PE 6 - 3000 - 043/19 (23.5.2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden zu prüfen, anhand welcher Maßstäbe im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2370 (RL 2016/2370)1 der Begriff „Hochgeschwindigkeits -Personenverkehrsdienste“ abweichend von der Definition der RL 2016/2370 weiter gefasst werden könnte. 1. Hintergrund der RL 2016/2370 Mit der RL 2016/2370 hat der Europäische Gesetzgeber Ergänzungen an der Richtlinie 2012/34/EU (RL 2012/34)2 beschlossen. In diesem Zusammenhang hat der Europäische Gesetzgeber insbesondere Regelungen zum „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehr“ vorgesehen. Gemäß Art. 1 RL 2016/2370 werden die Begriffsbestimmungen in Art. 3 RL 2012/34 um eine Nr. 36 ergänzt, die den „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehr“ wie folgt definiert: „‚Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste‘ [sind] Schienenpersonenverkehrsdienste, die ohne fahrplanmäßigen Zwischenhalt zwischen zwei mindestens 200 km voneinander entfernten Orten auf eigens für Hochgeschwindigkeitszüge gebauten Strecken erbracht werden, die für Geschwindigkeiten von im Allgemeinen mindestens 250 km/h ausgelegt sind und im Durchschnitt mit diesen Geschwindigkeiten betrieben werden.“ Die RL 2016/2370 trifft in Bezug auf „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste“ Regelungen im Hinblick auf die Einschränkung des Rechts auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur gemäß 1 RICHTLINIE (EU) 2016/2370 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 14. Dezember 2016 zur Änderung der Richtlinie 2012/34/EU bezüglich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste und der Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur (Abl. EU L 352 vom 23.12.2016, S. 1). 2 RICHTLINIE 2012/34/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (ABl. EU L 343 vom 14.12.2012, S. 32, konsolidierte Fassung vom 01.01.2019) Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Maßstäbe für die Umsetzung des Begriffs „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste “ der Richtlinie (EU) 2016/2370 Maßstäbe für die Umsetzung des Begriffs „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste“ der Richtlinie (EU) 2016/2370 Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 Art. 10 Abs. 2 RL 2012/34 (Art. 1 Ziff. 8 RL 2016/2370) sowie zur Überwachung des Wettbewerbs des Marktes für „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste“, Art. 1 Ziff. 14 RL 2016/2370. Gemäß Art. 1 Ziff. 8 RL 2016/2307, der in die RL 2012/34 einen Art. 11a einfügt, darf die Ausübung des Rechts auf Zugang gemäß Art. 10 RL 2012/34 (unbeschadet des Art. 11 Abs. 5 RL 2012/34 n. F.) nur den Anforderungen unterliegen, die von der Regulierungsstelle gemäß Art. 11a RL 2012/34 n. F. festgelegt werden.3 Gemäß Art. 11 a Abs. 2 RL 2012/34 n. F. weist die Regulierungsstelle auf mögliche Änderungen des Verkehrsdienstes hin, die gewährleisten würden , dass die Bedingungen für die Gewährung des Zugangsrechts nach Artikel 10 Abs. 2 RL 2012/34 erfüllt werden, wenn die Regulierungsstelle im Anschluss an die Analyse nach Artikel 11 Abs. 2, 3 und 4 RL 2012/34 n. F. feststellt, dass der geplante Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienst zwischen einem Abfahrtsort und einem Bestimmungsort das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags, der für dieselbe Strecke oder eine Alternativstrecke gilt, gefährdet. Art. 1 Ziff. 14 RL 2016/2370, der Art. 56 Abs. 2 RL 2012/34 neu fasst, sieht vor, dass die Berechtigung zur Überwachung der Schienenverkehrsmärkte durch die Regulierungsstelle insbesondere auch den „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehr“ erfasst. Gemäß Art. 2 Abs. 1 RL 2016/2370 erlassen und veröffentlichen die Mitgliedstaaten bis zum 25.12.2018 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften um der RL 2016/2370 nachzukommen . 2. Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien Die Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien richten sich nach Art. 288 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Richtlinien sind demnach für jeden Mitgliedstaat , an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel. Die Mitgliedstaaten sind jedoch verpflichtet, die Formen und Mittel so zu wählen, dass sie sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (sog. effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen.4 Erforderlich ist die vollständige Erreichung des Richtlinienziels .5 Dabei soll nach Stimmen in der Literatur eine grundsätzliche Pflicht zur Umsetzung unter Übernahme des Wortlauts nicht bestehen, solange sich die Rechtsgehalte der Richtlinie im nationalen 3 Vgl. dazu Staebe, EuZW 2018, 146, 149. 4 EuGH, Urteil vom 8.4.1976, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497, Rn. 69/73. Zum Grundsatz des „effet utile“: EuGH, Urteil vom 15.7.1963, Rs. 34/62 (Kommission/Deutschland), Slg. 1963, 289, 318, siehe dazu erläuternd Streinz, in Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 4 EUV, Rn. 33, 5 EuGH, Urteil vom 11.7.2002, Rs. C-62/00 (Marks & Spencer plc/Commissioners of Customs & Exercise), Rn. 26 ff. Maßstäbe für die Umsetzung des Begriffs „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste“ der Richtlinie (EU) 2016/2370 Fachbereich Europa (PE 6) Seite 3 Recht inhaltsgleich wiederfinden. Insoweit soll der Grundsatz der Kongruenz von Richtlinienbestimmung und nationaler Umsetzungsbestimmung gelten.6 Nach anderen Stimmen in der Literatur sollen die Mitgliedstaaten jedoch an die Formulierungen der Richtlinie gebunden sein, so dass eine Durchführungsautonomie nur nach Maßgabe der konkreten Richtlinie bestünde.7 Diese Durchführungsautonomie könne bei detailliert formulierten Richtlinien auf einen rein formalen Spielraum ohne inhaltliche Bedeutung schrumpfen.8 In einer grundlegenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 1987 hat dieser festgehalten, dass „in einem bloßen Formulierungsunterschied, der sich nach seiner Auffassung in keiner Weise auf die Durchführung der Verpflichtungen aufgrund der Gemeinschaftsregelung auswirken kann, keinen Vertragsverstoß zu sehen [sei]“.9 Im Hinblick auf die in Richtlinien enthaltenen Definitionen betonte der EuGH zudem in einer Entscheidung vom 25.1.2018 zuletzt, „dass […] die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nach ständiger Rechtsprechung nicht notwendigerweise eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche und besondere Rechts- oder Verwaltungsvorschrift erfordert, sondern ihr auch ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen kann, wenn dieser tatsächlich die vollständige Anwendung dieser Richtlinie hinreichend klar und bestimmt gewährleistet.“10 Allerdings kann nach der Ansicht des EuGH eine Pflicht zur wörtlichen Wiedergabe von in Richtlinien enthaltenen Definitionen in nationalen Umsetzungsakten zur Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten bestehen, soweit dies insbesondere aus Gründen der Klarheit erforderlich ist.11 3. Maßstäbe für die Umsetzung des Begriffs des „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrs“ Nach der Rechtsprechung des EuGH ist im Rahmen der Umsetzung von Richtlinien insbesondere die Gewährleistung der vollständigen Anwendung der Richtlinienregelungen unter Berücksichtigung der Richtlinienziele erforderlich (siehe oben). Die RL 2016/2370 formuliert in ihren Erwägungsgründen 29 und 30 Ziele im Hinblick auf den Hochgeschwindigkeits-Personenverkehr wie folgt: 6 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 66. EL Februar 2019, Art. 288 AEUV, Rn. 120 m. w. N. 7 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 288 AEUV, Rn. 74. 8 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 288 AEUV, Rn. 74. 9 EuGH, Urteil vom 9.4.1987, Rs. 363/85 (Kommission/Italien), Slg 1987, 1733, Rn. 15. 10 EuGH, Urteil vom 25.01.2018, Rs. C-314/16 (Kommission/Tschechische Republik), ECLI:EU:C:2018:42, Rn. 35, mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 30. Juni 2016, C‑648/13 (Kommission/Polen) EU:C:2016:490, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung. 11 EuGH, Urteil vom 19.12.2013, Rs. 281/11 (Kommission/Polen), ECLI:EU:C:2013:855, Rn. 61. Maßstäbe für die Umsetzung des Begriffs „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste“ der Richtlinie (EU) 2016/2370 Fachbereich Europa (PE 6) Seite 4 „(29) Die Entwicklung der Eisenbahninfrastruktur und die Verbesserung der Qualität der Schienenpersonenverkehrsdienste sind Schlüsselprioritäten bei der Förderung eines nachhaltigen Verkehrs- und Mobilitätssystems in Europa. Insbesondere mit der Entwicklung eines Hochgeschwindigkeitsschienennetzes können bessere und schnellere Verbindungen zwischen wirtschaftlichen und kulturellen Zentren Europas geschaffen werden. Hochgeschwindigkeitszüge verbinden Menschen und Märkte schnell, zuverlässig , umweltfreundlich und kosteneffizient und motivieren Reisende zum Umsteigen auf die Bahn. Es ist daher besonders wichtig, öffentliche und private Investitionen in die Hochgeschwindigkeitsinfrastruktur anzuregen, günstige Bedingungen für Investitionserträge zu schaffen und den wirtschaftlichen und sozialen Nutzen aus diesen Investitionen zu maximieren. Den Mitgliedstaaten sollte es weiterhin möglich sein, sich für verschiedene Arten der Förderung von Investitionen in die Hochgeschwindigkeitsinfrastruktur und der Nutzung von Hochgeschwindigkeitsstrecken zu entscheiden. (30) „Um den Markt für Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste weiterzuentwickeln, die optimale Nutzung der vorhandenen Infrastruktur zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit von Hochgeschwindigkeits -Personenverkehrsdiensten zu stärken, was den Fahrgästen zugutekommen wird, sollte der offene Zugang für Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste nur unter bestimmten Umständen und nach einer objektiven wirtschaftlichen Analyse der Regulierungsstelle eingeschränkt werden.“12 Wie bereits unter Ziff. 1 oben ausgeführt, trifft die RL 2016/2370 zur Erreichung der vorgenannten Ziele Regelungen im Hinblick auf die Einschränkung des Rechts auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur gemäß Art. 10 Abs. 2 RL 2012/34 in Bezug auf „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste “ sowie zur Überwachung des Wettbewerbs des Marktes für „Hochgeschwindigkeits -Personenverkehrsdienste“, Art. 56 Abs. 2 RL 2012/34. Eine Erweiterung der Definition des Begriffs der „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste “ müsste folglich die vollständige Anwendung der vorgenannten Regelungen unter Berücksichtigung der Richtlinienziele gewährleisten. Ob die vollständige Anwendung der vorgenannten Richtlinienregelungen durch eine Erweiterung des Begriffs „Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste “ eingeschränkt wäre, würde sich nach der konkreten Ausgestaltung der Umsetzung richten. – Fachbereich Europa – 12 Hervorhebung durch den Verfasser.