PE 6 - 3000 - 043/21 (23. Juli 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Fachbereich Europa wird um Beantwortung der Frage ersucht, ob die von AZAV-zertifizierten 1 Bildungsträgern angebotene sog. ungeregelte berufliche Fort- und Weiterbildung als nichtwirtschaftliche Tätigkeit vom Beihilfebegriff gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV ausgenommen ist und somit eine Förderung von „Infrastrukturen für Forschung, Innovation und Technologietransfer sowie ergänzende betriebliche Aus- und Weiterbildung“ gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG) zugunsten dieser Bildungsträger unabhängig von den EU-Beihilfevorschriften möglich wäre. Die Auftraggeberin verweist in ihrer Anfrage auf eine „Handreichung“ vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle,2 in welcher der Bereich der ungeregelten beruflichen Fort- und Weiterbildung im Unterschied etwa zur beruflichen Erstausbildung und geregelten beruflichen Fort- und Weiterbildung als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der EU-Beihilfevorschriften eingeordnet wird und fragt, ob die zugrundeliegende EU-beihilferechtliche Bewertung möglicherweise nicht mehr aktuell ist. Die fragliche Handreichung legt insbesondere unter Verweis auf die Beihilfemitteilung der Kommission aus dem Jahr 20163 dar, dass Unternehmen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV nur Einrichtungen sind, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, also eine solche, „die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“. Weiter heißt es in der Handreichung: „Wenn eine Infrastruktur im Falle einer gemischten Nutzung fast ausschließlich für die nichtwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird (z.B. staatlicher Bildungsauftrag), kann ihre 1 Eine Zertifizierung nach AZAV (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung) ist Voraussetzung dafür, dass die Bundesagentur für Arbeit die Kosten für die Teilnahme einer förderberechtigten Person an bestimmten Maßnahmen der Arbeitsförderung übernimmt (vgl. §§ 45, 179 ff. SGB III). 2 BAFA, Handreichung für Antragsteller zur "ERKLÄRUNG zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten" gem. EU-Beihilferecht (Stand: September 2017), abrufbar unter: https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/Wirtschafts _Mittelstandsfoerderung/uebs_handreichung_zur_erklaerung.html. 3 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2016 Nr. C 262/1. In dieser Mitteilung erläutert die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die einzelnen Merkmale des Beihilfetatbestandes . Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Zur Frage der Anwendbarkeit des Beihilfeverbots auf eine Förderung von AZAV-zertifizierten Bildungsgängen und -trägern Kurzinformation Zur Frage der Anwendbarkeit des Beihilfeverbots auf eine Förderung von AZAV-zertifizierten Bildungsgängen und -trägern Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 Finanzierung ganz aus dem Anwendungsbereich des Beihilferechts herausfallen, sofern die wirtschaftliche Nutzung nur eine Nebentätigkeit darstellt […]“. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit vorliegend lediglich eine kursorische Prüfung der aufgeworfenen Frage vorgenommen werden kann. Was die Aktualität der Beihilfemitteilung aus dem Jahr 2016 angeht, ist festzustellen, dass die Mitteilung bislang nicht geändert oder ersetzt wurde und sie daher nach wie vor als Ausgangspunkt der beihilferechtlichen Prüfung aus Sicht der Kommission anzusehen ist. Aus der darin in Bezug genommenen Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass ein den wirtschaftlichen Charakter einer Tätigkeit begründender „Markt“ vorliegt, wenn die fragliche Tätigkeit üblicherweise zu Erwerbszwecken erbracht wird und die auf diesem Markt tätigen Einheiten im Wettbewerb stehen .4 Speziell mit Blick auf das Bildungswesen führt die Kommission in der Beihilfemitteilung aus: „28 Die innerhalb des nationalen Bildungssystems organisierte öffentliche Bildung, die vom Staat finanziert und beaufsichtigt wird, kann als nichtwirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden. Hierzu hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Staat ‚… durch die Errichtung und Erhaltung eines solchen staatlichen Bildungssystems, das in der Regel aus dem Staatshaushalt und nicht von den Schülern oder ihren Eltern finanziert wird, keine gewinnbringende Tätigkeit aufnehmen wollte, sondern vielmehr auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet seine Aufgaben gegenüber seinen Bürgern erfüllte‘.“ In diesem Zusammenhang verweist die Beihilfemitteilung zum einen auf das Urteil des EuGH in der Rs. C-318/05 (Kommission/Deutschland), in welcher der EuGH den Unterricht an Schulen, die nicht Teil eines staatlichen Bildungssystems sind und deren Finanzierung im Wesentlichen durch private Mittel erfolgt, als eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung einstufte,5 wobei es für die Entgeltlichkeit allgemein nicht darauf ankommt, dass die Dienstleistung von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugutekommt.6 Zum anderen verweist die Mitteilung auf eine Beihilfeentscheidung der Kommission, nach der eine französische Regelung zur finanziellen Förderung von professionellen Sportvereinen mit staatlich anerkannten Jugendbildungszentren im konkreten Fall keine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle.7 Zur Begründung stellt die Kommission in ihrer Entscheidung insbesondere darauf ab, dass die fragliche Regelung einen Bereich 4 Vgl. Rn. 9 der Beihilfemitteilung (Fn. 3), dortiger Verweis u.a. auf EuGH, Urteil vom 1.7.2008, Rs. C‑49/07, MOTOE, Rn. 27 f. 5 Vgl. Rn. 28 der Beihilfemitteilung (Fn. 3), dortiger Verweis auf EuGH, Urteil vom 11.9.2007, Rs. C‑318/05, Kommission/Deutschland, Rn. 68 f. 6 Vgl. Rn. 29 der Beihilfemitteilung (Fn. 3), dortiger Verweis auf EuGH, Urteil vom 11.9.2007, Rs. C‑76/05, Schwarz, Rn. 41. 7 Vgl. Rn. 28 der Beihilfemitteilung (Fn. 3), dortiger Verweis auf Entscheidung der Kommission vom 25. April 2001 über die staatliche Beihilfe N 118/00 — Staatliche Subventionen für professionelle Sportklubs (ABl. C 333 vom 28.11.2001, S. 6), der Wortlaut der Entscheidung ist abrufbar unter: https://ec.europa.eu/competition /state_aid/cases/135387/135387_1153844_18_2.pdf (nur auf Französisch). Kurzinformation Zur Frage der Anwendbarkeit des Beihilfeverbots auf eine Förderung von AZAV-zertifizierten Bildungsgängen und -trägern Fachbereich Europa (PE 6) Seite 3 betreffe, der außerhalb des Wettbewerbs stehe, und eine Überkompensation der Nettokosten der fraglichen Ausbildung vermieden werde. Nach diesen Kriterien dürfte grundsätzlich davon auszugehen sein, dass die von AZAV-zertifizierten Bildungsträgern angebotenen ungeregelten berufliche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Beihilfenbegriffs einzuordnen sind. Zwar übernimmt die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Kosten für die Teilnahme förderberechtigter Personen an derartigen Maßnahmen (§§ 45, 179 SGB III) und finanziert damit (indirekt) diesen Bildungsbereich . Es ist jedoch anzunehmen, dass die von der BA hierbei zugrunde gelegten Durchschnittskostensätze 8 einen hinreichenden Anreiz für private Bildungsträger darstellen, derartige Maßnahmen anzubieten und somit ein Markt für diese Bildungsdienstleistungen besteht. Für eine abschließende Beurteilung bedürfte dies einer näheren Überprüfung. Hierbei wäre wohl auch zu berücksichtigen, dass die in Rede stehende Förderung von Infrastrukturen für Aus- und Weiterbildung der betreffenden Träger zu einer Überkompensation führen könnte, wenn die Träger darüber hinaus eine Kostenübernahme für die Durchführung einzelner Maßnahmen nach den bisherigen Kostensätzen beanspruchen können, in denen die Infrastrukturkosten einer Maßnahme wohl bereits abgebildet sein dürften. - Fachbereich Europa - 8 Zu den von der BA ermittelten Bundes-Durchschnittskostensätzen siehe: https://www.arbeitsagentur.de/datei /tabelle-kosten-aktivierung-und-berufliche-eingliederung_ba146809.pdf (Stand 1.1.2021).