© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 45/19 Unionsrechtliche Bindung nationaler Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien durch Freihandels- und Assoziierungsabkommen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 2 Unionsrechtliche Bindung nationaler Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien durch Freihandels- und Assoziierungsabkommen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 45/19 Abschluss der Arbeit: 30.7.2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Unionsrechtliche Bindungswirkungen von Freihandelsabkommen für den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien 4 2.1. Unionsrechtliche Bindungswirkung aus Art. 216 Abs. 2 AEUV 4 2.2. Besonderheit bei gemischten Abkommen 5 2.3. Kompetenz der Union im Bereich des geistigen Eigentums nach Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV 6 2.4. Zur Frage des Rangverhältnisses 6 2.5. Zwischenergebnis 6 2.6. Unmittelbare Geltung 7 2.6.1. Rechtsprechung des EuGH 7 2.6.2. CETA 8 2.6.3. Freihandelsabkommen mit Korea 8 2.6.4. Zwischenergebnis 9 3. Unionsrechtliche Bindungswirkungen von Assoziierungsabkommen für den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien 9 3.1. Unionsrechtliche Bindungswirkung aus Art. 217 AEUV 9 3.2. Besonderheit bei gemischten Abkommen 10 3.3. Unmittelbare Geltung 11 4. Ergebnis 11 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 4 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund der Regelungen zum Urheberrecht in den Freihandelsabkommen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten mit Canada (CETA)1 und Korea2 sowie dem Assoziierungsabkommen der Ukraine3 ist der Fachbereich Europa beauftragt worden, zu untersuchen, inwieweit die Regelungen zur urheberrechtlichen Haftung von Vermittlungs- bzw. Onlinediensten der genannten Abkommen4 Deutschland bei der Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie unionsrechtlich binden. Die davon unabhängige völkerrechtliche Bindung Deutschlands durch die genannten Abkommen ist nicht Gegenstand dieser Ausarbeitung. Im Hinblick auf die unionsrechtliche Bindungswirkung ist zunächst zwischen Freihandelsabkommen (Ziff. 2.) und Assoziierungsabkommen (Ziff. 3.) zu unterscheiden. 2. Unionsrechtliche Bindungswirkungen von Freihandelsabkommen für den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien Zu untersuchen ist zunächst eine grundsätzliche unionsrechtliche Bindungswirkung des nationalen Gesetzgebers zur Beachtung von Freihandelsabkommen gemäß Art. 216 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bei der Umsetzung von Richtlinien (Ziff. 2.1.). Besonderheiten bestehen insoweit in Bezug auf gemischte Abkommen (Ziff. 2.2.-2.3.). Zu betrachten sind ferner der Rang der Freihandelsabkommen im Unionsrecht (Ziff. 2.4.) sowie die Frage der unmittelbaren Geltung von Regelungen in Freihandelsabkommen (Ziff. 2.5.). 2.1. Unionsrechtliche Bindungswirkung aus Art. 216 Abs. 2 AEUV Gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV binden die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte sowohl die Organe der Union als auch die Mitgliedstaaten. Daher besteht grundsätzlich eine unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, internationale Abkommen der Union zu beachten und im innerstaatlichen Raum durchzuführen.5 Allerdings soll diese Verpflichtung allein unionsintern, d. h. nicht im Außenverhältnis, gelten.6 1 Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, COM(2016) 444 final, deutsche Übersetzung abrufbar auf der Internetseite von EUR-LEX (zuletzt abgerufen am 31.07.2019). 2 FREIHANDELSABKOMMEN zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits, ABl. EU 2011, L 127/6 vom 14.11.2011 (zuletzt abgerufen am 31.07.2019). 3 ASSOZIIERUNGSABKOMMEN zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits, ABl. EU 2014, L 161/3 vom 29.5.2014 (zuletzt abgerufen am 31.07.2019). 4 Art. 20.11 CETA, Art. 10.62 ff. des Freihandelsabkommens mit Korea sowie Art. 244 ff. Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. 5 EuGH, Urteil vom 26.10.1982 Rs. 104/81 (Hauptzollamt Mainz/Kupferberg), Slg. 1982, 3644, Rn. 13. 6 Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 216 AEUV, Rn. 48. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 5 Der EuGH hat insoweit in der Rechtssache Haegemann festgehalten, dass Völkervertragsrecht somit einen „integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ darstellt, wodurch dieses unmittelbar als Recht in der Unionsrechtsordnung gelten soll.7 Diese Rechtsprechung hat der EuGH in der Folge weiter fortentwickelt.8 2.2. Besonderheit bei gemischten Abkommen Besonderheiten bestehen im Hinblick auf die unionsrechtliche Bindungswirkung sog. gemischter Abkommen. Bei gemischten Abkommen handelt es sich um internationale Abkommen bei denen neben der Union auch die Mitgliedstaaten selbst Vertragspartei werden. Sowohl CETA als auch das Freihandelsabkommen mit Korea wurden als gemischte Abkommen abgeschlossen. Die Bindungswirkung von gemischten Abkommen ist dabei differenziert zu betrachten. Eine unionsrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten soll nach dem herrschenden Schrifttum nur für solche Regelungen bestehen, für die die Union über eine vertragliche Kompetenz verfügt. Eine über die völkerrechtliche Bindung hinausgehende unionsrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten sei demnach ausgeschlossen, sofern die ausschließliche Kompetenz für den entsprechenden Regelungsbereich bei den Mitgliedstaaten liege.9 Der EuGH ist dieser Literaturansicht in seiner Rechtsprechung weitestgehend gefolgt.10 Zunächst hatte EuGH in seiner Entscheidung in der Rechtssache Haegemann noch unproblematisch angenommen , dass das streitgegenständliche gemischte Abkommen integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung geworden sei.11 In der folgenden Entscheidung zum TRIPS-Abkommen stellte der EuGH – wie das herrschende Schrifttum – jedoch bei der Bewertung der Bindungswirkung auf die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ab und begründete somit die fehlende unionsrechtliche Bindungswirkung.12 7 EuGH, Urteil vom 30.4.1974, Rs. 181/73 (Haegemann/Belgien), Slg. 1974, 450, Rn. 2/6; siehe hierzu auch Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 216 AEUV, Rn. 28. 8 EuGH, Urteil vom 24.3.1981, Rs. 104/81 (Hauptzollamt Mainz/Kupferberg), Slg. 1982, 3644, Rn. 13; EuGH, Urteil vom 11.9.2003, Rs. C-211/01 (Kommission/Rat), I-8939, Rn. 57, für weitere Nachweise siehe Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 216 AEUV, Rn. 92. 9 Vgl. dazu Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 216 AEUV, Rn. 32 f., 52 m. w. N.; Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 216 AEUV, Rn. 43. 10 Siehe hierzu Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 216 AEUV, Rn. 33; ferner Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 216 AEUV, Rn. 43. 11 EuGH, Urteil vom 30.4.1974, Rs. 181/73 (Haegemann/Belgien), Slg. 1974, 450, Rn. 2/6. 12 EuGH, Urteil vom 14.12.2000, Verb.-Rs. C-300/97 und C-392/98 (Dior u.a.), Slg. 2000, I-11, Rn. 48; Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 6 2.3. Kompetenz der Union im Bereich des geistigen Eigentums nach Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV Aufgrund der vorgenannten Ausführungen dürfte eine unionsrechtliche Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten bestehen, soweit die Kompetenz zum Abschluss der entsprechenden Regelungen im CETA sowie im Freihandelsabkommen mit Korea ausschließlich bei der Union liegt. Die gegenständlichen Regelungen (Art. 20.1 CETA sowie Art. 10.62 ff. Freihandelsabkommen mit Korea) befassen sich mit der urheberrechtlichen Haftung von Anbietern von Vermittlungs- bzw. Onlinediensten und damit mit grundsätzlichen Fragen des geistigen Eigentums. Die ausschließliche Kompetenz der Union zum Abschluss internationaler Handelsabkommen im Bereich des geistigen Eigentums ergibt sich aus Art. 207 Abs. 1 Satz 1 AEUV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 lit. e) AEUV. Nach dieser Vorschrift umfasst die Kompetenz der Union zur gemeinsamen Handelspolitik ausdrücklich auch die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“. Erforderlich ist nach der Rechtsprechung des EuGH insoweit ein spezifischer Bezug der Regelungen zum geistigen Eigentum zum internationalen Handelsverkehr.13 Die Regelungen zum Geistigen Eigentum sind sowohl bei CETA als auch beim Freihandelsabkommen mit Korea Teil einer handelsrechtlichen Gesamtvereinbarung, so dass sie nach der Rechtsprechung des EuGH jeweils von der Kompetenznorm des Art. 207 Abs. 1 Satz 1 AEUV erfasst sind. 2.4. Zur Frage des Rangverhältnisses Die von der Union geschlossenen internationalen Abkommen genießen Vorrang vor sekundärem Unionsrecht14 sowie den Anwendungsvorrang vor nationalem Recht, Art. 216 Abs. 2 AEUV.15 Soweit der Vorrang durch Unionsbürger gerichtlich geltend gemacht werden soll, ist der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Kupferberg folgend in dem jeweiligen Fall zunächst zu untersuchen , ob das Abkommen selbst regelt, welche Wirkungen seine Bestimmungen in internen Rechtsordnungen der Letztgenannten haben sollen und welche rechtlichen Maßnahmen zur vollständigen Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen geeignet sind.16 Dies müsse nach Ansicht des EuGH durch Auslegung ermittelt werden.17 2.5. Zwischenergebnis Aufgrund der in den vorstehenden Ausführungen erläuterten Grundsätze sieht Art. 216 Abs. 2 AEUV zunächst eine unionsrechtliche Bindungswirkung der Regelungen zur ur- 13 EuGH, Urteil vom 18.7.2013, Rs. C-414/11 (Daiichi Sankyo Co. Ltd. u.a./DEMO), ECLI:EU:C:2013:520, Rn. 52. 14 EuGH, Urteil vom 10.9.1996, Rs. C-61/94 (Kommission/Deutschland), Slg. 1996, I-3989, Rn. 52. 15 Mögele, in: Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 216 AEUV, Rn. 60. 16 EuGH, Urteil vom 26.10.1982 Rs. 104/81 (Hauptzollamt Mainz/Kupferberg), Slg. 1982, 3644, Rn. 13. 17 Mögele, in: Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 216 AEUV, Rn. 60. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 7 heberrechtlichen Haftung von Vermittlungs- bzw. Onlinediensten im CETA und im Freihandelsabkommen mit Korea für den nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien vor. Davon zu unterscheiden ist die Frage, welche Qualität diese Bindungswirkung hat, d. h. inwieweit diese Abkommen als Rechtmäßigkeitsmaßstab im Rahmen von gerichtlichen Entscheidungen im Hinblick auf das sekundäre Unionsrecht und das nationale Recht, ggf. zur Umsetzung herangezogen werden können. Diese Frage wird vom EuGH unter dem Begriff der „unmittelbaren Geltung behandelt.18 2.6. Unmittelbare Geltung Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Haegemann stellen internationale Übereinkünfte „integrierende Bestandteile der Gemeinschaftsordnung dar“, so dass ein Verstoß gegen deren Bestimmungen grundsätzlich auch ein Verstoß gegen Unionsrecht darstellt, der mit den Verfahrensarten nach Art. 258 ff. AEUV im Grundsatz angegriffen und überprüft werden kann.19 Allerdings hat der EuGH in seiner Rechtsprechung zum GATT sowie zur WTO weitere Kriterien aufgestellt, die für eine unmittelbare Geltung erheblich sind. 2.6.1. Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat sich verschiedentlich zur Frage der unmittelbaren Geltung von internationalen Abkommen – insbesondere im Zusammenhang mit GATT und WTO – geäußert. So hat der EuGH aufbauend auf seiner Rechtsprechung zum GATT 194720 festgestellt, dass die WTO-Übereinkünfte sich aufgrund ihrer Natur und Struktur nicht als Prüfungsmaßstab für Handlungen der Union heranziehen lassen. Ein Verstoß könne demnach nicht zur Nichtigkeit einer Maßnahme der Union führen.21 Die bloße Bestandteilseigenschaft eines Abkommens reiche demnach nicht aus, um eine rechtliche Bindung zu erzeugen. Vielmehr sei auf die von den Vertragsparteien gewollte Wirkung einer Übereinkunft abzustellen.22 Diese Rechtsprechung des EuGH, die eine Gefahr des Auseinanderfallens von völkerrechtlicher und unionsrechtlicher Wirkung begründet , ist in der Literatur umstritten.23 18 EuGH, Urteil vom 15.3.2012, Rs. C- 135/10 (SCF/Marco Del Corso), ECLI:EU:C:2012:140, Rn. 37. 19 Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 216 AEUV, Rn. 39. 20 EuGH, Urteil vom 12.12.1972, Verb.-Rs. 21-24 (International Fruit Company), Slg. 1972, 1220, Rn. 21. 21 EuGH, Urteil vom 23.11.1999, Rs. C-149/96 (Portugal/Rat), Slg. 1999, I-8425, Rn. 46. 22 EuGH, Urteil vom 12.12.1972, Verb.-Rs. 21-24 (International Fruit Company), Slg. 1972, 1220, Rn. 7 f.; EuGH, Urteil vom 30.9.1987, Rs. 12/86 (Demirel/Schäbisch Gmünd), Slg. 1987, 3747, Rn. 14; Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 216 AEUV, Rn. 28. 23 Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 216 AEUV, Rn. 29; Mögele, in: Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 216 AEUV, Rn. 65 ff.; Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 216 AEUV, Rn. 29 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 8 Folgt man jedoch dieser Rechtsprechung des EuGH zu GATT/WTO, ist zunächst auf die von den Vertragsparteien gewollte Wirkung der jeweiligen Regelungen in CETA und dem Freihandelsabkommen mit Korea einzugehen. 2.6.2. CETA Zunächst trifft Art. 30 CETA eine ausdrückliche Regelung zur unmittelbaren Geltung. Gemäß Art. 30 Abs. 1 CETA begründet CETA keine anderen Rechte oder Pflichten für Personen als die zwischen den Vertragsparteien nach dem Völkerrecht geschaffenen Pflichten, noch kann CETA in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Union bzw. der Mitgliedstaaten unmittelbar geltend gemacht werden. Danach schließt Art. 30 Abs. 1 CETA seine unmittelbare Geltung in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien selbst aus. Dies hat zur Folge, dass CETA im Rahmen unionaler oder mitgliedstaatlicher Rechtstreitigkeiten weder Prüfungsmaßstab für sekundäres Unionsrecht sein kann, noch am Anwendungsvorrang gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten teilnimmt. Auch können natürliche und juristische Personen durch Bestimmungen des CETA in unionalen oder mitgliedstaatlichen Gerichtsverfahren weder unmittelbar berechtigt noch verpflichtet werden. 2.6.3. Freihandelsabkommen mit Korea Eine zu Art. 30 Abs. 1 CETA vergleichbare Regelung findet sich im Freihandelsabkommen mit Korea nicht. Allerdings hat der Rat in seinem Beschluss über die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit Korea in dessen Art. 8 festgehalten, dass das Abkommen nicht so auszulegen sei, als begründe es Rechte und Pflichten, die vor Gerichten der Union oder der Mitgliedstaaten unmittelbar geltend gemacht werden können.24 Ob dieser Regelung eine konstitutive Wirkung zukommen kann, ist in der Literatur umstritten.25 Gegen eine solche Wirkung spräche zunächst, dass es sich insoweit um eine einseitige Festlegung 24 BESCHLUSS DES RATES vom 16. September 2010 über die Unterzeichnung — im Namen der Europäischen Union — und vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits (2011/265/EU), ABl. EU 2011, L 127/6 vom 14.11.2011 (zuletzt abgerufen am 31.07.2019). 25 Zweifel an der konstitutiven Wirkung äußert Mögele, in: Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 216 AEUV, Rn. 64; a. A. Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 217 AEUV, Rn. 54; Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 217 AEUV, Rn. 19. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 9 durch eine Vertragspartei nach Abschluss des Abkommens handelt. Höchstrichterliche Entscheidungen hierüber sind nicht ersichtlich.26 In der Literatur wird die unmittelbare Geltung des Freihandelsabkommens von Korea zumindest von einzelnen Stimmen kritisch gesehen.27 Eine abschließende Entscheidung bliebe insoweit jedoch dem EuGH vorbehalten. 2.6.4. Zwischenergebnis Die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Geltung von Regelungen internationaler Abkommen , die v. a. auf die von den Vertragsparteien gewollte Wirkung abstellt, ist im Schrifttum umstritten. In CETA haben die Parteien jedoch eine unmittelbare Geltung ausdrücklich ausgeschlossen . Anders verhält es sich beim Freihandelsabkommen mit Korea. Hier hat der Rat in seinem Beschluss über die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens festgehalten, dass das Abkommen nicht so auszulegen sei, als begründe es Rechte und Pflichten, die vor Gerichten der Union oder der Mitgliedstaaten unmittelbar geltend gemacht werden können. Ob dieser Regelung eine konstitutive Wirkung zukommt, ist in der Literatur umstritten. Eine abschließende Entscheidung bliebe insoweit jedoch dem EuGH vorbehalten. 3. Unionsrechtliche Bindungswirkungen von Assoziierungsabkommen für den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien Auch im Hinblick auf das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine sind das Vorliegen einer grundsätzlichen Bindungswirkung des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung von Richtlinien gemäß Art. 217 AEUV (Ziff. 3.1.), die Besonderheiten bei gemischten Abkommen (Ziff. 3.2.) sowie die Frage der unmittelbaren Geltung des Assoziierungsabkommens (Ziff. 3.3.) zu untersuchen . 3.1. Unionsrechtliche Bindungswirkung aus Art. 217 AEUV Gemäß Art. 217 AEUV kann die Union u. a. mit Drittländern Abkommen schließen, die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamen Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen. 26 In seinem Urteil vom 23.11.1999 (EuGH), Rs. C-149/96 (Portugal/Rat), Slg. 1999, I-8425, Rn. 35, hat der EuGH den Grundsatz festgehalten, dass es jeder Vertragspartei zustehe, die rechtlichen Maßnahmen zu bestimmen, die zur Erreichung des Ziels des Abkommens innerhalb ihrer Rechtsordnung geeignet sei, es sei denn, dass die Auslegung des Abkommens nach seinem Sinn und Zweck ergibt, dass diese Maßnahmen im Abkommen selbst festgelegt sind (siehe EuGH a. a. O. mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 24.3.1981, Rs. 104/81 (Hauptzollamt Mainz/Kupferberg), Slg. 1982, 3644, Rn. 18.). 27 Daiber, EuR 2015, 542, 573. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 10 Der Haegemann-Entscheidung des EuGH folgend, werden auch Assoziierungsabkommen als „integrierende Bestandteile der Gemeinschaftsrechtsordnung“ Teil der Unionsrechtsordnung.28 Hinsichtlich der Wirkungen der Assoziierungsabkommen soll nach Ansicht der Literatur Art. 216 Abs. 2 AEUV entsprechend Anwendung finden.29 Assoziierungsabkommen stehen, vergleichbar den Freihandelsabkommen, grundsätzlich im Rang vor dem Sekundärrecht als auch dem nationalen Recht.30 3.2. Besonderheit bei gemischten Abkommen Besonderheiten stellen sich wiederum im Hinblick auf die Bindungswirkung bei gemischten Abkommen . Zu fragen ist daher, ob für die einzelnen Regelungen eine umfassende ausschließliche Kompetenz der Union besteht. Umstritten ist insoweit, ob bereits Art. 217 AEUV eine umfassende Sachkompetenz für ein Handeln der Union darstellt. Die Rechtsprechung des EuGH ist in dieser Frage nicht eindeutig. Einer Ansicht der Literatur nach, die sich auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Vereinigtes Königreich/Rat31 stützt, vermittelt Art. 217 AEUV der Union keine umfassende Sachkompetenz , so dass für die gegenständlichen Regelungen eine gesonderte Kompetenz der Union bestehen müsse.32 Eine andere Ansicht der Literatur sieht hingegen Art. 217 AEUV als umfassende Sachkompetenznorm an und verweist insoweit auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Demirel.33 Die Frage kann jedoch dahinstehen, soweit der Union auch über Art. 217 AEUV hinaus eine ausschließliche Kompetenz für den Bereich der materiellen Regelungen zusteht. Die materiellen Regelungen (Art. 244 ff. Assoziierungsabkommen mit der Ukraine) befassen sich mit der urheberrechtlichen Haftung von Anbietern von Vermittlungs- bzw. Onlinediensten und damit mit grundsätzlichen Fragen des geistigen Eigentums. Die ausschließliche Kompetenz der Union zum Abschluss internationaler Handelsabkommen im Bereich des geistigen Eigentums ergibt sich aus Art. 207 Abs. 1 Satz 1 AEUV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 lit. e) AEUV. Insoweit kann auf 28 EuGH, Urteil vom 30.4.1974, Rs. 181/73 (Haegemann/Belgien), Slg. 1974, 450, Rn. 2/6; Vöneky/ Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 217 AEUV, Rn. 53 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 29 Mögele, in: Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 217 AEUV, Rn. 20 f. 30 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 217 AEUV, Rn. 19; siehe dazu oben unter Ziff. 2.4. 31 EuGH, Urteil vom 18.12.2014, Rs. C-81/13 (Vereinigtes Königreich/Rat), ECLI:EU:C:2014:2449, Rn. 61. 32 Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 217 AEUV, Rn. 12 f. 33 EuGH, Urteil vom 30.9.1987, Rs. 12/86 (Demirel/Schäbisch Gmünd), Slg. 1987, 3747, Rn. 9; Mögele, in: Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 217 AEUV, Rn. 22; Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 217 AEUV, Rn. 17 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 11 die entsprechenden Ausführungen zu CETA und dem Freihandelsabkommen mit Korea verwiesen werden.34 3.3. Unmittelbare Geltung Im Hinblick auf das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine stellt sich ebenso die Frage der unmittelbaren Geltung. Auch insoweit kann auf die bereits erläuterte Rechtsprechung des EuGH verwiesen werden, wonach es für die unmittelbare Geltung auf die von den Vertragsparteien gewollte Wirkung des jeweiligen Abkommens bzw. der jeweiligen Regelung ankommen soll.35 Das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine enthält selbst keine ausdrücklichen Regelungen zur Frage der unmittelbaren Geltung. Allerdings enthalten die Beschlüsse des Rates zum Abschluss des Assoziierungsabkommen jeweils Regelungen, wonach das Abkommen nicht so auszulegen sei, als begründe es Rechte oder Pflichten, die vor Gerichten der Union oder der Mitgliedstaaten unmittelbar geltend gemacht werden könnten.36 Ob diesen Regelungen (vergleich mit denen zum Freihandelsabkommen mit Korea) eine konstitutive Wirkung zukommen kann, ist umstritten. Eine abschließende Entscheidung bliebe insoweit jedoch dem EuGH vorbehalten.37 4. Ergebnis Im Ergebnis sieht Art. 216 Abs. 2 AEUV eine grundsätzliche unionsrechtliche Bindungswirkung der Regelungen zur urheberrechtlichen Haftung von Vermittlungs- bzw. Onlinediensten im CETA, im Freihandelsabkommen mit Korea sowie im Assoziierungsabkommen mit der Ukraine für den nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien vor. Davon unabhängig ist die Frage zu beantworten, welche Qualität diese Bindungswirkung hat, d.h. inwieweit diese Abkommen als Prüfungsmaßstab im Rahmen von gerichtlichen Entscheidungen im Hinblick auf das sekundäre Unionsrecht herangezogen werden können. Die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Geltung von Regelungen internationaler Abkommen , die v. a. auf die von den Vertragsparteien gewollte Wirkung abstellt, ist im Schrifttum 34 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 217 AEUV, Rn. 17; siehe dazu oben unter Ziff. 2.4., 2.3. 35 Siehe dazu oben unter Ziff. 2.6.1. 36 Art. 5 BESCHLUSS (EU) 2017/1247 DES RATES vom 11. Juli 2017 über den Abschluss, im Namen der Europäischen Union, des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits, mit Ausnahme der Bestimmungen über Drittstaatsangehörige, die legal als Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei beschäftigt sind, Abl. EU 2017, L 181/1; ferner Art. 3 BESCHLUSS (EU) 2017/1248 DES RATES vom 11. Juli 2017 über den Abschluss des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits im Namen der Europäischen Union im Hinblick auf die Bestimmungen über die Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die rechtmäßig als Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei beschäftigt sind, Abl. EU 2017, L 181/4. 37 Siehe oben unter Ziff. 2.6.3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/19 Seite 12 umstritten. In CETA haben die Parteien jedoch eine unmittelbare Geltung ausdrücklich ausgeschlossen , so dass die entsprechenden Regelungen keinen Prüfungsmaßstab für gerichtliche Verfahren bilden und nicht Teil des Anwendungsvorrangs sind. Anders verhält es sich beim Freihandelsabkommen mit Korea sowie dem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Hier hat der Rat in seinen Beschlüssen über die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens /Assoziierungsabkommen festgehalten, dass das Abkommen nicht so auszulegen sei, als begründe es Rechte und Pflichten, die vor Gerichten der Union oder der Mitgliedstaaten unmittelbar geltend gemacht werden können. Ob dieser Regelung eine konstitutive Wirkung zukommen kann, ist in der Literatur umstritten. Eine abschließende Entscheidung bliebe insoweit jedoch dem EuGH vorbehalten. – Fachbereich Europa –