© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 – 3000 – 044/20 188 Zu den möglichen Folgen einer nicht fristgerechten Umsetzung der EECC-Richtlinie Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 – 044/20 Seite 2 Zu den möglichen Folgen einer nicht fristgerechten Umsetzung der EECC-Richtlinie Aktenzeichen: PE 6 – 3000 – 044/20 Abschluss der Arbeit: 9.06.2020 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 – 044/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Zur Umsetzungsverpflichtung der EECC-Richtlinie 4 3. Zur Wirkung nicht fristgerecht umgesetzter Richtlinien 5 Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 – 044/20 Seite 4 1. Fragestellung An den Fachbereich Europa wurde die Frage gerichtet, welche Folgen eine nicht fristgerechte Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/1972 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (im Folgenden: EECC-Richtlinie)1 hätte. 2. Zur Umsetzungsverpflichtung der EECC-Richtlinie Mit der EECC-Richtlinie hat die Europäische Union (EU) den rechtlichen Rahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, zugehöriger Einrichtungen und zugehöriger Dienste sowie bestimmter Aspekte der Endeinrichtungen neu geordnet und damit zugleich eine Neufassung der Richtlinien 2002/19/EG (Zugangsrichtlinie),2 2002/20/EG (Genehmigungsrichtlinie),3 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie)4 und 2022/22/EG (Universaldienstrichtlinie)5 vorgenommen. Die EECC-Richtlinie legt gemäß ihres Art. 1 Abs. 1 S. 2 die Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden und gegebenenfalls der anderen zuständigen Behörden sowie eine Reihe von Verfahren fest, die unionsweit die harmonisierte Anwendung des Rechtsrahmens gewährleisten sollen. In Kraft getreten ist sie gemäß ihres Art. 126 am 20. Dezember 2018. Nach Art. 124 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EECC-Richtlinie erlassen die Mitgliedstaaten bis zum 21. Dezember 2020 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Art. 124 Abs. 1 UAbs. 2 EECC-Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschriften ab dem 21. Dezember 2020 an[wenden]. Abweichende Umsetzungsfristen sind in Art. 124 Abs. 2 EECC-Richtlinie vorgesehen. Im Erwägungsgrund 325 dieser Richtlinie wird ergänzend hierzu ausgeführt: Die Verpflichtung zur Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht sollte nur jene Bestimmungen betreffen, die im Vergleich zu den aufgehobenen Richtlinien inhaltlich geändert wurden. Die Verpflichtung zur Umsetzung der nicht geänderten Bestimmungen ergibt sich aus den aufgehobenen Richtlinien. In welchem Umfang die EECC-Richtlinie Anpassungen des nationalen Rechts erforderlich macht, hängt von den einzelnen umsetzungspflichtigen Vorschriften dieser Richtlinie ab und davon, inwieweit das nationale Recht der in der Richtlinie vorgegebenen Rechtslage bereits entspricht 1 Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Neufassung), ABl. L 321, 36. 2 Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie ), ABl. L 108, 7. 3 Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie), ABl. L 108, 21, 4 Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABl. L 108, 33. 5 Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie), ABl. L 108, 51. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 – 044/20 Seite 5 und darüber hinaus zusätzliche Änderungen erforderlich macht. Soweit Richtlinienbestimmungen keine detaillierte, wortlautgetreue Umsetzung erfordern, sondern dem Gesetzgeber Umsetzungsspielräume lassen, gilt folgendes: „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“ Daraus ergibt sich, dass, wenn in einer Richtlinie die Form und die Mittel für die Erreichung eines bestimmten Ziels nicht vorgegeben sind, die Handlungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Wahl der für die Erreichung dieses Ziels geeigneten Formen und Mittel grundsätzlich unbeschränkt bleibt. Die Mitgliedstaaten sind jedoch […] verpflichtet, diejenigen Formen und Mittel zu wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien am geeignetsten sind.6 Welche Änderungen die Umsetzung der sehr umfangreichen und komplexen EECC-Richtlinie im Einzelnen erfordert, kann diesseitig nicht eingeschätzt werden und erforderte eine eingehende Analyse des deutschen Rechts, insb. des TKG. Erste Hinweise dafür, wie der Bundesgesetzgeber die Vorgaben der EECC-Richtlinie ins TKG umzusetzen beabsichtigt, lassen sich dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vorgelegten Eckpunktepapier zur TKG-Novelle 2019 vom 21. Februar 20197 und dem jüngeren Schrifttum8 entnehmen. 3. Zur Wirkung nicht fristgerecht umgesetzter Richtlinien Nach Art. 288 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Abs. 1 UAbs. 2 ist eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Richtlinien sind für die Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet sind, verbindlich. Sie verpflichtet diese dazu, die Richtlinie auszuführen, indem sie innerstaatliches Recht aufhebt, modifiziert, neu schafft oder beibehält.9 Richtlinien verpflichten zur Herstellung eines richtlinienkonformen Rechtszustandes. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist kann eine nicht (hinreichend umgesetzte Richtlinie) unmittelbare Wirkung entfalten.10 Die fehlende Umsetzung einer Richtlinie, die eine solche Wirkung hervorruft, 6 EuG, Urt. v. 23.9.2009, Rs. T-183/07 (Polen/Kommission) Rn. 82. 7 Abrufbar unter: https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2019/03/05/190221_bmwi-bmvi_eckp-tkgnovelle -2019.pdf . 8 Aus dem Schrifttum vgl. dazu Thiele/Kohout, Datenschutz und Datensicherheit (DUD) 2019, S. 292; Nacimiento , K&R 2020, S. 13; Neumann, N&R 2019, S. 152. 9 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Stand: EL 48. August 2012), Art. 288 AEUV Rn. 104. 10 EuGH, Urt. v. 4.12.1974, Rs. 41/74 (van Duyn) Rn. 12; Urt. v. 21.6.1978, Rs. 148/78 (Ratti) Rn. 19 ff. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 – 044/20 Seite 6 besteht, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umsetzt oder eine unzutreffende Umsetzung der Richtlinie vornimmt.11 Bestimmungen einer Richtlinie können allerdings nur dann unmittelbare Wirkung entfalten , wenn sie geeignet sind, im innerstaatlichen Rechtsraum unmittelbare Regelungswirkungen zu erzielen, was voraussetzt, dass sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, um ihre Anwendung auf einen Einzelfall zu ermöglichen;12 gleiches gilt für ihre Eignung, Kompetenzen und Ansprüche zu begründen.13 Richtlinien haben keine unmittelbare Wirkung, soweit diese Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen.14 Nicht rechtzeitig umgesetzte Bestimmungen aus Richtlinien können Sanktionen auslösen. Mögliche Folgen können neben der soeben dargestellten unmittelbaren Anwendung von Richtlinien unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche wegen unterlassener oder fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie entstandenen Schäden sein.15 Eine unterlassene oder fehlerhafte Richtlinienumsetzung kann auch Grund für die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens sein, was die Möglichkeit eröffnet, Pauschalbeträge und Zwangsgelder nach Art. 260 II und III AEUV festzusetzen.16 (2) 1 Hat der betreffende Mitgliedstaat die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben, nach Auffassung der Kommission nicht getroffen, so kann die Kommission den Gerichtshof anrufen, nachdem sie diesem Staat zuvor Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. 2 Hierbei benennt sie die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds, die sie den Umständen nach für angemessen hält. Stellt der Gerichtshof fest, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds verhängen. […] (3) Erhebt die Kommission beim Gerichtshof Klage nach Artikel 258, weil sie der Auffassung ist, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, Maß- 11 EuGH, Urt. v. 26.2.1986, Rs. 152/84 (Marshall I) Rn. 46. 12 Karpenstein, Praxis des EU-Rechts, 2. Aufl. 2013, Rn. 57. 13 EuGH, Urt. v. 19.1.1982, Rs. 8/81 (Becker) Rn. 25; Urt. 16.9.1999, Rs. C-27/98 Rn. 36. 14 EuGH, Urt. v. 8.10.1987, Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen) Rn. 9. Eine Richtlinie [kann] nicht selbst Verpflichtungen für einen einzelnen begründen […] und […] eine Richtlinienbestimmung [kann ]daher als solche vor einem innerstaatlichen Gericht nicht gegenüber einer derartigen Person in Anspruch genommen werden […]. 15 EuGH, Urt. v. 19.11.1991, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Frauncovich) Rn. 45; v. Danwitz, DVBl 1997, S. 1 (3); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsgesetz, 6. Aufl. 2013, S. 596  ff.; krit. hinsichtlich der Eignung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs als Instrument des „private enforcement“ Lock, CML Rev. 49 (2012), S. 1675 (1701  f.). 16 Wendenburg/Reichert, NVwZ 2017, S. 1338; Wennerås, CML. Rev. 49 (2012), S. 145  ff. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 – 044/20 Seite 7 nahmen zur Umsetzung einer gemäß einem Gesetzgebungsverfahren erlassenen Richtlinie mitzuteilen, so kann sie, wenn sie dies für zweckmäßig hält, die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds benennen, die sie den Umständen nach für angemessen hält. 1 Stellt der Gerichtshof einen Verstoß fest, so kann er gegen den betreffenden Mitgliedstaat die Zahlung eines Pauschalbetrags oder eines Zwangsgelds bis zur Höhe des von der Kommission genannten Betrags verhängen. 2 Die Zahlungsverpflichtung gilt ab dem vom Gerichtshof in seinem Urteil festgelegten Zeitpunkt. - Fachbereich Europa -