© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 45/15 Verfahrensrechtliche Anforderungen des Unionsrechts bei der Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/15 Seite 2 Verfahrensrechtliche Anforderungen des Unionsrechts bei der Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 45/15 Abschluss der Arbeit: 27. März 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Hintergründe der Notifizierungspflicht gemäß der Richtlinie 98/34/EG 4 3. Notifizierungspflicht des Siebten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes 5 4. Reichweite der Notifizierungspflicht und Überprüfung von Verstößen im Vertragsverletzungsverfahren 5 5. Rechtsfolgen einer unterlassenen Notifizierung 6 5.1. Unanwendbarkeit 6 5.2. Wirkung im horizontalen Verhältnis zwischen Presseverleger und Suchmaschinenbetreiber 6 5.3. Staatshaftung 7 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/15 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung setzt sich mit der Frage auseinander, welche Konsequenzen sich daraus ergeben , dass die Bundesregierung die Kommission nicht entsprechend den Vorgaben der Informationsrichtlinie 98/34/EG (im Folgenden: RL 98/34/EG)1 bei der Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger durch das Achte Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes2 (im Folgenden: UrhG-Ä) benachrichtigt hat. Potenzielle Konsequenzen setzten voraus, dass die RL 98/34/EG auf die Regeln zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger Anwendung findet. Zu dieser Vorfrage wird auf die entsprechende Ausarbeitung des Fachbereichs WD 7 verwiesen. Ungeachtet der tatsächlichen Anwendbarkeit der RL 98/34/EG geht die vorliegende Ausarbeitung von der Annahme aus, dass die RL 98/34/EG anwendbar ist und mithin eine Notifizierungspflicht besteht. 2. Hintergründe der Notifizierungspflicht gemäß der Richtlinie 98/34/EG Unter Notifizierung versteht man ein Verfahren, nach dem die EU-Mitgliedstaaten der Kommission frühzeitig die geplante Einführung oder Änderung von Normen oder technischen Vorschriften in gemeinschaftsrechtlich relevanten Gebieten anzeigen.3 Dieses Inkenntnissetzen ermöglicht der Kommission, sich frühzeitig ein Bild dieser Vorhaben zu machen. Laufende Regelungsvorhaben in den Mitgliedstaaten sollen für Marktteilnehmer in anderen Mitgliedstaaten und für die Kommission transparent gemacht werden, um frühzeitig mögliche Hemmnisse für den Binnenmarkt zu identifizieren und rechtzeitig abzuwenden. Dahinter steht nicht zuletzt die Befürchtung , eine protektionistische Regulierung oder eine Überregulierung durch die Mitgliedstaaten könnte zu Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit führen und eine Zersplitterung bzw. Inkohärenz innerhalb des Binnenmarkts bewirken. Die Notifizierungspflicht soll diesen Gefahren entgegenwirken, indem sie gemeinschaftsweite Transparenz für nationale Regelungsvorhaben herstellt und gemeinsam mit den weiteren Verfahrensregeln eine effektive Vorabkontrolle durch die Kommission ermöglicht. Neben der (obligatorischen) Notifizierung im Beihilfebereich ist eine Notifizierung stets dann erforderlich , wenn ein nationales Gesetz erlassen wird, für das in einer EU-Richtlinie eine Notifizierung vorgesehen ist. Eine entsprechende Notifizierungspflicht ergibt sich aus der RL 98/34/EG. Nach Art. 8 RL 98/34/EG „übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift”. Als „technische Vorschrift” definiert Art. 1 Nr. 11 RL 98/34/EG insbesondere „Vorschriften betreffend Dienste, ... deren Beachtung rechtlich oder de facto für ... die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten 1 Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. L 204/37, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=CELEX:01998L0034- 20130101&qid=1427280062647. 2 BGBl. I 2013, S. 1161. 3 Vgl. Wissenschaftliche Dienste, Fachbereich WD 11, Aktueller Begriff – Europa, Das Notifizierungsverfahren der Europäischen Kommission, abrufbar unter http://www.bundestag .de/blob/190866/d372b187d0228b27956769ab67d5c8ef/notifizierungsverfahren-data.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/15 Seite 5 oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat ... verbindlich ist”. Als „Dienst” wird wiederum gemäß Art. 1 Nr. 2 RL 98/34/EG jede „Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d.h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung” angesehen. 3. Notifizierungspflicht des Siebten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes Die RL 98/34/EG dient allein dem präventiven Schutz des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt. Leistungsschutzrecht als notifizierungspflichtige technische Vorschrift i.S.v. Art. 8 i.V.m. Art 1 Nr. 11 RL 98/34/EG. Im Falle einer bestehenden Notifizieriungspflicht bezüglich einzelner technischer Standards i.S.d. RL 98/34/EG ist die betroffene gesetzliche Regelung in ihrer Gesamtheit notifizierungspflichtig. - Prämisse Anwendbarkeit - Notifizierungspflicht (+), da neue, markterhebliche Regulierung 4. Reichweite der Notifizierungspflicht und Überprüfung von Verstößen im Vertragsverletzungsverfahren Für den Fall eines (angenommenen) Verstoßes gegen die genannten Pflichten aus der RL 98/34/EG enthält die Informations-RL selbst allerdings, anders als z.B. die EU-Beihilfeverfahrensverordnung , keine speziellen sekundärrechtlichen Verfahrensregeln.4 Anders als im Beihilfeverfahrensrecht sieht die Informations-RL daher weder ein förmliches sekundärrechtliches Prüfverfahren 5 vor noch die Möglichkeit einer Informations- oder Aussetzungsanordnung bei rechtswidrig unterlassener Notifizierung.6 In Ermangelung von spezielleren sekundärrechtlichen Regelungen bleibt es bei möglichen Verstößen gegen die Informations-RL daher beim allgemeinen Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art 258 AEUV. Kommen Kommission und Mitgliedstaat im außergerichtlichen Abschnitt des Vertragsverletzungsverfahrens zu keiner Einigung, kann die Kommission in das gerichtliche Verfahren übergehen. Dagegen hat die Kommission, anders als im Beihilferecht, keine Möglichkeit zur Suspendierung des UrhG-Ä im Verwaltungsverfahren.7 Vielmehr obliegt dem EuGH die abschließende und rechtlich verbindliche Entscheidung über die Vereinbarkeit des UrhG-Ä mit der RL 98/34/EG. 4 VO (EG) Nr. 659/1999, ABl. L 83/1, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EG) 1791/2006, ABl. L 363/1 5 Vgl. Art. 108 Abs. 2 AEUV, Art. 4 ff. VerfVO; hierzu Kühling/König/Paul, in: Streinz (o. Fußn. 13), Art. 108 Rdnr. 18 ff. 6 Vgl. Art. 10 Abs. 2 und 11 Abs. 1 VerfVO; Kühling/König/Paul (o. Fußn. 46), Art. 108 Rdnr. 22 f. 7 Vgl. Art. 11 Abs. 1 VerfVO; Kühling/König/Paul (o. Fußn. 46), Art. 108 Rdnr. 23. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/15 Seite 6 Hierbei ist anzumerken, dass auch die vom Leistungsschutzrecht betroffenen Presseverleger und Suchmaschinenbetreiber im Rahmen der RL 98/34/EG weder formelle sekundärrechtliche Beteiligtenrechte zustehen, noch die Kommission dazu verpflichtet ist, auf die Rüge eines Wettbewerbers hin tätig zu werden. 5. Rechtsfolgen einer unterlassenen Notifizierung 5.1. Unanwendbarkeit Das Notifizierungsverfahren ist kein unionsrechtliches Genehmigungsverfahren für nationale Rechtsvorschriften. Dennoch führt die Verletzung der Informationsrichtlinie wegen deren Anwendungsvorrangs regelmäßig zur Unanwendbarkeit der entgegenstehenden nationalen Bestimmungen . Nach der Rechtsprechung des EuGH führt die Verletzung einer Verpflichtung, notifizierungspflichtige Regelungen der Kommission zur Prüfung vorzulegen, im Grundsatz zur Unanwendbarkeit dieser Vorschrift.8 Diese Unanwendbarkeit beruht auf dem Umstand, dass die Notifizierungspflicht das wichtigste Mittel zur Verwirklichung der Kontrolle ist. Ihre Missachtung, durch die nicht nur die Unterrichtung der Kommission und der anderen Mitgliedstaaten verhindert wird, sondern auch deren Möglichkeit ausgeschaltet wird, zu reagieren und Änderungen vorzuschlagen, stellt daher einen groben Formfehler dar, der die Ungültigkeit dieser Vorschriften und ihre Unanwendbarkeit auf einzelne zur Folge hat. Auch der Einzelne kann sich auf die Verletzung sowohl der Vorlage- als auch der Stillhaltepflicht der Informationsrichtlinie durch den Mitgliedstaat berufen. Um Verstöße der Mitgliedstaaten effektiv zu sanktionieren und die Effektivität der Informationsrichtlinie im innerstaatlichen Bereich zu verstärken, hat der EuGH auch hier seine „effet utile”- Rechtsprechung entfaltet. Nach seiner Auffassung ist die RL unmittelbar anwendbar (hinreichend genau formuliert, Umsetzungsfrist abgelaufen, keine unmittelbare Verpflichtung von Individuen). Daher können Bestimmungen, die notifizierungspflichtig sind, dem Einzelnen nicht entgegengehalten werden. Umgekehrt kann der Bürger die Unanwendbarkeit der technischen Vorschrift gegenüber dem Staat geltend machen. Auch inländische Rechtsbetroffene können sich daher auf die aus formalen Gründen bestehende unionsrechtliche Unanwendbarkeit von nationalen Rechtsvorschriften berufen. Unstreitig kann sich der Einzelne ferner auf die ihn begünstigende Vorschriften nicht umgesetzter Richtlinien gegenüber dem Staat berufen. 5.2. Wirkung im horizontalen Verhältnis zwischen Presseverleger und Suchmaschinenbetreiber Im horizontalen Verhältnis zwischen Privaten wirken Richtlinien nicht unmittelbar.9 Auch begründet eine Verletzung der Notifizierungs- und Stillhaltepflicht nach Art. 9 Abs. 1 der Informations -RL, anders als das beihilferechtliche Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 AEUV, keine generellen subjektiven Rechte von Privaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist jedoch anerkannt, dass sich im horizontalen Verhältnis Private dann auf die Unanwendbarkeit einer 8 EuGH, Slg. 1996, I-2201, Rdnr. 32 ff. (CIA Security International); EuGH, Slg. 2000, I-7535, Rdnr. 40 ff. (Unilever /Central Food). 9 EuGH, Slg. 1987, 2545, Rdnr. 19 – Pretore di Salò/X Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 45/15 Seite 7 technischen Vorschrift berufen können, wenn sonst belastend in bereits gesicherte Rechtspositionen eingegriffen würde. 5.3. Staatshaftung Zudem ist eine Staatshaftung in Betracht zu ziehen, wenn Mitbewerber dadurch benachteiligt werden, dass Behörden in europarechtswidriger Weise die nationalen Regelungen anwenden. Umgekehrt könnten sich Investitionen durch den Verstoß gegen die Notifizierungspflicht als Fehlinvestition erweisen. Die Amtspflichtverletzung läge in der Veranlassung der Investitionen mittels einer auf Grund der Nichtnotifizierung unanwendbaren nationalen Regelungen.