© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 046/20 Anforderungen an die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 im Hinblick auf langfristig entsandte Arbeitnehmer Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 2 Anforderungen an die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 im Hinblick auf langfristig entsandte Arbeitnehmer Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 046/20 Abschluss der Arbeit: 01.07.2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien 4 2.1. Allgemeine Anforderungen 4 2.2. Überschießende Umsetzung durch die Mitgliedstaaten 4 3. Gegenstand und Ziel der Entsenderichtlinie 5 4. Umsetzungsvorgaben im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie 7 4.1. Inhalt des Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie 7 4.2. Anwendung der in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsendrichtlinie genannten Beschäftigungsbedingungen auf Entsendungszeiträume von unter 12 bzw. 18 Monaten 8 4.2.1. Vorgaben der Entsenderichtlinie 8 4.2.2. Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV 10 4.2.2.1. Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes 10 4.2.2.2. Verhältnismäßigkeit einer mitgliedstaatlichen Umsetzung 10 4.2.2.2.1. Geeignetheit 11 4.2.2.2.2. Erforderlichkeit 11 4.2.2.2.3. Angemessenheit 12 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, zu prüfen, ob eine nationale Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG (RL 96/71)1 in der Form der Richtlinie (EU) 2018/957 (RL 2018/957)2 (gemeinsam Entsenderichtlinie) zulässig wäre, nach der entsandte Arbeitnehmer die in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsenderichtlinie aufgeführten Beschäftigungsbedingungen zu einem früheren als den in Art. 3 Abs. 1a RL 2018/957 genannten Zeitpunkten zugestanden werden. Zunächst sollen die allgemeinen Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien dargestellt werden (Ziff. 2.), bevor Gegenstand und Ziel der Entsenderichtlinie vorgestellt werden (Ziff. 3.). Im Anschluss daran erfolgt die Prüfung der konkreten Frage des Auftraggebers (Ziff. 4.). 2. Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien 2.1. Allgemeine Anforderungen Die Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien ergeben sich aus Art. 288 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Richtlinien sind demnach für jeden Mitgliedstaat , an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel. Die Mitgliedstaaten sind im Rahmen der Umsetzung verpflichtet, die Formen und Mittel so zu wählen, dass sie sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (sog. effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen.3 Erforderlich ist insoweit die vollständige Erreichung des Richtlinienziels.4 2.2. Überschießende Umsetzung durch die Mitgliedstaaten Einer differenzierten unionsrechtlichen Beurteilung unterliegt die Frage einer überschießenden Umsetzung. In diesem Fall kommt es zu einem „Mehr“ an Umsetzung innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie. Dies führt regelmäßig zu der Frage der Wirksamkeit der Umsetzung . 1 RICHTLINIE 96/71/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, Abl. EG 1997, L 18/1. 2 RICHTLINIE (EU) 2018/957 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, Abl. EU 2018, L 173/16. 3 Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 8.4.1976, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497, Rn. 69/73. Zum Grundsatz des „effet utile“: EuGH, Urteil vom 15.7.1963, Rs. 34/62 (Kommission/Deutschland), Slg. 1963, 289, 318, siehe dazu erläuternd Streinz, in Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 4 EUV, Rn. 33, 4 EuGH, Urteil vom 11.7.2002, Rs. C-62/00 (Marks & Spencer plc/Commissioners of Customs & Excise), Rn. 26 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 5 Ausgangspunkt für diese Prüfung sind die inhaltlichen Vorgaben der Richtlinie und die Frage, inwieweit sie bspw. eine (verschärfende) Abweichung oder das Aufstellen zusätzlicher Anforderungen erlauben. Soweit die Richtlinie keine ausdrücklichen Festlegungen hierzu trifft, ist dies durch Auslegung zu ermitteln.5 Entscheidend ist hierbei der jeweilige Einzelfall, wobei sich gleichwohl zwei grundlegende Konstellationen bezüglich eines Abweichens von den Richtlinienvorgaben unterscheiden lassen: Als Instrumente der Rechtsangleichung können Richtlinien je nach dem ihnen zugrunde liegenden Regelungsansatz auf ein zu erreichendes Mindestmaß an unionsweit angeglichenen Bestimmungen zielen (sog. Mindestharmonisierung) oder eine inhaltlich-materiell abschließende Regelung anstreben (sog. Vollharmonisierung).6 Der einschlägige Ansatz ergibt sich aus der jeweiligen Richtlinie selbst und ist mal mehr, mal weniger ausdrücklich geregelt. Er kann in sog. Öffnungsklauseln zum Ausdruck kommen7 oder sich aus dem Regelungszusammenhang ergeben. Soweit der Unionsgesetzgeber hierzu keine klaren Aussagen trifft, ist dies ebenfalls durch Auslegung der Richtlinie zu ermitteln.8 Im Fall eines (nur) auf Mindestharmonisierung zielenden Ansatzes besteht für die Mitgliedstaaten bereits auf Grundlage der Richtlinie die Möglichkeit, ggf. weitergehende Anforderungen, Standards etc. im nationalen Umsetzungsrecht vorzusehen. Bei einer angestrebten Vollharmonisierung lässt die Richtlinie hingegen in der Regel keinen oder kaum Raum für eine Verankerung abweichender, etwa verschärfender Anforderungen im Umsetzungsrecht . 3. Gegenstand und Ziel der Entsenderichtlinie Mit der RL 96/71 beabsichtigte der Europäische Richtliniengeber grundsätzlich ein Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht der Unternehmen, in Übereinstimmung mit der Dienstleis- 5 Burmeister/Staebe, EuR 2009, 444, 449; vgl. auch EuGH, Urteil vom 25.04.2002, Rs. C-52/00 (Kommission /Frankreich), Slg. 2002, I-3856, Rn. 16 ff. 6 Vgl. zu Harmonisierungsgraden Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 114 AEUV, Rn. 38 ff. 7 Vgl. etwa Art. 8 Abs. 2 RICHTLINIE 1999/44/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG 1999, L 171/12; konsolidierte Fassung vom 12.12.2011 ); Art. 3 RICHTLINIE 2011/95/EU DES EURO- PÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, Abl. EU 2011, L 337/9. 8 Siehe hierzu sehr anschaulich aus der Rechtsprechung EuGH, Urteil vom 25.04.2002, Rs. C-52/00 (Kommission /Frankreich), Slg. 2002, I-3856, Rn. 12 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 6 tungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV grenzüberschreitende Dienstleistungen anzubieten, und andererseits den Rechten der Arbeitnehmer, die vorübergehend ins Ausland entsandt werden, um diese Dienstleistungen zu erbringen, herzustellen.9 In dem Kommissionsentwurf zur RL 2018/957 (Kommissionsentwurf) weist die Kommission darauf hin, dass durch den Entwurf gegen unlautere Praktiken vorgegangen und der Grundsatz der gleichen Entlohnung für gleiche Arbeit am gleichen Ort gefördert werden soll.10 Folglich zielt die RL 2018/957 gemäß ihres Erwägungsgrundes 4 darauf, dass die Entsendrichtlinie für das „richtige Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit der Förderung der Dienstleistungsfreiheit und der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen einerseits und zum anderen der Notwendigkeit des Schutzes der Rechte entsandter Arbeitnehmer sorgt.“11 Unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen sind nach Stimmen in der Literatur immer dann festzustellen , wenn aufgrund des anwendbaren Kollisionsrechts grundsätzlich das Recht des Entsendestaats auf die gegenständlichen Arbeitsverhältnisse Anwendung findet. Nach Ansicht von Teilen der Literatur führt dies in den Fällen, in denen Arbeitnehmer aus Mitgliedstaaten mit niedrigeren Standards in Mitgliedstaaten mit höheren Standards entsandt werden, zu Wettbewerbsverzerrungen .12 Andere Stimmen sehen darin jedoch in diesem Umstand einen erwünschten Wettbewerbsfaktor .13 Gemäß Art. 1 Ziff. 1 lit. b) RL 2018/957 soll die Entsenderichtlinie den Schutz entsandter Arbeitnehmer während ihrer Entsendung im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit sicherstellen, indem 9 MITTEILUNG DER KOMMISSION Leitlinien für die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 4.4.2006, KOM(2006) 159 endgültig. 10 Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, COM (2016), 128 final, Seite 2. 11 Der EuGH hatte sich bereits in seiner Entscheidung EuGH, Urteil vom 12.2.2015, Rs. C-396/13 (Sähköalojen ammattiliitto ry/Elektrobudowa Spółka Akcyjna), ECLI:EU:C:2015:86, Rn. 30 entsprechend zur Zielrichtung von Art. 3 Abs. 1 RL 96/71 geäußert: „In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs . 1 der Richtlinie 96/71 eine doppelte Zielsetzung verfolgt. Zum einen bezweckt diese Vorschrift, zwischen inländischen Unternehmen und Unternehmen, die länderübergreifende Dienstleistungen erbringen, einen lauteren Wettbewerb sicherzustellen, da sie die letztgenannten Unternehmen dazu verpflichtet, ihren Arbeitnehmern für eine begrenzte Liste von Aspekten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zuzuerkennen, die im Aufnahmemitgliedstaat festgelegt worden sind. Zum anderen bezweckt sie, für die entsandten Arbeitnehmer sicherzustellen , dass bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die genannten Aspekte die Regeln über den Mindestschutz dieses Mitgliedstaats angewandt werden, während die Arbeitnehmer vorübergehend im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätig sind (Urteil Laval un Partneri, EU:C:2007:809, Rn. 74 und 76).“ 12 Vgl. hierzu im Einzelnen Klein/Schneider, SR 2019, 21, 22. 13 Vgl. hierzu Riesenhuber, NZA 2018, 1433, 1434. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 7 sie zwingende Vorschriften in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer festlegt, die eingehalten werden müssen.14 4. Umsetzungsvorgaben im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie Gemäß Art. 3 RL 2018/957 erlassen und veröffentlichen die Mitgliedstaaten bis zum 30. Juli 2020 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der RL 2018/957 nachzukommen und teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Maßnahmen mit. 4.1. Inhalt des Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie Die RL 2018/957 sieht unter Art. 1 Ziff. 2 lit. b) die Einfügung des folgenden Absatzes 1a in Art. 3 RL 96/7115 vor: „(1a) In Fällen, in denen die tatsächliche Entsendungsdauer mehr als 12 Monate beträgt, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern auf der Grundlage der Gleichbehandlung zusätzlich zu den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels sämtliche anwendbaren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind — durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder — durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche, oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die anderweitig nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden. 9.7.2018 Amtsblatt der Europäischen Union L 173/21 DE Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes findet keine Anwendung auf folgende Aspekte: a) Verfahren, Formalitäten und Bedingungen für den Abschluss und die Beendigung des Arbeitsvertrags , einschließlich Wettbewerbsverboten; b) zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme. Legt der Dienstleistungserbringer eine mit einer Begründung versehene Mitteilung vor, so verlängert der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, den in Unterabsatz 1 genannten Zeitraum auf 18 Monate.“ 14 Siehe bereits Erwägungsgrund 14 der RL 96/71. Danach soll ein „harter Kern“ klar definierter Schutzbestimmungen vom Dienstleistungserbringer unabhängig von der Dauer der Entsendung des Arbeitnehmers eingehalten werden, vgl. hierzu auch Schumacher, in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, II. Entsenderichtlinie 96/71/EG, Rn. 221. 15 Vgl. hierzu auch Klein/Schneider, SR 2019, 21, 31 ff., Sura, BB 2018, 2473, 2474. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 8 Ersetzt ein in Artikel 1 Absatz 1 genanntes Unternehmen einen entsandten Arbeitnehmer durch einen anderen entsandten Arbeitnehmer, der die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausführt , so gilt als Entsendungsdauer für die Zwecke dieses Absatzes die Gesamtdauer der Entsendezeiten der betreffenden einzelnen entsandten Arbeitnehmer. Der in Unterabsatz 4 dieses Absatzes genannte Begriff „gleiche Tätigkeit am gleichen Ort“ wird unter anderem unter Berücksichtigung der Art der zu erbringenden Dienstleistung oder der durchzuführenden Arbeit und der Anschrift(en) des Arbeitsplatzes bestimmt.“16 4.2. Anwendung der in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsendrichtlinie genannten Beschäftigungsbedingungen auf Entsendungszeiträume von unter 12 bzw. 18 Monaten Nachfolgend soll geprüft werden, ob und inwieweit eine nationale Umsetzung, die eine Anwendung der in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsendrichtlinie genannten Beschäftigungsbedingungen auch für Entsendungszeiträume von unter 12 bzw. 18 Monaten vorsieht, mit der Entsenderichtlinie vereinbar wäre. Hierzu sind zunächst die Vorgaben der Entsenderichtlinie mit Blick auf Art. 3 Abs. 1a darzustellen (Ziff. 4.2.1.). Im Folgenden soll die Vereinbarkeit einer Absenkung der in Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie vorgesehenen Fristen mit der Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV untersucht werden (Ziff. 4.2.2.). 4.2.1. Vorgaben der Entsenderichtlinie Ausgangspunkt für eine Prüfung des Umsetzungsspielraums der Entsenderichtlinie sind deren inhaltlichen Vorgaben und insoweit die Frage, inwieweit die jeweilige Richtlinie bspw. eine (verschärfende ) Abweichung oder das Aufstellen zusätzlicher Anforderungen erlaubt. Soweit die Richtlinie keine ausdrücklichen Festlegungen hierzu trifft, ist dies durch Auslegung zu ermitteln. Gemäß Art. 3 Abs. 7 UAbs. 1 Entsenderichtlinie stehen die Art. 3 Abätze 1 bis 6 Entsenderichtlinie der Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht entgegen. Nach einer Ansicht in der Literatur sind davon aus- 16 Ferner äußert sich die RL 2018/957 im Erwägungsgrund 9 zu längeren Entsendungszeiträumen wie folgt: „Die Entsendung hat vorübergehenden Charakter. Entsandte Arbeitnehmer kehren nach Abschluss der Arbeiten, für die sie entsandt worden sind, in der Regel in den Mitgliedstaat, aus dem sie entsandt wurden, zurück. Allerdings sollten angesichts der langen Dauer mancher Entsendungen und in Anerkennung der Verbindung, die zwischen dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats und den für solch lange Zeiträume entsandten Arbeitnehmern besteht, bei Entsendezeiträumen von über 12 Monaten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Unternehmen, die Arbeitnehmer in ihr Hoheitsgebiet entsenden, diesen Arbeitnehmern zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die für die Arbeitnehmer in dem Mitgliedstaat, in dem die Arbeit verrichtet wird, verbindlich gelten. Dieser Zeitraum sollte verlängert werden, sofern der Dienstleistungserbringer eine mit einer Begründung versehenen Mitteilung vorlegt.“ Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 9 drücklich die Bestimmungen gemäß Art. 3 Abs. 1, Abs. 1a sowie Abs. 1b Entsenderichtlinie als sog. „harter Kern“ umfasst.17 Allerdings soll Art. 3 Abs. 7 Entsenderichtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Laval nicht dahingehend ausgelegt werden , „dass er es einem Aufnahmemitgliedstaat erlaubt, die Erbringung einer Dienstleistung in seinem Hoheitsgebiet davon abhängig zu machen, dass Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen eingehalten werden, die über die zwingenden Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz hinausgehen.“18 Nach Ansicht in der Literatur folgt daraus, dass die Möglichkeit eines Mitgliedstaats von Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie abzuweichen, abschließend in Art. 3 Abs. 10 Entsenderichtlinie geregelt sei.19 Eine endgültige Bewertung dieser Frage obliegt jedoch dem EuGH. Folgt man der Ansicht in der Literatur, bildet Art. 3 Abs. 10 Entsenderichtlinie die abschließende Möglichkeit der Mitgliedstaaten von Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie abzuweichen . Gemäß Art. 3 Abs. 10 Entsenderichtlinie berührt die Entsenderichtlinie nicht das Recht der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung der Verträge auf inländische Unternehmen und Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten in gleicher Weise Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Entsenderichtlinie aufgeführten Aspekte, soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt , anzuwenden. Eine nationale Umsetzung, die eine Anwendung der in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsendrichtlinie genannten Beschäftigungsbedingungen auch für Entsendungszeiträume von unter 12 bzw. 18 Monaten vorsieht, wäre daher nur dann mit Art. 3 Abs. 10 Entsenderichtlinie vereinbar, wenn es sich bei den zusätzlich zu Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Entsenderichtlinie genannten Aspekten um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt und die Verträge (EUV/AEUV) beachtet werden. Der EuGH hatte bereits in der Vergangenheit in seiner Entscheidung in der Rechtssache Kommission/Luxemburg festgehalten, dass eine Anwendung des Art. 3 Abs. 10 Entsenderichtlinie a. F. durch einen Mitgliedstaates nur unter Berücksichtigung der Verträge 17 Rebhan/Krebber, in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum Europäischen Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Ziff. 460 RL 96/71/EG, Art. 3, Rn. 42. Vgl. auch den Erwägungsgrund 24: „Mit dieser Richtlinie wird ein ausgeglichener Rahmen für die Dienstleistungsfreiheit und den Schutz entsandter Arbeitnehmer eingerichtet, der diskriminierungsfrei , trans-parent und verhältnismäßig ist und gleichzeitig die Vielfalt der nationalen Arbeitsbezie -hungen achtet. Diese Richtlinie steht der Anwendung von für entsandte Arbeitnehmer günstigeren Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen nicht entgegen.“ 18 EuGH, Urteil vom 18.12.2007, Rs. C-341/05 (Laval un Partneri Ltd/Svenska Büggnadsarbetareförbundet), Slg. 2007, I-11845. 19 Rebhan/Krebber, in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum Europäischen Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Ziff. 460 RL 96/71/EG, Art. 3, Rn. 43. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 10 (EUV/AEUV) und insbesondere der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV möglich sei.20 4.2.2. Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV Eine mitgliedstaatliche Umsetzung der RL 2018/957, nach der entsandte Arbeitnehmer die in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsenderichtlinie aufgeführten Beschäftigungsbedingungen zu einem früheren als den in Art. 3 Abs. 1a RL 2018/957 genannten Zeitpunkten zugestanden werden, müsste mit den Vorgaben der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV vereinbar sein. Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit der Unternehmen in den Entsendungsstaaten durch weitergehende verpflichtende Arbeitsbedingungen im Rahmen der Entsendung von Arbeitnehmern müssten daher gerechtfertigt sein. 4.2.2.1. Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit können gemäß Art. 62 AEUV i. V. m. Art. 52 Abs. 1 AEUV aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt werden.21 Darüber hinaus kann eine Rechtfertigung unter weiteren Voraussetzungen im Rahmen der zwingenden Gründe des Allgemeinwohls in Betracht kommen.22 Mangels konkreter Vorgaben kann eine Prüfung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes an dieser Stelle nicht erfolgen. Eine abschließende Entscheidung obliegt insoweit dem EuGH. 4.2.2.2. Verhältnismäßigkeit einer mitgliedstaatlichen Umsetzung Zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit müsste eine mitgliedstaatliche Umsetzung ferner verhältnismäßig sein.23 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die gegenständliche Maßnahme geeignet ist, die Erreichung des rechtmäßig verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne darüber hinauszugehen , was hierzu erforderlich ist.24 20 EuGH, Urteil vom 19.06.2008, Rs. C-319/06 (Kommission/Luxemburg), ECLI:EU:C:2008:350, Rn. 33 , 48 ff.; vgl. dazu Rebhan/Krebber, in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum Europäischen Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Ziff. 460 RL 96/71/EG, Art. 3, Rn. 45; ferner Klein/Schneider, SR 2019, 21, 32. 21 Vgl. hierzu die Ausführungen von Müller-Graf, in Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 52 AEUV, Rn. 7-13. 22 Vgl. dazu grundlegend EuGH, Urteil vom 20.2.1979, Rs. 120/78 (Rewe-Zentral-AG, Köln/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 650, Rn. 8; für die Dienstleistungsfreiheit vgl. EuGH, Urteil vom 3.4.2008, Rs. C-346/06 (Rüffert/Niedersachsen), ECLI:EU:C:2008:189, Rn. 42; siehe hierzu die Darstellung von Müller- Graf, in Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 56 AEUV, Rn. 106 ff. mit weiteren Beispielen. 23 Vgl. EuGH, Urteil vom 14.10.2004, Rs. C-299/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I- 9783, Rn. 18; EuGH, Urteil vom 9.7.1997, verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95 (KO/De Agostini u. a.), Slg. 1997, I-3875, Rn. 54; vgl. ferner EuGH, Urteil vom 19.06.2008, Rs. C-319/06 (Kommission/Luxemburg), ECLI:EU:C:2008:350, Rn. 52. 24 Vgl. hierzu bspw. EuGH, Urteil vom 9.7.1997, verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95 (KO/De Agostini u. a.), Slg. 1997, I-3875, Rn. 54. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 11 Ausweislich des Erwägungsgrundes Nr. 1025 war dem Europäischen Richtliniengeber die Bedeutung der Dienstleistungsfreiheit im Hinblick auf die Regelung in Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie bewusst.26 Vor diesem Hintergrund erscheint für die Notwendigkeit einer Abweichung der in Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie vorgesehenen Regelung im Rahmen der mitgliedstaatlichen Umsetzung ein erhöhter Begründungsaufwand erforderlich. Mangels konkreter Vorgaben kann eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit an dieser Stelle nicht erfolgen. Eine abschließende Entscheidung obliegt zu der, insoweit dem EuGH. 4.2.2.2.1. Geeignetheit Eine Maßnahme ist zunächst dann geeignet, wenn es für das Erreichen des verfolgten Rechtfertigungsgrundes tatsächlich förderlich ist. Der EuGH legt hinsichtlich der Geeignetheit einer Maßnahme keine hohen Anforderungen an, sondern gewährt den Mitgliedstaaten bei der Einschätzung der Eignung einer Maßnahme vielmehr einen Prognosespielraum.27 Verlangt wird allerdings , dass die nationale Regelung das Ziel in kohärenter und systematischer Weise verfolgt.28 4.2.2.2.2. Erforderlichkeit Bejaht man die Geeignetheit einer Maßnahme, wäre in der Folge deren Erforderlichkeit zu prüfen . Diese fehlt im Grundsatz, wenn der Zweck mit einem genauso wirksamen Mittel erreicht werden kann, der die Dienstleistungsfreiheit weniger beschränkt.29 Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt dies insbesondere, wenn der Mitgliedstaat zwischen verschiedenen zur Erreichung desselben Ziels geeigneten Mitteln zur Verfügung hat.30 25 „(10) Ein besserer Arbeitnehmerschutz ist notwendig, um den freien Dienstleistungsverkehr auf einer fairen Grundlage sowohl kurz- als auch langfristig sicherzustellen, insbesondere indem ein Missbrauch der durch die Verträge garantierten Rechte verhindert wird. Jedoch können die Vorschriften über den Arbeitnehmerschutz das Recht von Unternehmen, die Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats entsenden, sich auch in Fällen, in denen die Entsendung länger als zwölf Monate oder gegebenenfalls 18 Monate dauert, auf die Dienstleistungsfreiheit zu berufen, nicht berühren. Bestimmungen, die für entsandte Arbeitnehmer im Rahmen einer Entsendung von mehr als zwölf oder gegebenenfalls 18 Monaten gelten, müssen daher mit dieser Freiheit vereinbar sein. Gemäß der ständigen Rechtsprechung sind Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nur zulässig, wenn sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie verhältnismäßig und erforderlich sind.“ [Hervorhebung durch den Bearbeiter]. 26 Siehe oben unter Ziff. 4.2.1 27 Vgl. EuGH, Urteil vom 6.11.2003, Rs. C-243/01 (Gambelli u. a.), Slg. 2003, I-13076), Rn. 63. 28 EuGH, Urteil vom 17.7.2008, Rs. C-500/06 (Corporación Dermoestética SA/To Me Group Advertising Media), ECLI:EU:C:2008:421, Rn. 39 f.. 29 EuGH, Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-288/89 (Stichting Collective Antennevoorziening Gouda u. a./Commissariat voor de Media), Slg. 1991, I-4035, Rn. 15. 30 EuGH, Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-288/89 (Stichting Collective Antennevoorziening Gouda u. a./Commissariat voor de Media), Slg. 1991, I-4035, Rn. 15. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 12 4.2.2.2.3. Angemessenheit Letztlich müsste eine Absenkung der in Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie genannten Fristen im engeren Sinne angemessen sein. Zu prüfen wäre insoweit die konkrete Zweck-Mittel-Relation. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung führt der EuGH eine Güterabwägung durch, bei der er die abstrakte Gewichtigkeit des betroffenen Schutzgutes, die Intensität der konkreten Bedrohung sowie die Besonderheiten des Falles einfließen lässt.31 Anknüpfungspunkte für insoweit relevante Prüfungsmaßstäbe finden sich in den Schlussanträgen des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in den Verfahren Rs. C-620/18 bzw. C-626/18 sowie in der Literatur. Wie oben bereits dargestellt, sind derzeit Verfahren von Ungarn (Rs. C-620/18) und der Republik Polen (Rs. C-626/18) im Hinblick auf die Vereinbarkeit der RL 2018/957 mit dem Unionsrecht und insbesondere der Dienstleistungsfreiheit vor dem EuGH anhängig. In den genannten Verfahren hat sich der Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen vom 28.05.2020 im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV geäußert. Der Generalanwalt führte insoweit aus, dass seines Erachtens die Regelung dieser neuen Kategorie der langfristig entsandten Arbeitnehmer gerechtfertigt sei und verhältnismäßige Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs mit sich bringe, die mit Art. 56 AEUV vereinbar seien.32 Vor dem Hintergrund des Status eines langfristig entsandten Arbeitnehmers sei es, dem Generalanwalt zufolge, insbesondere verhältnismäßig , dass eine größere Anzahl von arbeitsrechtlichen Vorschriften des Bestimmungsmitgliedstaats zur Anwendung kommt, während gleichzeitig die Verbindung der Arbeitnehmer mit dem Herkunftsstaat des Unternehmens, für das sie arbeiten, bestehen bleibt.33 Zur Frage der Vereinbarkeit von Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie mit der Dienstleistungsfreiheit gibt es ferner Einschätzungen im juristischen Schrifttum. Nach einer Ansicht in der Literatur stehen die Regelungen zur Erstreckung im Spannungsfeld zwischen der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV auf der einen Seite und der in Art. 45 AEUV garantierten Arbeitnehmerfreizügigkeit auf der anderen Seite.34 Mit zunehmender Entsendungsdauer gewinne nach Ansicht in der Literatur die Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber der Dienstleistungsfreiheit an Bedeutung.35 31 Vgl. EuGH, Urteil vom 9.7.1997, verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95 (KO/De Agostini u. a.), Slg. 1997, I- 3875, Rn. 54; ferner die Ausführungen von Müller-Graf in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 56 AEUV, Rn. 115 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 32 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 28.05.2020, Rs. C-620/20, Rn. 161 ff.; (Rn. 166); Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 28.05.2020, Rs. C-626/20, Rn. 75 ff. (Rn. 80). 33 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 28.05.2020, Rs. C-626/20, Rn. 82; vgl. ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 28.05.2020, Rs. C-620/20, Rn. 168. 34 Riesenhuber, NZA 2018, 1433, 1438; Klein/Schneider, SR 2019, 21, 32 f.. 35 Riesenhuber, NZA 2018, 1433, 1438; Klein/Schneider, SR 2019, 21, 32 f.. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 046/20 Seite 13 In den Fällen längerfristiger Entsendendungen sei aufgrund der Regelung in Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie für einen Ausgleich zwischen der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV und dem in Art. 45 Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 7 Verordnung (EU) Nr. 492/201136 konkretisierten Gleichbehandlungsgebot gesorgt.37 Insbesondere sei die Dienstleistungsfreiheit des entsendenden Unternehmens aufgrund der Regelung in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 3 Entsenderichtlinie sowie durch den Umstand geschützt, dass kein automatischer Statutenwechsel einträte und für die in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 2 Entsenderichtlinie genannten Gegenstände weiterhin das Arbeitsvertragsstatut maßgeblich sei.38 Aus den vorstehenden Ausführungen lässt sich entnehmen, dass für eine Rechtfertigung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch die in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsenderichtlinie aufgeführten Arbeitsbedingungen die festgelegte Entsendedauer der Arbeitnehmer in besonderem Maße bedeutsam ist. Für Zeiträume von mehr als 12 bzw. 18 Monaten sei eine Rechtfertigung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV im Rahmen von Art. 3 Abs. 1a Entsenderichtlinie nach Ansicht des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona sowie nach Ansicht in der Literatur im Ergebnis möglich.39 Eine Verkürzung der in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsenderichtlinie vorgesehenen Fristen würde jedoch eine erneute Abwägung mit Blick auf die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV erforderlich machen. Für die Prüfung, ob auch eine Verkürzung der Fristen in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 1 Entsenderichtlinie im Rahmen der mitgliedstaatlichen Umsetzung der RL 2018/957 mit Art. 56 AEUV vereinbar wäre, müsste daher eine genaue Analyse der Auswirkungen einer mitgliedstaatlichen Umsetzung in ihrer konkreten Form erfolgen, die an dieser Stelle nicht vorgenommen werden kann. Eine abschließende Entscheidung obliegt dem EuGH. – Fachbereich Europa – 36 VERORDNUNG (EU) Nr. 492/2011 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, ABl. EU 2011 L 141/1, konsolidierte Fassung vom 31.07.2019. 37 Klein/Schneider, SR 2019, 21, 32 f.; vgl. hierzu auch Klein, EuZW 2019, 673, 678, 38 Klein/Schneider, SR 2019, 21, 32 f; vgl. hierzu auch Klein, EuZW 2019, 673, 679. 39 Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 28.05.2020, Rs. C-620/20, Rn. 161 ff.; Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 28.05.2020, Rs. C-626/20, Rn. 75 ff.; Klein/ Schneider, SR 2019, 21, 32 f; vgl. hierzu auch Klein, EuZW 2019, 673, 679.