© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 44/15 Unionsrechtliche Regelungen zur strafrechtlichen Verfolgung von Hassreden Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 44/15 Seite 2 Unionsrechtliche Regelungen zur strafrechtlichen Verfolgung von Hassreden Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 44/15 Abschluss der Arbeit: 9. April 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 44/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Unionsrechtliche Regelungen zur strafrechtlichen Verfolgung der Tatbestände der Volksverhetzung und der Leugnung des Holocausts 4 2.1. Rahmenbeschluss 2008/913/JI 4 2.1.1. Strafbarkeitsbegründung 4 2.1.2. Anwendung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI 5 2.2. Umsetzung in Deutschland 6 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 44/15 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung setzt sich mit der Frage auseinander, welche Bestimmungen des Rechts der Europäischen Union (EU) die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, rechtsextremistische Musik wegen ihrer strafrechtlichen Bedeutung insbesondere im Hinblick auf Tatbestände der Volksverhetzung, der Leugnung des Holocausts oder der Aufforderung und Billigung von Straftaten zu verfolgen oder im Vorfeld zu verhindern. Hierbei geht die Ausarbeitung insbesondere auf die Frage ein, ob es für die strafrechtliche Ahndung von Bekenntnissen darauf ankommt, ob die betreffende Handlung in geschlossenen Räumen stattfindet oder ob sie von der Strafverfolgung ausgenommen sind, wenn sie auf privaten Konzerten stattfinden. 2. Unionsrechtliche Regelungen zur strafrechtlichen Verfolgung der Tatbestände der Volksverhetzung und der Leugnung des Holocausts 2.1. Rahmenbeschluss 2008/913/JI Eine unionsrechtliche Grundlage zur strafrechtlichen Verfolgung von bestimmten Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einschließlich bestimmter Tatbestande von Volksverhetzungen und der Leugnung des Holocausts besteht mit dem Rahmenbeschluss 2008/913/JI.1 2.1.1. Strafbarkeitsbegründung In materieller Hinsicht verpflichtet der Rahmenbeschluss zu einer Pönalisierung der „öffentliche (n) Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe“ (Art. 1 Abs. 1 lit. a Rahmenbeschluss), wobei solche Handlungen auch dann strafrechtlich zu erfassen sind, wenn sie durch „öffentliche Verbreitung oder Verteilung von Schriften, Bild- oder sonstigem Material“ begangen werden (Art. 1 Abs. 1 lit. b Rahmenbeschluss). Darüber hinaus ist das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord , Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Sinne der Art. 6 bis 8 IStGH-Statut2 sowie von Verbrechen nach Art. 6 der Charta des Nürnberger Militärgerichtshofs3 unter Strafe zu stellen, sofern die fragliche Handlung „in einer Weise begangen wird, die wahrscheinlich zu Gewalt oder Hass […] aufstachelt“. Eine Straftat wird in diskriminierender Absicht begangen, wenn sie auf Missachtung, Verachtung und Zurückweisung von Personen beruht, auf 1 Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ABl. 2008 L 328/55, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008F0913&qid=1428654447961&from=DE. 2 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH-Statut) vom 17. Juli 1998, in Kraft getreten am 1. Juli 2002, BGBl II 2000, S. 1393. 3 Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945, Anhang des Londoner Viermächte-Abkommens , vgl. https://www.uni-marburg.de/icwc/dateien/imtcdeutsch.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 44/15 Seite 5 die ein bestimmtes Merkmal wie z. B. die in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) über Nichtdiskriminierung aufgeführten Merkmale zutrifft. Art. 1 Abs. 2 und 4 des Rahmenbeschlusses räumt den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Umsetzung dieser Vorgaben gewisse Spielräume ein. Dementsprechend ergeben sich nicht unmittelbar aus dem Unionsrecht dahingehende Anforderungen, ob es für die strafrechtliche Ahndung von bestimmten Handlungen darauf ankommt, ob die betreffende Handlung in geschlossenen Räumen oder auf privaten Konzerten stattfindet. Dies ergibt sich vielmehr aus der Umsetzung der Vorgaben des Rahmenbeschlusses im nationalen Recht entsprechend der jeweiligen Ausübung der mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielräume. 2.1.2. Anwendung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI Im Rahmen ihres Umsetzungsspielraums müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Rahmenbeschluss 2008/913/JI gewährleisten, dass Straftaten aus rassistischen und fremdenfeindlichen Beweggründen mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen bedroht sind. Diese Vorgabe dient dem Zweck, die Absicht von Straftätern zur Diskriminierung sichtbar zu machen und ihnen im Rahmen der Strafrechtsordnungen entsprechend Beachtung beizumessen.4 Dabei sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 des Rahmenbeschlusses nicht dazu verpflichtet, ein bestimmtes Verhalten unter Strafandrohung zu stellen oder zu bestrafen. Nur dann, wenn sie beschließen, bestimmte Handlungsweisen zu Straftatbeständen zu erheben, geht dieser Beschluss mit der Anforderung und dem entsprechenden Recht der Opfer auf Unterscheidung zwischen Straftaten an sich und Straftaten, die in diskriminierender Absicht begangen wurden, durch die zuständigen Behörden einher. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 8 des Rahmenbeschlusses verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Ermittlungen nicht davon abhängig gemacht werden, ob ein Opfer Anzeige erstattet oder Klage erhebt. Diese Bestimmung soll einerseits Opfer entlasten, ist dabei jedoch ausdrücklich auf eine Viktimisierung im Sinne von Art. 1 und 2 des Rahmenbeschlusses beschränkt und gilt daher nicht für Opfer von Hasskriminalität gemäß Art. 4 des Rahmenbeschlusses .5 Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses gilt für die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten das Territorialitätsprinzip, wonach die Mitgliedstaaten für die Handlungen 4 Vgl. hierzu Europäische Agentur für Grundrechte, Hasskriminalität in der Europäischen Union sichtbar machen : die Rechte der Opfer anerkennen, 2012, S. 17 ff., abrufbar unter http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra- 2012_hate-crime-de.pdf. 5 Vgl. hierzu Vgl. das Gutachten 2/2013 der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte betreffend den Rahmenbeschluss über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unter besonderer Berücksichtigung der Rechte von Opfern von Straftaten, 15. Oktober 2013, abrufbar unter http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-opinion-2- 2013_framework-decision_racism-xenophobia_de.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 44/15 Seite 6 gerichtlich zuständig sind, die ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet6 oder ggf. von einem ihrer Staatsangehörigen7 begangen wurden. 2.2. Umsetzung in Deutschland In Deutschland erfolgte die Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit durch Gesetz vom 16. Dezember 2010, das am 22. März 2011 in Kraft getreten ist.8 Da die Bundesregierung der Auffassung war, dass die Regelungen des Rahmenbeschlusses in Deutschland bereits im Wesentlichen dem geltenden Recht entsprachen, beließ sie es bei einer Anpassung der Volksverhetzungstatbestände in § 130 Abs. 1, 2 StGB.9 Insbesondere wurde die bislang geltende Voraussetzung, dass die Volksverhetzung gegen „Teile der Bevölkerung “ gerichtet sein musste, aufgegeben. Nunmehr genügt die Hetze gegen einzelne Mitglieder. In Bezug auf den „Billigungs-, Leugnungs- und Verharmlosungstatbestand“ hat der Gesetzgeber von der Option des Art. 1 Abs. 2 Gebrauch gemacht und § 130 Abs. 3 StGB unverändert gelassen. Nicht umgesetzt wurde Art. 4, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, dass rassistische oder fremdenfeindliche Motive bei Straftaten allgemein bei der Festlegung des Strafmaßes durch die Gerichte berücksichtigt werden können; entsprechende Motive können nach Auffassung der Bundesregierung bei der Strafzumessung im Rahmen des geltenden Strafrechts berücksichtigt werden. - Fachbereich Europa - 6 Vgl. hierzu § 3 iVm § 9 Strafgesetzbuch. 7 Vgl. hierzu § 7 Abs. 2 Nr. 1 Strafgesetzbuch. 8 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Umsetzung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art, BGBl. I 2011, S. 418, vgl. zur Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 17/3124, S. 6 ff. 9 Vgl. zur Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 17/3124, S. 6 sowie Weber, Strafbarkeit der Holocaustleugnung in der Europäischen Union, ZRP 2008, S. 21 ff.; Bock, Die (unterlassene) Reform des Volksverhetzungstatbestandes , ZRP 2011, S. 46 ff.