© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 41/20 Zur Verankerung des Grundsatzes des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort im Unionsrecht und der Möglichkeit einer weitergehenden Verwirklichung Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 2 Zur Verankerung des Grundsatzes des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort im Unionsrecht und der Möglichkeit einer weitergehenden Verwirklichung Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 41/20 Abschluss der Arbeit: 20. Mai 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 5 2. Der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort 5 2.1. Im Lichte der Entsenderichtlinie 6 2.2. Verhältnis zu Gleichbehandlungsgeboten und dem Diskriminierungsgebot aus Gründen der Staatsangehörigkeit 7 2.2.1. Allgemeiner Gleichheitssatz 7 2.2.2. Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit 10 2.2.3. Primärrechtlicher Grundsatz der Entgeltgleichheit 13 2.2.4. Entgeltgleichheit im Falle von Teil- und Vollzeitbeschäftigten sowie von befristeten und unbefristet Beschäftigten 14 2.2.5. Entgeltgleichheit im Bereich der Leiharbeit 14 2.3. Fazit 16 3. Zur geltenden Umsetzung des Grundsatzes des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort in der Entsenderichtlinie und der Möglichkeit einer umfassenderen Verwirklichung 17 3.1. Zur Umsetzung in der Entsenderichtlinie und einer darüber hinausgehenden Verwirklichung 17 3.1.1. In Bezug auf die Entsendekonstellationen 17 3.1.1.1. Derzeit erfasste Entsendekonstellationen und Ausnahmen 18 3.1.1.1.1. Arbeitnehmerentsendung zur Erfüllung eines Werk- oder Dienstvertrags 18 3.1.1.1.2. Entsendung innerhalb von Unternehmen oder Unternehmensgruppen 18 3.1.1.1.3. Arbeitnehmerüberlassung bzw. Leiharbeit 19 3.1.1.1.4. Entsandte Arbeitnehmer 20 3.1.1.1.5. Ausnahmen 21 3.1.1.1.6. Fazit 22 3.1.1.2. Weitere Entsendekonstellationen? 22 3.1.1.3. Sachbereichsbezogene Reichweite und Erweiterung 23 3.1.2. Hinsichtlich der Bezugspunkte bzw. Rechtsquellen für Entlohnungsvorgaben 25 3.1.2.1. Entlohnung 25 3.1.2.2. Rechts- und Verwaltungsvorschriften 26 3.1.2.3. Tarifverträge oder Schiedssprüche 27 3.1.2.4. Weitere Bezugspunkte bzw. Rechtsquellen für Entlohnungsvorgaben? 29 3.2. Zur unionsrechtlichen Zulässigkeit der sekundärrechtlichen Verankerung des Grundsatzes des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort 29 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 4 3.2.1. In Bezug auf die Rechtsgrundlage 30 3.2.2. In Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit 33 4. Ergebnis 34 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 5 1. Fragestellung Die Wissenschaftlichen Dienste und der Fachbereich Europa sind um die Beantwortung mehrerer Fragen im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU sowie der geänderten Entsenderichtlinie1 (im Folgenden auch: RL 96/712) und ihrer Umsetzung ins deutsche Recht ersucht worden. Die vorliegende Ausarbeitung des Fachbereichs Europa geht der in diesem Zusammenhang gestellten Frage nach, welche Schritte die EU gehen müsse, um den Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort umfassend zu verwirklichen. Um dies zu beantworten, ist zunächst auf den Grundsatz in Gestalt seiner bisherigen Verankerung im Unionsrecht sowie auf mit ihm im Zusammenhang stehend angesehene Gleichheitsgewährleistung einzugehen (2.). Anschließend ist die Reichweite seiner geltenden Umsetzung im Unionsrecht zu untersuchen und hiervon ausgehend zu fragen, ob und ggf. unter welchen Gesichtspunkten eine darüber hinausgehende (umfassendere) Verwirklichung in Betracht kommt (3.). 2. Der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort Soweit ersichtlich, spielt der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort (im Folgenden: Grundsatz) bisher nur im Zusammenhang mit der Entsenderichtlinie und insbesondere ihrer 2018 geänderten Fassung eine Rolle.3 Eine Erwähnung oder Bedeutung in anderen unionsrechtlichen Kontexten ist – ungeachtet einiger in diese Richtung 1 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl.EU 1997 Nr. L 18/1. Die letzte konsolidierte Fassung beinhaltet die durch die Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (im Folgenden: Änderungsrichtlinie oder RL 2018/957), ABl.EU 2018 Nr. L 173/16, eingefügten Änderungen. 2 Soweit nicht anders bezeichnet wird auf die Artikel der Entsenderichtlinie in der geänderten Fassung Bezug genommen. 3 Siehe etwa die elf Trefferangaben in der Datenbank juris unter dem Stichwort „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 6 deutbaren Formulierungen seitens der Kommission4 oder im Schrifttum5 – nicht erkennbar .6 Aus diesem Grund wird der Grundsatz im Folgenden am Beispiel der einschlägigen Bestimmungen in der Entsenderichtlinie näher erläutert (2.1). Anschließend ist er dann zu verschiedenen anderen gleichheitsrechtlichen Gewährleistungen, auf die im Zusammenhang mit den Änderungen der Entsenderichtlinie verwiesen wird, ins Verhältnis zu setzen (2.2.). 2.1. Im Lichte der Entsenderichtlinie Die Entsenderichtlinie erfasst eine besondere Konstellation der primärrechtlich verankerten Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 f. AEUV), nämlich die grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern des Dienstleistungserbringers in den Mitgliedstaat des Dienstleistungsempfängers (vgl. Art. 1 Abs. 1 RL 96/71). In Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit, die sich durch eine dauerhafte wirtschaftliche Ansiedlung bzw. Betätigung in einem anderen Mitgliedstaat auszeichnet (vgl. Art. 49 Abs. 2 AEUV),7 darf ein Dienstleistungserbringer seine Tätigkeit im Mitgliedstaat des Empfängers nur vorübergehend ausüben (vgl. Art. 57 Abs. 3 AEUV). Die Entsenderichtlinie legt für die vorübergehende Entsendung von Arbeitnehmern des Dienstleistungserbringers in einen anderen Mitgliedstaat fest, welche zwingenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen dort für die Arbeitnehmer während dieser Zeit zur Anwendung kommen sollen und verpflichtet die Mitgliedstaaten, dies im Wege der Umsetzung in innerstaatliches Recht sicherzustellen. In Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71 heißt es insoweit: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte auf der Grundlage der Gleichbehandlung die Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind […].“ 4 So spricht die Kommission im Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, KOM(2016) 128 endg., S. 2., davon, dass durch die vorgeschlagene Überarbeitung der Entsenderichtlinie „der Grundsatz der gleichen Entlohnung […] gefördert werden soll.“ 5 So führt Kellerbauer, Zur Reform der EU-Entsenderichtlinie: Arbeitnehmerschutz durch gleichen Lohn für gleiche Arbeit?, EuZW 2018, S. 846 (850) aus, dass mit der sogleich darzustellenden Änderung hinsichtlich der Vorgaben zum Entgelt in der Entsenderichtlinie „der Grundsatz der gleichen Entlohnung […] bekräftigt werden soll.“ 6 Riesenhuber, Die Änderungen der arbeitsrechtlichen Entsenderichtlinie, NZA 2018, S. 1433 (1437),etwa bezeichnet den Grundsatz als „Schlagwort“ in der politischen Diskussion. 7 Siehe hierzu etwa Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 49 AEUV, Rn. 11 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 7 Zu diesen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gehörten nach der ursprünglichen Fassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 die „Mindestlohnsätze“. Gemäß der geänderten Version ist den entsandten Arbeitnehmern nunmehr die (gleiche) „Entlohnung“ zu gewährleisten. Hiervon ausgehend ist der Grundsatz als Verpflichtung des entsendenden Unternehmens zu verstehen, seinen zur grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen in einen anderen Mitgliedstaat entsandten Arbeitnehmern in diesem Zeitraum den gleichen Lohn zu zahlen, wie er für die betreffende Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat für die dort ansässigen Unternehmen hinsichtlich deren Arbeitnehmer vorgesehen ist. Er adressiert somit in erster Linie entsendende Unternehmen im Verhältnis zu den in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen im Hinblick auf die Entlohnung der Arbeitnehmer, soweit hierfür zwingende rechtliche Vorgaben bestehen. 2.2. Verhältnis zu Gleichbehandlungsgeboten und dem Diskriminierungsgebot aus Gründen der Staatsangehörigkeit Die oben zitierte Formulierung in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71, wonach die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und damit auch die Entlohnung „auf Grundlage der Gleichbehandlung “ zu garantieren sind, wurde ebenfalls erst mit der Änderung der Entsenderichtlinie in diesen Unterabsatz eingefügt. Im 6. Erwägungsgrund der Änderungsrichtlinie findet sich zudem eine Aufzählung mehrerer Gleichbehandlungsgrundsätze, die als rechtsdogmatische Fundierung oder zumindest Flankierung des Grundsatzes gedeutet werden könnte. Er lautet: „Der Gleichbehandlungsgrundsatz [2.3.1] und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit [2.3.2] sind seit den Gründungsverträgen im Unionsrecht verankert. Der Grundsatz des gleichen Entgelts [2.3.3] wurde im Sekundärrecht umgesetzt, nicht nur für Frauen und Männer, sondern auch für Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen und vergleichbare Arbeitnehmer mit unbefristeten Verträgen, für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte [2.3.4] sowie für Leiharbeitnehmer und vergleichbare Arbeitnehmer des entleihenden Unternehmens [2.3.5.]. Diese Grundsätze umfassen das Verbot aller Maßnahmen , die eine direkte oder indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstellen. […]“8 Im Folgenden sollen diese Gewährleistungen und der Grundsatz zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, um ihn in dem Reigen dieser unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote rechtlich besser verorten zu können. 2.2.1. Allgemeiner Gleichheitssatz Mit dem im Zitat in Bezug genommenen Gleichbehandlungsgrundsatz dürfte der allgemeine Gleichheitssatz gemeint sein, der als EU-Grundrecht mittlerweile in Art. 20 GRC 8 Hervorhebung und Ergänzung durch Verfasser. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 8 ausdrücklich im EU-Primärecht geregelt ist.9 Er verbietet vergleichbare Sachverhalte ungleich und unterschiedliche Sachverhalte gleich zu behandeln, soweit die entsprechende Ungleich- bzw. Gleichbehandlung nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist.10 Im Verhältnis zum Grundsatz ist in funktionaler Hinsicht zunächst zu beachten, dass Art. 20 GRC wie auch andere Unionsgrundrechte primär die EU binden und vor deren Hoheitsgewalt schützen sollen, vgl. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC.11 Eine Bindung der Mitgliedstaaten besteht nur insoweit, als diese Unionsrecht „durchführen“, vgl. ebenfalls Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC, im Kern also als verlängerter Arm der unionalen Hoheitsgewalt tätig werden.12 Der allgemeine Gleichheitssatz ist daher vor allem bei der Sekundärrechtssetzung der Union als Prüfungsmaßstab zu beachten. Er stellt dagegen keine Rechtsgrundlage für den Erlass von EU-Rechtsakten dar (vgl. allgemein Art. 51 Abs. 2 GRC), noch ist ihm ein auf allgemeine Gleichbehandlung gerichteter inhaltlich Rechtssetzungsauftrag zu entnehmen. Außerhalb der Sekundärechtsetzung und damit im Zusammenhang stehender Handlungen der Mitgliedstaaten findet der unionale allgemeine Gleichheitssatz somit keine Anwendung. Diese funktionelle Ausrichtung des allgemeinen Gleichheitssatzes ist im Kontext des Grundsatzes und seiner Verankerung in der Entsenderichtlinie jedenfalls insoweit nicht berührt , als damit nicht die Beseitigung einer unional veranlassten und gegen Art. 20 GRC verstoßenden Ungleichbehandlung beabsichtigt wird. Hierfür finden sich weder in den Erwägungsgründen der Änderungsrichtlinie Hinweise, noch stand ein solcher Vorwurf – soweit ersichtlich – im Zusammenhang der ursprünglichen Fassung der Entsenderichtlinie und der durch die gewährleisteten Mindestlohnsätze im Raum. Die Kommission und der Unionsgesetzgeber verfolgen mit der betreffenden Änderung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 vielmehr ein positives Gestaltungsanliegen. Erstere spricht in ihrem Vorschlag insoweit von einer Förderung des Grundsatzes.13 Und der Unionsgesetzgeber 9 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der allgemeine Gleichheitssatz, ebenso wie andere Unionsgrundrechte und im Gegensatz zum Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit kaum als „seit den Gründungsverträgen im Unionsrecht verankert“ bezeichnet werden kann. Die Unionsgrundrechte wurden erst im Lauf der Integrationsgeschichte als ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze durch den EuGH entwickelt. Das insoweit zeitlich am weitesten zurückliegende Urteil, auf welches in den Erläuterungen zu Art. 20 GRC Bezug genommen wird, geht auf das Jahr 1984 zurück. 10 Vgl. mit entsprechenden Nachweisen aus der Rechtsprechung Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 20 GRC, Rn. 7 ff. u. 12 ff. 11 Siehe zu dieser funktionalen Ausrichtung der Unionsgrundrechte im Verhältnis zu den Grundfreiheiten und den sie prägenden Verboten der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit insbesondere Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 34-36 AEUV, Rn. 5-8. 12 Daneben sind die Mitgliedstaaten an Unionsgrundrechte gebunden, wenn sie in Grundfreiheiten oder andere subjektive Rechtspositionen des EU-Rechts eingreifen, siehe zu dieser anerkannten Fallgruppe der Rechtsprechung Jarass (Fn. 10), Art. 51 GRC, Rn. 24 f. 13 Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, KOM(2016) 128 endg., S. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 9 bringt in Erwägungsgrund Nr. 4 zum Ausdruck, dass er das der Entsenderichtlinie zugrunde liegende Spannungsverhältnis zwischen der Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit , der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen und dem Schutz der Recht der Arbeitnehmer neu justieren möchte.14 Und dieses Spannungsverhältnis findet seinen Ursprung eben nicht in unionalen Regelungen, sondern in dem Nebeneinander mitgliedstaatlicher Rechtsordnung und der fortbestehenden Lohnniveauunterschieden, die unionsseitig mangels Zuständigkeit für eine materielle Harmonisierung im Bereich des Arbeitsentgelts (vgl. Art. 153 Abs. 5 AEUV) jedenfalls nicht durch Angleichung der Löhne beseitigt werden können.15 In funktionaler Hinsicht ist Art. 20 GRC im vorliegenden Zusammenhang allenfalls insoweit von Bedeutung, als die Neufassung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 96/71 Anlass zu der Frage gibt, ob darin nicht eine rechtfertigungsbedürftige Gleichbehandlung von Ungleichen liegt. Denn die Verpflichtung zur Zahlung des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort setzt im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes voraus, dass entsendende und im Inland ansässige Unternehmen unter diesem Gesichtspunkt vergleichbar sind. Daran kann mit Blick auf die dauerhafte Verankerung des entsendenden Unternehmens und seiner Arbeitnehmer in einer anderen mitgliedstaatlichen Rechts-, Tarif- und Sozialordnung durchaus gezweifelt werden. Läge darin eine nach Art. 20 GRC grundsätzlich unzulässige Gleichbehandlung von Ungleichem, so bedürfte sie einer Rechtfertigung, um unionsrechtmäßig zu sein.16 Blendet man die funktionelle Divergenz aus, so bleiben allein materielle Bezugspunkte, die einen Zusammenhang zwischen dem Gleichheitssatz sowie dem Grundsatz und seiner Verankerung in der geänderten Entsenderichtlinie begründen könnten. Zwar verweisen Rechtsprechung und Vertreter im Schrifttum darauf, dass besondere Gleichbehandlungsgebote oder Diskriminierungsverbote als spezielle Ausprägungen des allgemeinen Gleichheitssatzes anzusehen seien.17 Und auch der Grundsatz lässt sich mit Blick auf seine spezifische Ausrichtung auf gleiche Entlohnung in der Entsendekonstellation als besonderes Gleichbehandlungsgebot verstehen. Die damit angesprochene Wechselwirkung dürfte sich jedoch allenfalls auf die dogmatische Grundstruktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes beziehen, 14 Satz 1 des Erwägungsgrundes Nr. 4 der Änderungsrichtlinie (Fn. 1) lautet: „Mehr als zwanzig Jahre nach Erlass der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates […] muss geprüft werden, ob sie immer noch für das richtige Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit der Förderung der Dienstleistungsfreiheit und der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen einerseits und zum anderen der Notwendigkeit des Schutzes der Rechte entsandter Arbeitnehmer sorgt.“ 15 Vgl. hierzu etwa Krebber, in: Calliess/Ruffert (Fn. 11), Art. 153 AEUV, Rn. 11. 16 Siehe zu Fragen nach der Vereinbarkeit mit Unionsrecht unten unter 3.2., S. 29 ff. 17 Siehe bspw. EuGH, Urt. v. 23.1.1997, Rs. C-29/95 (Pastoors), Rn. 14 (in Bezug auf das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 Abs. 1 AEUV); EuGH, Urt. v. 30.4.1996, Rs. C-13/94 (P. und S.), Rn. 17 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 10 die auch den besonderen Gleichbehandlungsgeboten und Diskriminierungsverboten zugrunde liegt. Sie betrifft jedoch nicht die rechtliche Existenz der letztgenannten.18 Besondere Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote bedürfen vielmehr der eigenständigen normativen Verankerung, sei es im EU-Primär- oder Sekundärrecht, wobei entsprechende Normierungen im letztgenannten Fall aufgrund des Prinzips der Einzelermächtigung (vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 EUV) stets eine primärrechtlichen Rechtsgrundlage erfordern. Wie oben schon ausgeführt, kann für den Grundsatz insoweit nur auf die geänderte Entsenderichtlinie verwiesen werden, wobei die dabei herangezogene Rechtsgrundlage zum Teil als unzureichend bzw. falsch angesehen wird.19 2.2.2. Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit Anders als der allgemeine Gleichheitssatz ist das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – sowohl in seiner allgemeinen Ausprägung (vgl. Art. 18 AEUV) als auch in seinen grundfreiheitlichen Gewändern (vgl. Art. 45, 49 und 56 f. AEUV) – tatsächlich seit den Gründungsverträgen ausdrücklich im Unionsrecht verankert und zählt zu seinen fundamentalen Prinzipen.20 Es verbietet eine (unmittelbare oder mittelbare) Schlechterstellung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu eigenen Angehörigen. Abweichungen hiervon sind im Rahmen der personenbezogenen Grundfreiheiten nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung , Sicherheit und Gesundheit möglich, sofern die betreffenden Maßnahmen dabei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.21 Im Rahmen des allgemeinen Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist darüber hinaus auch eine Rechtfertigung aus sonstigen objektiven Gründen möglich.22 Angesichts der verbotenen Differenzierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit handelt es sich um ein besonderes Gleichheitsrecht. Im Unterschied zum allgemeinen Gleichheitssatz 18 Vgl. hierzu Fuchs, Das Gleichbehandlungsverbot im Unionsrecht, 2015, S. 33 ff., 173 ff. 19 Siehe dazu unten unter 3.2.1., S. 30 ff. 20 Siehe etwa Streinz, in: Streinz (Fn. 7), Art. 18 AEUV, Rn. 8; Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Aufl. 2017, Art. 18 AEUV, Rn. 3; Epiney, in: Calliess/Ruffert (Fn. 11), Art. 18 AEUV, Rn. 1. 21 Anders als bei Art. 18 AEUV geht der materielle Gewährleistungsgehalt der Grundfreiheiten über das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit hinaus und erfasst auch ein gegen unterschiedslose Maßnahmen gerichtetes Beschränkungsverbot, soweit diese die Ausübung der betreffenden Freiheit „weniger attraktiv“ machen, wobei die Reichweite dieser Wirkungsrichtung der Grundfreiheiten im Einzelnen umstritten ist. Siehe hierzu dazu Frenz, Handbuch Europarecht, Band 1 – Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2012, Rn. 473 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 11), Art. 34-36 AEUV, Rn. 35 ff. 22 Vgl. Streinz, in: Streinz (Fn. 7), Art. 18 AEUV, Rn. 62 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 11 in Art. 20 GRC bindet es vor allem die Mitgliedstaaten und zielt im Rahmen der Grundfreiheiten auf die Herstellung des Binnenmarktes, indem es ihnen eine Schlechterstellung grenzüberschreitender Erwerbstätigkeiten im Vergleich zu inländischen untersagt. Die Union ist an das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Rahmen ihrer Rechtssetzung zwar gebunden, der Erlass von aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminierenden Sekundärrechts kommt praktisch allerdings kaum vor, da Rechtsakte der EU in der Regel einheitliche Vorschriften für alle Mitgliedstaaten enthalten. Eine unmittelbare Bindung Privater ist nur in besonderen Konstellationen anerkannt.23 Neben den sog. intermediären Gewalten, die sich durch eine staatsähnliche Stellung hinsichtlich der Normung einzelner Lebensbereiche auszeichnen (bspw. Sportverbände),24 ist eine direkte Bindung einzelner Privater bisher nur vereinzelt im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber Arbeitgebern bejaht worden.25 Blickt man auf die funktionelle Ausrichtung des Diskriminierungsverbots einerseits sowie des Grundsatzes und seiner Verankerung in der Entsenderichtlinie andererseits, so lässt sich zwar eine Parallelität feststellen: beide adressieren gleichheitsrelevante Situationen, die ihren Ursprung in der Überschreitung mitgliedstaatlicher Grenzen zu Erwerbszwecken finden. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 richtet sich jedoch weder gegen eine Schlechterstellung der entsendenden Unternehmen im Vergleich zu den im Inland ansässigen Arbeitgebern, noch adressiert dieser Artikel unmittelbar eine Schlechterstellung von entsandten gegenüber im Inland ansässigen und angestellten Arbeitnehmern: Mit der Verpflichtung der entsendenden Unternehmen, ihren entsandten Arbeitnehmern während dieser Zeit den gleichen Lohn zu zahlen, wie er im Mitgliedstaat des Dienstleistungsempfängers für die betreffenden Tätigkeiten vorgegeben ist, wird nicht eine den Dienstleistungserbringer treffende Schlechterstellung beseitigt, sondern vielmehr ein ihm ggf. zukommender eventueller Lohnvorteil, soweit er sich aus den Lohnunterschieden der beiden involvierten Mitgliedstaaten ergibt, genommen.26 Die in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71 postulierte Gleichbehandlung wirkt hier somit zugunsten der im Inland ansässigen Unternehmen und schützt diese vor einem grenzüberschreitenden Wettbewerb über den Arbeitslohn. Zu der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit der dienstleistungserbringenden Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten siehe unten.27 23 Siehe hierzu Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 11), Art. 34-36 AEUV, Rn. 112 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht (Fn. 21), Rn. 346 ff. 24 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 11), Art. 34-36 AEUV, Rn. 112; Frenz, Handbuch Europarecht (Fn. 21), Rn. 352. 25 Siehe EuGH, Urt. v. 6.6.2000, Rs. C-281/98 (Angonese), Rn. 30 ff. Vgl. dazu Frenz, Handbuch Europarecht (Fn. 21), Rn. 353 f. 26 Mit Blick auf die ursprüngliche Fassung der Entsenderichtlinie bestanden die Lohnvorteile nur im Verhältnis von Mindestlöhnen und darüber hinausgehenden Entlohnungsvorgaben. Weitergehende Lohnvorteile konnten sich ggf. dann ergeben, wenn Mitgliedstaaten keinen Mindestlohn vorsahen. 27 Siehe unten unter 3.2.2., S. 33 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 12 Betrachtet man die Situation hingegen aus der Perspektive der entsandten Arbeitnehmer, so gewährleistet Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 in seinem Anwendungsbereich zwar im Ergebnis eine Gleichbehandlung mit den im Inland angestellten und die gleiche Tätigkeit verrichteten Arbeitnehmern. Eine (zu beseitigende) Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit durch den entsendenden Arbeitgebers liegt dieser Konstellation jedoch nicht zugrunde, da dieser seinen Arbeitnehmern eben den Lohn zahlt bzw. zahlen würde, der in Anwendung des Internationalen Privatrechts28 nach dem Recht der Ansässigkeitsstaates des Erbringers zulässig ist bzw. in zulässiger Weise vereinbart wurde, ungeachtet der Staatsangehörigkeit der Arbeitnehmer. Dass die im Mitgliedstaat des Dienstleistungsempfängers ansässigen Arbeitgeber mehr zahlen (müssen), kann dem entsendenden Unternehmen im Lichte des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht zum Vorwurf gemacht werden. Denn dieses erfasst nur entsprechende Ungleichbehandlung durch ein und dasselbe Rechtssubjekt. Und auch im Hinblick auf den Mitgliedstaat des Dienstleistungsempfängers, in den die Arbeitnehmer des Dienstleistungserbringers entsandt werden, fehlt es an einer Diskriminierung dieser Personengruppe aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Dass dessen Recht ggf. eine unterschiedliche Entlohnung im Verhältnis von aus anderen Mitgliedstaaten entsendenden Unternehmen und im Inland ansässigen ermöglicht, weil bei erstgenannten das (Arbeits-)Rechts des Entsendemitgliedstaates zur Anwendung berufen wird, entspricht den in dieser Konstellation anerkannten und auch unional geltenden Regeln des internationalen Privatrechts, da bei einer nur vorübergehenden Tätigkeit für den Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat das Heimatrecht eine größere Sachnähe aufweist als das Recht des vorübergehenden Tätigkeitsstaats.29 Vor diesem Hintergrund stellt sich hier erstens die auch im Rahmen des Diskriminierungsverbots zu beachtende Frage nach der Vergleichbarkeit der entsandten und im Inland dauerhaft beschäftigten Arbeitnehmer.30 Sollte diese in dem spezifischen Entsendekontext bejaht werden, fehlt es mit Blick auf die jeweils privatrechtliche vereinbarte Entlohnung zweitens jedoch an einer unmittelbar dem betreffenden Mitgliedstaat zuzurechnenden hoheitlichen Handlung als Anknüpfungspunkt für eine Diskriminierung . Eine Verantwortlichkeit des Staates hierfür könnte allenfalls in Gestalt der grundfreiheitlichen Schutzpflicht konstruiert werden.31 Doch auch diese greift nur, wenn 28 Vgl. Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl.EU 2008 Nr. L 177/6, letzte konsolidierte Fassung vom 24.7.2008. Siehe dazu auch bei Riesenhuber (Fn. 6), NZA 2018, S. 1433 f. 29 Vgl. Riesenhuber (Fn. 6), NZA 2018, S. 1433 f. 30 Siehe zu dieser tatbestandlichen Voraussetzung im Rahmen insbesondere des grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit bspw. EuGH, Urt. v. 3.10.2000, Rs. C-411/98 (Ferlini), Rn. 51 ff.; EuGH, Urt. v. 2.10.03, Rs. C- 148/02 (Garcia Avello), Rn. 31 ff. Vgl. dazu auch oben im Rahmen der Ausführungen zu Art. 20 GRC, 2.2.1., S. 7 ff. 31 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.12.1997, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Rn. 30; EuGH, Urt. v. 12.6.03, Rs. C-112/00 (Schmidtberger), Rn. 57. Siehe zu dieser Dimension der Grundfreiheiten etwa bei Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 11), Art. 34-36 AEUV, Rn. 12 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 13 Private Grundfreiheiten – hier die Dienstleistungsfreiheit und allenfalls die Arbeitnehmerfreizügigkeit , soweit sich die entsandten Arbeitnehmer auf diese berufen können32 – beeinträchtigen . Das ist aber gerade nicht der Fall, da die Schlechterstellung entsandter Arbeitnehmer aus Gründen ihrer Staatsangehörigkeit eben nicht auf das Verhalten ihres entsendenden Arbeitgebers zurückgeht, sondern aus den grenzüberschreitenden Lohnunterschieden und den unterschiedlichen rechtlichen Möglichkeiten der Entlohnung im Verhältnis zu im Inland ansässigen Arbeitnehmern resultiert. Hieraus folgt, dass das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit in funktionaler Hinsicht zwar eine gewisse Parallele zum Grundsatz in seiner Verankerung in der Entsenderichtlinie aufweist. Der durch Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 adressierten Konstellation liegt jedoch keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu Grunde, weder im Hinblick auf das Verhältnis von entsendenden und im Inland ansässigen Unternehmen, noch in rechtlicher Hinsicht aus der Perspektive der entsandten Arbeitnehmer . 2.2.3. Primärrechtlicher Grundsatz der Entgeltgleichheit An dritter Stelle wird in dem oben zitierten Erwägungsgrund der Grundsatz des gleichen Entgelts erwähnt, der ebenfalls von Anbeginn in den Gründungsvertragen normiert ist und sich mittlerweile in Art. 157 Abs. 1 und 2 AEUV findet. Zwar richtet er sich nicht nur an die Mitgliedstaaten, sondern ebenso an nichtstaatliche Arbeitgeber und entfaltet so auch unmittelbare Wirkung in diesem Privatrechtsverhältnis.33 In der Fassung des Art. 157 Abs. 1 und 2 AEUV regelt er jedoch nur Entgeltdifferenzierungen zwischen Männern und Frauen, enthält aber kein allgemeines, bzw. geschlechtsunabhängiges Gebot des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit. Und auch die in Art. 157 Abs. 3 AEUV geregelte und später eingeführte Rechtssetzungskompetenz ermächtigt die EU „nur“ zum Erlass von „Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit.“ Diese geschlechtsspezifische Dimension der Entgeltgleichheit wird durch diesen Grundsatz dagegen überhaupt nicht adressiert. Im Übrigen richtet sich Art. 157 Abs. 1 und 2 AEUV – anders als dieser Grundsatz in seiner Verankerung in der Entsenderichtlinie – auf entsprechende Ungleichbehandlung durch ein und denselben Arbeitgeber, während es im Fall des Grundsatzes und seiner Umsetzung in der geänderten Entsenderichtlinie – wie schon ausgeführt – zuvörderst um das Verhältnis von entsendenden und im Inland ansässigen Unternehmen geht. Der einzelne Arbeitnehmer und seine Entlohnungssituation im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern des entsendenden Unternehmens spielen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 keine Rolle. 32 Siehe dazu unten unter 3.1.1.1., S. 18 ff. 33 Siehe etwa Krebber, in: Calliess/Ruffert (Fn. 11), Art. 157 AEUV, Rn. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 14 2.2.4. Entgeltgleichheit im Falle von Teil- und Vollzeitbeschäftigten sowie von befristeten und unbefristet Beschäftigten Den beiden Unionsrechtsakten zu Teilzeitbeschäftigten34 und befristet Beschäftigten35 aus den Jahren 1997 bzw. 1999 liegen Rahmenvereinbarungen von auf europäischer Ebene handelnden Sozialpartnern zugrunde, die auf Antrag der Unterzeichnerparteien anschließend durch Erlass von Richtlinien durch den Rat im Unionsrecht durchgeführt wurden. Die Rechtsgrundlage hierfür, die ursprünglich auf das Abkommen über die Sozialpolitik zurückgeht , welches einem Protokoll zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt war, findet sich mittlerweile in Art. 155 Abs. 2 AEUV. Der Gleichbehandlungsanspruch für diese beiden Beschäftigungsgruppen ergibt sich aus dem in beiden Richtlinien geregelten „Grundsatz der Nichtdiskriminierung“, der allgemein eine Schlechterbehandlung von in Teilzeit bzw. befristet beschäftigen Arbeitnehmern hinsichtlich ihrer „Beschäftigungsbedingungen“ verbietet, „es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.“36 Dabei gilt jeweils, „wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.“37 Zu den davon erfassten Beschäftigungsbedingungen gehört auch die Entlohnung.38 Dies und der Umstand, dass die beiden Richtlinien eine darauf bezogene Gleichbehandlung für einen bestimmten Ausschnitt aus dem Bereich des Arbeitsrechts anordnen, bedeuten zwar eine gewisse Parallele zum Grundsatz und seiner Umsetzung in der geänderten Entsenderichtlinie . Anders als dort und ebenso wie im Fall des Art. 157 Abs. 1 und 2 AEUV richtet sich die Entgeltgleichheit der beiden Richtlinien auf entsprechende Ungleichbehandlungen durch ein und denselben Arbeitgeber, nicht hingegen auf das Verhältnis verschiedener Unternehmer untereinander.39 2.2.5. Entgeltgleichheit im Bereich der Leiharbeit Das Gebot der Entgeltgleichheit im Bereich der Leiharbeit ergibt sich aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie über Leiharbeit40, die auf 34 Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinigung über Teilzeitarbeit, ABl.EU 1998 Nr. L 18/9, letzte konsolidierte Fassung vom 25.5.1998. 35 Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, ABl.EU 1999 Nr. L 175/43. 36 Vgl. jeweils Paragraph 4 Abs. 1 der Richtlinienanhänge (Fn. 35 u. 35). 37 Vgl. jeweils Paragraph 4 Abs. 2 der Richtlinienanhänge (Fn. 35 u. 35). 38 Siehe hierzu bspw. die Umsetzung der Richtlinienvorgaben in § 4 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 Teilzeitund Befristungsgesetz. 39 Siehe oben 2.2.3., S. 13 f. 40 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit , ABl.EU 2008 Nr. L 327/9. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 15 Grundlage von Art. 153 Abs. 2 Buchst. b) AEUV, der Harmonisierungskompetenz im Bereich der EU-Sozialpolitik, erlassen wurde. Danach haben die „wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer […] während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen [zu entsprechen], die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.“ Zu den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zählt nach der Legaldefinition der Leiharbeitsrichtlinie in ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. f ii) auch das Arbeitsentgelt. Ausnahmen für die daraus folgende Entgeltgleichheit sind in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie vorgesehen. Die daraus folgenden Verpflichtungen treffen das verleihende (Leiharbeits-)Unternehmen, mit welchem der entliehene Arbeitnehmer arbeitsvertraglich verbunden ist und bleibt, nicht das entleihende Unternehmen, das lediglich das Weisungsrecht gegenüber dem entliehenen Arbeitnehmer ausübt. Die vergleichende Betrachtung von entleihendem und leihendem Unternehmen im Hinblick auf die Entlohnung sowie der Umstand, dass der grenzüberschreitende Arbeitnehmerverleih von der Entsenderichtlinie als eine der drei Entsendekonstellationen erfasst wird (vgl. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 Buchst. c RL 96/71),41 begründen für diesen Teilausschnitt der Entsenderichtlinie einen sachlichen Zusammenhang beider Rechtsakte. Gleichwohl bestehen Unterschiede, die sich erstens daraus ergeben, dass die Leiharbeitsrichtlinie auf innerstaatliche Konstellationen zugeschnitten ist, während die Entsenderichtlinie nur den grenzüberschreitend erfolgenden Verleih erfasst. Zweitens bestehen Unterschiede hinsichtlich der zu beachtenden Quellen für die Frage nach dem maßgeblichen Entgelt, hinsichtlich dessen eine Gleichheit herzustellen ist. Während sie sich im Fall des Grundsatzes aus zwingenden rechtlichen Vorgaben ergeben, die für alle vergleichbaren Unternehmen und Arbeitnehmer gelten, stellt im Fall der Leiharbeitsrichtlinie das entleihende Unternehmen und die dort vorgesehene Vergütung für vergleichbar fest angestellte Arbeitnehmer den Bezugspunkt für die Entgeltgleichheit dar. Diese kann sich aus allgemeinen zwingenden rechtlichen Vorgaben ergeben, aber auch aus rein innerbetrieblichen Vereinbarungen . Darüber hinaus sieht die Leiharbeitsrichtlinie – wie oben geschrieben – Ausnahmen von der Entgeltgleichheit vor (vgl. Art. 5 Abs. 2 u. 3 der Richtlinie), die in der Entsenderichtlinie nicht vorgesehen sind. In der geänderten Entsenderichtlinie werden die sich daraus ergebenden möglichen Divergenzen durch den neuen Art. 3 Abs. 1b RL 96/71 adressiert, wonach die Mitgliedstaaten bestimmen , „dass die [Leiharbeitsunternehmen] den entsandten Arbeitnehmern die Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen garantieren, die nach Artikel 5 [Leiharbeitsrichtlinie] für Leiharbeitnehmer gelten, die von im Mitgliedstaat der Leistungserbringung niedergelassenen Leiharbeitsunternehmen zur Verfügung gestellt werden.“42 Hierdurch wird der Rege- 41 Siehe im Einzelnen hierzu unten unter 3.1.1.1., S. 18 ff. 42 Nach ursprünglicher Rechtslage waren die Mitgliedstaaten hierzu nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, vgl. ex. Art. 3 Abs. 9 RL 96/71 (Fn. 1). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 16 lungsgehalt des Art. 5 Leiharbeitsrichtlinie auch für grenzüberschreitende Verleihkonstellationen vorgegeben. Insoweit modifiziert die Leiharbeitsrichtlinie den in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 verankerten Grundsatz. 2.3. Fazit In seiner Verankerung in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 liegt dem Grundsatz ein spezifisches Entgeltgleichheitsgebot zugrunde, was weder als Ausdruck der materiellen Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 20 GRC verstanden werden kann, noch der Beseitigung einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dient. Auch besteht – mit Ausnahme der Entgeltgleichheitsvorgaben nach der Leiharbeitsrichtlinie – kein sachlicher Zusammenhang zu den Entgeltgleichheitsgewährleistungen in Art. 157 Abs. 1 und 2 AEUV sowie den Richtlinien über Teilzeit- und befristet Beschäftigte, da die drei letztgenannten Gewährleistungen entsprechende Ungleichbehandlungen durch ein und desselben Arbeitgeber adressieren. Bei dem Grundsatz handelt es sich dagegen um eine auf die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit zugeschnittene, sekundärrechtlich begründete Gewährleistung, die auf das Verhältnis von entsendenden und in dem Mitgliedstaat des Dienstleistungsempfängers ansässigen Unternehmen im Hinblick auf die Entlohnung der Arbeitnehmer zielt und insoweit eine unternehmensbezogene Gleichbehandlung postuliert. Die Sachnähe zur auf innerstaatliche Konstellationen zugeschnittenen Leiharbeitsrichtlinie ergibt sich aus dem Umstand, dass die Entsenderichtlinie den grenzüberschreitenden Arbeitnehmerverleih erfasst und nach geänderter Fassung auf die Entgeltgleichheitsvorgaben der Leiharbeitsrichtlinie verweist. Obgleich die Entsenderichtlinie nach den Änderungen in erster Linie dem Schutz der entsandten Arbeitnehmer dienen soll – vgl. insbesondere den neuen Art. 1 Abs. -1 RL 96/71, der diesen Aspekt als Ziel und Zweck der Entsenderichtlinie benennt –, dürfte der Unionsgesetzgeber insbesondere bei der Verankerung des Grundsatzes in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 noch ein weiteres Anliegen verfolgt haben, nämlich die weitgehende Beseitigung der Entlohnung als relevantes Wettbewerbskriterium im Dienstleistungsbinnenmarkt . So wird in den Erwägungsgründen zum einen ausgeführt, dass „mehr als zwanzig Jahre nach Erlass der [Entsenderichtlinie] geprüft werden [muss], ob sie immer noch für das richtige Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit der Förderung der Dienstleistungsfreiheit und der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen einerseits und zum anderen der Notwendigkeit des Schutzes der Rechte entsandter Arbeitnehmer sorgt.“43 An späterer Stelle findet sich die Feststellung, wonach die Unternehmen in „einem wirklich integrierten und wettbewerbsorientierten […] auf der Grundlage von Faktoren wie Produktivität , Effizienz und dem Bildungs- und Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte sowie der Qualität ihrer Güter und Dienstleistungen und durch den Grad an Innovation miteinander [konkurrieren].“44 Das Kriterium der Entlohnung wird hierbei entsprechend nicht erwähnt. Die in der neuen Fassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71 erwähnte Gleichheit bezieht 43 Erwägungsgrund Nr. 4 der Änderungsrichtlinie (Fn. 1). 44 Erwägungsgrund Nr. 16 der Änderungsrichtlinie (Fn. 1). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 17 sich in diesem Lichte betrachtet somit auf eine die Entlohnung als Faktor ausschließende Wettbewerbsgleichheit im Dienstleistungsbinnenmarkt. 3. Zur geltenden Umsetzung des Grundsatzes des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort in der Entsenderichtlinie und der Möglichkeit einer umfassenderen Verwirklichung Ausgangspunkt für die Frage nach einer umfassenden Verwirklichung dieses Grundsatzes ist zunächst die genaue Bestimmung seiner Umsetzung in der Entsenderichtlinie. Hiervon ausgehend wird dann zu untersuchen sein, ob und ggf. welche Konstellationen bzw. Bereiche bestehen, in denen der Grundsatz darüber hinaus zur Geltung gebracht werden kann (3.1.). Daneben ist darauf einzugehen, ob die Verankerung des Grundsatzes im Sekundärrecht unionsrechtlich überhaupt zulässig ist (3.2.). Denn bereits im Hinblick auf die geänderte Fassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 werden insoweit Zweifel geltend gemacht. Zum Ausdruck kommen sie vor allem in den Nichtigkeitsklagen, die von Ungarn und Polen gegen die geänderte Entsenderichtlinie vor dem EuGH erhoben worden sind.45 3.1. Zur Umsetzung in der Entsenderichtlinie und einer darüber hinausgehenden Verwirklichung Hinsichtlich der Umsetzung des Grundsatzes in der Entsenderichtlinie als auch einer darüber hinausgehenden Verwirklichung ist zwischen den Entsendekonstellationen einerseits (3.1.1.) und den Bezugspunkten bzw. Rechtsquellen für die maßgebliche Entlohnung, in Bezug auf welche eine Gleichbehandlung herzustellen ist, andererseits (3.1.2.) zu unterscheiden . Die geltende bzw. potentiell mögliche Reichweite des Grundsatzes ergibt sich aus dem Zusammenspiel beider Aspekte. 3.1.1. In Bezug auf die Entsendekonstellationen Art. 1 Abs. 1 RL 96/71 bestimmt, für welche Unternehmen die Entsenderichtlinie gilt und lautet wie folgt: „Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Absatz 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden.“ Im Folgenden ist zunächst der in dem zitierten Absatz in Bezug genommene Art. 1 Abs. 3 RL 96/71 näher zu betrachten, der die drei Konstellationen der „länderübergreifenden Erbringungen von Dienstleistungen“ beschreibt, sowie die damit zusammenhängenden Aspekte (3.1.1.1.). Anschließend ist ausgehend von der beschriebenen geltenden Rechtslage zu untersuchen, ob darüber hinausgehend weitere, von der Entsenderichtlinie bisher nicht erfasste Konstellationen bestehen, im Rahmen derer eine Anwendung des Grundsatzes in 45 Siehe die Klagen in den Rechtssachen C-620/18 (Ungarn/Parlament und Rat) vom 2.10.2018, ABl.EU 2018 Nr. C 427/31, Klagegrund Nr. 3, sowie C-628/18 (Polen/Parlament und Rat) vom 3.10.2018, ABl.EU 2019 Nr. C 4/12, Klagegrund Nr. 1a. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 18 Betracht kommt (3.1.1.2.). Hiervon unabhängig stellt sich die Frage, ob die geregelten Entsendekonstellationen alle Sachbereiche erfassen, in denen sie potentiell greifen können (3.1.1.3.). 3.1.1.1. Derzeit erfasste Entsendekonstellationen und Ausnahmen Die von der Entsenderichtlinie erfassten Konstellationen der Entsendung von Arbeitnehmern sind in Art. 1 Abs. 3 Buchst. a bis c RL 96/71 aufgeführt (3.1.1.1.1. bis 3.1.1.1.3.). In diesem Zusammenhang ist auch auf den Begriff des entsandten Arbeitnehmers (3.1.1.1.4) sowie auf die Ausnahmebestimmungen der Entsenderichtlinie eingegangen, nach denen für bestimmte Entsendesituationen von der Gewährung gleichen Lohns abgesehen werden kann (3.1.1.1.5). 3.1.1.1.1. Arbeitnehmerentsendung zur Erfüllung eines Werk- oder Dienstvertrags Art. 1 Abs. 3 Buchst. a RL 96/71 erfasst die wohl praktisch relevanteste und klassische Konstellation der Arbeitnehmerentsendung, nämlich zur Erfüllung eines zwischen Dienstleistungserbringer und -empfänger vereinbarten Werk- oder Dienstvertrags. In den Worten der Richtlinie handelt es sich um eine länderübergreifende Maßnahme bei der Unternehmen „einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht […].“ Diese Konstellation unterfällt in grundfreiheitlicher Hinsicht ausschließlich der Dienstleistungsfreiheit. Obgleich die entsandten Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden, kommt die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 AEUV hier nicht zur Anwendung, da diese Arbeitnehmer einer ihrem Arbeitgeber obliegenden Leistungspflicht verrichten und anschließend zurückkehren, so dass sie keinen Zugang zum Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaates begehren.46 3.1.1.1.2. Entsendung innerhalb von Unternehmen oder Unternehmensgruppen Vor allem zur Verhinderung einer Umgehung der Vorgaben der Entsenderichtlinie durch gezielte Niederlassungsgründungen etc.47 erfasst Art. 1 Abs. 3 Buchst. b RL 96/71 die interne Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb von Unternehmen oder Unternehmensgruppen , nach der Unternehmen 46 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 25.10.01, verb. Rs. C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C- 71/98 (Finalarte), Rn. 22. 47 Vgl. Kellerbauer (Fn. 5), EuZW 2018, S. 846 (847). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 19 „einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht […].“ 3.1.1.1.3. Arbeitnehmerüberlassung bzw. Leiharbeit Bei der dritten und letzten Konstellation in Art. 1 Abs. 3 Buchst. c RL 96/71 handelt es sich um die Arbeitnehmerüberlassung bzw. Leiharbeitskonstellation. Dem Wortlaut der Entsenderichtlinie in Art. 1 Abs. 3 Buchst. c UAbs. 1 RL 96/71 nach fallen darunter Maßnahmen, in denen Unternehmen „als Leiharbeitsunternehmen oder als einen Arbeitnehmer überlassendes Unternehmen einen Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen überlassen, das seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder dort seine Tätigkeit ausübt, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitsunternehmen oder dem einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht.“ Im Unterschied zur Arbeitnehmerentsendung im Sinne des Art. 1 Abs. 3 Buchst. a RL 96/71, bei der die Arbeitnehmer die ihrem entsendenden Arbeitgeber obliegende Leistung tatsächlich entrichten, besteht und erschöpft sich die grenzüberschreitende Dienstleistung hier in dem Verleih bzw. der Arbeitnehmerüberlassung selbst. Der entliehene oder überlassene Arbeitnehmer wird sodann für den Entleiher nach dessen Weisung tätig und zwar anstelle eines ansonsten dort angestellten Arbeitnehmers. In grundfreiheitlicher Hinsicht weist diese Konstellation – ungeachtet des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses zum verleihenden Unternehmen – daher auch eine Nähe zur Arbeitnehmerfreizügigkeit auf. Deutlich wurde dies insbesondere in Fällen, in denen anlässlich des Beitritts neuer Mitgliedstaaten Übergangsregelungen für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbart wurden. Diese erfassten nach der Rechtsprechung des EuGH auch Konstellationen des grenzüberschreitenden Arbeitnehmerverleihs , obgleich Übergangsregelungen für die Dienstleistungsfreiheit nicht vorgesehen waren.48 Im Zuge der Änderung der Entsenderichtlinie wurde Art. 1 Abs. 3 Buchst. c RL 96/71 um zwei Unterabsätze ergänzt, in denen die Kombination von innerstaatlichem Verleih und anschließender grenzüberschreitender Entsendung durch das entleihende Unternehmen ausdrücklich als erfasste Entsendekonstellation geregelt wurde. Dieser Fall warf nach ursprünglicher Fassung Probleme auf, da es an einem – dem Wortlaut aller drei Varianten in Art. 1 Abs. 3 RL 96/71 nach erforderlichen – Arbeitsvertrag zwischen dem entsandten Arbeitnehmer und dem entsendenden Unternehmen fehlte 48 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 10.2.11, Rs. C-307/09 bis C-309/09 (Vicoplus), Rn. 21 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 20 und sich die Frage stellte, ob diese Konstellation von der ursprünglichen Entsenderichtlinie erfasst wurde.49 3.1.1.1.4. Entsandte Arbeitnehmer Über die Anwendung der Entsenderichtlinie entscheidet nicht alleine das Vorliegen einer der drei eben beschriebenen Entsendekonstellationen. Anforderungen bestehen auch an den Begriff des entsandten Arbeitnehmers. Der insoweit einschlägige Art. 2 Abs. 1 RL 96/71 lautet wie folgt: „Im Sinne dieser Richtlinie gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer , der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet.“ Diese Begriffsbestimmung bringt den vorübergehenden Charakter der Dienstleistungserbringung auch im Hinblick auf den dabei bzw. in diesem Zusammenhang eingesetzten Arbeitnehmer zum Ausdruck. Der Wortlaut der Bestimmung lässt nicht erkennen, ob jeder Umfang einer vorübergehenden in einem anderen Mitgliedstaat erbrachten Tätigkeit genügt, um als entsandter Arbeitnehmer im Sinne des Art. 2 Abs. 1 RL 96/71 angesehen zu werden und damit den Anwendungsbereich der Entsenderichtlinie zu eröffnen. Der EuGH hat dies kürzlich verneint und ausgeführt, dass ein Arbeitnehmer nicht als entsandt angesehen werden kann, wenn die im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedsstaats erbrachte „Arbeitsleistung keine Verbindung zu diesem Hoheitsgebiet aufweist.“50 An einer solchen Verbindung fehlt es etwa dann, wenn die betreffenden „Arbeitnehmer einen wesentlichen Teil der mit den betreffenden Dienstleistung verbundenen Arbeit im Hoheitsgebiet des [Herkunftsstaates] leisten und ihren Dienst dort antreten bzw. beenden.“51 Begründet hat der EuGH diese Einschränkung mit der Systematik der Entsenderichtlinie im Hinblick auf die dort geregelten Ausnahmebestimmungen sowie den darauf bezogenen Erwägungsgrund, wonach „bei Leistungen von sehr beschränktem Umfang in dem Hoheitsgebiet, in das die betreffenden Arbeitnehmer entsandt werden, […] die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Mindestlohnsätze und den bezahlten Mindestjahresurlaub nicht anzuwenden sind.“52 49 Siehe hierzu Kellerbauer (Fn. 5), EuZW 2018, S. 846 (848). 50 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-16/18 (Dobersberger), Rn. 31. 51 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-16/18 (Dobersberger), Rn. 33, 35. In der Sache ging es um die Arbeitnehmer eines Unternehmens, das mit der Bewirtung von Zugrestaurants in internationalen Zügen beauftragt wurde (vgl. Rn. 9 ff.). Die Arbeitnehmer begannen und beendeten ihren Dienst im Ansässigkeitsstaat ihres Arbeitgebers, dort wurden auch die Bordrestaurants bestückt, der Warenbestand kontrolliert und die Abrechnung der Umsätze durchgeführt. Lediglich die unmittelbare Bewirtung erfolgte während der Zugreisen und damit (auch) im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten. 52 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-16/18 (Dobersberger), Rn. 31 f. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 16 der Entsenderichtlinie (Fn. 1). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 21 Hieraus folgt, dass ungeachtet der jeweils vorliegenden Entsendekonstellationen in jedem Fall zu prüfen ist, ob die Arbeitsleistung der betreffenden Arbeitnehmer eine Verbindung zu dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufweist, in denen sie entsandt wurden. 3.1.1.1.5. Ausnahmen Die Entsenderichtlinie enthält in Art. 3 Abs. 2 bis 5 RL 96/71 vier Ausnahmen in Bezug auf die Gewährleistung der gleichen Entlohnung, die an die Dauer der Entsendung oder den Umfang der dabei anfallenden Arbeiten knüpfen. Anders als im Zusammenhang mit den Anforderungen an den Begriff des entsandten Arbeitnehmers im Sinne des Art. 2 Abs. 1 RL 96/71, deren Vorliegen die Anwendung der Entsenderichtlinie erst begründet, setzen diese Ausnahmen implizit voraus, dass die jeweiligen Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 3 Buchst. a bis c sowie des Art. 2 Abs. 1 RL 96/71 vorliegen. Die erste Ausnahme in Art. 3 Abs. 2 RL 96/71 ist die einzige, die nicht in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt ist, aber an bestimmte Tätigkeiten anknüpft. Danach gilt Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. b und c RL 96/71 „nicht für Erstmontage- und/oder Einbauarbeiten, die Bestandteil eines Liefervertrags sind, für die Inbetriebnahme der gelieferten Güter unerläßlich sind und von Facharbeitern und/oder angelernten Arbeitern des Lieferunternehmens ausgeführt werden, wenn die Dauer der Entsendung acht Tage nicht übersteigt.“53 Von dieser Ausnahme ausgenommen sind bestimmte Bauarbeiten, die im Anhang zur Entsenderichtlinie aufgelistet sind. Nach Art. 3 Abs. 3 RL 96/71 können die Mitgliedstaaten „gemäß ihren üblichen Verfahren und Praktiken nach Konsultation der Sozialpartner beschließen, Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c) in den in Artikel 1 Absatz 3 Buchstaben a) und b) genannten Fällen nicht anzuwenden , wenn die Dauer der Entsendung einen Monat nicht übersteigt.“54 Nach Art. 3 Abs. 4 RL 96/71 können die Mitgliedstaaten „gemäß ihren Rechtsvorschriften und/ oder Praktiken vorsehen, daß durch Tarifverträge im Sinne des Absatzes 8 für einen oder mehrere Tätigkeitsbereiche in den in Artikel 1 Absatz 3 Buchstaben a) und b) genannten Fällen von Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c) sowie von dem Beschluß eines Mitgliedstaats nach Absatz 3 abgewichen werden kann, wenn die Dauer der Entsendung einen Monat nicht übersteigt.“55 Schließlich eröffnet Art. 3 Abs. 5 RL 96/71 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, „in den in Artikel 1 Absatz 3 Buchstaben a) und b) genannten Fällen eine Ausnahme von Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstaben b) und c) vor[zu]sehen, wenn der Umfang der zu verrichtenden Arbeiten gering ist.“56 53 Hervorhebung durch Verfasser. 54 Hervorhebung durch Verfasser. 55 Hervorhebung durch Verfasser. 56 Hervorhebung durch Verfasser. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 22 3.1.1.1.6. Fazit Bei allen Unterschieden ist den drei Entsendekonstellation gemeinsam und zugleich für sie kennzeichnend, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem entsandten Arbeitnehmer (fort-)besteht. Darüber hinaus muss die Arbeitsleistung der entsandten Arbeitnehmer eine Verbindung zu dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufweisen , in den sie entsandt wurden. Fehlt es hieran, ist der Anwendungsbereich der Entsenderichtlinie ungeachtet der im Übrigen vorliegenden Entsendekonstellation nach Art. 1 Abs. 3 RL 96/71 nicht eröffnet. Fragt man, ob diese Vorgaben Raum bieten, um den Grundsatz quasi innerhalb der geltenden Fassung der Entsenderichtlinie zu erweitern, so fällt der Blick zunächst auf die eben beschriebene Anforderung an den Begriff des Arbeitnehmers. Eine Überlegung dahingehend , auf das Verbindungskriterium zu verzichten, erscheint jedoch in zweifacher Hinsicht zweifelhaft. Zum einen ist in tatsächlicher Hinsicht fraglich, ob der Aufwand, der mit der Anwendung der Entsenderichtlinie in solchen Fällen angesichts der administrativen Pflichten und Lasten der betreffenden Unternehmen einerseits sowie der Vollzugskontrolle der Mitgliedstaaten andererseits verbunden ist, in diesen Fällen gerechtfertigt ist. Diese tatsächliche Frage stellt sich zum anderen auch in rechtlicher Hinsicht, da der beschriebene Aufwand für die betreffenden Unternehmen einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit darstellt, der angesichts einer marginalen Tätigkeit der Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat wohl kaum im Lichte der Art. 56 f. AEUV gerechtfertigt sein dürfte.57 Ob dies im Hinblick auf eine Aufhebung der Ausnahmen – ungeachtet der Tatsache, dass diese zum großen Teil im Ermessen der Mitgliedstaaten liegen – anders zu beurteilen wäre, ist zumindest fraglich. 3.1.1.2. Weitere Entsendekonstellationen? Eine andere Frage ist, ob über die drei in Art. 1 Abs. 3 Buchst. a bis c RL 96/71 aufgeführten Konstellationen hinaus noch weitere Entsendesituationen denkbar sind, in denen, etwa nach Einbeziehung in die Entsenderichtlinie, der Grundsatz zur Anwendung gelangen könnte. Das setzt jedoch voraus, dass es weitere Fallgestaltungen gibt, in denen zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem entsandten Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht, die aber nicht unter die drei in Art. 1 Abs. 3 Buchst. a bis c RL 96/71 aufgeführten Konstellationen inklusive der Kombination von innerstaatlichem Verleih und anschließender Entsendung fallen. Solche Fälle sind jedoch nicht ersichtlich. Zwar wird von der Dienstleistungsfreiheit etwa auch die grenzüberschreitende Arbeitsvermittlung erfasst. Der vermittelte Arbeitnehmer geht jedoch im Falle der erfolgreichen Vermittlung, der unter die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 AEUV fällt, ein Arbeitsverhältnis mit dem in einem 57 Siehe zu den Anforderungen an einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit EuGH, Urt. v. 24.1.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Rn. 18, wonach zusätzliche administrative und wirtschaftliche Kosten und Belastungen durch nationale Maßnahmen einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit begründen. In EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-16/18 (Dobersberger), Rn. 36 ff., ließ der EuGH die Frage nach Rechtfertigung eines durch die Entsenderichtlinie verursachten Verwaltungsaufwandes offen, da er die betreffende Arbeitnehmertätigkeit nicht als solche ansah, die unter den Begriff entsandter Arbeitnehmer fiel. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 23 anderen Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber ein, so dass es an dem für den Grundsatz charakteristischen (Konkurrenz-)Verhältnis von entsendenden Unternehmen einerseits und einem in dem Mitgliedstaat der Entsendung ansässigen Unternehmen, im Rahmen dessen eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Entlohnung bei gleicher Arbeit gefordert wird, fehlt. Hier und in allen anderen Fällen, in denen infolge des Grenzübertritts des Arbeitnehmers ein Arbeitsverhältnis zu dem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber begründet wird, greifen in Entgeltfragen dann allenfalls die oben beschriebenen Grundsätze der Entgeltgleichheit , die sich jedoch ausschließlich auf das Verhältnis zu ein und demselben Arbeitnehmer und der Entlohnung anderer seiner Arbeitnehmer beziehen (Art. 157 Abs. 1 und 2 AEUV, Richtlinien über Teilzeit- und befristet Beschäftigte).58 Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass ein über die genannten Bereiche hinausgehendes allgemeines Gebot des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit weder dem Unionsrecht noch dem deutschen Recht bekannt ist.59 Dessen ungeachtet ist abschließend festzuhalten, dass für eine weitergehende Verwirklichung des Grundsatzes hinsichtlich der bisher geregelten Entsendekonstellation kein Raum besteht, da die geltende Fassung der Entsenderichtlinie insoweit alle möglichen Fallgestaltungen – vorbehaltlich der Anforderungen an einen entsandten Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Arbeitsleistung sowie der geregelten Ausnahmen – erfasst. 3.1.1.3. Sachbereichsbezogene Reichweite und Erweiterung Von den Entsendekonstellationen und einer eventuellen Erstreckung des Grundsatzes in dieser Hinsicht zu unterscheiden ist die Frage nach den Sachbereichen, in denen die Konstellationen zur Anwendung kommen können, aber ggf. von der Entsenderichtlinie nicht erfasst werden. Dem Wortlaut nach ist die Anwendung der Entsenderichtlinie nach Art. 1 Abs. 2 RL 96/71 insoweit nur für Schiffsbesatzungen von Unternehmen der Handelsmarine ausgeschlossen. Weitere ausdrückliche sachbereichsbezogene Einschränkungen enthält die Richtlinie nicht. Im Umkehrschluss könnte daraus die Schlussfolgerung zu ziehen sein, dass alle anderen Sachbereiche, in denen die oben beschriebenen Entsendekonstellationen greifen, von der Entsenderichtlinie erfasst werden, insbesondere auch in den in Art. 1 Abs. 2 RL 96/17 nicht ausdrücklich erwähnten anderen Bereichen des (Personen oder Warenbeförderungs- )Verkehrs, also insbesondere dem Eisenbahn-, Straßen-, Binnenschiffs- und Luftverkehr sowie dem sonstigen Schiffsverkehr. Hiervon scheint auch der Unionsgesetzgeber hinsichtlich der Änderungsrichtlinie in Bezug auf den Straßenverkehr auszugehen, obgleich die da- 58 Siehe dazu oben unter 2.2.3., S. 13 f. und 2.2.4., S. 14 f. 59 In beiden Fällen ergibt sich das aus der mangelnden positiven Regelung eines solchen Gebots. Siehe in Bezug auf das deutsche Recht dazu BAG, Urt. v. 21.6.2000, 5 AZR 806/98, NZA 2000, S. 1050 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 24 rin vorgesehenen Vorgaben erst nach Erlass weiterer straßenverkehrsspezifischer Rechtsakte einem späteren Zeitpunkt zur Anwendung gelangen sollen.60 Im Schrifttum ist die Anwendung der Entsenderichtlinie auf den Verkehrsbereich jedoch umstritten.61 Der rechtliche Grund liegt in dem Umstand, dass der im Kapitel über Dienstleistungen (Art. 56 bis 62 AEUV) geregelte Art. 58 Abs. 1 AEUV vorsieht, dass für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels über den Verkehr gelten (Art. 90 bis 100 AEUV). Hierdurch wird zunächst die unmittelbar wirksame primärrechtliche Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 f. AEUV für den Verkehrsbereich ausgeschlossen und dessen „grundfreiheitliche“ Liberalisierung weitgehend dem Unionsgesetzgeber überlassen (vgl. Art. 91 AEUV).62 Fraglich ist daher auch, ob Sekundärrecht, das – wie die Entsenderichtlinie – auf Vertragsbestimmungen des Kapitels über Dienstleistung gestützt wurde, Regelungen für den Verkehrsbereich enthalten kann.63 Eine Andeutung, wonach Verkehrsdienstleistungen von der Entsenderichtlinie aus kompetenziellen Gründen ausgenommen sein könnten, enthält die kürzlich durch den EuGH in der Besetzung als Große Kammer entschiedene Rechtssache Dobersberger. Zwar handelte es sich bei der streitgegenständlichen Dienstleistung letztlich nicht um eine solche auf dem Gebiet des Verkehrs bzw. eine mit Verkehrsdienstleistungen naturgemäß verbundene Leistung , so dass die Anwendung der Entsenderichtlinie zumindest nicht aus diesem Grund in Zweifel stand.64 Der Gerichtshof formulierte in diesem Zusammenhang gleichwohl wie folgt: „Folglich sind auf solche Dienstleistungen, die nicht unter die Bestimmungen des Titels des AEU-Vertrags über den Verkehr fallen, die Art. 56 bis 62 AEUV über die Dienstleistungen mit Ausnahme von Art. 58 Abs. 1 AEUV anwendbar, so dass sie als Dienstleistungen auch der Richtlinie 96/71 unterliegen können, 60 Vgl. Art. 3 Abs. 3 Änderungsrichtlinie (Fn. 1). 61 Siehe hierzu Kellerbauer (Fn. 5), EuZW 2018, S. 846 (848 f); Frohn, Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-16/18 (Dobersberger), EuZW 2020, S. 151 (154). Vgl. auch die Ausführungen des Generalanwalts Szpunar, Schlussanträge v. 29.7.2019 zu EuGH, Rs. C-16/18 (Dobersberger), Rn. 33-37. Die Änderungsrichtlinie (Fn. 1), lässt die Frage letztlich offen, vgl. Erwägungsgrund Nr. 15. 62 Siehe hierzu Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 58 AEUV (43. EL März 2011), Rn. 1 ff. 63 Bejahend etwa Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 62), Art. 58 AEUV (43. EL März 2011), Rn. 5. Siehe hierzu auch Generalanwalt Szpunar, Schlussanträge v. 29.7.2019 zu EuGH, Rs. C-16/18 (Dobersberger), Rn. 34 f. 64 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-16/18 (Dobersberger), Rn. 24 bis 26. Eine Anwendung der Entsenderichtlinie scheiterte letztlich daran, dass die betreffenden Arbeitnehmer nicht als entsandte im Sinne des Art. 2 Abs. 1 RL 96/71 angesehen werden konnten, vgl. Rn. 28 ff. Siehe dazu auch oben unter 3.1.1.1.4., S. 20 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 25 die auf der Grundlage der Art. 57 Abs. 2 und Art. 66 EG [heute: Art. 53 Abs. 1 und 62 AEUV] über die Dienstleistungen erlassen wurde.“65 Da die Abgrenzung beider Kompetenzbereiche nicht entscheidungserheblich gewesen ist, lässt sich ihre in der zitierten Randnummer gleichwohl erfolgte Gegenüberstellung seitens EuGH so deuten, dass die Entsenderichtlinie nur solche Dienstleistungen erfasst, die nicht unter die Bestimmungen des Verkehrstitels fallen. Eine abschließende Beurteilung lässt sich angesichts der fehlenden ausdrücklichen Klärung der Frage an dieser Stelle jedoch nicht vornehmen.66 Abzuwarten bleiben insoweit die Urteile auf die von Ungarn und Polen eingereichten Nichtigkeitsklagen gegen die geänderte Entsenderichtlinie, die u. a. auch auf diesen Gesichtspunkt gestützt werden.67 Wäre die Entsenderichtlinie danach auch auf Verkehrsdienstleistungen anwendbar, so böte nur die Streichung der Anwendungsausnahme in Art. 1 Abs. 2 RL 96/71 Raum für eine sachbereichsbezogene Erweiterung des Grundsatzes. Im umgekehrten Fall müsste zur Erstreckung des Grundsatzes ein entsprechender Rechtsakt auf Grundlage von Art.91 AEUV erlassen oder die Entsenderichtlinie zusätzlich hierauf gestützt werden. 3.1.2. Hinsichtlich der Bezugspunkte bzw. Rechtsquellen für Entlohnungsvorgaben Der in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 verankerte Grundsatz nimmt auf Vorgaben zur Entlohnung (3.1.2.1.) Bezug, die durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften (3.1.2.2.) oder durch bestimmte Tarifverträge oder Schiedssprüche (3.1.2.3.) festgelegt sind. Ob darüber hinaus weitere Bezugspunkte bzw. Rechtsquellen für Entlohnungsvorgaben bestehen, ist hingegen zweifelhaft (3.1.2.4.). 3.1.2.1. Entlohnung Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 erfasst die Arbeits- und Beschäftigungsbedingung der „Entlohnung, einschließlich der Überstundensätze“. Die Einbeziehung der Überstundensätze lag bereits der ursprünglichen Fassung zugrunde, ebenso wie die Ausnahme, wonach Buchstabe c „für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme [nicht gilt].“ Was unter Entlohnung in diesem Sinne zu verstehen ist bestimmt Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 RL 96/71, der wie folgt lautet: „Für die Zwecke dieser Richtlinie bestimmt sich der Begriff „Entlohnung“ nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten des 65 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Rs. C-16/18 (Dobersberger), Rn. 27. 66 Im Schrifttum wird auch nach dem Urteil davon ausgegangen, dass die Frage offen geblieben ist, vgl. Frohn (Fn. 61), EuZW 2020, S. 151 (154). 67 Vgl. Klagen in den Rechtssachen C-620/18 (Ungarn/Parlament und Rat) vom 2.10.2018, ABl.EU 2018 Nr. C 427/31, Klagegrund Nr. 3, sowie C-628/18 (Polen/Parlament und Rat) vom 3.10.2018, ABl.EU 2019 Nr. C 4/12, Klagegrund Nr. 3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 26 Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist, und umfasst alle die Entlohnung ausmachenden Bestandteile, die gemäß nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch in diesem Mitgliedstaat für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden, zwingend verbindlich gemacht worden sind.“ Es wird somit zur Bestimmung der Entlohnung auf das jeweilige nationale Recht verwiesen , und zwar auf die beiden allgemein bestehenden Bezugspunkt für die Lohnfeststellung , Rechts- und Verwaltungsvorschriften und bestimmte Tarifverträge und Schiedssprüche. Im Lichte des Grundsatzes ist der Verweis konsequent, da sich die Lohnvorgaben auch hinsichtlich der Bestandteile nur aus dem jeweiligen nationalen Recht ergeben können, da nur dieses den Bezugspunkt für die gleiche Entlohnung bildet. Dass insoweit Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen können, welche Bestandteile solche der Entlohnung sind und welche ggf. nicht – siehe hierzu auch den geänderten Art. 3 Abs. 7 UAbs. 2 und 3 RL 96/71 –, ist insoweit ohne Relevanz.68 Die bereits nach der ursprünglichen Fassung der Entsenderichtlinie oftmals umstrittenen Frage dürfte durch die ebenfalls neue Berücksichtigung von „Zulagen oder Kostenerstattungen zur Deckung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten für Arbeitnehmer, die aus beruflichen Gründen nicht zu Hause wohnen“, nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. i RL 96/71 jedenfalls zum Teil an praktischer Bedeutung verloren haben. Raum für eine unionsrechtliche Erstreckung des Grundsatzes über die geltende Regelung hinaus bietet sich an dieser Stelle somit nicht. 3.1.2.2. Rechts- und Verwaltungsvorschriften Die Festlegung von Entlohnungsvorgaben kann zum einen durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften erfolgen. Inwieweit dieser Bezugspunkt im Zusammenhang mit der Entlohnung im Entsendekontext für andere Fälle als den Mindestlohn relevant werden kann, dürfte von den Gepflogenheiten der jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung abhängen und lässt sich daher an dieser Stelle nicht umfassend beantworten. Im deutschen Recht sind Entgeltvorgaben, die über Mindestlohnsätze hinausgehen, in der Regel der Vereinbarung durch Tarifparteien überlassen. Im Hinblick auf den Grundsatz und das Erfordernis „gleicher“ Lohnvorgaben ist der Vollständigkeit halber darauf zu verweisen, dass nach der Rechtsprechung zur ursprünglichen Fassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften festgelegte Mindestlohnvorgaben nicht zwingend solche sein müssen, die „allgemeinverbindlichen “ Charakter haben, also alle Unternehmen verpflichten bzw. Arbeitneh- 68 Siehe zum Problem an sich Kellerbauer (Fn. 5), EuZW 2018, S. 846 (850 f.). Vgl. aus der Rechtsprechung etwa EuGH, Urt. v. 14.4.2005, Rs. C-341/02 (Kommission/Deutschland), Rn. 27 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 27 mer berechtigten, die Tätigkeiten anbieten bzw. Arbeiten verrichten, die von den Mindestlohnvorgaben in Bezug genommen werden.69 So können etwa auch Landesgesetze nach deutschem Recht, die Mindestentengelte bei öffentlichen Auftragsvergaben vorsehen, die zwar allgemein und branchenunabhängig, aber eben nur für die Vergabe aller öffentlichen Aufträge gelten, als Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Sinne des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71 angesehen werden.70 Hieran wird – ungeachtet der fraglichen praktischen Relevanz für über Mindestlohnsätze hinausgehende Entlohnungsvorgaben – deutlich, dass die den im Inland ansässigen Unternehmen obliegende „gleiche“ Entlohnung auch nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem Wirtschaftsleben umfassen kann wie den öffentlicher Aufträge eines Bundeslandes, soweit die betreffenden Vorgaben alle betroffenen Bieter in gleicher Weise treffen. 3.1.2.3. Tarifverträge oder Schiedssprüche Die für die neue Fassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 praktisch relevantere Alternative für die Festlegung von Entlohnungsvorgaben sind Tarifverträge oder Schiedssprüche . Erfasst werden jedoch nur bestimmte Tarifverträge und Schiedssprüche. An erster Stelle sind dabei die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge und Schiedssprüche nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Spiegelstrich 2 RL 96/71 zu nennen, die in Art. 3 Abs. 8 UAbs. 1 RL 96/71 wie folgt definiert werden: „Unter ‚für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträgen oder Schiedssprüchen ‘ sind Tarifverträge oder Schiedssprüche zu verstehen, die von allen in den jeweiligen geographischen Bereich fallenden und die betreffende Tätigkeit oder das betreffende Gewerbe ausübenden Unternehmen einzuhalten sind.“ Entscheidendes Merkmal ist danach, dass die Tarifverträge bzw. Schiedssprüche in ihrem geographischen Anwendungsbereich alle betreffenden Unternehmen binden und nicht nur die den einschlägigen Tarifvertragsparteien angehörenden Arbeitgeber. Daneben sind auch noch weitere Tarifverträge und Schiedssprüche erfasst, soweit sie die Anforderungen von Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 bis 4 RL 96/71 erfüllen. Ursprünglich konnten die dort geregelten Tarifverträge und Schiedssprüche nur dann berücksichtigt werden, wenn Mitgliedstaaten ein System zur Allgemeinverbindlicherklärung nicht vorsahen und die Mitgliedstaaten dies beschlossen. Nach der Änderung können die Mitgliedstaaten beschließen , solche Tarifverträge und Schiedssprüche auch zusätzlich zu den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen und Schiedssprüchen zu berücksichtigen. Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 RL 96/71 unterscheidet dabei zwei Arten: „- die Tarifverträge oder Schiedssprüche, die für alle in den jeweiligen geographischen Bereich fallenden und die betreffende Tätigkeit oder das betreffende 69 EuGH, Urt. v. 17.11.2015, Rs. C-115/14 (RegioPost), Rn. 63. 70 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.11.2015, Rs. C-115/14 (RegioPost), Rn. 61 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 28 Gewerbe ausübenden gleichartigen Unternehmen allgemein wirksam sind, und/oder - die Tarifverträge, die von den auf nationaler Ebene repräsentativsten Organisationen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden und innerhalb des gesamten nationalen Hoheitsgebiets zur Anwendung kommen […].“ Für beide Varianten gilt, dass ihre Anwendung auf entsendende Unternehmen nicht zu einer Ungleichbehandlung mit den im Inland ansässigen Unternehmen führt, die sich hinsichtlich der betreffenden Tätigkeiten in einer „vergleichbaren Lage“ befinden . In den Worten der Richtlinie heißt es in Art. 3 Abs. 8 UAbs. 3 und 4 RL 96/71 hierzu unter Anknüpfung an den Begriff der Gleichbehandlung, dass beide genannten Varianten berücksichtigt werden: „sofern deren Anwendung auf in Artikel 1 Absatz 1 genannte [Entsende-]Unternehmen eine Gleichbehandlung dieser Unternehmen in Bezug auf die in Absatz 1 Unterabsatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Aspekte und gegebenenfalls bezüglich der den entsandten Arbeitnehmern nach Absatz 1a des vorliegenden Artikels zu garantierenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit den im vorliegenden Unterabsatz genannten anderen [inländischen] Unternehmen , die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, gewährleistet. Gleichbehandlung im Sinne dieses Artikels liegt vor, wenn nationale Unternehmen in einer vergleichbaren Lage: - am betreffenden Ort oder in der betreffenden Sparte hinsichtlich der Aspekte des Absatzes 1 Unterabsatz 1 des vorliegenden Artikels denselben Anforderungen unterworfen sind, wie die [Entsende-]Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 Absatz 1 und gegebenenfalls den entsandten Arbeitnehmern zu garantierenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nach Absatz 1a des vorliegenden Artikels , und - wenn sie dieselben Anforderungen mit derselben Wirkung erfüllen müssen.“71 In der Sache muss den Tarifverträgen und Schiedssprüchen nach Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 bis 4 RL 96/71 damit eine ähnliche Wirkung zukommen wie im Falle einer Allgemeinverbindlickeitserklärung im Sinne des Art. 3 Abs. 8 UAbs. 1 RL 96/71. Welche praktische Relevanz die neu bestehende Möglichkeit hat, derartige Tarifverträge und Schiedssprüche nicht nur bei Fehlen eines Systems der Allgemeinverbindlicherklärung in den Anwendungsbereich der Entsenderichtlinie einbeziehen zu können, sondern auch ergänzend zu einem solchen System, dürfte vom jeweiligen nationalen Recht und der dort geregelten Tarifautonomie abhängen . Für Deutschland hat diese Option keine Bedeutung, da Tarifverträge mangels einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) oder einer vergleichbaren Erstreckung durch Verordnung nach §§ 7, 7a Arbeitnehmerentsendegesetz 71 Hervorhebung durch Verfasser. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 29 (AentG), allein die jeweiligen Tarifvertragsparteien binden und somit den Anforderungen des Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 bis 4 RL 96/71 nicht genügen, vgl. auch § 3 TVG. 3.1.2.4. Weitere Bezugspunkte bzw. Rechtsquellen für Entlohnungsvorgaben? Der Grundsatz setzt zwingend voraus, dass in einem Mitgliedstaat ansässige Unternehmen gleichen und zwingenden Lohnvorgaben unterliegen. Nur dann können derartige Lohnvorgaben unter dem Postulat der Gleichbehandlung und entgegen der kollisionsrechtlichen Wahlfreiheit auf entsendende Unternehmer und ihre entsandten Arbeitnehmer erstreckt werden. Ist das nicht der Fall, weil etwa im Inland ansässige Arbeitgeber anders als entsendende Unternehmen von Lohnvorgaben nach unten abweichen können, liegt nämlich eine zum Nachteil entsendender Unternehmen wirkende Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß gegen das auch der Dienstleistungsfreiheit zugrunde liegende Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit vor.72 Gleiche und zwingende Lohnvorgaben, mögen sie auch lediglich gebiets- und branchenbezogen etc. gelten, können sich nur aus Rechts- und Verwaltungsvorschriften und/oder Maßnahmen der Tarifparteien ergeben, soweit letztgenannte über die Bindung der jeweiligen Tarifparteien hinausgehen und alle vergleichbaren und in dem betreffenden Anwendungsbereich tätigen Unternehmen binden. Da die Entsenderichtlinie diese beiden Möglichkeiten erfasst und bei tarifautonomen Maßnahmen zudem mehrere, an der Gleichbehandlung ausgerichtete Varianten enthält, ist nicht ersichtlich, dass noch weitere relevante Bezugspunkte bzw. Rechtsquellen für (gleiche) Entlohnungsvorgaben bestehen, auf die der Grundsatz über die geltende Entsenderichtlinie hinaus erstreckt werden könnte. In welchem Umfang der Grundsatz somit verwirklicht wird, hängt sonach allein davon ab, inwieweit in den Mitgliedstaaten durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. entsprechende Maßnahmen in Bezug auf Tarifverträge und Schiedssprüche – in Deutschland nach § 5 TVG oder §§ 7, 7a AentG – gleiche und zwingende Lohnvorgaben festgelegt werden. 3.2. Zur unionsrechtlichen Zulässigkeit der sekundärrechtlichen Verankerung des Grundsatzes des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort Bereits seit ihrem Erlass im Jahre 1996 ist die Unionsrechtmäßigkeit der Entsenderichtlinie insbesondere hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 f. AEUV umstritten, von der herrschenden Meinung jedoch anerkannt.73 Der EuGH hat sich zu dieser Frage bisher nicht ausdrücklich geäußert, die Bestimmungen der Entsenderichtlinie in verschiedenen Verfahren jedoch mehrfach ausgelegt, ohne ihre Gültigkeit in Frage zu stellen. Die von Ungarn und Polen eingereichten Nichtigkeitsklagen gegen die Änderungsrichtlinie bieten dem Gerichtshof nun die Gelegenheit, dies für die neu eingefügten Bestimmungen zu beantworten.74 Die bei dieser Gelegenheit aufgestellten Vorgaben dürften den 72 Siehe EuGH, Urt. v. 24.1.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Rn. 34 f. 73 Siehe mit Nachweisen aus dem Schrifttum etwas Kühn, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2016, § 3 AentG, Rn. 3. 74 Siehe die Klagen in den Rechtssachen C-620/18 (Ungarn/Parlament und Rat) vom 2.10.2018, ABl.EU 2018 Nr. C 427/31, sowie C-628/18 (Polen/Parlament und Rat) vom 3.10.2018, ABl.EU 2019 Nr. C 4/12. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 30 primärrechtlichen Rahmen definieren, innerhalb dessen die Verankerung und ggf. weitergehende Verwirklichung des Grundsatzes im Sekundärrecht überhaupt möglich ist. Die anlässlich der Verfahren erhobenen Einwände beziehen sich zu einem Großteil auf die geänderte Fassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 und betreffen zum einen die Rechtsgrundlage (3.2.1.) und zum anderen die Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit (3.2.2.). Im Folgenden sollen die betreffenden Einwände kurz dargestellt und kommentiert werden, ohne die Frage nach der Unionsrechtmäßigkeit eingehend zu untersuchen . 3.2.1. In Bezug auf die Rechtsgrundlage Wie oben ausgeführt ist die Änderungsrichtlinie – ebenso wie die ursprüngliche Entsenderichtlinie – auf Art. 53 Abs. 1 Var. 2 AEUV i. V. m. Art. 62 AEUV gestützt worden, wonach zur Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten Richtlinien für die Koordinierung mitgliedstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten erlassen werden können. Gegen die Neufassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 wird zum einen eingewandt , dass damit gegen Art. 153 Abs. 5 AEUV verstoßen wurde, wonach die der EU in Art. 153 AEUV eingeräumte Zuständigkeit u. a. nicht für das Arbeitsentgelt gelte. Die Wahl der oben genannten Rechtsgrundlage sei insoweit rechtsmissbräuchlich erfolgt.75 Im Lichte der bisherigen Rechtsprechung dürfte dieser Einwand nicht durchgreifen. Denn danach ist die Bereichsausnahme in Art. 153 Abs. 5 AEUV so zu verstehen, „dass sie sich auf Maßnahmen wie eine Vereinheitlichung einzelner oder aller Bestandteile und/oder der Höhe der Löhne und Gehälter oder die Einführung eines Mindestlohns bezieht, mit denen das Unionsrecht unmittelbar in die Festsetzung der Arbeitsentgelte innerhalb der Union eingreifen würde.“76 Eine solche unionale Festsetzung der Arbeitsentgelte wird durch Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 jedoch gerade nicht vorgenommen. Diese Vorschrift verweist vielmehr nur auf die Anwendung der in einem Mitgliedstaat ggf. festgelegten Lohnsätze für Entsendekonstellation, womit – wie auch hinsichtlich anderer Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen – lediglich das zur Anwendung berufene mitgliedstaatliche Recht festgelegt wird.77 Zum anderen wird geltend gemacht, dass Art. 53 Abs. 1 Var. 2 AEUV i. V. m. Art. 62 AEUV deshalb keine geeignete Rechtsgrundlage darstellten, weil die Änderungsrichtlinie in erster Linie auf den Schutz der Arbeitnehmer abziele und daher auf Grundlage von Art. 153 75 Vgl. Klage in den Rechtssachen C-620/18 (Ungarn/Parlament und Rat) vom 2.10.2018, ABl.EU 2018 Nr. C 427/31, Klagegrund Nr. 2. 76 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 19.7.2014, verb. Rs. C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12 (Specht u. a.), Rn. 33. 77 Siehe allgemein zum koordinierenden Ansatz der Entsenderichtlinie EuGH, Urt. v. 18.12.2007, Rs. C-341/05 (Laval un Partneri), Rn. 59 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 31 AEUV hätte erlassen werden müssen.78 Diese Vertragsvorschrift ermöglicht nach Maßgabe des Art. 153 Abs. 2 Buchst. b AEUV u. a. den Erlass von Vorschriften in Bezug auf die soziale Sicherheit und sozialen Schutz der Arbeitnehmer (Art. 153 Abs. 1 Buchst. c AEUV). Nach dem durch die Änderungsrichtlinie in Art. 1 RL 96/71 neu eingeführten Absatz -1 wird mit der Entsenderichtlinie „der Schutz entsandter Arbeitnehmer während ihrer Entsendung im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit sichergestellt, indem zwingende Vorschriften in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer festgelegt werden, die eingehalten werden müssen.“ Nach ständiger Rechtsprechung muss die „Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts […]“79 Ob Ziel und Inhalt des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 ausschließlich Art. 153 AEUV zuzuordnen sind, lässt sich mit Blick auf die kompetenzielle Reichweite des Art. 53 Abs. 1 Var. 2 AEUV einerseits sowie die doppelte generelle Funktion des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV andererseits bezweifeln. So hat der EuGH zu Art. 53 Abs. 1 Var. 2 AEUV im Zusammenhang mit der Einführung einer unionsweiten Pflichtmitgliedschaft für Kreditinstitute in nationalen Einlagensicherungssystemen Folgendes ausgeführt: „Die Mitgliedstaaten können folglich unter bestimmten Umständen Maßnahmen erlassen oder beibehalten, die den freien Verkehr behindern. Gerade solche Hindernisse darf die Gemeinschaft nach Artikel [53 Abs. 1 Var. 2 AEUV] durch die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten beseitigen. Da es sich um Koordinierungsmaßnahmen handelt, trägt die Gemeinschaft dem von den verschiedenen Mitgliedstaaten verfolgten Allgemeininteresse Rechnung und legt zur Wahrung dieses Interesses ein Schutzniveau fest, das in der Gemeinschaft akzeptabel erscheint.“80 Hinsichtlich der Beachtung der mitgliedstaatlichen Mindestlöhne durch entsendende Unternehmen hatte der EuGH den damit verbundenen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der entsandten Arbeitnehmer anerkannt,81 so dass es dem Unionsgesetzgeber gestattet sein dürfte, die daraus entstehenden Hindernisse durch eine einheitliche Bestimmung des jeweils anwendbaren mitgliedstaatlichen Rechts zumindest insoweit festzulegen, als auf die jeweiligen Mindestlöhne verwiesen wird.82 Ob dies 78 Vgl. Klage in den Rechtssachen C-620/18 (Ungarn/Parlament und Rat) vom 2.10.2018, ABl.EU 2018 Nr. C 427/31, Klagegrund Nr. 1. 79 Siehe bspw. EuGH, Urt. v. 13.5.1997, Rs. C-233/94 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 10. 80 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.5.1997, Rs. C-233/94 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 17. 81 EuGH, Urt. v. 14.4.2005, Rs. C-341/02 (Kommission/Deutschland), Rn. 24, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 82 Vgl, dazu für die ursprüngliche Fassung des Art. 3 Abs, 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 auch EuGH, Urt. v. 14.4.2005, Rs. C-341/02 (Kommission/Deutschland), Rn. 24 und 25. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 32 auch für den Verweis auf die Entlohnung als solche und damit ein höheres Schutzniveau gilt, bleibt abzuwarten und dürfte auch im Rahmen der Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit von zentraler Bedeutung sein.83 Was die doppelte Funktion des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71 an sich und damit auch des Buchst. c angeht, hat der EuGH diese wie folgt umschrieben: „In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 96/71 eine doppelte Zielsetzung verfolgt. Zum einen bezweckt diese Vorschrift , zwischen inländischen Unternehmen und Unternehmen, die länderübergreifende Dienstleistungen erbringen, einen lauteren Wettbewerb sicherzustellen, da sie die letztgenannten Unternehmen dazu verpflichtet, ihren Arbeitnehmern für eine begrenzte Liste von Aspekten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zuzuerkennen , die im Aufnahmemitgliedstaat festgelegt worden sind. Zum anderen bezweckt sie, für die entsandten Arbeitnehmer sicherzustellen, dass bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die genannten Aspekte die Regeln über den Mindestschutz dieses Mitgliedstaats angewandt werden, während die Arbeitnehmer vorübergehend im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätig sind […].“84 Hieraus folgt, dass es im Fall des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RL 96/71 jedenfalls nicht ausschließlich um den Schutz der entsandten Arbeitnehmer geht. Auch betont der EuGH an anderer Stelle, dass die Festlegung der anzuwendenden Arbeits- und Beschäftigungsbestimmungen „im Interesse der Arbeitgeber und ihres Personals“85 erfolgt. Vor diesem Hintergrund könnte die Auffassung vertreten werden, dass zumindest eine zusätzliche Heranziehung des Art. 153 Abs. 1 Buchst. c AEUV i. V. m. Art. 153 Abs. 2 Buchst. b AEUV geboten sei. Obgleich eine solche doppelte Abstützung der Rechtsprechung nach grundsätzlich möglich ist,86 würde sie vorliegend jedoch an den unterschiedlichen Verfahrensanforderungen scheitern, da Art. 53 Abs. 1 Var. 2 AEUV ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegt, während Art. 153 Abs. 1 Buchst. c AEUV i. V. m. Art. 153 Abs. 2 Buchst. b AEUV ein besonderes Gesetzgebungsverfahren erfordert, nach welchem mit Einstimmigkeit entschieden werden muss.87 Vor diesem Hintergrund könnte es auf den Schwerpunkt der Regelung ankommen. Wie der EuGH die Neufassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 in kompetenzieller in diesem Lichte betrachtet bewerten wird, bleibt aufgrund des dabei bestehenden Wertungsspielraums abzuwarten. 83 Siehe dazu sogleich unter 3.2.2., S. 33 f. 84 EuGH, Urt. v. 12.2.2015, Rs. C-396/13 (Sähköalojen), Rn. 30. 85 EuGH, Urt. v. 18.12.2007, Rs. C-341/05 (Laval un Partneri), Rn. 58. 86 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.6.91, Rs. C-300/89 (Kommission/Rat), Rn. 17. 87 Vgl. zur Konstellation verschiedener Verfahrensanforderungen im Zusammenhang mit der Wahl der Rechtsgrundlage, EuGH, Urt. v. 11.6.91, Rs. C-300/89 (Kommission/Rat), Rn. 17 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 33 3.2.2. In Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit Im Zusammenhang mit der Dienstleistungsfreiheit wird geltend gemacht, dass Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 eine verbotene Beschränkung darstelle, die nicht aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, insbesondere nicht aus Gründen des sozialen Schutzes von Arbeitnehmern und fairen Wettbewerbs gerechtfertigt sei und darüber hinaus auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.88 Wie bereits oben ausgeführt, hat der EuGH anerkannt, dass es „einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht verwehrt [ist], einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, das Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat erbringt, die Verpflichtung aufzuerlegen , seinen Arbeitnehmern die durch die nationalen Vorschriften dieses Staates festgelegten Mindestlöhne zu zahlen […].“89 Dies dürfte daher auch für eine entsprechende Regelung des Unionsgesetzgebers gelten, mit der unionsweit auf die mitgliedstaatliche Mindestlohnvorgaben verwiesen wird, wie dies ursprünglich in der Entsenderichtlinie der Fall war, auch wenn der EuGH dies bisher nicht ausdrücklich festgestellt hat.90 Ob der damit einhergehende Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit,91 an die auch der Unionsgesetzgeber gebunden ist,92 im Hinblick auf die Neufassung dieses Artikels und ihren Verweis auf die jeweilige Entlohnung noch als gerechtfertigt und verhältnismäßig angesehen werden kann, ist offen. Denn der Unionsgesetzgeber ist mit der Anknüpfung an die Entlohnung über den Mindestschutz in Gestalt des Mindestlohns hinausgegangen. Zwar folgt aus der oben zitierten Rechtsprechung, dass der Unionsgesetzgeber ein Schutzniveau festlegen darf.93 Es stellt sich jedoch erstens die Frage, welche Grenzen hierfür bestehen, wenn das gewählte Schutzniveau – wie hier – über die Intensität des Eingriffs in die Grundfreiheit entscheidet. Zweitens lässt sich der bisherigen Rechtsprechung nicht entnehmen , inwieweit auch ein Hinausgehen über Mindestlohnvorgaben als dem Schutz der entsandten Arbeitnehmer dienend angesehen werden kann.94 88 Siehe Klage Polens, Rs. C-628/18 (Polen/Parlament und Rat) vom 3.10.2018, ABl.EU 2019 Nr. C 4/12, Klagegrund Nr. 1a sowie allgemeine Ausführungen. Vgl. auch Klage Ungarns, Rs. C-620/18 (Ungarn/Parlament und Rat) vom 2.10.2018, ABl.EU 2018 Nr. C 427/31, Klagegrund Nr. 3. 89 EuGH, Urt. v. 14.4.2005, Rs. C-341/02 (Kommission/Deutschland), Rn. 24. 90 Siehe aber EuGH, Urt. v. 14.4.2005, Rs. C-341/02 (Kommission/Deutschland), Rn. 25. 91 Siehe hierzu EuGH, Urt. v. 24.1.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Rn. 18, wonach zusätzliche administrative und wirtschaftliche Kosten und Belastungen durch nationale Maßnahmen einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit begründen. 92 Siehe etwa Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 62), Art. 56-57 AEUV (43. EL März 2011), Rn. 73. 93 EuGH, Urt. v. 13.5.1997, Rs. C-233/94 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 17. 94 Ablehnend etwa Riesenhuber (Fn. 6), NZA 2018, S. 1433 (1437), der darauf hinweist, dass es sich dabei um eine positive Förderung handele, die ökonomisch und rechtlich fragwürdig bleibe. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 34 Drittens bedarf der Klärung, welche Bedeutung hier der wettbewerblichen Komponente des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 zukommt. Wie oben ausgeführt, führt die Verpflichtung zur Zahlung gleichen Lohns dazu, dass entsendenden Unternehmen eventuelle Lohnvorteile in Gänze genommen werden. Damit dient die Regelung nicht zuletzt auch dem Schutz der inländischen Unternehmen vor einer Lohnkonkurrenz durch aus Mitgliedstaaten mit niedrigerem Lohnniveau agierenden Entsendeunternehmen. Im Hinblick auf die Einhaltung von Mindestlohnvorgaben stellte der EuGH zwar – wie aus dem obigen Zitat ersichtlich – auch auf den Schutz des lauteren Wettbewerbs ab.95 Ob dies auch hinsichtlich für die Einhaltung darüber hinausgehender Entlohnungsvorgaben gilt, harrt bisher der Klärung . Hiergegen könnte jedenfalls die bisher auf mitgliedstaatliche Maßnahmen bezogene ständige Rechtsprechung ins Feld geführt werden, wonach Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit nicht durch Ziele wirtschaftlicher Art wie den Schutz inländischer Unternehmer gerechtfertigt werden dürfen.96 Es ist nicht ersichtlich, warum dies nicht auch für Maßnahmen des Unionsgesetzgebers gelten soll, soweit diese darauf gerichtet sind, Mitgliedstaaten mit höheren Lohnniveaus vor solchen mit niedrigerem zu schützen. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch von Bedeutung, dass der EuGH für (mitgliedstaatliche ) Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit allgemein die Vorgabe aufgestellt hat, dass ein „Mitgliedstaat insbesondere die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet nicht von der Einhaltung all derjenigen Voraussetzungen abhängig machen [darf], die für eine Niederlassung gelten, und damit den Bestimmungen des EG-Vertrags, deren Ziel es gerade ist, die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten, jede praktische Wirksamkeit nehmen […].“97 Auch diese Vorgabe dürfte für den Unionsgesetzgeber von Bedeutung sein, soweit seine Maßnahmen darauf hinauslaufen, dass zwischen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Unternehmen und solchen, die ihre Arbeitnehmer dorthin entsenden , keine Unterschiede hinsichtlich der dort einzuhaltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bestehen. Ob dies allerdings auch dann der Fall ist, wenn nur eine – wenngleich sehr maßgebliche – Beschäftigungsbedingung wie die Entlohnung betroffen ist, ist offen. Welche Entscheidung die beschriebenen Einwände bewerten wird, bleibt abzuwarten. Seine Auslegung der Dienstleistungsfreiheit in der Sache wird über den primärrechtlichen Rahmen für die Verankerung des Grundsatzes im Sekundärrecht und insbesondere der Entsenderichtlinie entscheiden. 4. Ergebnis Der bisher ausschließlich in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 verankerte Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort ist strukturell auf Entsendekonstellationen im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit beschränkt. Innerhalb dieses konstitutiven Rahmens erfasst die Entsenderichtlinie sowohl die grundfreiheitlich möglichen Entsendekonstellationen als auch die in Betracht kommenden Bezugspunkte bzw. Rechtsquellen für 95 EuGH, Urt. v. 12.2.2015, Rs. C-396/13 (Sähköalojen), Rn. 30. 96 EuGH, Urt. v. 24.1.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Rn. 27. 97 EuGH, Urt. v. 24.1.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Rn. 17. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 41/20 Seite 35 die auf entsendende Unternehmen und deren entsandte Arbeitnehmer zu erstreckenden Lohnvorgaben. Für eine darüber hinausgehende Verwirklichung des Grundsatzes besteht daher auf unionaler Ebene unter diesen beiden Gesichtspunkten kein Raum, da sie insoweit – vorbehaltlich der Anforderungen an den Begriff des entsandten Arbeitnehmers und der ausdrücklichen Ausnahmen in Art. 3 Abs. 3 bis 5 RL 96/71 – als umfassend zu betrachten ist. Lediglich im Hinblick auf die von dem Grundsatz und seiner Verwirklichung in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 erfassten Sachbereiche stellt sich derzeit die umstrittene Frage, ob die Entsenderichtlinie aus kompetenziellen Gründen Entsendekonstellationen im Verkehrsbereich erfasst oder nicht. Ist das der Fall, so kann eine sachbereichsbezogene Erstreckung nur durch Streichung der bisher bestehenden Ausnahme in Art. 1 Abs. 2 RL 96/71 für Schiffsbesatzungen von Unternehmen der Handelsmarine erreicht werden. Werden Entsendekonstellationen im Verkehrsbereich aus kompetenziellen Gründen dagegen nicht erfasst, so müsste der Grundsatz für diesen Bereich auf Grundlage von Art. 91 AEUV sekundärrechtlich gesondert verankert werden. Hiervon unabhängig liegt es somit entscheidend in den Händen der Mitgliedstaaten, ob sie im Rahmen ihres nationalen (Tarif -)Rechts im Inland gleiche Entlohnungsvorgaben festlegen, die in Anwendung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 auf entsendende Unternehmen und ihre Arbeitnehmer erstreckt werden können. Ungeachtet der strukturellen Fragen nach der geltenden Fassung und Reichweite sowie einer ggf. darüber hinausgehenden Verwirklichung bestehen rechtliche Zweifel, ob der Grundsatz überhaupt unionsrechtskonform in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 verankert werden kann. So sind gegen die Änderungsrichtlinie zwei Nichtigkeitsklagen, die von Ungarn und Polen erhoben worden, anhängig. Die darin geäußerten Einwände betreffen zum einen die Frage nach der zutreffenden Rechtsgrundlage für die Änderungsrichtlinie im Allgemeinen und die neue Fassung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c RL 96/71 im Besonderen. Zum anderen wird geltend gemacht, dass der letztgenannte Artikel einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 f. AEUV darstellt. Wie der EuGH hierüber befinden wird, bleibt abzuwarten. Die Urteile des EuGH dürften Auskunft über den primärrechtlichen Rahmen geben, innerhalb dessen eine Verankerung und Verwirklichung des Grundsatzes im Sekundärrecht und insbesondere der Entsenderichtlinie möglich ist. – Fachbereich Europa –