© 2016 Deutscher Bundestag PE 6-3000-42/16 188 Isolation von Banken im vom IS besetzten Gebiet Syriens und des Irak vom Zahlungsverkehr mit Banken außerhalb des besetzten Gebiets im Rahmen von Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 – 42/16 Seite 2 Isolation von Banken im vom IS besetzten Gebiet Syriens und des Irak vom Zahlungsverkehr mit Banken außerhalb des besetzten Gebiets im Rahmen von Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union Aktenzeichen: PE 6 – 3000 – 42/16 Abschluss der Arbeit: 23. März 2016 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 – 42/16 Seite 3 1. Fragestellung Nachfolgend wird die Frage untersucht, ob es auf Grundlage des Rechts der Europäischen Union (EU) zulässig wäre, die Banken im vom IS besetzten Gebiet Syriens und des Irak vom Zahlungsverkehr mit Banken außerhalb des besetzten Gebiets (u.a. SWIFT-System) zu isolieren. 2. Rechtsgrundlage Als Rechtsgrundlage für eine derartige Maßnahme kommt Art. 75 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) oder Art. 215 AEUV in Betracht.1 Art. 75 AEUV ermächtigt zu Maßnahmen gegen die Terrorismusfinanzierung. Dies setzt allerdings voraus, dass diese notwendig sind, die Ziele des Art. 67 AEUV – nämlich die Bildung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts - in Bezug auf die Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus und damit verbundener Aktivitäten zu verwirklichen. Der Gerichtshof der EU (EuGH) sieht in Art. 215 AEUV eine gegenüber Art. 75 AEUV vorrangig zur Anwendung kommende Rechtsgrundlage für Maßnahmen wie die Bekämpfung des Terrorismus, wenn diese zum Handeln der EU im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gehören .2 Art. 75 AEUV soll sich nicht auf die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem Drittstaat oder mehreren Drittstaaten beziehen.3 Das Ziel, den internationalen Terrorismus und seine Finanzierung zu bekämpfen, würde den Zielen der Verträge über das auswärtige Handeln der EU entsprechen, wenn diese Maßnahmen dazu dienten, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren.4 3. Voraussetzungen des § 215 AEUV Art. 215 AEUV erfordert einen Beschluss im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (3.1.) und sieht ein sich darauf stützendes mehrstufiges Verfahren vor, mit dem der Rat restriktive Maßnahmen erlässt (3.2.). 3.1. Beschluss zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Der Rat kann restriktive Maßnahmen erst nach einem Beschluss nach Titel V Kapitel 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) („Besondere Bestimmungen über die Gemeinsame Außen - und Sicherheitspolitik“ – GASP) zur Aussetzung, Einschränkung oder vollständigen Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem Drittland oder mehreren Drittländern 1 EuGH, Rs. C-130/10, Urt. v. 19.07.2012, Rn. 47 ff. 2 Eine kumulative Anwendung beider Ermächtigungsgrundlagen soll nicht in Betracht kommen; vgl. Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 215 AEUV Rn. 68; EuGH, (Fußn. 1), Urt. v. 19.07.2012, Rn. 65. 3 EuGH (Fußn. 1) Rn. 54. 4 EuGH (Fußn. 1) Rn. 61. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 – 42/16 Seite 4 (Art. 215 Abs. 1 Halbs. 1 AEUV) erlassen. Nach Art. 24 Abs. 1 UAbs. 1 EUV erstreckt sich die „Zuständigkeit der Union in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik […] auf alle Bereiche der Außenpolitik sowie auf sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union …“ Nach Art. 25 EUV verfolgt die Union ihre Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, indem sie u.a. Beschlüsse erlässt zur Festlegung der von ihr durchzuführenden Aktionen (Art. 25 b) i) EUV). Mit Missionen im Rahmen der GASP kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden (Art. 43 Abs. 1 EUV), was verdeutlicht, dass die EU Maßnahmen im Rahmen der GASP sich auch gegen den Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit richten können.5 Diese Maßnahmen können auch der Umsetzung von UN-Maßnahmen dienen.6 7 Beschlüsse zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werden vom Europäischen Rat und vom Rat – vorbehaltlich der in Art. 31 Abs. 2 EUV genannten Ausnahmen, in denen mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen ist - einstimmig gefasst. 3.2. Beschluss des Rates auf Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts - und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern oder zu restriktiven Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten Der Rat entscheidet auf der ersten Stufe mit qualifizierter Mehrheit zunächst über einen gemeinsamen Maßnahmenvorschlag des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik und der Kommission, nachdem im Bereich der GASP ein gemeinsamer Standpunkt festgelegt wurde (Art. 29 EUV) oder nach Annahme einer gemeinsamen Aktion (Art. 28 EUV) über die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem Drittland oder mehreren Drittländern oder zu restriktiven Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten (§ 215 Abs. 1 Satz 1 AEUV) wie den sog. Islamischen Staat. Auf der zweiten Stufe kann der Rat sodann entsprechende Wirtschaftssanktionen verhängen.8 5 EuGH (Fußn. 1) Rn. 63. 6 Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 215 AEUV Rn. 22. 7 Die vom UN-Sicherheitsrat am 17.12.2015 verabschiedete Resolution 2253 (2015) sieht die Isolation von Banken vom internationalen Zahlungsverkehr zwischen Banken als Maßnahme nicht vor. Maßnahmen dieser Resolution sind das Einfrieren von Vermögenswerten, Reiseverbote, Waffenembargo und die Festlegung von Kriterien für die Aufnahme in einer Sanktionsliste; vgl. UN-Resolution 2253 (2015) S. 6-8, abrufbar unter: http://www.un.org/depts/german/sr/sr_15/sr2253.pdf. 8 Dazu näher Schneider/Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 215 AEUV, Rn. 15 (Stand Mai 2014). Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 – 42/16 Seite 5 3.3. Die Art der zu verhängenden Wirtschaftssanktionen Auf Grundlage des Art. 215 AEUV können alle Bereiche und Arten von Wirtschafts- und Finanzsanktionen erlassen werden,9 mithin auch Beschränkungen von Kapitalbewegungen und des Zahlungsverkehrs 10, auch dergestalt, dass Banken in vom IS besetzten Gebieten vom Zahlungsverkehr mit Banken außerhalb dieser Gebiete isoliert werden. Regelmäßig erlässt der Rat „Maßnahmen“ in diesem Sinne in der Rechtsform der Verordnung (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Diese Maßnahmen können auch gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten wie den IS erlassen werden. In seiner Entscheidung in der Rechtssache C-130/10 führt der EuGH aus: „Aus dem Vorstehenden folgt, dass Art. 215 Abs. 2 AEUV die Rechtsgrundlage für restriktive Maßnahmen, einschließlich Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, darstellen kann, die die Union gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten ergreift, wenn der Beschluss, diese Maßnahmen zu erlassen, zum Handeln der Union im Rahmen der GASP gehört.“11 Das Erforderlichkeitskriterium in Art. 215 AEUV weist darauf hin, dass Wirtschaftssanktionen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen.12 Als Wirtschaftssanktion wäre die Isolation von Banken im vom IS besetzten Gebiet Syriens und des Irak vom Zahlungsverkehr mit Banken außerhalb des besetzten Gebiets - u.a. vom SWIFT-System - nur verhältnismäßig, wenn es zu einer derartigen Sanktion kein milderes Mittel zur Erreichung des damit angestrebten Ziels gäbe. Da vermutlich die Umsetzung der in Frage stehenden Wirtschaftssanktion technisch durch die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT), einer Genossenschaft belgischen Rechts13, erfolgen müsste, müsste diese Maßnahme mit deren Grundrechte, insb. dem Grundrecht auf Eigentum14 und auf freie Berufsausführung - sowie auch mit den Grundrechten der von dieser Maßnahme betroffenen Banken - vereinbar sein15, was nur auf Grundlage eines konkret ausgestalteten Rechtsaktes, mit dem eine derartige Sanktion verhängt wird, beurteilt werden könnte. 9 Vgl. Schneider/Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 215 AEUV, Rn. 8. 10 EuGH (Fußn. 1) Rn. 60 ff. 11 EuGH (Fußn. 1) Rn. 65. 12 Dazu näher Schneider/Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 215 AEUV, Rn. 10. 13 Vgl. die Homepage von SWIFT, abrufbar unter: https://www.swift.com/about-us , und Höhne, AnwZert ITR 10/2010, Anm. 3. 14 Zur Bedeutung des Grundrechts auf Eigentum im Rahmen von Wirtschaftssanktionen vgl. EuGH, verb. Rs. C‑402/05 P und C‑415/05 P, Urt. v. 3.09.2008. 15 SWIFT könnte ihre Inanspruchnahme zur Umsetzung der in Frage stehenden Wirtschaftssanktion die zuständigen europäischen Gerichte anrufen. Nach Art. 215 Abs. 3 AEUV müssen Rechtsakte, mit denen restriktive Maßnahme nach dieser Bestimmung verhängt werden, Regelungen zum Rechtsschutz vorsehen. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 – 42/16 Seite 6 3.4. Vollzug der Wirtschaftssanktionen Der Vollzug von Sanktionsmaßnahmen obliegt den Mitgliedstaaten der EU.16 Dies begrenzt insoweit die Reichweite des Sanktionsregimes der EU, als andere Staaten als die Mitgliedstaaten der EU zu deren Ausführung nicht verpflichtet sind. - Fachbereich Europa - 16 Schneider/Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 215 AEUV, Rn. 23 f.