Deutscher Bundestag Schallschutzwerte an Bahnstrecken Sachstand Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 11 – 3000 - 043/10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 - 043/10 Seite 2 Schallschutzwerte an Bahnstrecken Ausarbeitung: WD 11 – 3000 - 043/10 Abschluss der Arbeit: 4. März 2010 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 - 043/10 Seite 3 1. Einleitung In den Industrieländern ist Lärm einer der häufigsten Bedrohungen der Volksgesundheit.1 Obgleich die Eisenbahn zu den umweltfreundlichsten Verkehrsmitteln zählt, trägt sie, nicht zuletzt wegen des kontinuierlichen Anstiegs des Personen- und Güterverkehrs, wesentlich zur Lärmbelastung bei.2 Hierdurch sind etwa 10 % der Bevölkerung Geräuschpegeln oberhalb des als „erhebliche Belastung“ eingestuften Schwellenwertes ausgesetzt.3 Zum Schutz vor Eisenbahnlärm gibt es europarechtliche und nationale Regelungen, in denen u. a. konkrete Lärmpegel aufgeführt werden , deren Erreichen bestimmte Konsequenzen nach sich zieht bzw. die als Grenzwerte einzuhalten sind. Diese Vorschriften werden im Folgenden skizziert. 2. Europarechtliche Regelungen 2.1. Richtlinie 2002/49/EG über Umgebungslärm 2.1.1. Zum Inhalt Die Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und den Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm4, zu dem auch Eisenbahnlärm zählt (siehe Art. 3 a) der Richtlinie), verfolgt im Wesentlichen drei Ziele: 1. Ermittlung und Darstellung der Umgebungslärmbelastung anhand von Lärmkarten unter Anwendung einheitlicher Bewertungsmethoden in der Europäischen Union (EU) 2. Sicherstellung der Information der Öffentlichkeit über Umgebungslärm und seine Auswirkungen 3. Entwicklung von Aktionsplänen durch die Mitgliedstaaten auf Grund der Ergebnisse von Lärmkarten mit dem Ziel, den Umgebungslärm soweit erforderlich und insbesondere in den Fällen, in denen das Ausmaß der Belastung gesundheitsschädliche Auswirkungen haben kann, zu verhindern und zu mindern und eine Erhöhung der Umgebungslärmbelastung in den Fällen zu verhindern, in denen die Bedingungen zufriedenstellend sind. Art . 3 s) der Richtlinie 2002/46/EG definiert Grenzwert wie folgt: „Grenzwert“ ist ein von dem Mitgliedstaat festgelegter Wert für die allgemeine Lärmbelästigung (Tag-Abend-Nacht-Lärmindex - Lden) oder den Nachtlärmindex (Lnight) und gegebenenfalls Taglärmindex (Lday) oder Abbendlärmindex (Levening), bei dessen Überschreitung die zuständigen Behörden Lärmschutzmaßnahmen in Erwägung ziehen oder einführen. Die Festlegung solcher Grenzwerte wird also ausdrücklich dem nationalen Gesetzgeber überlassen (vgl. auch Erwägungsgrund (8) der Richtlinie). Für die Mitgliedstaaten der EU wurde mit den genannten Lärmindizes eine vergleichbare Heran- 1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Lärmschutzmaßnahmen am aktuellen Schienenfahrzeugbestand, KOM(2008) 432 vom 8. Juli 2008, S. 2; siehe auch Grünbuch der Europäischen Kommission „Künftige Lärmschutzpolitik“ vom 4. November 1996, KOM(96) 540, S. 1a. 2 Mitteilung der Kommission, KOM(2008) 432, S. 2; vgl. auch Deutsche Bahn, Schallschutz – eine Investition in die Zukunft der Bahn, Stand: Dezember 2009, S. 4. 3 Mitteilung der Kommission, KOM(2008) 432, S. 2. 4 ABl. L 189/12 vom 18. Juli 2002. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 - 043/10 Seite 4 gehensweise zur Berechnung der Lärmkarten vorgegeben.5 Anhang I der Richtlinie definiert die Lärmindizes, Anhang II legt die Bewertungsmethoden für Lärmindizes fest. Art. 10 der Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten Informationen nach Anhang VI der Richtlinie aus den strategischen Lärmkarten und die dort genannten Zusammenfassungen der Aktionspläne an die Europäische Kommission (Kommission) zu übermitteln haben. In Anhang VI werden konkrete Lärmpegelkategorien genannt, die eine Berichtspflicht auslösen. So haben die Mitgliedstaaten der Kommission - u. a. bezogen auf den Eisenbahnverkehr - die geschätzte Zahl der Menschen mitzuteilen, die in Ballungsräumen6 (Ziff. 1.5 und 1.6 Anhang VI) oder außerhalb von Ballungsräumen an Haupteisenbahnstrecken7 (Ziff. 2.5 und 2.6 Anhang VI) in Gebäuden wohnen, an denen der in vier Meter Höhe gemessene Lden bzw. Lnight in Dezibel (dB) an der am stärksten lärmbelasteten Fassade in folgenden Bereichen liegt: Lden: 55-59 dB(A) 60-64 dB(A) 65-69 dB(A) 70-74 dB(A) > 75 dB(A) Lnight: 50-54 dB(A) 55-59 dB(A) 60-64 dB(A) 65-69 dB(A) >70 dB(A) 2.1.2. Zur Umsetzung in Deutschland Die Richtlinie 2002/49/EG wurde durch das am 30. Juni 2005 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung der EG-Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung vom Umgebungslärm8 in deutsches Recht umgesetzt. Die europarechtlichen Vorgaben zur Lärmkartierung und zu Lärmaktionsplänen wurden mit den §§ 47a bis f in das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) eingefügt . Konkretisiert werden die gesetzlichen Bestimmungen zur Lärmkartierung durch die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 47 BImSchG erlassene Vierunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes - Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über die Lärmkartierung - 34. BImSchGVO). Das Berechnungsverfahren erfolgt durch die Vorläufige Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Schienenwegen (VBUSchG), gemäß § 5 Abs. 1 34. BImSchGVO durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger konkretisiert.9 Unter Beachtung der Vorgaben aus der Richt- 5 Deutsche Bahn, Schallschutz, S. 12. 6 „Ballungsraum“ ist ein durch einen Mitgliedstaat festgelegter Teil eines Gebietes mit einer Einwohnerzahl von über 100000 und einer solchen Bevölkerungsdichte, dass der Mitgliedstaat den Teil als Gebiet mit städtischem Charakter betrachtet (Art. 3 k) der Richtlinie 2002/49/EG). 7 „Haupteisenbahnstrecke“ ist eine von einem Mitgliedstaat angegebene Eisenbahnstrecke mit einem Verkehrsaufkommen von 30000 Zügen pro Jahr (Art. 3 o) der Richtlinie 2002/49/EG). 8 BGBl. I 2005, S. 1794. 9 Bundesanzeiger Nr. 154a vom 17. August 2006. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 - 043/10 Seite 5 linie 2001/49/EG wurde das Berechnungsverfahren aus Anlage 2 (zu § 3) (sog. Schall 03) der Sechszehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes - Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchGVO) abgeleitet.10 Im Vergleich zur Schall 03 ergeben sich jedoch Unterschiede, die eine Vergleichbarkeit von deutschen Beurteilungspegeln und europäischen Lärmkarten nicht erlaubt. 11 2.2. Technische Spezifikationen für die Interoperabilität transeuropäischer Eisenbahnsysteme (TSI) 2.2.1. Zum Inhalt Die Kommission verabschiedete Technische Spezifikationen für die Interoperabilität transeuropäischer Eisenbahnsysteme (TSI), welche Anforderungen an technische Eigenschaften der Fahrzeuge des Hochgeschwindigkeitsbahnsystems und des konventionellen Eisenbahnverkehrs in der EU formulieren. Unter anderem enthalten diese technischen Spezifikationen Grenzwerte für Lärmimmissionen neuer und erneuerter Schienenfahrzeuge in unterschiedlichen Betriebszuständen .12 Während die unter 2.1. dargestellte Richtlinie 2002/49/EG über den Umgebungslärm darauf zielt, die Lärmbelastung der Anwohner von Bahnstrecken abzubilden und zu verringern, setzen die technischen Spezifikationen direkt an der Lärmquelle an. Hier ist das Augenmerk auf die Verringerung der Geräuschemissionen der Fahrzeuge selbst gerichtet.13 Maßgeblich sind folgende Entscheidungen der Kommission: – Entscheidung 2008/232/EG der Kommission vom 21. Februar 2008 über die Technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Fahrzeuge“ des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems14 – Entscheidung 2006/66/EG der Kommission vom 23. Dezember 2005 über die Technische Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) zum Teilsystem Fahrzeuge — Lärm des konventionellen transeuropäischen Bahnsystems15 Grundlagen dieser Spezifikationen sind die Richtlinie 96/48/EG des Rates vom 23. Juli 1996 über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems16 und die Richtlinie 2001/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2001 über die Interoperabilität des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems17 – beide geändert 10 Deutsche Bahn, Schallschutz, S. 12. 11 Deutsche Bahn, Schallschutz, S. 12. 12 Die Lärmgrenzwerttabellen der TSI sind sehr umfangreich. Von einer Wiedergabe wurde daher abgesehen (Beide zitierten TSI sind abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu). Die TSI Teilsystem „Fahrzeuge – Lärm“ beispielsweise differenziert zwischen von Güterwagen ausgehenden Lärmemissionen und solchen , die von Lokomotiven, Triebzügen und Steuerwagen ausgehen. Die Angaben zu den Grenzwerten sind nochmals untergliedert in Fahrgeräusch, Standgeräusch bzw. Fahrgeräusch, Anfahrgeräusch und Fahrgeräusch (siehe zu den Grenzwerten insgesamt unter Gliederungspunkt 4.2 der TSI Teilsystem „Fahrzeuge – Lärm“). 13 Deutsche Bahn, Schallschutz, S. 13. 14 ABl. L 84 vom 26. März 2008, S. 132. 15 ABl. L 37 vom 8. Februar 2006, S. 1. 16 ABL. L 262 vom 16. Oktober 1996, S. 18. 17 ABl. L 110 vom 20. April 2001, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 - 043/10 Seite 6 durch die Richtlinie 2004/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 200418 - die inzwischen durch die Richtlinie 2008/57/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft19 zusammen- und neu gefasst wurden. 2.2.2. Zur Umsetzung in Deutschland Mit Anlage 2 zu § 4 der Verordnung über die Interoperabilität des transeuropäischen Eisenbahnsystems (Transeuropäische-Eisenbahn-Interoperabilitätsverordnung – TEIV)20 werden mehrere Entscheidungen der Kommission über die Technischen Spezifikationen für die Interoperabilität umgesetzt. In Bezug auf die unter 2.2.1 genannten Entscheidungen heißt es hierin: „3.1 Hochgeschwindigkeitsbahnsystem Die Entscheidung 2008/232/EG der Kommission vom 21. Februar 2008 über die TSI „Fahrzeuge“ (ABl. EU Nr. L 84 S. 132) findet ab dem 1. September 2008 Anwendung auf Verbände von Fahrzeugen des Hochgeschwindigkeitsbahnsystems, die in der TSI als Züge bezeichnet werden, die jeweils für Geschwindigkeiten von mindestens 200 Kilometer pro Stunde ausgelegt sind und als betriebliche Einheit nicht getrennt werden.“ 3.2 Konventionelles Eisenbahnsystem a) Die Entscheidung 2006/66/EG der Kommission vom 23. Dezember 2005 über die TSI „Fahrzeuge -Lärm“ (ABl. EU 2006 Nr. L 37 S. 1) findet Anwendung auf Triebfahrzeuge, Reisezugwagen und Güterwagen.“ 3. Nationale Regelungen in Deutschland Vorgaben für einzuhaltende Schallschutzwerte an Bahnstrecken enthält das nationale Recht. In Deutschland ist der Schutz vor Verkehrslärm im Bundesimmissionsschutzgesetz geregelt. Es ist zu differenzieren zwischen der Lärmvorsorge beim Bau und Ausbau und der Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen: Für den Bau und Ausbau von Eisenbahnstrecken ist § 41 BImSchG einschlägig, nach dem sicherzustellen ist, dass durch diese keine nach dem Stand der Technik vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können. Zur Durchführung dieser Bestimmung legt die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG erlassene 16. BImSchGVO in § 2 Immissionsgrenzwerte im Sinne sog. Beurteilungspegel fest, die nicht überschritten werden dürfen. Diese lauten: 18 ABl. L 164 vom 30. April 2004, S. 114. 19 ABl. L 191 vom 18. Juli 2008, S. 1, geändert durch Richtlinie 2009/131/EG der Kommission vom 16. Oktober 2009 zur Änderung von Anhang VII der Richtlinie 2008/57/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft (ABl. L 273 vom 17. Oktober 2009, S. 12). 20 Anlage 2 § 4 TEIV veröffentlicht im BGBl. I 2008, S. 1093 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 - 043/10 Seite 7 Tag Nacht An Krankenhäusern, Schulen, Kurheimen und Altenheimen 57 dB(A) 47 dB(A) In reinen und allg. Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten 59 dB(A) 49 dB(A) In Kerngebieten, Dorfgebieten und Mischgebieten 64 dB(A) 54 dB(A) In Gewerbegebieten 69 dB(A) 59 dB(A Bei Überschreiten dieser Werte ergibt sich aus § 42 BImSchG ein Entschädigungsanspruch für die betroffenen Eigentümer einer baulichen Anlage, wobei die Entschädigung für Schallschutzmaßnahmen an den baulichen Anlagen in Höhe der notwendigen Aufwendungen zu leisten ist. Für bestehende Schienenwege gelten die Regelungen der 16. BImSchG nicht. Seit 1999 gibt es jedoch das Programm „Maßnahmen zur Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes“21. Das Programm nimmt unter Gliederungspunkt 4.2 Bezug auf die als Anlage 1 dem Programm beigefügte „Richtlinie für die Förderung von Maßnahmen zur Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes“22. Gemäß § 4 Abs. 1 der Richtlinie kann eine Lärmsanierungsmaßnahme gefördert werden, wenn sie im Lärmsanierungsprogramm enthalten ist und der Beurteilungspegel die im Bundeshaushalt aufgeführten maßgebenden Immissionsgrenzwerte für Lärmsanierung überschreitet. Diese sind: Tag Nacht An Krankenhäusern, Schulen, Kurheimen und Altenheimen 70 dB(A) 60 dB(A) In reinen und allg. Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten 70 dB(A) 60 dB(A) In Kerngebieten, Dorfgebieten und Mischgebieten 72 dB(A) 62 dB(A) In Gewerbegebieten 75 dB(A) 65 dB(A 21 Stand: 11. Februar 2005, abzurufen auf der Internetseite des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen (BMVBS) unter: http://www.bmvbs.de/Anlage/original_1002094/Gesamtkonzept-der-Laermsanierung- Erlaeuterungstext.pdf (letzter Abruf: 4. März 2010). 22 Siehe dort Anhang 1: Lärmsanierungsgrenzwerte gemäß Bundeshaushalt vom 25. Februar 2004 (BGBl. I S. 230), abzurufen auf der Internetseite des BMVBS unter: http://www.bmvbs.de/Anlage/original_1002099/Foerderrichtlinie-Laermsanierung-Schienebarrierefrei .pdf (letzter Abruf: 4. März 2010).