 Abs. 2 Spgstr. 1 AEUV: In Verbindung mit Art. 18.1 und 2 ESZB-Satzung betreffen sie die Festlegung der Anforderungen an notenbankfähige Sicherheiten , und in Verbindung mit Art. 14.4 der ESZB-Satzung geht es um die Einschränkung der ELA-Gewährung durch NZBen. In beiden Fällen handelt es sich um Bereiche, in denen die EZB komplexe (volks-)wirtschaftliche Beurteilungen und währungspolitische Entscheidungen vornehmen muss. Insoweit wäre davon auszugehen, dass das zuständige Unionsgericht nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle vornehmen würde. 4.2.1.3. Rechtmäßigkeitserwägungen Damit wäre auch der Rahmen für die ggf. einen Erfolg versprechenden Rechtswidrigkeitseinwände vorgegeben. Diese müssten sich entweder auf verfahrensrechtliche Aspekte (etwa die 50 GA Villalón, aaO., Rn. 110 u. 111 (Hervorhebung durch Verfasser). 51 Vgl. aber EuG, Urt. v. 04.03.2015, Rs. T-496/11 (Vereinigtes Königreich/EZB), Rn. 84 ff., in welchem das EuG umfassend überprüft, inwieweit die Rechtssetzungskompetenz der EZB im Zusammenhang mit ihrer Aufgabe nach Art. 127 Abs. 2 Spgstr. 4 AEUV reicht, das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern. Mangels Regelungsbefugnis im konkreten Fall wurde die betreffende EZB-Verordnung für nichtig erklärt. 52 Vgl. bzgl. der bisherigen Rechtsprechung Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 41), Art. 263 AEUV, Rn. 192. Siehe etwa im Zusammenhang mit legislativen Spielräumen, EuGH, Urt. 01.02.2007, Rs. C-266/05 P (Sison/Rat), Rn. 33. 53 So mit Verweis auf umfangreiche Rechtsprechung Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 41), Art. 263 AEUV, Rn. 192. Siehe auch EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-127/07 P (Société Arcelor Atlantique et Lorraine u.a.), Rn. 58. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 15 Nichteinhaltung von Abstimmungsquoren im EZB-Rat o. ä.) oder formale Gegebenheiten (falsche Rechtsgrundlage, fehlende Begründung, unzutreffende Sachverhaltsermittlung o. ä.) beziehen. In materiell-inhaltlicher Hinsicht kämen hingegen allenfalls evidente Rechtsverletzungen höherrangigen Rechts in Betracht, also insbesondere der Vorgaben der ESZB-Satzung oder des Primärrechts . Im Folgenden soll zwischen einem möglichen Ausschluss von der Liquiditätsversorgung auf Grundlage von Art. 18 ESZB-Satzung einerseits (siehe unter 4.2.1.3.1.) und einer Unterbindung von ELA auf Grundlage von Art. 14.4 ESZB-Satzung andererseits (siehe unter 4.2.1.3.2.) unterschieden werden. 4.2.1.3.1. Ausschluss auf Grundlage von Art. 18 ESZB-Satzung Ein potentieller Rechtswidrigkeitseinwand im Zusammenhang mit dem Ausschluss von der Liquiditätsversorgung auf Grundlage von Art. 18 ESZB-Satzung durch eine Festlegung von Anforderungen an notenbankfähige Sicherheiten wurde bereits in der Ausarbeitung zur Liquiditätsversorgung erörtert: die Inbezugsetzung von Liquiditätsgewährung an Geschäftsbanken eines Mitgliedstaates einerseits und der Erfüllung wirtschaftspolitischer Anpassungsprogramme durch diesen Mitgliedstaat andererseits. Insoweit wird auf die Ergebnisse dieser Ausarbeitung verwiesen .54 Ergänzend hierzu sei angemerkt, dass diese Verknüpfung jedenfalls im Zusammenhang mit der Festlegung von Anforderungen an notenbankfähige Sicherheiten in geldpolitischer Hinsicht sachlich berechtigt erscheint: Denn die Nichtbefolgung wirtschaftspolitischer Anpassungsprogramme und die daraus folgenden Konsequenzen für die ökonomische Entwicklung des betreffenden Mitgliedstaates einschließlich seines Zugangs zu finanziellen Hilfsmitteln beeinflussen zwangsläufig die Werthaltigkeit seiner Staatsanleihen als mögliche Sicherheiten der Geschäftsbanken für deren Liquiditätsversorgung durch das ESZB. Eine im Übrigen rein inhaltlich-materielle Überprüfung von EZB-Maßnahmen in diesem Bereich, insbesondere in Bezug auf die Schlussfolgerungen aus ökonomischen Tatsachen, würde aufgrund der nur eingeschränkten Kontrolldichte von Seiten der Unionsgerichte nicht vorgenommen werden . Denn sie hätte letztlich zur Folge, dass sich das betreffende Gericht hinsichtlich der Festlegung der Notenbankfähigkeit von Sicherheiten an die Stelle der EZB setzen würde. 4.2.1.3.2. Unterbindung von ELA nach Art. 14.4 ESZB-Satzung Wie oben dargestellt, würde es sich bei der Unterbindung der ELA-Gewährung um eine eingreifende EZB-Maßnahme in die autonome und originäre Zuständigkeit der jeweiligen NZB handeln .55 Ein solcher Eingriff kann nach Art. 14.4. der ESZB-Satzung nur rechtmäßig erfolgen, wenn die (Weiter-)Gewährung von ELA mit den Zielen und Aufgaben des ESZB unvereinbar ist und 54 Siehe o. Fn. 1, S. 11 ff. (insb. S. 18: i.d.R. keine Kompetenzüberschreitung und keine Unverhältnismäßigkeit). 55 Siehe oben unter 2.2., S. 6. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 16 dies mit einer Zweidrittelmehrheit durch den EZB-Rat festgestellt wird. Eine vergleichbare Entscheidung wurde durch die EZB bisher noch nicht getroffen56, entsprechend gibt es hierzu auch keine Rechtsprechung der Unionsgerichte. Im Schrifttum und seitens der EZB wird eine Unvereinbarkeit der ELA-Gewährung mit Zielen und Aufgaben der ESZB insbesondere bei einem Verstoß gegen das Verbot der monetären (Staats-)Finanzierung nach Art. 123 AEUV angenommen (siehe unter i).57 Ist ein solcher Verstoß gegeben, müsste eine darauf gestützte EZB-Maßnahme zur Unterbindung von ELA schließlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Art. 5 Abs. 1 und 4 EUV genügen (siehe unter ii). i) Verstoß gegen das Verbot der monetären (Staats-)Finanzierung nach Art. 123 AEUV Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nach Art. 123 AEUV untersagt sowohl der EZB als auch den NZB den Organen und Einrichtungen der Union, Zentralregierungen, regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften, sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlichen Unternehmen der Mitgliedstaaten Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten zur Verfügung zu stellen sowie von diesen unmittelbar Schuldtitel zu erwerben (vgl. daneben Art. 21.1. sowie Art. 21.3 ESZB-Satzung). Dieses Verbot wird von der EZB weit ausgelegt und auch auf ELA angewendet .58 Ein Verstoß sei insbesondere dann gegeben, wenn hierdurch zahlungsunfähige Geschäftsbanken unterstützt werden.59 Dementsprechend sieht das von der EZB vorgegebene Verfahren für die Gewährung von ELA zum einen vor, dass diese nur solventen Finanzinstituten oder einer Gruppe von Instituten mit vorübergehenden Liquiditätsproblemen zugutekommen darf; zum anderen ist vorgeschrieben, dass der EZB von den betreffenden NZB eine Vielzahl an Informationen – zum Teil ex-ante, zum Teil ex-post – zur Verfügung gestellt werden muss, um 56 In tatsächlicher Hinsicht hat die EZB eine solche Maßnahme im Fall Zyperns allerdings in Aussicht gestellt, siehe hierzu die Ausführungen in der Ausarbeitung zur Liquiditätsversorgung (o. Fn. 1), S. 10 f. (5.1.2.). Im Ergebnis wurde ein solcher Beschluss jedoch nicht gefasst. 57 Siehe hierzu aus den Schrifttum ausführlich Radtke, Liquiditätshilfen im Eurosystem – Zentralbanken als Lender of Last Resort, 2010 (im Folgenden: Radkte, Liquiditätshilfen), S. 121, 130 ff. Vgl. auch Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 54. Zu den Nachweisen bzgl. der EZB-Auffassung, vgl. unten Fn. 58. Eine weitere Konstellation, die im Schrifttum erörtert wird, betrifft den Verstoß gegen den Grundsatz der Preisstabilität. Argumentiert wird, dass Liquiditätshilfen zu einer Ausweitung der Geldmenge führen und hierdurch auch das Risiko der Inflation erhöhen, vgl. dazu Radkte, Liquiditätshilfen, S. 128 ff. Derzeit scheint eine solche Konstellation jedoch nicht von praktischer Bedeutung zu sein. Zu anderen, gerade vor dem Hintergrund der Finanzkrise relevanten Beeinträchtigungen der Ziele und Aufgaben der ESZB durch ELA-Gewährung, vgl. Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 14 ESZB- Satzung, Rn. 53. 58 EZB, Konvergenzbericht Mai 2006, S. 72 (online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/conrep /cr2006de.pdf – letztmaliger Abruf am 22.02.16); dies., Konvergenzbericht Dezember 2006, S. 34 (online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/conrep/cr200612de.pdf – letztmaliger Abruf am 22.02.16), dies., Konvergenzbericht Mai 2008, S. 24 (online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/conrep /cr200805de.pdf – letztmaliger Abruf am 22.02.16). 59 EZB, Konvergenzbericht Mai 2006, S. 73 (o. Fn. 58); dies., Konvergenzbericht Dezember 2006, S. 35 (o. Fn. 58), dies., Konvergenzbericht Mai 2008, S. 25 f. (o. Fn. 58). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 17 die Vereinbarkeit mit den Zielen und Aufgaben des Eurosystems fortlaufend überprüfen zu können .60 Ist eine Geschäftsbank nicht mehr (nur) illiquide, sondern zahlungsunfähig, etwa weil eine Vielzahl der durch sie gehaltenen Staatsanleihen aufgrund ihrer nicht mehr gegebenen Werthaltigkeit abgeschrieben werden muss61, würde die Geldversorgung in Form der ELA von einer Liquiditätszu einer Art Solvenzhilfe.62 Aus Sicht der EZB und auch der Kommission handelt es sich dann um eine staatliche Aufgabe, deren Ausführung durch eine NZB einen Verstoß gegen das Verbot der monetären (Staats-)Finanzierung begründet.63 Auch im Schrifttum wird dieses Verständnis von Art. 123 AEUV geteilt.64 Die Einschätzung, ob eine oder – wie vorliegend unterstellt – alle Geschäftsbanken eines Mitgliedstaates nur illiquide oder bereits insolvent sind, erfordert eine wirtschaftliche Bewertung seitens der EZB65, bei welcher dieser ein weiter und gerichtlich nur auf Evidenz- sowie Verfahrens - und Formverstöße kontrollierbarer Beurteilungsspielraum zukommen würde. Einer vollumfassenden gerichtlichen Überprüfung würde allenfalls die Rechtsfrage unterliegen, wie weit Art. 123 AEUV auszulegen und unter welchen (abstrakt-generellen) Voraussetzungen ein Verstoß hiergegen anzunehmen ist. ii) Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 5 Abs. 1 und 4 EUV 60 Siehe S. 1 des EZB-Dokuments (o. Fn. 10). 61 Vgl. etwa den Monatsbericht der Bundesbank vom Mai 2015 (online abrufbar unter http://www.bundesbank .de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2015/2015_05_monatsbericht .pdf?__blob=publicationFile – letztmaliger Abruf am 22.02.16), S. 74; Commerzbank – Economic Research /Enconomic Insight: Euro trotz Staatspleite, vom 18.05.2015; DZ Bank AG Research, Griechenland: Ein Grexit-Szenario vom 19.02.2015, S. 3. 62 Vgl. Radkte, Liquiditätshilfen (o. Fn. 57), S. 140 ff. 63 Vgl. die o. in Fn. 59 aufgeführten Nachweise zur EZB. Siehe ferner die Stellungnahme der EZB in CON/2008/46, unter Tz. 4.2. (online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/en_con_2008_46_f_sign.pdf – letztmaliger Abruf am 22.02.16). Die Kommission betrachtet Solvenzhilfen seitens der NZB als beihilferelevante und damit staatliche Maßnahmen, vgl. dazu die Ausführungen in der Bankenmitteilung 2013 (o. Fn. 12), Rn. 62 ff. 64 Vgl. Radkte, Liquiditätshilfen (o. Fn. 57), S. 140 ff. (mit ausführlicher Begründung); im Ergebnis ebenso, wenngleich ohne eigene Begründung und im Wesentlichen mit Verweis auf EZB-Dokumente, Tutsch, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 123 AEUV, Rn. 21; Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 54. 65 Hierbei greift die EZB auf die ihr durch die NZA übermittelten Informationen zurück, die nach den ELA-Verfahrensvorgaben der EZB (o. Fn. 10) auch Informationen der betreffenden Aufsichtsinstanzen enthalten über kurzund mittelfristige Beurteilungen der Liquiditätsausstattung und Solvenz der ELA erhaltenden Institute, einschließlich der Kriterien, die zu einem positiven Ergebnis hinsichtlich der Solvenz geführt haben (vgl. S. 3, Pkt. 8). Mit Einführung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus verfügt die EZB zudem auch über eigene Angaben zur Bewertung der Solvenz der betreffenden Geschäftsbanken. Vgl. hierzu Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 54, Fn. 117. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 18 Eine mögliche Unterbindung von ELA durch die EZB müsste im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel der Einhaltung des Art. 123 AEUV schließlich verhältnismäßig sein.66 Unter Berücksichtigung der konkreten Begründung eines entsprechenden Beschlusses zur Unterbindung von ELA wäre im Einzelnen zu prüfen, ob eine solche Maßnahme objektiv geeignet und – mangels anderer , gleich geeigneter aber weniger intensiver Alternativen – zudem erforderlich wäre, um das verfolgte Ziel zu erreichen.67 Da der EZB auch insoweit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum einzuräumen wäre, müsste jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob Umstände vorliegen, die zu einer offensichtlichen Verneinung der Geeignetheit oder Erforderlichkeit führen könnten. Abschließend wäre jedoch noch zu prüfen, ob eine ELA-Untersagung auch verhältnismäßig im engeren Sinne wäre.68 Dies erfordert eine Untersuchung, ob alle Bestandteile der fraglichen Maßnahme ordnungsgemäß gegeneinander abgewogen wurden und die damit einhergehenden Vorteile die möglicherweise eintretenden nachteiligen Konsequenzen überwiegen. Im Hinblick auf den Umstand, dass in der vorliegenden Konstellation von einer vollständigen und damit alle Geschäftsbanken eines Mitgliedstaates betreffenden ELA-Untersagung auszugehen ist, wären somit die daraus erwachsenden Konsequenzen in die Betrachtung einzustellen. Im Zusammenhang mit der derzeitigen Finanzkrise insbesondere Griechenlands werden entsprechende Szenarien angestellt . Diese gelangen zu dem Ergebnis, dass es infolge einer vollständigen ELA-Untersagung zu einem faktischen Austritt Griechenlands aus dem Euroraum kommen könnte: um einen Bankenkollaps zu verhindern, könnte Griechenland gezwungen sein, neues, eigenes Geld auszugeben, dass dann neben den Euro tritt.69 Fraglich ist, ob derart weitreichende Konsequenzen von der EZB in der Abwägung zu beachten wären und ggf. zu der Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der ELA-Untersagung führen könnten. Von Seiten des Auftraggebers wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der EZB keine Kompetenz zustehe, über den Verbleib eines Mitgliedstaates im Euroraum zu entscheiden, eine vollständige Untersagung von ELA aber eben hierauf hinausliefe. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der EZB nach dem Vertrag in der Tat keine Kompetenz eingeräumt wurde, über die mitgliedstaatliche Zugehörigkeit zum Euroraum zu bestimmen. Geregelt ist ohnehin nur die Entscheidung über den Euro-Beitritt, die zudem nur der Rat trifft, vgl. Art. 140 Abs. 2 AEUV. Eine Regelung zum Austritt aus der Eurozone findet sich hingegen nicht 66 Vgl. etwa Schlussanträge des GA Villalón vom 14.01.2015 in der Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a./Deutscher Bundestag ), Rn. 159 ff. 67 Vgl. Schlussanträge des GA Villalón vom 14.01.2015 in der Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a./Deutscher Bundestag), Rn. 171 ff. bzw. 177 ff. 68 Vgl. Schlussanträge des GA Villalón vom 14.01.2015 in der Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a./Deutscher Bundestag), Rn. 185 ff. 69 Vgl. Commerzbank – Economic Research/Enconomic Insight: Euro trotz Staatspleite, vom 18.05.2015; DZ Bank AG Research, Griechenland: Ein Grexit-Szenario, vom 19.02.2015, S. 3. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 19 in den Verträgen. Möglich wäre sie de lege lata wohl nur bei einem Austritt aus der EU (vgl. Art. 50 EUV).70 Der hier unterstellte Fall einer vollständigen ELA-Untersagung würde jedoch nicht die (vertraglich nur hinsichtlich des Beitritts geregelte) rechtliche Zugehörigkeit zum Euroraum betreffen, sondern allein faktische Konsequenzen nach sich ziehen, die einen solchen Austritt allenfalls begünstigen könnten. Ein rechtlich wirksamer Austritt aus dem Euroraum könnte nur infolge politischer Entscheidungen seitens des betreffenden Mitgliedstaates einerseits und der EU als Völkerrechtssubjekt andererseits erfolgen. Im Übrigen sehen die Szenarien einen rechtlichen Austritt nicht als zwingend vor, sondern als eine (wahrscheinliche) Möglichkeit, soweit keine anderen Maßnahmen – bspw. infolge einer Verständigung auf eine Fortführung des wirtschaftlichen Anpassungsprogrammes – zur Rekapitalisierung der betroffenen Geschäftsbanken getroffen werden können.71 Vor diesem Hintergrund kann daher festgehalten werden, dass die EZB mit einer alle Geschäftsbanken eines Mitgliedstaates treffenden ELA-Untersagung jedenfalls keine Entscheidung über die rechtliche Zugehörigkeit zum Euroraum treffen würde. Sie würde vielmehr allein die ihr obliegenden geldpolitischen Kompetenzen nach der ESZB-Satzung wahrnehmen. Hierzu wäre sie hinsichtlich der Einhaltung des Verbotes der monetären (Staats-)Finanzierung nach Art. 271 lit. d AEUV zudem verpflichtet.72 Würde man dagegen annehmen, dass die EZB aufgrund der drohenden tatsächlichen Folgen einer ELA-Untersagung gehindert wäre, eine solche Maßnahme trotz Vorliegens eines Verstoßes gegen Art. 123 AEUV zu treffen, so liefe das letztlich darauf hinaus, dass sie verpflichtet wäre, Fragen der mitgliedstaatlichen Zugehörigkeit zum Euroraum zu berücksichtigen, obwohl ihr gerade keine Kompetenzen in dieser Frage zukommen. Hieraus lässt sich – im Gegensatz zu den Hinweisen des Auftraggebers – vielmehr die Schlussfolgerung ziehen, dass die EZB wegen mangelnder Entscheidungsbefugnis über die mitgliedstaatliche Zugehörigkeit zum Euroraum die tatsächlichen Umstände, die einen rechtlichen Austritt möglichweise begünstigen könnten, bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Zuständigkeiten bzw. hier sogar Pflichten, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerade nicht berücksichtigen darf. Eine alle Geschäftsbanken treffende Untersagung von ELA aus Gründen des Verstoßes gegen das Verbot der monetären (Staats-)Finanzierung wäre daher in der Regel als verhältnismäßig anzusehen. 4.2.1.4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis zu den Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist zunächst festzuhalten, dass diese vorliegend entscheidend durch die eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte beeinflusst würden. Diese beschränkt die einen Erfolg versprechenden Rechtswidrigkeitseinwände auf solche betreffend verfahrensrechtlicher oder formaler Aspekte sowie evidenter (materieller) Rechtsverletzungen . Soweit die Rechtswidrigkeitseinwände darüber hinausgehend die inhaltlich-materielle Rechtmäßigkeit des EZB-Handelns im Bereich der Liquiditätsversorgung betreffen sollten, 70 So etwa Schilmöller/Tutsch, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 140 AEUV, Rn. 34. 71 Vgl. etwa Commerzbank – Economic Research/Enconomic Insight: Euro trotz Staatspleite, vom 18.05.2015. 72 So Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 54. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 20 würde eine Prüfung durch die Unionsgerichte nicht vorgenommen, da diese sich ansonsten an die Stelle der EZB setzen würden. Von den vorgetragenen Rechtswidrigkeitseinwänden und deren Erfolgsaussichten im Rahmen der jeweils zugrunde zu legenden gerichtlichen Kontrolldichte würde schließlich auch abhängen, mit welchem Wahrscheinlichkeitsmaßstab die Erfolgsaussichten in der Hauptsache im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu beurteilen wären. Je komplexer die in der Hauptsache aufgeworfenen und von der gerichtlichen Kontrolldichte umfassten Rechtsfragen, desto geringer wären die Anforderungen an den Nachweis der Erfolgsaussichten: Die Klage dürfte dann lediglich nicht einer ernsthaften Grundlage entbehren.73 Bei weniger problematischen Rechtsfragen steigt der Wahrscheinlichkeitsgrad und die Klage darf jedenfalls nicht als unbegründet erscheinen.74 Überträgt man diese Vorgaben auf die Rechtmäßigkeitskontrolle von EZB-Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausschluss aller Geschäftsbanken eines Mitgliedstaates von der Liquiditätsversorgung , so wären die Erfolgsaussichten in der Hauptsache – vorbehaltlich eines konkret vorliegenden und sich ggf. durch besondere Umstände auszeichnenden Einzelfalls – als gering einzustufen . Im Hinblick auf einen Ausschluss von der Liquiditätsversorgung auf Grundlage von Art. 18 ESZB-Satzung folgt dies im Wesentlichen aus dem Umstand, dass der Entscheidung über die Notenbankfähigkeit von Sicherheiten ökonomische Beurteilungen der EZB und daraus gewonnene rechtliche Schlussfolgerungen zugrunde liegen, die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind. Da hier zudem kaum Rechtsfragen zu klären wären, würde eine Klage in der Hauptsache in der Regel als unbegründet erscheinen. Gleiches gilt für eine alle Geschäftsbanken eines Mitgliedstaates treffende Untersagung von ELA jedenfalls insoweit, als auch hier ökonomische Beurteilungen etwa zur Frage der (In-)Solvenz der betreffenden Banken im Vordergrund stehen. Eine andere Bewertung könnte sich allenfalls hinsichtlich der dabei ggf. aufgeworfenen Rechtsfragen ergeben, wie hinsichtlich der (weiten) Auslegung des Art. 123 AEUV als Prüfungsmaßstab für ELA-Gewährungen oder bei der Frage, ob und inwieweit die EZB verpflichtet ist, die tatsächlichen Konsequenzen einer ELA-Untersagung für die mitgliedstaatliche Zugehörigkeit zum Euroraum in ihre Folgenabschätzung hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit einzustellen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass der erste Gesichtspunkt im Schrifttum bis zum jetzigen Zeitpunkt – soweit erkennbar – nicht in Frage gestellt , sondern vielmehr befürwortet wird. Die Berücksichtigung tatsächlicher Konsequenzen bei einer ELA-Untersagung wird dagegen bisher – soweit ersichtlich – nicht erörtert. Da zu beiden Gesichtspunkten keine Rechtsprechung vorliegt, handelt es sich zwar um (noch) ungeklärte Rechtsfragen. Die mit ihnen verbundene politische Bedeutung begründet indes nicht zugleich eine rechtliche Komplexität. An dieser dürfte es nach Einschätzung des Verfassers vielmehr fehlen , da sich vertretbare Antworten durch Auslegung ohne weiteres ermitteln lassen und folglich kein Grund besteht, sie einem Hauptsacheverfahren vorzubehalten. Daher wäre auch nicht zwingend von einer Absenkung der Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab der Erfolgs- 73 Vgl. die Ausführungen oben unter 4.2.1.1., S. 12. 74 Siehe am aaO. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 21 aussichten in der Hauptsache im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auszugehen. Eine abschließende Beurteilung ist aufgrund fehlender Rechtsprechungsvorgaben zum vorläufigen Rechtsschutz gegenüber EZB-Handlungen einerseits und zur hier einschlägigen Thematik andererseits allerdings nicht möglich. 4.2.1.5. Dringlichkeit und Interessensabwägung Auf den Nachweis der Dringlichkeit und eine zugunsten des Antragstellers streitende Interessensabwägung käme es hingegen nur an, wenn die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache positiv ausfallen würde. Der Vollständigkeit halber soll dies im Folgenden unterstellt werden. Nach ständiger Rechtsprechung beurteilt sich die Dringlichkeit danach, ob die durch den Antragsteller begehrte einstweilige Maßnahme unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten und Nachteile , die sich aus ihr für die Unionsorgane, die Mitgliedstaaten oder Dritte ergeben könnten, zur Anwendung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens auf Seiten des Antragstellers erforderlich ist.75 Anschließend sind die bestehenden Interessen gegeneinander abzuwägen , wobei die Gefahr eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens als Kriterium für die behauptete Dringlichkeit einen Faktor des in diesem Rahmen durchgeführten Vergleichs darstellt.76 Fraglich ist allerdings, ob ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden vorliegend überhaupt glaubhaft gemacht werden könnte. Maßgeblich ist dabei der Schaden, der sich gegebenenfalls aus der Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz in dem Fall ergeben würde, in dem der späteren Klage stattgegeben würde.77 Bei dem Nachweis des so verstandenen Schadens legt der Gerichtshof einen strengen Beurteilungsspielraum an.78 Insbesondere reichen zur Begründung eines schwerwiegenden Schadens bloße wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht aus, die entstehen, weil auf Zahlungen vertraut wurde.79 Ferner ist ein Mitverschulden an dem Eintritt der Beeinträchtigung bei der Ermittlung der Schwere des Schadens zu beachten.80 Ein nicht 75 Vgl. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 279 AEUV, Rn. 30, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; ebenso Wegener, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, 3. Aufl. 2014 (im Folgenden: Rengeling/Middeke/Gellermann), § 19, Rn. 24. 76 Vgl. EuGH, Beschluss vom 02.10.2003, Rs. C.320/03 R (Kommission/Deutschland), Rn. 90. Siehe auch Gaitanides , in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 279 AEUV, Rn. 30; Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 47. 77 Vgl. EuGH, Beschluss vom 10.10.1989, Rs. C-246/89 R (Kommission/Vereinigtes Königreich), Rn. 52. 78 So Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 47; Frenz, Rechtsschutz (o. Fn. 17), Rn. 3631. 79 Wegener, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (o. Fn. 75), § 19, Rn. 28. 80 Vgl. auch Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 279 AEUV, Rn. 34; Thiele, Europäisches Prozessrecht (o. Fn. 17), § 11, Rn. 51 – jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 22 wieder gutzumachender Schaden liegt schließlich vor, wenn er nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht wieder ausgeglichen werden kann.81 Rein finanzielle Schäden reichen daher in der Regel nicht aus, es sei denn, ein anschließender finanzieller Ausgleich ist nicht mehr möglich , weil etwa eine Existenzvernichtung droht.82 Bisher ungeklärt ist mangels einschlägiger Rechtsprechung die Frage, worauf diese Vorgaben in einer Rechtsschutzkonstellation wie der hier vorliegenden bezogen werden sollen. Denn anders als im Regelfall, in welchem der jeweilige Antragsteller ausschließlich eigene Interessen geltend macht, würde sich der betreffende Mitgliedstaat als Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutz gegen EZB-Maßnahmen wenden, die nicht unmittelbar ihn, sondern seine Geschäftsbanken betreffen . Mittelbar wären hierdurch aber auch staatliche Interessen betroffen, da eine Untersagung von ELA zu einem drohenden Bankenkollaps führen könnte, durch den Staat und Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen würden und dem der Mitgliedstaat ggf. durch die Einführung einer neuen Währung entgegenwirken würde.83 Bezugspunkt für die Glaubhaftmachung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens könnte daher sowohl die Situation der Geschäftsbanken als auch die des antragstellenden Mitgliedstaates sein. Betrachtet man im Folgenden beide Bezugspunkte im Lichte der obigen Vorgaben zum Schaden, so ist zunächst festzuhalten, dass es sowohl im Hinblick auf die Geschäftsbanken als auch den Mitgliedstaat vor allem um (schwerwiegende) wirtschaftliche Schwierigkeiten gehen würde, die daraus resultieren, dass Zahlungen seitens der jeweiligen NZB ausbleiben. Bei den ELA-Zahlungen handelt es sich jedoch nicht um reguläre Maßnahmen, auf die ein Anspruch besteht, sondern um kurzfristige Liquiditätshilfen. Diese würden im Fall einer unterbliebenen Untersagung trotz Insolvenz der Geschäftsbanken außerdem zu unzulässigen Solvenzhilfen, für die allein der betreffende Mitgliedstaat zuständig wäre. Darüber hinaus liegen einer Inanspruchnahme von ELA in der Regel bereits bestehende wirtschaftliche Schwierigkeiten zugrunde, die dem Verantwortungsbereich der Geschäftsbanken bzw. des betreffenden Mitgliedstaates zuzuordnen sind, nicht aber der für die Untersagung von ELA zuständigen EZB. Fraglich ist schließlich, ob die auf Seiten der Geschäftsbanken und des Staates eintretenden Schäden finanzieller Natur nicht später wieder ausgeglichen werden könnten. Insgesamt betrachtet bestünden somit erhebliche Zweifel, ob ein schwerer und nicht wieder gut zu machender Schaden angenommen werden könnte. Vor diesem Hintergrund würde auch die anschließende Interessensabwägung in der Regel zu Lasten des antragstellenden Mitgliedstaates ausfallen. Allerdings ist auch hier eine abschließende Beurteilung aufgrund fehlender Rechtsprechung zu der besonderen Rechtsschutzsituation einerseits sowie zu der hier einschlägigen materiellen Thematik andererseits nicht möglich. 81 Vgl. Wegener, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (o. Fn. 75), § 19, Rn. 30; Gaitanides, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 279 AEUV, Rn. 35. 82 Vgl. Wegener, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (o. Fn. 75), § 19, Rn. 28; Gaitanides, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 47), Art. 279 AEUV, Rn. 33. 83 Siehe die Nachweise bei Fn. 69. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 49/15 Seite 23 5. Ergebnis Ein Mitgliedstaat könnte gegen Maßnahmen der EZB, die zu einem Ausschluss aller seiner Geschäftsbanken von der Liquiditätsversorgung führen, vorläufigen Rechtschutz vor Uniongerichten nach Art. 278 AEUV oder ggf. Art. 279 AEUV in Anspruch nehmen. Entsprechende Anträge wären grundsätzlich zulässig (siehe oben unter 4.1.), große Zweifel bestünden jedoch hinsichtlich ihrer Begründetheit (siehe oben unter 4.2.). Dies gilt für beide von Antragsteller glaubhaft zu machenden Voraussetzungen: die sich hinter der Notwendigkeit verbergenden und hier zweifelhaften Erfolgsaussichten in der Hauptsache einerseits (siehe unter 4.2.1., insb. 4.2.1.4.) und der vorliegend wohl fehlende schwere und nicht wieder gut zu machende Schaden als Grundlage der Dringlichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes andererseits (siehe unter 4.2.1.5.). Einschränkend ist allerdings auf zweierlei hinzuweisen: Zum einen ist eine abschließende rechtliche Bewertung nicht möglich, da zu einer Vielzahl der dabei erörterten Fragen bisher keine Rechtsprechung der Unionsgerichte ergangen ist, an der eine verbindliche Orientierung möglich wäre. Zum anderen kommt es entscheidend auf den konkreten Einzelfall eines von der EZB vorgenommenen Liquiditätsausschlusses an. Bisher hat die EZB eine vollständige Untersagung der Gewährung von Emergency Liquidity Assistance durch Nationale Zentralbanken nicht ausgesprochen , so dass es auch insoweit an (tatsächlichen) Beispielen fehlt, an Hand derer eine rechtliche Beurteilung projiziert werden könnte. - Fachbereich Europa -