© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 42/15 Regulierung von Kosmetika im Rahmen der Verhandlungen für ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 2 Regulierung von Kosmetika im Rahmen der Verhandlungen für ein transatlantisches Handelsund Investitionsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 42/15 Abschluss der Arbeit: 24. März 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Begriffsbestimmungen 4 2.1. Standards – Schutzniveau – technische Vorschriften 4 2.2. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung im Wirtschaftsvölkerrecht und (Wirtschafts-)Unionsrecht 5 3. Variation gegenseitiger Anerkennung in bi- und multilateralen Abkommen 7 4. Regelungen zu Kosmetika 10 4.1. Der Begriff der Kosmetika im Unionsrecht 10 4.2. Beispiele für die Behandlung von Kosmetika in Freihandelsabkommen 10 4.3. Vorläufige Position der Kommission hinsichtlich TTIP 11 5. Zusammenfassung 11 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung setzt sich mit der Frage der gegenseitigen Anerkennung von Standards in völkerrechtlichen Freihandelsabkommen und insbesondere den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) auseinander. Hierbei geht die Ausarbeitung zunächst darauf ein, ob es eine allgemein gültige Definition für den Begriff der gegenseitigen Anerkennung von Standards gibt (hierzu 2.) und inwieweit in völkerrechtlichen Verträgen individuelle Ausgestaltungen der gegenseitigen Anerkennung vereinbart werden können, die von einer allgemeinen Definition abweichen (hierzu 3.). Abschließend werden die potenziellen Wirkungen einer gegenseitigen Anerkennung im Kontext der TTIP-Verhandlungen für den Bereich von Kosmetikprodukten sowie die Frage erörtert, ob eine Regelung gegenseitiger Anerkennung zur Folge hätte, dass Kosmetikprodukte, die in den USA zugelassen sind, aber Vorschriften der EU widersprechen, dennoch im Markt der EU vertrieben werden könnten (hierzu 4.). 2. Begriffsbestimmungen 2.1. Standards – Schutzniveau – technische Vorschriften Im Wirtschaftsvölkerrecht gibt es zumindest zwei sehr unterschiedliche Auffassungen vom Begriff „Standard“. Einerseits wird dem Begriff des Standards in der öffentlichen Diskussion über Freihandelsabkommen häufig ein Verständnis zugrunde gelegt, das auf ein gewisses Schutz- und Regulierungsniveau verweist.1 In diesem Sinne, aber unter einem anderen Namen, kommt dieses Konzept als Rechtsbegriff „level of protection“ (Schutzniveau) im Wirtschaftsvölkerrecht vor.2 Jedoch wird der Begriff in diesem Kontext für Rechtfertigungstatbestände eingesetzt, die dazu dienen, auch bei einer bi- bzw. multilateralen völkerrechtlichen Vereinbarung über die Anerkennung bzw. Setzung von Standards unter bestimmten Bedingungen das (höhere) nationale Schutzniveau wahren zu können.3 Demgegenüber kommt der Begriff „Standard“ als solcher beispielsweise im englischen Wortlaut des Abkommens der WTO über technische Handelshemmnisse (Agreement on Technical Barriers to Trade, sog. TBT-Abkommen)4 vor und wird als Regelung über Waren, zugehörige Verfahren und Erzeugungsmethoden verstanden, deren Einhaltung nicht zwingend ist (Annex 1.2 TBT). Darüber hinaus lassen sich dem Begriff des Standards bei einem 1 Vgl. beispielsweise http://www.tagesschau.de/wirtschaft/usa-freihandel102.html, http://www.heute.de/freihandelsabkommen -ttip-gabriel-verspricht-hohe-standards-37433522.html oder http://www.deutschlandfunk .de/freihandelsabkommen-wie-ttip-nationale-standards-aushebeln.724.de.html?dram:article_id=291542. 2 Vgl. bspw. Art. 15 Abs. 1 des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:21999A0204(01)&from=EN. 3 Vgl. dementsprechend Art. 3 Abs. 3 Abkommens der WTO zu gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen (WTO Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures, sog. SPS-Abkommen), abrufbar unter https://www.wto.org/english/tratop_e/sps_e/spsagr_e.htm. 4 Agreement on Technical Barriers to Trade, abrufbar unter https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/17- tbt_e.htm. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 5 weiten Verständnis auch „technische Vorschriften“ im Sinne des TBT-Abkommens zuordnen, welche Merkmale für Produkte sowie Verfahren und Erzeugungsmethoden normieren, deren Beachtung zwingend ist (Annex 1.1 TBT). 2.2. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung im Wirtschaftsvölkerrecht und (Wirtschafts-)Unionsrecht Gegenseitige Anerkennung ist ein rechtliches Prinzip bzw. eine Regelungstechnik des Wirtschaftsvölkerrechts , die Handel zwischen Rechtsordnungen liberalisieren und damit wirtschaftliche Integration zwischen ihnen fördern soll.5 Hierbei geht es im Grundsatz darum, Zertifizierungen und ähnliche hoheitliche Entscheidungen aus der Herkunftsrechtsordnung wie beispielsweise Produktzulassungen oder Sicherheitsüberprüfungen rechtlich in der Bestimmungsrechtsordnung gelten zu lassen, sodass die Einfuhr der jeweiligen Produkte nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Zulassung in der Bestimmungsrechtsordnung steht.6 Die gegenseitige Anerkennung vermeidet für ihren Anwendungsbereich eine zweite Evaluierung des zu importierenden Produkts. Es werden aber nicht nur Produkte und deren Merkmale (z.B. gesundheitliche Unbedenklichkeit ), sondern auch Leistungen und persönliche Merkmale wie beispielsweise berufliche und akademische Abschlüsse gegenseitig anerkannt. Am weitesten fortgeschritten ist die gegenseitige Anerkennung im Rechtsraum der Europäischen Union (EU),7 gefördert durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Cassis de Dijon.8 Danach sind Waren, die in einem Mitgliedstaat für handelsbeschränkende Maßnahmen der EU hergestellt wurden, grundsätzlich frei handelbar, sofern sich der betreffende Mitgliedstaat nicht auf aner- 5 Vgl. Stephenson, Mutual recognition and its role in trade facilitation, Journal of world trade 33 (1999), S. 141 (146 f.) in Bezug auf Abkommen zu gegenseitiger Anerkennung. 6 Mathis, Mutual recognition agreements, Journal of world trade 32 (1998), 5 (8): “what is legal to produce and sell in one territory should be legal to market in another”. 7 Vgl. zur Entwicklung Weiler, Mutual Recognition, Functional Equivalence and Harmonization in the Evolution of the European Common Market and the WTO, in: Schioppa (Hrsg.), The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, 2005, S. 25 ff.; Janssens, The principle of mutual recognition in EU law, 2013, S. 67 ff. 8 EuGH, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), vgl. hierzu auch Müller-Graff, Gegenseitige Anerkennung im Europäischen Unionsrecht, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 2012, 72 (73). Für die Frage, ob die gegenseitige Anerkennung globalen Regelungen der Welthandelsorganisation zuwiderlaufen könnte, weil Drittstaaten durch die regionale Integration benachteiligt würden vgl. Bartels, The Legality of the EC Mutual Recognition Clause under WTO Law, Journal of International Economic Law 8 (2005), S. 691 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 6 kannte Rechtfertigungsgründe wie beispielsweise die öffentliche Sicherheit oder Gesundheit stützen kann.9 Über diese warenbezogene Anerkennung hinaus bestehen in der EU zahlreiche weitere Unionsregeln zur EU-weiten Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen.10 Das Komplementärprinzip zur gegenseitigen Anerkennung ist die Harmonisierung, die eine gesteigerte Integration zur Voraussetzung hat, indem sich die beteiligten Rechtsordnungen von vornherein auf gleiche Regelungen und Zulassungsverfahren einigen.11 Beispielhaft hierfür stehen die Harmonisierungen innerhalb der europäischen Rechtsordnung. So müssen beispielsweise nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1223/200912 Kosmetika vor dem Inverkehrbringen eine Sicherheitsbewertung durchlaufen, um die Konformität mit dem Ziel der Verordnung , die menschliche Gesundheit zu sichern, zu gewährleisten. Außerdem werden nach Art. 14 der Verordnung bestimmte Stoffe in Kosmetika verboten bzw. eingeschränkt. Von diesen „Standards “ dürfen die EU-Mitgliedstaaten in ihren internen Verfahren und gesetzlichen Regelungen nicht abweichen. Der Vorteil der gegenseitigen Anerkennung wird häufig darin gesehen, dass Handelsliberalisierung auch ohne aufwändige Harmonisierung von Vorschriften und Verfahren erreicht werden kann.13 Die Regelungen über Produkte der jeweiligen Rechtsordnung werden durch die gegenseitige Anerkennung nicht berührt und müssen nicht an ein neu zu verhandelndes Niveau angepasst werden – unterschiedliche nationale Regelungen bleiben bestehen. Das bedeutet, dass gegenseitige Anerkennung eine Kooperation und Integration von Wirtschaftsordnungen trotz Differenz ermöglicht. Gegenseitige Anerkennung setzt gleichwohl ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen darüber voraus, dass die beteiligten Rechtsordnungen über ein hinreichendes Schutzniveau für bedeutsam erachtete Rechtsgüter wie Gesundheit oder Verbraucherschutz verfügen, da 9 Vgl. hierzu die Verordnung (EG) Nr. 764/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 3052/95/EG, ABl. L 218/21, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008R0764&qid=1427225518107&from=DE; Arbeitsunterlage der Kommission, Leitlinie zum Begriff „rechtmäßig in den Verkehr gebracht“ nach der Verordnung (EG) Nr. 764/2008 über die gegenseitige Anerkennung, KOM(2013) 592 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52013DC0592&qid=1427225689049&from=DE sowie Schmidt, Mutual recognition as a new mode of governance, Journal of European Public Policy 14 (2007), S. 667 (673). 10 Vgl. beispielsweise die Richtlinie 2005/36 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. L 255/22, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32005L0036&from=DE sowie Möstl, Preconditions and limits of mutual recognition, Common Market Law Review 47 (2010 ), 405 (413). 11 Vgl. Schmidt, Mutual recognition as a new mode of governance, Journal of European Public Policy 14 (2007), S. 667 (672). 12 Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel, ABl. L 342/59, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1223&qid=1427213520880&from=DE. 13 Davies, Is Mutual Recognition an Alternative to Harmonization? Lessons on Trade and Tolerance of Diversity from the EU, in: Bartels/Ortino (Hrsg.), Regional Trade Agreements and the WTO Legal System, 2006, S. 265 (266). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 7 beispielsweise ein bestimmtes Ergebnis vereinbart, der Weg dorthin aber freigestellt werden kann.14 Es überrascht daher nicht, dass in aller Regel Staaten Abkommen zu gegenseitiger Anerkennung abschließen, die über ähnliche wirtschaftliche Verhältnisse verfügen.15 Das Verhältnis von gegenseitiger Anerkennung und Harmonisierung wird jedoch nicht als reines Alternativverhältnis angesehen. So sei die gegenseitige Anerkennung eine faktische Vorstufe zur Harmonisierung bzw. könnte harmonisierende Vorschriften vorbereiten, wenn sich Produkte aufgrund gegenseitiger Anerkennung durchsetzten.16 Zudem wird argumentiert, dass das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zu einem Verlust an einseitiger Regulierungshoheit führen könne, da die ausländische Produktion von nationalen Regelungen nicht berührt werde und dementsprechend die Dominanz ausländischer Produkte zu einer faktischen Angleichung von „Standards“ zwischen Rechtsordnungen führen könne, die gegenseitige Anerkennung vereinbart haben.17 3. Variation gegenseitiger Anerkennung in bi- und multilateralen Abkommen Angesichts der Vielzahl von Abkommen wird die gegenseitige Anerkennung höchst unterschiedlich geregelt. Im globalen Maßstab werden vor allem bi-, aber teilweise auch multilaterale Abkommen der gegenseitigen Anerkennung geschlossen, sog. Mutual Recognition Agreements (MRA). In diesen werden bestimmte Regelungsgebiete der gegenseitigen Anerkennung geöffnet.18 Gegenseitige Anerkennung kann aber auch in sachlich weiteren Freihandelsabkommen integriert werden. 14 Nicolaïdis/Shaffer, Transnational mutual recognition regimes: governance without global government, Law and Contemporary Problems 68 (2005), S. 263 (264 f., 293 f.) sowie ebd., S. 286: “regulatory compatibility”; Krajewski , Wirtschaftsvölkerrecht, 3. Aufl. 2010, Rn. 376; vgl. auch Müller-Graff, Gegenseitige Anerkennung im Europäischen Unionsrecht, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 2012, 72 (73); Europäische Kommission , Pressemitteilung vom 27. November 2013, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13- 1166_de.htm. 15 Zúñiga Schroder, Harmonization, equivalence and mutual recognition of standards in WTO law, 2011, S. 133 (“similar levels of development”); vgl. auch ebd., S. 134 mit einer Statistik. Vgl. für den Dienstleistungsbereich auch Marchetti/Mavroidis, I now recognize you (and only you) as equal: an anatomy of (mutual) recognition agreements in the GATS, in: Lianos/Odudu (Hrsg.), Regulating trade in services in the EU and the WTO, 2012, S. 415 (434 ff.), die darauf hinweisen, dass Anerkennungsabkommen am häufigsten zwischen Ländern mit geographischer Nähe, gleicher Sprachfamilie und ähnlichen wirtschaftlichen Verhältnissen geschlossen wurden. 16 Davies, Is Mutual Recognition an Alternative to Harmonization? Lessons on Trade and Tolerance of Diversity from the EU, in: Bartels/Ortino (Hrsg.), Regional Trade Agreements and the WTO Legal System, 2006, S. 265 (270 f.). Vgl. ebenso auch Kerber/Van den Bergh, Mutual recognition in the global trade regime: lessons from the EU experience, in: Lianos/Odudu (Hrsg.), Regulating trade in services in the EU and the WTO, 2012, S. 121 (125 f.). 17 Kerber/Van den Bergh, Mutual recognition in the global trade regime: lessons from the EU experience, in: Lianos /Odudu (Hrsg.), Regulating trade in services in the EU and the WTO, 2012, S. 121 (134f.); für das Unionsrecht auch Möstl, Preconditions and limits of mutual recognition, Common Market Law Review 47 (2010 ), S. 405 (411). 18 Kerber/Van den Bergh, Mutual recognition in the global trade regime: lessons from the EU experience, in: Lianos /Odudu (Hrsg.), Regulating trade in services in the EU and the WTO, 2012, S. 121 (124). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 8 Grundlage solcher – häufig bilateralen – Anerkennungsabkommen sind Ermächtigungsnormen im Rahmen des WTO-Systems. Nach Art. VII des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS)19 kann ein Mitgliedstaat auf dem Gebiete der Dienstleistungserbringung Berufsabschlüsse und Zulassungen aus anderen Ländern entweder autonom oder in Vereinbarungen mit anderen Staaten unter bestimmten Bedingungen wie beispielsweise dem Diskriminierungsverbot und der Offenheit für andere Staaten anerkennen . Nach Art. 6.3 des TBT-Abkommens können WTO-Mitglieder Abkommen über die Anerkennung von Konformitätsbewertungen abschließen.20 Über 100 davon sind bei der WTO zertifiziert , einschließlich solcher Verträge wie beispielsweise Freihandelsabkommen, die Regelungen über technische Vorschriften beinhalten.21 Nach Art. 4.2 des SPS-Abkommens können Mitgliedstaaten im Rahmen der WTO Abkommen über die Anerkennung der Äquivalenz von Maßnahmen zum Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen schließen. Der Grad gegenseitiger Anerkennung kann zunächst danach variieren, wie stark die rechtliche Bindung im jeweiligen Vertrag ausgestaltet ist. Die gegenseitige Anerkennung kann beispielsweise als Rechtspflicht, als Option oder als künftiges Regelungsziel22 niedergelegt sein.23 Dementsprechend entscheidet die materielle Regelungsstruktur des jeweiligen Abkommens über den Anwendungsbereich der gegenseitigen Anerkennung. Gegenseitige Anerkennung von „Standards“ und technischen Vorschriften ist überdies regelmäßig auf die Sektoren und Produkte beschränkt, die im jeweiligen Abkommen positiv ausgezeichnet sind.24 So betrifft dies beispielsweise im Ab- 19 Abrufbar unter https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/legal_e.htm#services. 20 Eine einseitige Anerkennung fremder Vorschriften ist ebenfalls möglich – hier setzt Art. 2.7 TBT nur eine wohlwollende Prüfung voraus, ob das Produkt den eigenen Vorschriften ausreichend entspricht. Art. 6 TBT gestattet, es den Vertragsparteien die einseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen von Konsultationen abhängig zu machen. 21 Zúñiga Schroder, Harmonization, equivalence and mutual recognition of standards in WTO law, 2011, S. 131. 22 S. z.B. Understanding 4 des ausgehandelten Freihandelsabkommens der EU mit Singapur, danach bemühen sich die Parteien, die gegenseitige Anerkennung der Programme über zugelassene Wirtschaftsbeteiligte (Authorised Economic Operator, AEO) zu verwirklichen; das Abkommen ist abrufbar unter http://trade.ec.europa .eu/doclib/press/index.cfm?id=961. 23 Vgl. für Dienstleistungen Marchetti/Mavroidis, I now recognize you (and only you) as equal: an anatomy of (mutual ) recognition agreements in the GATS, in: Lianos/Odudu (Hrsg.), Regulating trade in services in the EU and the WTO, 2012, S. 415 (426). 24 Vgl. Nicolaïdis/Shaffer, Transnational mutual recognition regimes: governance without global government, Law and Contemporary Problems 68 (2005), S. 263 (280). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 9 kommen über gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft (EG) und den USA25 Telekommunikationsgeräte, elektromagnetische Verträglichkeit , elektrische Sicherheit, Sportboote, Gute Herstellungspraxis (GMP) für Arzneimittel und Medizinprodukte.26 Für nicht erfasste Sektoren und Produkte gilt, dass sich Importeure aus Drittstaaten an die jeweils geltenden Import- und Zulassungsregelungen halten müssen. Ebenfalls kann danach unterschieden werden, ob bestimmte Zertifizierungen auf Grundlage harmonisierter Regelungen gegenseitig anerkannt werden oder ganze Regelungskomplexe auf bestimmte Produkte oder Produktsektoren anwendbar sind.27 So vielfältig die materielle Regelung gegenseitiger Anerkennung sein kann, so vielfältig können auch Einschränkungen und Ausnahmen geregelt sein, die gegenseitige Anerkennung stets treffen .28 So bestimmt Art. 15 des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung zwischen der EG und den USA, dass die Regelungshoheit der Vertragsparteien unberührt bleibt, den jeweils aus ihrer Sicht ausreichenden Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen zu gewährleisten und zu den entsprechenden Maßnahmen zu ermächtigen.29 Obgleich Kosmetika von diesem Abkommen nicht erfasst werden, sind damit ähnliche Maßnahmen angesprochen, die auch EU-Mitgliedstaaten im Falle von Kosmetika ergreifen können: Nach Art. 27 Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 können die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die Verordnung die erforderlichen Maßnahmen treffen, also das Produkt vom Markt nehmen, einen Rückruf veranlassen oder auf sonstige Weise die Verfügbarkeit des Produkts einschränken. 25 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über die gegenseitige Anerkennung - Gemeinsame Erklärung, ABl. L 31/3, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:21999A0204(01)&from=DE sowie hierzu Beschluss 1999/78/EG des Rates vom 22. Juni 1998 über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über die gegenseitige Anerkennung, ABl. L 31/3, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31999D0078&from=DE, vgl. hierzu Osterheld, Abkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, 2002, S. 77 ff. 26 Vgl. auch das entsprechende Abkommen mit Kanada, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:21998A1016(01)&from=EN. Welche Sektorenannexe operativ sind, findet sich unter http://ec.europa.eu/growth/single-market/goods/international-aspects/mutual-recognition-agreements/index _en.htm. Anerkennungsabkommen der EU gibt es überdies noch mit Australien, Neuseeland, Israel, Japan und der Schweiz. 27 Vgl. Schmidt, Mutual recognition as a new mode of governance, Journal of European Public Policy 14 (2007), 667 (676). 28 So auch für das Unionsrecht im Hinblick auf die Cassis-Rechtsprechung des EuGH Müller-Graff, Gegenseitige Anerkennung im Europäischen Unionsrecht, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 2012, S. 72 (80); Möstl, Preconditions and limits of mutual recognition, Common Market Law Review 47 (2010 ), S. 405 (411). 29 Vgl. z.B. auch Art. 2.14 Abs. 1 des Freihandelsabkommens der EU mit Singapur, gemäß dem Art. XX GATT durch das Abkommen nicht berührt ist, sodass im Rahmen der Verhältnismäßigkeit handelsbeschränkende Gesundheitsvorschriften weiter möglich bleiben. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 10 4. Regelungen zu Kosmetika 4.1. Der Begriff der Kosmetika im Unionsrecht Ausgangspunkt der Behandlung von Kosmetika in Freihandelsabkommen der EU bildet aus Unionssicht zunächst das unionsrechtlich insbesondere durch die Verordnung (EG) Nr. 1223/200930 konkretisierte Verständnis von Kosmetika. Nach Art. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 sind kosmetische Mittel „Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und äußere intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen“. Es handelt sich bei Kosmetika nicht um medizinische Produkte.31 Sachspezifische Regelungen in (wirtschafts-)völkerrechtlichen Abkommen, die sich mit pharmazeutischen bzw. medizinischen Produkten befassen, wirken sich somit nicht auf Kosmetika im hier behandelten Sinne aus und werden dementsprechend in dieser Ausarbeitung nicht behandelt. 4.2. Beispiele für die Behandlung von Kosmetika in Freihandelsabkommen Die Abschnitte über die gegenseitige Anerkennung und zur Konformitätsbewertung im Entwurf für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA)32 erfassen keine Kosmetikprodukte im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009. Kosmetika sollen vielmehr den Regelungen zur regulatorischen Kooperation unterliegen (Kapitel 26 (Regulatory Cooperation), Art. X.7 Abs. 4 CETA). Demgegenüber sieht beispielsweise das Abkommen unter dem Dach der südostasiatischen Freihandelszone (Association of Southeast Asian Nations, ASEAN) die gegenseitige Anerkennung von Kosmetikprodukten vor.33 Für die Registrierung haben sich die beteiligten Staaten auf gemeinsame Inhalts-, Registrierungs- und Kennzeichnungsregeln verständigt, die sich an die Regelungen der EU-Kosmetikverordnung anlehnen. Für die Verbotsstoffe wird beispielsweise direkt auf die Verordnung verwiesen.34 Auch in diesem harmonisierten Schema gegenseitiger Anerkennung sind Ausnahmevorschriften für die Vertragsstaaten vorgesehen, indem sie beispielsweise 30 Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel, ABl. L 342/59, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1223&qid=1427213520880&from=DE. 31 Vgl. 6. Erwägungsgrund Verordnung (EG) Nr. 1223/2009. 32 Vertragsentwurf abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september/tradoc_152806.pdf. 33 Art. 2 Abs. 1 ASEAN Mutual Recognition Arrangement of Product Registration Approvals for Cosmetics, abrufbar unter http://agreement.asean.org/media/download/20140119114643.pdf. 34 Art. 4 Abs. 1 der ASEAN Cosmetic Directive, abrufbar unter http://agreement.asean.org/media/download /20140119114643.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 11 neue Inhaltsstoffe vorläufig zulassen und bei einer Gesundheitsgefährdung bzw. aus Gründen religiöser bzw. kultureller Sensibilität Produkte vorläufig verbieten oder bestimmten Einschränkungen unterwerfen können.35 4.3. Vorläufige Position der Kommission hinsichtlich TTIP In den Verhandlungen über ein TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA wurden bislang soweit ersichtlich noch keine Entscheidungen über gezielte Maßnahmen in Bezug auf Kosmetikprodukte getroffen. Aus den Verhandlungspositionen der Kommission ergibt sich, dass die Kommission insbesondere die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit für die Förderung der Konvergenz der Rechtsvorschriften im Kosmetiksektor, die Zulassung bzw. das Verbot bestimmter Inhaltsstoffe entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 (bspw. Farbstoffe, Konservierungsstoffe und UV-Filter) sowie die gegenseitige Anerkennung von Inspektionsergebnissen für Kosmetikprodukte im TTIP in Betracht zieht, sofern hierbei gleichwertige Schutzziele verfolgt werden .36 Diese Anerkennung sollte nach Ansicht der Kommission davon abhängig gemacht werden, dass entsprechende, bereits international vereinbarte Schutzstandards37 eingehalten werden oder dass sich die Vertragsparteien auf gleiche Standards einigen. Die Kommission verweist in ihrem Papier einerseits darauf, dass eine Einigung über abschließende Regelungen stattgefunden hat, andererseits darauf, dass die Verhandlungspartner auf bereits erfolge internationale Kooperation im Rahmen der International Cooperation on Cosmetics Regulation38 aufbauen können. Dass es bei einer potentiellen gegenseitigen Anerkennung von Sicherheitsprüfungen von Kosmetika zu einer Umgehung der EU-Kosmetikverordnung kommen dürfte, ist den Absichtserklärungen der Kommission nicht zu entnehmen.39 Für den Bereich der angestrebten gegenseitigen Anerkennung lässt sich feststellen, dass diese lediglich im Bereich äquivalenter Vorschriften angedacht ist; darüber hinaus würden die jeweiligen nationalen bzw. europäischen Regelungen weiter Geltung beanspruchen . 5. Zusammenfassung Gegenseitige Anerkennung bezeichnet einen Regelungsmechanismus in (wirtschafts-)völkerrechtlichen Verträgen, der Zulassungen und Prüfungen der Heimatrechtsordnung in der Gastrechtsordnung akzeptiert. Bei einem Grenzübertritt der Produkte bzw. der Dienstleistungen ist dementsprechend keine erneute Prüfung erforderlich. Dabei ist die gegenseitige Anerkennung in den bi- 35 Vgl. Art. 5 und 11 ASEAN Cosmetic Directive. 36 Für einen Überblick über die Verhandlungspositionen der Kommission vgl. The Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) Regulatory Issues. EU position on cosmetics vom 20. März 2015, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/may/tradoc_152470.pdf sowie http://trade.ec.europa.eu/doclib /docs/2015/january/tradoc_153006.4.2%20Cosmetics.pdf sowie Europäische Kommission, Trade Policy Committee 16/14, S. 16 ff. – LIMITED. 37 Beispielsweise die Anerkennung des internationalen Standards nach ISO 22716 (Cosmetics -- Good Manufacturing Practices (GMP)), abrufbar unter http://www.iso.org/iso/catalogue_detail?csnumber=36437. 38 Vgl. http://www.iccrnet.org/. 39 Vgl. BT-Drs. 18/4271, S. 3. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 42/15 Seite 12 und multilateralen Verträgen sehr individuell geregelt; die Regelungsunterschiede betreffen insbesondere den Verbindlichkeitsgrad und den sachlichen Anwendungsbereich der gegenseitigen Anerkennung. Die gegenseitige Anerkennung erfolgt dabei grundsätzlich bei gleichzeitiger Geltung von Ausnahmevorschriften beispielsweise für den Schutz der Gesundheit. In den derzeit geltenden Freihandelsabkommen der EU existieren, soweit ersichtlich, keine Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung von Produktstandards für Kosmetika. In ihrer vorläufigen Position zu Kosmetika im TTIP-Abkommen strebt die Europäische Kommission die gegenseitige Anerkennung bestimmter Sicherheitsprüfungen als Verhandlungsergebnis an, allerdings unter der Bedingung , dass äquivalente bzw. gleiche Schutzstandards eingehalten werden. Eine Umgehung des unionsrechtlichen Standards entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 soll hierdurch ausgeschlossen werden. - Fachbereich Europa -