© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 042/20 Ausgabe von Anleihen durch die Europäische Union Vereinbarkeit mit den Unionsverträgen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 2 Ausgabe von Anleihen durch die Europäische Union Vereinbarkeit mit den Unionsverträgen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 042/20 Abschluss der Arbeit: 15.06.2020 Referat/Fachbereich: PE 6 Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Ausgabe von Anleihen im Rahmen der Unionsverträge 4 2.1. Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 AEUV 4 2.1.1. Kompetenzen der Union im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 AEUV 4 2.1.2. Bail-Out-Verbot des Art. 125 Abs. 1 AEUV 6 2.1.2.1. Inhaltliche Maßgaben des Art. 125 Abs. 1 AEUV 6 2.1.2.2. Verhältnis von Art. 125 Abs.1 AEUV zu Art. 122 Abs. 2 AEUV – Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pringle 6 2.1.2.3. Grenzen des Art. 125 Abs. 1 AEUV bei der Ausgabe von Anleihen durch die Union gemäß Art. 122 Abs. 2 AEUV 8 2.2. Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 352 AEUV 9 2.3. Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 212 AEUV 10 2.4. Haushaltsvorschriften des Art. 311 AEUV 12 2.4.1. „Sonstige Einnahmen“ i. S. v. Art. 311 Abs. 2 AEUV 12 2.4.2. Einführung neuer Kategorien von Eigenmitteln gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV 13 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa ist um Prüfung der Vereinbarkeit einer Schuldenaufnahme durch die Ausgabe von Anleihen am Kapitalmarkt durch die Europäische Union (EU bzw. Union) mit den Unionsverträgen gebeten worden. 2. Ausgabe von Anleihen im Rahmen der Unionsverträge Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Ausgabe von Anleihen am Kapitalmarkt durch die Union im Rahmen der Unionsverträge möglich ist. Für eine Emission von Anleihen am Kapitalmarkt durch die Union müsste zunächst eine Rechtsgrundlage in den Unionsverträgen zur Verfügung stehen, Art. 5 Abs. 2 Vertrag über die Europäische Union (EUV).1 Eine allgemeine Rechtsgrundlage für die Ausgabe von Anleihen ist in den Unionsverträgen nicht ersichtlich.2 Zu betrachten ist daher die Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (Ziff. 2.1.), auf der Grundlage von Art. 352 AEUV (Ziff. 2.2.) sowie im Rahmen von Art. 212 AEUV (Ziff. 2.3.). Darüber hinaus soll eine Ausgabe von Anleihen durch die EU unter haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten des Art. 311 AEUV, insbesondere die Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 311 Abs. 3 AEUV, untersucht werden (Ziff. 2.4.). 2.1. Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 AEUV Die Ausgabe von Anleihen durch die Union auf dem Kapitalmarkt kommt im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 AEUV in Betracht.3 2.1.1. Kompetenzen der Union im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 AEUV Art. 122 Abs. 2 AEUV regelt die Befugnis der Union zur Gewährung finanziellen Beistands bei gravierenden Schwierigkeiten. Gemäß Art. 122 Abs. 2 AEUV kann der Rat auf Vorschlag der Kommission beschließen, einem Mitgliedstaat, der aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union 1 Vgl. Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 69 2 Vgl. Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 103. 3 Vgl. bspw. VERORDNUNG (EU) Nr. 407/2010 DES RATES vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 5 zu gewähren. Der Präsident des Rates hat das Europäische Parlament über diesen Beschluss zu unterrichten. Umstritten ist insoweit die Frage, ob eine Refinanzierung von Hilfen der Union gemäß Art. 122 Abs. 2 AEUV über Anleiheemissionen am Kapitalmarkt erfolgen kann. Höchstrichterliche Rechtsprechung ist hierzu nicht ersichtlich. In der Literatur werden insoweit verschiedene Ansichten vertreten. Eine Ansicht geht davon aus, dass eine Emission von Anleihen am Kapitalmarkt durch die Union im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 AEUV nicht möglich sei, da es der Union insoweit an einer ausdrücklichen Kompetenz mangele.4 Insbesondere könne man eine derartige Finanzierungskompetenz nicht in Art. 122 Abs. 2 AEUV hineinlesen, da sich die Union anderenfalls auf diesem Wege unter Umgehung der Vorgaben des Art. 311 AEUV Finanzmittel ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten verschaffen könnte.5 Problematisch sei ferner, dass Anleihen, die nicht in den Unionshaushalt fließen, dem Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit des Haushaltsplans widersprächen.6 Andere Stimmen in der Literatur sehen dagegen die Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 AEUV als zulässig an.7 Bereits die Entstehungsgeschichte von Art. 122 AEUV spreche nach dieser Ansicht für die Möglichkeit einer Refinanzierung der Union durch die Emission von Anleihen am Kapitalmarkt. Danach beruhe Art. 122 Abs. 2 AEUV auf Art. 119 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), der wiederum eine Ausgabe von Anleihen in der Vergangenheit zugelassen habe.8 Zudem erfordere nach dieser Ansicht eine finanzielle Un- 4 Häde, in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 122 AEUV, Rn. 9; Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 111; Kempen, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 122 AEUV, Rn. 11; ferner bereits Seidel, EuZW 2011, 241; im Grundsatz kritisch ebenso Ruffert , Are we SURE?: Ein Vorschlag der Kommission – und was man als Europarechtler dazu sagen kann, Verf- Blog, 2020/4/05, der zudem auf den Art. 352 AEUV verweist (zuletzt abgerufen am 15.06.2020). 5 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 111. 6 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 115; Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 44, Art. 310 Rn. 30; Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 310 AEUV, Rn. 19; Storr, EuR 2001, 846, 858; a. A. Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 310 AEUV, Rn. 42, der dies für vertretbar hält. 7 Bandilla, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 122 AEUV, Rn. 19; vgl. auch Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 44; ferner Hermann/Dausinger, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 122 AEUV, Rn. 22 m. w. N.. 8 Vgl. Hermann/Dausinger, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 122 AEUV, Rn. 22 m. w. N.; Bandilla, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 122 AEUV, Rn. 19. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 6 terstützung der Union notwendigerweise eine Refinanzierung, die im Falle fehlender Haushaltsmittel allein über eine Anleiheemission bzw. durch Zahlung der Mitgliedstaaten erfolgen könne. Ein kurzfristiges Handeln der Union mache eine Anleiheemission daher regelmäßig erforderlich.9 Eine abschließende Bewertung dieser Frage bleibt dem EuGH vorbehalten. Soweit man der Ansicht folgt, die eine Anleiheausgabe der Union auf der Grundlage von Art. 122 Abs. 2 AEUV als möglich ansieht, wäre neben den Anforderungen von Art. 122 Abs. 2 AEUV auch zu prüfen, inwieweit das in Art. 125 Abs. 1 AEUV vorgesehene bailout -Verbot zu berücksichtigen ist.10 2.1.2. Bail-Out-Verbot des Art. 125 Abs. 1 AEUV Im Folgenden soll dargestellt werden, inwieweit Art. 125 Abs. 1 AEUV Grenzen für die Ausgabe von Anleihen der Union auf der Grundlage von Art. 122 Abs. 2 AEUV setzt. 2.1.2.1. Inhaltliche Maßgaben des Art. 125 Abs. 1 AEUV Art. 125 Abs. 1 AEUV enthält Vorgaben für gemeinsames fiskalisches Handeln der Mitgliedstaaten . Gemäß Art. 125 Abs. 1 Satz 1 AEUV haften weder die Union noch die Mitgliedstaaten für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und treten nicht für derartige Verbindlichkeiten ein (sog. bail-out-Verbot); dies soll jedoch unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens gelten. Fraglich ist jedoch, in welchem Verhältnis Art. 122 Abs. 2 AEUV und Art. 125 Abs. 1 AEUV zueinander stehen. Praktisch relevant erscheint diese Frage im Hinblick auf eine mögliche gegenseitige Einstandspflicht der Mitgliedstaaten für die von der Union ausgegebenen Anleihen. 2.1.2.2. Verhältnis von Art. 125 Abs.1 AEUV zu Art. 122 Abs. 2 AEUV – Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pringle Der EuGH hat sich in der Rechtssache Pringle11 mit der Auslegung von Art. 125 Abs. 1 AEUV befasst . Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pringle untersagt 9 Hermann/Dausinger, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 122 AEUV, Rn. 22; Bandilla, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 122 AEUV, Rn. 19; im Ergebnis ferner Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310. 10 Vgl. hierzu Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310; ferner die Ausführungen von Ruffert, Are we SURE?: Ein Vorschlag der Kommission – und was man als Europarechtler dazu sagen kann, VerfBlog, 2020/4/05 (zuletzt abgerufen am 15.06.2020); ferner Vgl. hierzu auch die Erwägungen von Goldmann, The Case for Corona Bonds, VerfBlog, 2020/04/05 (zuletzt abgerufen am 15.06.2020). 11 EuGH, Urteil vom 27.11.2012, Rs. C-370/12 (Thomas Pringle/Government of Ireland u. a.) ECLI:EU:C:2012:756. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 7 Art. 125 Abs. 1 AEUV der Union und den Mitgliedstaaten nicht jede Form der finanziellen Unterstützung eines anderen Mitgliedstaats, sondern nur die unmittelbare Haftung für diesen Staat bzw. den direkten Einritt in dessen Verbindlichkeiten.12 Ferner sind Finanzhilfen nach Ansicht des EuGH dann mit Art. 125 Abs. 1 AEUV vereinbar, wenn diese nicht zur Beeinträchtigung des Anreizes für den Empfängermitgliedstaat führen, eine solide Haushaltspolitik zu betreiben.13 Da es in der Rechtssache Pringle um die Vereinbarkeit des ESM-Vertrags als einer Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten mit Art. 125 Abs. 1 AEUV ging, wird in dem Urteil nicht deutlich, inwieweit die Nichtbeistandsklausel auch auf Maßnahmen der Union anwendbar ist, die bspw. auf der Grundlage von Art. 122 Abs. 2 AEUV erlassen wurden. Nach einer Ansicht im Schrifttum führt die Vorschrift des Art. 122 Abs. 2 AEUV, indem sie bestimmte Finanzhilfen durch die Union explizit zulässt, zu einer Durchbrechung des Verbots in Art. 125 Abs. 1 AEUV und stellt insoweit eine speziellere Norm und damit zugleich eine Ausnahme dar.14 Andere Ansichten im Schrifttum betrachten beide Vorschriften als Teil des Gesamtgefüges der Vorschriften über die Wirtschafts- und Währungsunion und sehen diese somit in einem gegenseitigen Wechsel- anstatt in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis sehen.15 In diese Richtung argumentiert auch der EuGH, wenn er in seiner Entscheidung in der Rechtssache Pringle folgendes ausführt: „131. […] Würde Art. 125 AEUV jede finanzielle Unterstützung der Union oder der Mitgliedstaaten für einen anderen Mitgliedstaat verbieten, hätte in Art. 122 AEUV klargestellt werden müssen, dass er eine Ausnahme von Art. 125 AEUV darstellt.“16 Unabhängig welcher dogmatischen Konstruktion man folgt, hat der Unionsgesetzgeber im Ergebnis das ihm bei der Ausgestaltung der Bedingungen des zu gewährenden finanziellen Beistands zukommende Ermessen entsprechend den Vorgaben des EuGH in der Rechtssache Pringle dahingehend auszuüben, dass der finanzielle Beistand möglichst nicht zu einer Beeinträchtigung des 12 EuGH, Urteil vom 27.11.2012, Rs. C-370/12 (Thomas Pringle/Government of Ireland u. a.) ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 129 ff., insbesondere Rn. 130; vgl hierzu auch die Ausführungen von Ruffert, Are we SURE?: Ein Vorschlag der Kommission – und was man als Europarechtler dazu sagen kann, VerfBlog, 2020/4/05 (zuletzt abgerufen am 15.06.2020); Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310. 13 EuGH, Urteil vom 27.11.2012, Rs. C-370/12 (Thomas Pringle/Government of Ireland u. a.), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 134 ff. 14 So z.B. Häde, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 125 AEUV, Rn. 12; Art. 122 AEUV, Rn. 16; Ohler, in: Siekmann, Kommentar zur Europäischen Währungsunion, 2013, Art. 125, Rn. 18; Kempen, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 125 AEUV, Rn. 9; offengelassen bei Smulders/Keppenne, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 122 AEUV, Rn. 19. 15 So auch Herrmann/Dausinger, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 122 AEUV, Rn. 5; Art. 125 AEUV, Rn. 17; ferner Calliess, NVwZ 2013, 97, 103; Hattenberger, in: Schwarze, EU-Kommentar , 5. Auflage 2019, Art. 122 AEUV, Rn. 5. 16 EuGH, Urteil vom 27.11.2012, Rs. C-370/12 (Thomas Pringle/Government of Ireland u. a.), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 131. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 8 Anreizes für den Empfängermitgliedstaat führt, eine solide Haushaltspolitik zu betreiben (sog. moral hazard-Problem).17 Eine abschließende Beantwortung des Verhältnisses von Art. 125 Abs. 1 AEUV und Art. 122 Abs. 2 AEUV bleibt dem EuGH vorbehalten. 2.1.2.3. Grenzen des Art. 125 Abs. 1 AEUV bei der Ausgabe von Anleihen durch die Union gemäß Art. 122 Abs. 2 AEUV Soweit Art. 125 Abs. 1 AEUV nach den vorstehenden Ausführungen auch im Rahmen von Art. 122 Abs. 2 AEUV Anwendung findet, ist diese Vorschrift nach Ansicht in der Literatur auch bei der Ausgabe von Anleihen durch die Union zur Refinanzierung entsprechender Hilfen der Union zu berücksichtigen.18 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine mögliche gegenseitige Einstandspflicht der Mitgliedstaaten für die von der Union ausgegebenen Anleihen. Praktisch relevant wäre bspw. eine gegenseitige Einstandspflicht der Mitgliedstaaten, im Wege derer die Mitgliedstaaten für die von der Union ausgegebenen Anleihen gemeinsam in der Form haften, dass jeder Mitgliedstaat in die Schuldbeziehungen eines anderen Mitgliedstaates eintritt und damit eine Haftungsgemeinschaft der Mitgliedstaaten entsteht.19 Höchstrichterliche Rechtsprechung ist hierzu nicht ersichtlich. In der Literatur wird insoweit vertreten, dass eine auf Dauer angelegte Emission von Anleihen (sog. Eurobonds) im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 125 Abs. 1 AEUV problematisch sei.20 Anders soll es sich nach einer Ansicht in der Literatur jedoch im Hinblick auf die Emission von Anleihen verhalten, die einmalig und anlassbezogen ausgegeben werden.21 Diese sollen nicht von vornherein unzulässig sein, soweit – anders als bei den Eurobonds – kein „allgemeiner und gemeinsamer Haftungsautomatismus für die Staatsverschuldung aller (Eurozonen-)Mitgliedstaaten 17 Vgl. Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310; zum moral-hazard-Problem vgl. ebenso Hattenberger, in: Schwarze, EU- Kommentar, 5. Auflage 2019, Art. 125 AEUV, Rn. 1. 18 Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310. 19 Siehe Meyer/Heidfeld, NJW 2012, 422, 425. 20 Vgl. bereits Ruffert, EuR 2011, 842, 854; Meyer/Heidfeld, NJW 2012, 422, 425; Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310; Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 44; differenzierend Hermann/Dausinger, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 125 AEUV, Rn. 11 m. w. N. 21 Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310; Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 44; Bieber, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 311 AEUV, Rn. 45 f.; a. A. siehe Ruffert, Are we SURE?: Ein Vorschlag der Kommission – und was man als Europarechtler dazu sagen kann, VerfBlog, 2020/4/05 (zuletzt abgerufen am 15.06.2020). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 9 geschaffen wird.“22 Erforderlich wäre nach dieser Ansicht, dass die Gefahr einer unsoliden Haushaltsführung der Empfängerländer durch entsprechende Vorgaben zur Aus- und Rückzahlung angemessen verringert wird.23 Denkbar wären nach Ansicht in der Literatur insbesondere sekundärrechtliche Klarstellungen nach Art. 125 Abs. 2 AEUV.24 Eine abschließende Klärung dieser Frage bliebe dem EuGH vorbehalten. 2.2. Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 352 AEUV In Betracht kommt ferner die Ausgabe von Anleihen auf der Grundlage von Art. 352 AEUV.25 Art. 352 Abs. 1 AEUV sieht folgende Regelung vor: „Erscheint ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche erforderlich, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen, und sind in den Verträgen die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften. Werden diese Vorschriften vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen, so beschließt er ebenfalls einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.“ Höchstrichterliche Rechtsprechung ist im Hinblick auf die Ausgabe von Anleihen im Rahmen des Art. 352 AEUV nicht ersichtlich. In der Literatur wird insoweit vertreten, dass eine Ausgabe von Anleihen auf der Grundlage von Art. 352 AEUV nicht möglich sei, da diese in der Regel nicht erforderlich sei, eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen.26 Insbesondere stelle die Ausgabe von Anleihen zur Weiterreichung als Darlehen kein in den Verträgen verankertes Ziel der Union dar.27 Eine andere Ansicht geht dagegen davon aus, dass eine Ausgabe von Anleihen im Rahmen Art. 352 AEUV – vergleichbar 22 Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310; a. A. siehe Ruffert, Are we SURE?: Ein Vorschlag der Kommission – und was man als Europarechtler dazu sagen kann, VerfBlog, 2020/4/05 (zuletzt abgerufen am 15.06.2020). 23 Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310. 24 Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310; Vgl. mit Blick auf die VERORDNUNG (EU) Nr. 407/2010 DES RATES vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus die Diskussion bei Bandilla, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 125 AEUV, Rn. 20 ff.. 25 Vgl. VERORDNUNG (EG) Nr. 332/2002 DES RATES vom 18. Februar 2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten, Abl. EG 2002, L 53/1 zuletzt geändert durch VERORDNUNG (EG) Nr. 431/2009 DES RATES vom 18. Mai 2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten, Abl. EG 2009, L 128/01. 26 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 111 ff., Art. 311 Rn. 73. 27 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 114. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 10 zu Art. 122 Abs. 2 AEUV – allein zur Finanzierung begrenzter und zweckgebundener Maßnahmen erfolgen dürfte.28 Problematisch sei jedoch, dass Anleihen, die nicht in den Unionshaushalt fließen, dem Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit des Haushaltsplans widersprächen.29 Eine abschließende Bewertung bleibt dem EuGH vorbehalten. Soweit Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage dient, stellt sich wiederum die Frage, welche Grenze das oben genannte bail-out Verbot des Art. 125 Abs. 1 AEUV für die Ausgabe von Anleihen auf der Grundlage von Art. 352 AEUV setzt.30 Auf die obigen Ausführungen zum bail-out-Verbot wird verwiesen.31 2.3. Ausgabe von Anleihen im Rahmen von Art. 212 AEUV Die Ausgabe von Anleihen durch die Union kommt auch im Rahmen der sog. Makrofinanzhilfen gemäß Art. 212 AEUV in Betracht. Gemäß Art. 212 Abs. 1 AEUV führt die Union mit Drittländern, die keine Entwicklungsländer sind, Maßnahmen der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Zusammenarbeit durch, die auch Unterstützung, insbesondere im finanziellen Bereich, einschließen.32 Zur Umsetzung der Unterstützung erlassen das Europäische Parlament und der Rat im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens gemäß Art. 294 AEUV die zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen, Art. 212 Abs. 2 AEUV. Unter die von Art. 212 Abs. 1 AEUV genannten Maßnahmen fallen auch die Makrofinanzhilfen, im Wege derer Drittländer, die über kurzfristige Zahlungsbilanzschwierigkeiten verfügen, finanzielle Unterstützung in Form von Zuschüssen und Darlehen erhalten.33 Makrofinanzhilfen erfolgen nach dem Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Makrofinanzhilfen für Drittländer im Jahr 2018 vom 28 Storr, in: Niedobitek, Europarecht, 2. Auflage 2020, § 9 Ziff. I. 4, Seite 700, Rn. 93; ders. EUR 2001, 846, 866, Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 44; Bieber, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 311 AEUV, Rn. 45 f.; Waldhoff, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 311 AEUV, Rn. 17. 29 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 115 sowie Art. 310 Rn. 19; Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 44, Art. 310 Rn. 30; Storr, EuR 2001, 846, 858; a. A. Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 310 AEUV, Rn. 42, der dies für vertretbar hält. 30 Ruffert, Are we SURE?: Ein Vorschlag der Kommission – und was man als Europarechtler dazu sagen kann, VerfBlog, 2020/4/05 (zuletzt abgerufen am 15.06.2020); Meyer/Heidfeld, NJW 2012, 422, 424; vgl. hierzu auch Storr, in: Niedobitek, Europarecht, 2. Auflage 2020, § 9 Ziff. I. 4, Seite 701, Rn. 93, der auf die Möglichkeit eines Garantiefonds hinweist. 31 Siehe oben unter Ziff. 2.1.2.3. 32 Im Hinblick auf Entwicklungsländer erfolgen Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 209 AEUV. 33 Streinz/Kruis, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 212 AEUV, Rn. 17. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 11 8.7.2019 grundsätzlich in Form der Gewährung von Darlehen, für die die Kommission die erforderlichen Mittel an den Kapitalmärkten aufnimmt und an das Empfängerland weiterreicht.34 Daneben kommen nicht rückzahlbare Zuschüsse aus dem EU-Haushalt in Betracht.35 Die Befugnis der Kommission im Namen der Union die erforderlichen Mittel auf den Kapitalmärkten oder bei Finanzinstitutionen aufzunehmen und an das entsprechende Drittland weiterzugeben, wird regelmäßig in den auf der Grundlage von Art. 212 AEUV erlassenen Beschlüssen erteilt.36 Ob Art. 212 AEUV eine taugliche Rechtsgrundlage für die Ausgabe von Anleihen darstellt, ist umstritten. Höchstrichterliche Rechtsprechung ist hierzu nicht ersichtlich. Eine Ansicht in der Literatur sieht – gleichsam zu Art. 122 Abs. 2 AEUV – in Art. 212 AEUV keine Rechtsgrundlage für die Ausgabe von Anleihen. Insbesondere könne man eine derartige Finanzierungskompetenz nicht in Art. 212 AEUV hineinlesen, da anderenfalls sich die Union auf diesem Wege unter Umgehung der Vorgaben des Art. 311 AEUV Finanzmittel ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten verschaffen könnte.37 Problematisch sei ferner, dass Anleihen, die nicht in den Unionshaushalt fließen , dem Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit des Haushaltsplans widersprächen.38 Hinzuweisen ist insoweit auf die Argumentation von Stimmen in der Literatur mit Blick auf Art. 122 Abs. 2 AEUV, nach denen eine finanzielle Unterstützung der Union notwendigerweise eine Refinanzierung erforderlich mache, die im Falle fehlender Haushaltsmittel allein über eine Anleiheemission bzw. durch Zahlung der Mitgliedstaaten erfolgen könne.39 Eine abschließende Entscheidung bliebe dem EuGH vorbehalten. Soweit man der Ansicht folgt, dass Art. 212 AEUV eine taugliche Rechtsgrundlage für die Ausgabe von Anleihen darstellt, stellt sich die Frage, ob das in Art. 125 Abs. 1 AEUV verankerte bail- 34 BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT über die Durchführung der Makrofinanzhilfen für Drittländer im Jahr 2018 vom 8.7.2019, COM(2019) 324 final, S. 2; daneben kommen nicht rückzahlbare Zuschüsse aus dem EU-Haushalt in Betracht. 35 BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT über die Durchführung der Makrofinanzhilfen für Drittländer im Jahr 2018 vom 8.7.2019, COM(2019) 324 final, S. 2; daneben kommen nicht rückzahlbare Zuschüsse aus dem EU-Haushalt in Betracht. 36 Siehe bspw. Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BESCHLUSS (EU) 2016/1112 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 6. Juli 2016 über eine weitere Makrofinanzhilfe für Tunesien, Abl. EU 2016, L 186/1. 37 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 111. 38 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 115; Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 44, Art. 310 Rn. 30; Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 310 AEUV, Rn. 19; Storr, EuR 2001, 846, 858; a. A. Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 310 AEUV, Rn. 42, der dies für vertretbar hält. 39 Hermann/Dausinger, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 122 AEUV, Rn. 22; in diese Richtung ferner Pröbstl, EuZW 2020, 305, 310; im Ergebnis ferner Bandilla, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 122 AEUV, Rn. 19. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 12 out-Verbot im Rahmen einer Anleiheausgabe gemäß Art. 212 AEUV Anwendung fände.40 Höchstrichterliche Rechtsprechung ist hierzu nicht ersichtlich. Der Umstand, dass die Mittel der von der Union ausgegebenen Anleihen keine Verbindlichkeiten von Mitgliedstaaten finanzieren, sondern als Darlehen an Drittländer weitergegeben werden, spricht dafür, dass Art. 125 Abs. 1 AEUV seinem Wortlaut nach keine Anwendung fände. Hilfsweise ließe sich im Hinblick auf eine mögliche gemeinsame Haftung der Mitgliedstaaten für eine derartige Anleihe auf Art. 125 Abs. 1 letzter Halbsatz AEUV verweisen, der gegenseitige finanzielle Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens vom bail-out-Verbot des Art. 125 Abs. 1 AEUV ausdrücklich ausnimmt.41 Eine abschließende Bewertung dieser Frage obliegt dem EuGH. 2.4. Haushaltsvorschriften des Art. 311 AEUV Im Hinblick auf die Haushaltsvorschriften des AEUV ist zunächst zu untersuchen, ob Art. 311 Abs. 2 AEUV es zulässt, Anleihen als „sonstige Einnahmen“ zur Haushaltsfinanzierung zu verwenden (Ziff. 2.4.1.). Ferner stellt sich die Frage, ob eine Ausgabe von Anleihen durch die Union im Rahmen der Eigenmittelvorschriften in Art. 311 Abs. 3 AEUV in Betracht kommen kann (Ziff. 2.4.2.). 2.4.1. „Sonstige Einnahmen“ i. S. v. Art. 311 Abs. 2 AEUV Gemäß Art. 311 Abs. 1 AEUV stattet sich die Union mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können. Art. 311 Abs. 2 AEUV sieht ferner vor, dass der Haushalt der Union, unbeschadet der sonstigen Einnahmen, vollständig aus Eigenmitteln finanziert wird. Umstritten ist die Frage, ob Anleihen als „sonstige Einnahmen“ i. S. v. Art. 311 Abs. 2 AEUV angesehen werden und zur Haushaltsfinanzierung verwendet werden können . Eine höchstrichterliche Entscheidung ist hierzu nicht ersichtlich. Einer Ansicht in der Literatur zufolge geht eine über die Eigenmittel im Eigenmittelbeschluss gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV hinausgehende Finanzierung des Haushalts der Union durch Kreditaufnahmen als „sonstige Einnahmen“ über den eindeutigen Wortlaut in Art. 311 Abs. 2 AEUV hinaus.42 Art. 311 Abs. 2 AEUV soll nach dieser Ansicht die Mitgliedstaaten und die nationalen Parlamente vor einer Einstandspflicht im Falle der Überschuldung der Union schützen.43 Daher soll durch diese Vorschrift eine Kreditaufnahme der Union verhindert werden, die durch die Mitgliedstaaten finanziert wird.44 Denkbar wäre eine Verschuldung im Einklang mit 40 Meyer/Heidfeld, NJW 2012, 422, 424. 41 Vgl. Kempen, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 125 Rn. 8. 42 Siehe hierzu die Ausführung von Storr, in: Niedobitek, Europarecht, 2. Auflage 2020, § 9 Ziff. I. 2., S. 692, Rn. 73; im Ergebnis auch Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 42; Schoo, in: Schwarze, EU Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 311 AEUV, Rn. 24; ferner Waldhoff, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 311 AEUV, Rn. 17. 43 Storr, in: Niedobitek, Europarecht, 2. Auflage 2020, § 9 Ziff. I. 4., Seite 699, Rn. 91. 44 Storr, in: Niedobitek, Europarecht, 2. Auflage 2020, § 9 Ziff. I. 4., Seite 699, Rn. 91. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 13 Art. 311 Abs. 2 AEUV nach dieser Ansicht in der Literatur allein für den Fall, dass die Union sicherstellt , dass mögliche Zahlungsausfälle aus den Mitteln des Gesamthaushaltsplans ausgeglichen werden.45 Andere Stimmen in der Literatur verweisen dagegen darauf, dass die Formulierung „unbeschadet der sonstigen Einnahmen“ gerade das Gebot der Eigenmittelfinanzierung relativiere und insoweit allein eine Präferenz der Eigenmittel aufzeige.46 Der Wortlaut von Art. 311 Abs. 2 AEUV lege nach dieser Ansicht fest, dass die Union weitere Einnahmen haben und zur Finanzierung des Haushalts verwenden könne.47 Daher könnten auch Anleihen als „sonstige Einnahmen“ i. S. d. Art. 311 Abs. 2 AEUV zur Haushaltsfinanzierung verwandt werden, sofern diese auch einen eignen Sachzweck verfolgen.48 Erforderlich sei in jedem Fall aber eine gesonderte Rechtsgrundlage für die Ausgabe von Anleihen.49 Eine Entscheidung hierüber obliegt dem EuGH. 2.4.2. Einführung neuer Kategorien von Eigenmitteln gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV Eine Ausgabe von Anleihen durch die Union käme als neue Kategorie von Eigenmitteln gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV in Betracht.50 Die Einführung neuer bzw. die Abschaffung bestehender Kategorien von Eigenmitteln kann auf der Grundlage von Art. 311 Abs. 3 AEUV erfolgen. Hierzu erlässt der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einen Beschluss, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden , Art. 311 Abs. 3 AEUV. Erforderlich ist gemäß Art. 311 Abs. 3 Satz 3 AEUV ferner, dass die 45 Storr, in: Niedobitek, Europarecht, 2. Auflage 2020, § 9 Ziff. I. 4., Seite 699, Rn. 92. 46 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 8 f., 81 ff.; Bieber, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 311 AEUV, Rn. 41; Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 310 AEUV, Rn. 33; ferner Meyer/Heidfeld , NJW 2012, 422, 424. 47 Vgl. Bieber, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 311 AEUV, Rn. 41; Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 310 AEUV, Rn. 33, Häde, in: Pechstein/Nowak /Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 81, 104. 48 Vgl. Bieber, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 311 AEUV, Rn. 41; Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 310 AEUV, Rn. 33; Häde, in: Pechstein/Nowak /Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 86. 49 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 81, 104. 50 Zum Rechtscharakter des Eigenmittelbeschlusses, vgl. Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 124 ff.; Waldhoff, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 311 AEUV, Rn. 5 f.; zu den Eigenmittelkategorien vgl. Art. 2 BESCHLUSS DES RATES vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union (2014/335/EU, Euratom), Abl. EU 2014, L 168/105. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 14 Mitgliedstaaten dem Beschluss im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften zustimmen. Im Anschluss an den Beschluss gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV legt der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen Durchführungsmaßnahmen zu dem System der Eigenmittel der Union fest, sofern dies in dem nach Art. 311 Abs. 3 AEUV erlassenen Beschluss vorgesehen ist, und beschließt diese nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, Art. 311 Abs. 4 AEUV. Zur Frage, ob die Union – insbesondere zweckungebundene – Anleihen im Rahmen von Art. 311 Abs. 3 AEUV ausgeben kann, ist höchstrichterliche Rechtsprechung nicht ersichtlich. In der Literatur ist dies umstritten. Nach einer Ansicht soll eine Aufnahme von Anleihen durch die Union mit Blick auf das in Art. 310 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV verankerte Prinzip des Haushaltsausgleichs ausgeschlossen sein.51 Ferner ließen sich Krediteinnahmen nicht dem materiell verstandenen Eigenmittelbegriff zuordnen.52 Darüber hinaus spreche das abgewogene Einnahmensystem der Union gegen eine Ausgabe von Anleihen zur allgemeinen Haushaltsdeckung „solange die Union keine (Allein-)Kompetenz besitzt, um etwaige Verluste aus einer entsprechenden Anleihetätigkeit durch eine autonome Erhöhung oder Erweiterung der ihr endgültig zufließenden Finanzierungsmittel auszugleichen“.53 Der Gegenansicht zufolge sei eine Anleiheausgabe für eine zweckungebundene Finanzierung im Rahmen des Art. 311 Abs. 3 AEUV nicht grundsätzlich ausgeschlossen.54 Das Gebot des Haushaltsausgleichs enthalte demnach kein Verbot der Kreditfinanzierung.55 Zudem ließe sich Art. 311 Abs. 3 AEUV kein materieller Eigenmittelbegriff entnehmen. In der Folge sei eine auf einen Eigenmittelbeschluss gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV gestützte Ausgabe von Anleihen durch die Union denkbar.56 Eine abschließende Entscheidung hierüber obliegt dem EuGH. Soweit man der Ansicht folgt, dass zweckungebundene Anleihen im Rahmen von Art. 311 Abs. 3 AEUV durch die Union ausgegeben werden können, stellt sich wiederum die Frage, ob das in Art. 125 Abs. 1 AEUV verankerte bail-out-Verbot Anwendung fände. Höchstrich- 51 Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 311 AEUV, Rn. 28. 52 Vgl. die Darstellung bei Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 70 m. w. N.. 53 Magiera, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 69. EL Februar 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 23, 42 ff. 54 Bieber, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 311 AEUV, Rn. 43 ff. m. w. N.; Storr, in: Niedobitek, Europarecht, 2. Auflage 2020, § 9 Ziff. I., Seite 700, Rn. 93; Häde, in: Pechstein /Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 311 AEUV, Rn. 69. 55 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 311 AEUV, Rn. 71; Storr, EUR 2001, 846, 866. 56 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 311 AEUV, Rn. 72; Bieber, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 311 AEUV, Rn. 43 ff. m. w. N.. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 042/20 Seite 15 terliche Rechtsprechung ist hierzu nicht ersichtlich. Sofern die Mittel der von der Union ausgegebenen Anleihen keine Verbindlichkeiten von Mitgliedstaaten finanzieren, sondern zweckungebunden in den Haushalt fließen würden, spräche dies dafür, dass Art. 125 Abs. 1 AEUV seinem Wortlaut nach keine Anwendung fände.57 Auch zu dieser Frage obliegt eine abschließende Entscheidung dem EuGH. – Fachbereich Europa – 57 Zur Frage möglicher Nachschusspflichten der Mitgliedstaaten bei einem unausgeglichenem Haushalt vgl. Storr, in: Niedobitek, Europarecht, 2. Auflage 2020, § 9 Ziff. I., Seite 703 f, Rn. 97 f; ders., EuR 2001, 846, 867.