AUSARBEITUNG Thema: Vergleichende Darstellung des Gottes- und Religionsbezugs in den bisherigen und alternativen Textvorschlägen für einen europäischen Verfassungsvertrag Fachbereich XII Europa Bearbeiter: Abschluss der Arbeit: 3. Mai 2004 Reg.-Nr.: WF XII - 044/04 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite I. Einleitung 3 II. Bisherige Regelungen im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaft 4 III. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 4 1. Gottesbezug 4 2. Kirchen und Religionen 6 IV. Der Entwurf des Europäischen Konvents 7 V. Die Beratungen der Regierungskonferenz 11 - 3 - I. Einleitung Wenige Themen haben während der Beratungen des Europäischen Konvents eine so breite europäische Öffentlichkeit erreicht wie die Frage des Gottesbezugs in der Präambel des „Vertrages über eine Verfassung für Europa“1. Wie schon im ersten Konvent zur Erarbeitung der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“2 rief die kontroverse und langwierige Diskussion über die Wertebasis der EU im Konvent unter der Leitung des ehemaligen französischen Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing vielfältige Reaktionen der politisch Beteiligten, der Medien3, der nationalen und europäischen Kirchenverbände4 und der europäischen Zivilgesellschaft5 hervor. Nach 17 Monaten intensiver Verhandlungen legte der Europäische Konvent am 18. Juli 2003 dem Europäischen Rat seinen mit breitem politischen Konsens verabschiedeten Entwurf vor. Der zweite Absatz der Präambel des vorgeschlagenen Verfassungstextes lautet: „Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas , deren Werte in seinem Erbe weiter lebendig sind und die die zentrale Stellung des 1 Abrufbar unter http://european-convention.eu.int. 2 Der Konvent zur Erarbeitung der EU-Grundrechtecharta tagte unter dem Vorsitz von Bundespräsident a.D. Roman Herzog zwischen dem 17.12.1999 und dem 2.10.2000. Am 7.12.2000 wurde die Charta vom Europäischen Rat in Nizza feierlich proklamiert und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht (ABl 2000, Nr. C 364, S. 1). 3 So z. B. Frankfurter Rundschau v. 13.11.2002: „Die Quelle der Wahrheit, der Gerechtigkeit, des Guten und des Schönen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.11.2002: „Gott in Europa“; Süddeutsche Zeitung v. 28.1.2003: „Segen lässt auf sich warten“; Die Welt v. 30.1.2003: „Gottloses Europa !“; Schwäbische Zeitung v. 5.2.2003: „Gott kommt bisher nicht vor“ – ein Interview mit Jürgen Meyer; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 8.2.2003: „Vatikan vermisst Bezug auf Gott in den Entwürfen “; Bayern Kurier v. 13.2.2003: „Europa streitet über Gott“; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.4.2003: „Ganz ohne Gott geht es nicht“ – ein Artikel von Matthias Wissmann; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 5.6.2003: „Kritik in der Union am Konventsentwurf“; Der Tagesspiegel v. 18.6.2003: „Für die Würde der Welt“ – ein Artikel von Wolfgang Schäuble. 4 Z.B. Gemeinsame Stellungnahme des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Konvent zur Zukunft Europas v. Mai 2002, Gemeinsame Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe und des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland anlässlich der Anhörung der Europaausschüsse des Deutschen Bundestages und des Bundesrates zum Europäischen Verfassungskonvent am 26.6.2002; Mitteilung des Präsidenten der Kommission der Bischofskonferenz der Europäischen Gemeinschaft (COMECE), Agence Europe v. 1.11.2002, S. 4, Bischof Josef Homeyer in Rheinischer Merkur v. 15.5.2003: „Ja, der Gottesbezug wird kommen“, Pressemitteilung des Exekutivausschusses der COMECE v. 19.6.2003: „Reaktion auf den EU-Verfassungsentwurf“. 5 Kritik an einem exklusiven Hinweis auf das Christentum wurde z.B. vom Europäischen Netz gegen den Rassismus (ENAR) geäußert, Agence Europe vom 14.11.2002. Ähnlich äußerten sich der Humanistische Verband Deutschlands (HVD, www.humanismus.de) und European Humanist Federation (EHF, www.humanism.be). Eine spezielle Anhörung zum Thema „Wertegemeinschaft: Die Rolle der Kirchen in der Europäischen Union“ führte der Europaausschuss des Landes Schleswig-Holstein am 23.8.2002 durch. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen veranstalteten am 1./2.2.2003 eine Tagung zum Thema „Der Status der Religionsgemeinschaften im künftigen Europa“. - 4 - Menschen und die Vorstellung von der Unverletzlichkeit seiner Rechte sowie vom Vorrang des Rechts in der Gesellschaft verankert haben“. II. Bisherige Regelungen im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaft Das geltende primäre Gemeinschaftsrecht enthält keinen Bezug auf Gott oder das Christentum . Spezielle Regelungen existieren dagegen zur Stellung der Kirchen und zu den Religionen in Europa, darunter insbesondere: Art. 13 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG), der den Rat ermächtigt, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrung zu treffen, um Diskriminierungen unter anderem aufgrund der Religion oder der Weltanschauung zu bekämpfen6; das Gemeinschaftsgrundrecht der Religionsfreiheit als vom Europäischen Gerichtshof entwickelter allgemeiner Rechtsgrundsatz7; die Erklärung zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften zum Vertrag von Amsterdam (Erklärung Nr. 11), mit der die EU sich verpflichtet, den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen sowie weltanschauliche Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, zu achten und nicht zu beeinträchtigen8. III. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 1. Gottesbezug Breiten Raum nahm die Frage eines expliziten Gottesbezugs während der Beratungen 6 Astrid Epiney, in: Christian Callies/MatthiasRuffert (Hrsg.), Kommentar zum EUV und EGV, 2. Aufl., Neuwied und Kriftel 2002, Art. 13 EG Rn. 1; Georg Jochum, Der neue Art. 13 EGV oder „political correctness“ auf europäisch?, ZRP 1999, S. 280; Stefan Griller, Der Anwendungsbereich der Grundrechtscharta, in: Alfred Duschanek/Stefan Griller (Hrsg.), Grundrechte für Europa – Die Europäische Union nach Nizza, Wien 2002, S. 147. 7 Erstmalig anerkannt in: EUGH, Urteil vom 27.10.1976, Prais/Rat, Rs. 130/75 – Slg. 1976, S. 1589. Vgl. auch Doeff 1977, S. 408 ff. mit Anmerkungen von Hans Werner Rengeling; Ingolf Pernice, Religionsrechtliche Aspekte im europäischen Gemeinschaftsrecht, JZ 1977, S. 777 ff. 8 Die Erklärung Nr. 11 ist nach Artikel 31 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge verbindlich und bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Für das deutsche Recht ist die Erklärung vor allen mit Blick auf Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG i. V. m. Artikel 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung von Bedeutung, der den Religionsgemeinschaften ein Organisations - und Selbstverwaltungsrecht zugesteht, denn gemäß der Erklärung bleibt diese Regelung durch das Gemeinschaftsrecht unberührt. S. hierzu Sven Hölscheidt/Eva Mund, Religionen und Kirchen im europäischen Verfassungsverbund, www.gruene-fraktion.de. - 5 - des Konvents zur Erarbeitung der Grundrechtecharta im Jahr 2000 ein9. Aufgabe des vom Europäischen Rat in Köln eingesetzten Gremiums war die Zusammenfassung der auf EU-Ebene geltenden „Freiheits- und Gleichheitsrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben“.10 Im Zuge der damit untrennbar verbundenen Wertedebatte diskutierte der Grundrechtskonvent die Frage eines Gottes- bzw. Religionsbezugs in der Präambel der Grundrechtecharta (EuGRC) mit großer Intensität. Die vom Präsidium unter der Leitung von Roman Herzog vorgeschlagene Ausgangsformulierung des „kulturellen, humanistischen und religiösen Erbes“ stellte sich während der Beratungen des Grundrechtekonvents als nicht konsensfähig heraus. Insbesondere die französische Regierung und die der Fraktion der Sozialistischen Partei Europas (SPE) angehörenden Konventsdelegierten sprachen sich gegen eine Bezugnahme aus, während die Delegierten der Europäischen Volkspartei (EVP) den Hinweis auf das religiöse europäische Erbe nachdrücklich einforderten. Im Ergebnis blieb die politische Auseinandersetzung über den Religionsbezug im ersten Konvent ungelöst. Die letztendlich verabschiedete und in Nizza feierlich proklamierte Charta beginnt mit einer aus sechs Absätzen bestehenden Präambel. Im zweiten Absatz der deutschen Sprachfassung heißt es: „In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit , der Gleichheit und der Solidarität“. Dieser explizite Religionsbezug ist eine Besonderheit der deutschen Übersetzung und fehlt in den übrigen Sprachfassungen der Charta. Beispielsweise ist in der französischen Version der Chartapräambel statt dessen die Formulierung „patrimoine spirituel et moral“ gewählt worden. Ebenso spricht die englische Fassung vom „spiritual and moral heritage“. Die deutsche Übersetzung der Begriffe „spirituel“ bzw. „spiritual“ mit „religiös“ muss wohl als Versuch gewertet werden, in der schwierigen Endphase der Chartaberatungen die divergierenden Positionen zu überbrücken. Die Sonderstellung 9 Hierzu ausführlich Jürgen Meyer/Markus Engels, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.), Berlin 2001. 10 Schlussfolgerung Europäischer Rat (Köln), Anhang IV: Beschluss des Europäischen Rates zur Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der EU, 4.6.1999, abrufbar unter http://www.europa.eu.int. - 6 - der deutschen Fassung hat entsprechend intensive Kommentierungen provoziert11, wenn auch alle Sprachfassungen der Charta gleichermaßen Gültigkeit haben. 2. Kirchen und Religionen Über ihre Präambel hinaus enthält die Grundrechtecharta die folgenden speziellen Regelungen zu den Kirchen und Religionen in Europa: die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit in Art. 10 Abs. 1 EuGRC, der der Regelung des Art. 9 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entspricht12; das Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung in Art. 14 Abs. 3 EuGRC13; das Verbot der Diskriminierung aufgrund Religion oder Weltanschauung in Art. 21 Abs. 1 EuGRC, der sich an Art. 13 EG14 und Art. 14 EMRK anlehnt15; die Pflicht zur Achtung der Vielfalt der Religionen nach Art. 22 EuGRC. Im Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents ist die EU-Grundrechtecharta mit ihren Bestimmungen als Teil II aufgenommen und wird bei Annahme durch die Regierungskonferenz und Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten rechtsverbindliches und einklagbares Primärrecht werden16. 11 Jürgen Meyer, in: Jürgen Meyer (Hrsg.), Präambel Rn. 32, Pervenche Bères, Die Charta - Ein Kampf für die Werte der Union, in: Sylvia-Yvonne Kaufmann (Hrsg.), Grundrechtecharta der Europäischen Union, Bonn 2001, S. 21 f.; Hans Michael Heinig, Die Religionen, die Kirchen und die europäische Grundrechtscharta, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 2001, S. 440, 457; Gerhard Robbers, Religionsrechtliche Gehalte der Europäischen Grundrechtscharta, in: FS für Hartmut Maurer, Kirche Staat Verwaltung, München 2001, S. 425, 431; Sven Hölscheidt/Eva Mund, Fn.8. 12 Vgl. zur Kommentierung von Art. 10 EuGRC z.B. Norbert Bernsdorff, in: Jürgen Meyer (Hrsg.), Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Baden-Baden 2003, Art. 10 Rn. 1; ebenso die neuen Erläuterungen, CONV 828/1/03 v. 18.7.2003. 13 Hierzu besteht mit Art. 2 S. 2 Zusatzprotokoll Nr. 1 ein EMRK-Referenzrecht, vgl. auch Norbert Bernsdorff, Fn. 11, Art. 14 Rn. 21. 14 S. Fn 6. 15 Sven Hölscheidt, in: Jürgen Meyer (Hrsg.), Art. 21 Rn. 32. 16 Die Charta entfaltet bereits heute Auswirkungen: Trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit haben mehrere Generalanwälte des EuGH in ihren Schlussanträgen auf sie Bezug genommen. Auch das EuG weist in einem Urteil auf Art. 41 Abs. 1 der Charta hin. Im einzelnen hierzu Sven Hölscheidt /Eva Mund, Fn.8. - 7 - IV. Der Entwurf des Europäischen Konvents Allein drei der insgesamt 27 Plenartagungen17 des Konvents waren der Diskussion über die Werte und Ziele der EU gewidmet. Da Konventspräsident Giscard d’Estaing sich trotz der Skepsis des Konvents die Formulierung der Verfassungspräambel selbst vorbehielt und seine Erstfassung erst in der Endphase der Beratungen präsentierte18, wurde die Kontroverse zum Gottesbezug zunächst ohne konkrete Textvorlage des Präsidiums geführt. Bereits im November 2002 hatte die EVP einen kompletten Verfassungsentwurf erarbeitet 19. Im Einklang mit diesem Entwurf brachte Joachim Würmeling, stellvertretender Konventsdelegierter des Europäischen Parlaments, im Januar 2003 den Vorschlag in den Konvent ein, an zwei Stellen der Verfassung einen Gottes- bzw. Religionsbezug aufzunehmen20: Zum einen sollte der Hinweis auf das geistig-religiöse Erbe Europas Eingang in die Präambel finden, zum zweiten sollte an späterer Stelle in Anlehnung an die polnische Verfassung die folgende Formulierung aufgenommen werden: „Die Werte der Europäischen Union umfassen die Wertvorstellungen derjenigen, die an Gott als die Quelle der Wahrheit, Gerechtigkeit, des Guten und des Schönen glauben, als auch derjenigen, die diesen Glauben nicht teilen, sondern diese universellen Werte aus anderen Quellen ableiten“. Im Februar 2003 reichten daraufhin 3 Konventsmitglieder eine von 163 Mitgliedern des Europäischen Parlaments unterzeichnete Entschließung ein21, in der die Delegierten forderten, dass die europäische Verfassung keinen direkten oder indirekten Hinweis auf eine bestimmte Religion oder einen bestimmten Glauben enthalte dürfe. Ebenso kritisch äußerten sich die Delegierten Frankreichs und zahlreiche Mitglieder der SPE-Gruppe im Konvent. Vor dem Hintergrund der gespaltenen Haltung des Konventplenums legte Giscard d’Estaing im Mai den folgenden Vorschlag für Absatz 2 der Verfassungspräambel vor: 17 Plenartagungen am 27.2., 18.3. und 26.3.2003. Die Wortprotokolle der Sitzungen sind unter http://www.europarl.eu.int./europe2004/index/de.htm abrufbar. 18 CONV 722/03 v. 28.5.2003. 19 „The constitution of the European Union“ vom 10.11.2002, EPP-Convention Group Meeting in Frascati, abrufbar unter www.epp-ed.org. 20 „Religiöse Bezugnahme im Verfassungsvertrag“, CONV 480/03 vom 31.1.2003. Mitunterzeichner waren u .a. die deutschen Konventsmitglieder MdEP Elmar Brok und Ministerpräsident Erwin Teufel sowie MdB Peter Altmeier als stellvertretender Delegierter des Deutschen Bundestages. 21 „Achtung der Grundsätze der Religionsfreiheit unter religiösen Neutralität des Staates“, CONV 587/03 vom 26.2.2003 - 8 - „Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas , die – aus griechischer und römischer Zivilisation hervorgegangen und erst durch das geistige Streben, von dem Europa durchdrungen war und das noch heute in seinem Erbe fortlebt, und dann durch die Philosophie der Aufklärung geprägt – die zentrale Stellung des Menschen und die Vorstellung von der Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte sowie vom Vorrang des Rechts in der Gesellschaft verankert haben“. Obwohl der ehemalige französische Staatspräsident seine ablehnende Haltung gegenüber einer ausdrücklichen Anrufung Gottes in der Verfassungspräambel im Konvent und auch bei einer Privataudienz mit Papst Johannes Paul II. im Oktober 200222 deutlich gemacht hatte, rief dieser Textvorschlag im Konvent Überraschung und den erklärten Widerstand der Gruppe der Befürworter eines Gottesbezug hervor. Besonders der Hinweis auf die griechische und römische Zivilisation in Verbindung mit dem Zeitalter der Aufklärung wurde von zahlreichen Delegierten als historisch verkürzt und unausgewogen kritisiert. In der Plenarsitzung des Konvents am 30./31. Mai 2003 betonte MdEP Antonio Tajani, dass die jüdisch-christlichen Wurzeln eine historische Tatsache seien, die Europa maßgeblich geprägt hätten. Die polnische Parlamentsdelegierte Marta Fogler brachte ihre Unzufriedenheit über den Entwurf der Präambel zum Ausdruck und forderte ebenfalls die Aufnahme eines Verweises auf das jüdisch-christliche Erbe. In der folgenden Plenarsitzung vom 4. bis 6. Juni 2003 wurde die Forderung nach einem Bezug auf Gott, das jüdisch-christliche Erbe oder das Christentum mit Nachdruck erhoben . MdEP Elmar Brok und Ministerpräsident Erwin Teufel erklärten, dass die griechische und römische Zivilisation nicht ohne den Glauben an Gott und andere Religionen aufgezählt werden könne. Der Delegierte des polnischen Parlaments, Edmund Wittbrodt , hob hervor, dass das Christentum einer der wichtigsten Einflüsse in der europäischen Geschichte sei. Sowenig das Christentum die Rechte anderer verletze, dürfe eine dogmatische Säkularisierung die Rechte die Religion verletzen. Der italienische Regierungsvertreter Francesco Speroni unterstrich den entscheidenden Beitrag des Christentums zu Europa. Der Delegierte der irischen Regierung, Dick Roche, forderte den Konvent dazu auf, die christliche Tradition Europas nicht zu übersehen. Gleichzeitig lehnten zahlreiche Mitglieder die Erwähnung des Christentums in der Präambel ab. MdEP Olivier Duhamel kritisierte die Versuche, das Christentum oder die christlichen Wurzeln in die Präambel einzubeziehen. Jeder, der mehr als die Erwähnung 22 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.11.2002: „Gott in Europa“; Die Welt vom 30.1.2003: „Gottloses Europa“; Die Zeit vom 30.1.2003: „Zum Erfolg verdammt“. - 9 - der religiösen Überlieferungen verlange, übersehe, dass es vielen Delegierten bereits schwer falle, die vom Präsidium vorgelegte Formulierung zu akzeptieren. Auch MdEP Anne Van Lancker lehnte einen Bezug auf das Christentum strikt ab. Der spanische Parlamentsdelegierte Josep Borell Fontelles erklärte, die Balance der von Giscard vorgelegten Formulierung zwischen säkularen und religiösen Werten sei das Äußerste, was der Konvent erreichen könne. Als schriftliche Reaktion auf den von Giscard verfassten Präambeltext wurden insgesamt 18 Änderungsanträge23 zur Präambel eingebracht. Für den zweiten Präambelabsatz wurden insbesondere folgende Textalternativen vorgeschlagen: von MdEP Elmar Brok für die EVP-Gruppe: „Drawing inspiration from the cultural, religious and humanist inheritance of Europe , which, nourished first by the civilisations of Greece and Rome, characterised by spiritual and for example judeo-christian impulse always present in its heritage and later by the philosophical currents of the Enlightenment, has embedded within the life of society its perception of the central role of the human person and its inviolable and inalienable rights, and of respect for law, and the respect for conscience and belief…”;24 von der polnischen Regierungsvertreterin Danuta Hübner: „…which, nourished first by the civilisations of Greece and Rome, characterised by spiritual, notably Christian impulse always present in its heritage…”; von den polnischen Parlamentsvertretern Edmund Wittbrodt und Marta Fogler: „… which, nourished first by the civilisations of Greece and Rome, characterised by spiritual impulse always present in its heritage, and by the philosophical currents of the Christianity, the Renaissance and the Enlightenment…. Believing that reunited Europe will ever base on fundamental values, as tolerance and human dignity, which are the values of those who believe in God as the source of truth, justice, good and beauty, and of those who do not share such a belief, but respect these universal values arising from other sources…; von den maltesischen Delegierten Peter Seracino Inglott, Michael Frendo und John Inguanez: 23 Eine Übersicht aller Änderungsanträge ist unter http://european-convention.eu.int/amendments zusammengestellt. Die Anträge lagen dem Konvent lediglich in Originalsprache vor, die gewünschten Änderungen sind im Text durch Fettung kenntlich gemacht. - 10 - „… which, nourished first by the civilisations of Greece and Rome, characterised by spiritual impulse always present in its heritage, notably Judaeo- Christian, and later by the philosophical currents of the Renaissance and the Enlightenment, has embedded within the life of society its perception of the central role of the human person and its inviolable and inalienable rights, and of respect for law, freedom of conscience and belief in God”; von MdEP Joachim Würmeling u.a.: „Drawing inspiration from the cultural, judeo-christian and humanist inheritance of Europe, which, nourished first by the civilisations of Greece and Rome, characterised by spiritual impulse always present in its heritage and later by the philosophical currents of the Enlightenment, has embedded within the life of society its perception of the central role of the human person and its inviolable and inalienable rights, and of respect for law, respecting conscience and belief in God”; von dem Vertreter des Bundesrates, Ministerpräsident Erwin Teufel: „…Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferung Europas, die – aus der griechischen und römischen Zivilisation sowie aus dem Gottesglauben des Christentums und anderer Religionen hervorgegangen und erst durch das geistige Streben…“; vom stellv. Delegierten der französischen Nationalversammlung Jacques Floch: „…S’inspirant des héritages culturels, religieux, laics et humanistes de l’Europe…”; von MdEP Olivier Duhamel u.a.: „…S’inspirant des héritages culturels, et spirituels de l’Europe…”; vom irischen Parlamentsvertreter Proinsias de Rossa: „Drawing inspiration from the diverse religious, cultural and humanist inheritance of Europe…”; Auf der Grundlage dieses Stimmungsbildes wurde dem Konventplenum in der Plenarsitzung am 12./13. Juni 2003 eine überarbeite Präambelversion vorgelegt. Darin verzichtete das Präsidium auf die Erwähnung der griechischen und römischen Zivilisation sowie den Bezug zur Aufklärung. Der Hinweis auf die kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas wurde beibehalten und durch den Zusatz „deren Werte in seinem Erbe weiter lebendig sind“ ergänzt. Nicht aufgenommen wurden ein - 11 - expliziter Gottesbezug, ein Hinweis auf das Christentum oder das (jüdisch-) christliche Erbe. Dieser Version stimmte der Konvent im Zuge des politischen Gesamtkompromisses zu.25 V. Die Beratungen der Regierungskonferenz In der im Oktober 2003 eröffneten Regierungskonferenz wurde die Frage des Gottesbezugs erneut aufgegriffen. Beim Treffen der EU-Außenminister am 28./29.11.2003 in Neapel war die Frage der Präambel und insbesondere des Bezugs auf die christlichen Wurzeln Europas Gegenstand eingehender Beratungen. Ein Konsens konnte dabei nicht erzielt werden. Zur Vorbereitung des Europäischen Rates in Brüssel am 12./13. Dezember 2003 schlussfolgerte die italienische EU-Ratspräsidentschaft deswegen, dass es „einige Delegationen es nach wie vor für wichtig hielten, dass in der Präambel auf die christlichen Werte Bezug genommen wird“ während „die übrigen Delegationen der Ansicht waren, dass der Text des Konvents den unterschiedlichen Anliegen in ausgewogener Weise Rechnung trage“26. Nach dem Scheitern der Regierungsberatungen auf dem Europäischen Rat Brüssel liegt die Vorbereitung der weiteren Verhandlungen zur EU-Verfassung seit Januar 2004 in den Händen der irischen EU-Ratspräsidentschaft. In einer aktuellen Pressemitteilung vom 2. Mai 200427 erklärt der irische Regierungschef Bertie Ahern, dass es im Januar und Februar 2004 viele Diskussionen zum Gottesbezug gegeben habe. Er gehe nicht davon aus, dass in dieser Frage Konsens erzielt werde, sondern glaube, dass die jetzige Bezugnahme auf die religiösen Überlieferungen in der Präambel bleiben werde, möglicherweise mit wenigen, nicht substantiellen Abänderungen. Er wisse, dass einige Mitgliedstaaten das Thema noch offen hielten. Vorgesehen ist gegenwärtig, die Regierungskonferenz unter irischer Ratspräsidentschaft spätestens mit dem Europäischen Rat am 17./18. Juni 2004 zu beenden. - Fachbereich Europa - 25 Vgl. das Plenarprotokoll der Sitzung vom 12./13.Juni 2003, Fn. 17. 26 Siehe hierzu das Dokument der Regierungskonferenz CIG 60/03 ADD 2 v. 11.12.2003. 27 Siehe die Pressemitteilungen auf der Internetseite der irischen EU-Präsidentschaft http://www.eu2004.ie.