© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 – 41/14 Fragen zu den Verhandlungen über eine Finanztransaktionssteuer im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 41/14 Seite 2 Fragen zu den Verhandlungen über eine Finanztransaktionssteuer im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit Aktenzeichen: PE 6 - 3000 – 41/14 Abschluss der Arbeit: 24. Februar 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 41/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund und Fragestellung 4 1.1. Hintergrund 4 1.2. Fragestellung 5 2. Stellungnahme 6 2.1. Rechtliche Einordnung des ermächtigenden Beschlusses 6 2.2. Bindungswirkungen des ermächtigenden Beschlusses 6 2.3. Folgerungen für die Wirkung des Beschlusses 2013/52/EU 7 3. Zusammenfassung 8 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 41/14 Seite 4 1. Hintergrund und Fragestellung Die Ausarbeitung geht auf Fragen der möglichen Ausgestaltung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit (VZ) ein. 1.1. Hintergrund Im Jahr 2011 hat die Europäische Kommission gestützt auf Art. 113 AEUV einen Richtlinienvorschlag KOM(2011)594 endg. für ein gemeinsames Finanztransaktionssteuersystem mit Wirkung für die gesamte EU vorgelegt.1 Dieser Vorschlag sah eine vollständige Harmonisierung der steuerlichen Bemessungsgrundsätze und eine Festlegung von Mindeststeuersätzen von bestimmten Transaktionen vor.2 Nachdem sich die Mitgliedstaaten der EU nicht auf ein gemeinsames System der Finanztransaktionssteuer in der EU als Ganzes einigen konnten3, haben am 28. September 2012 elf Mitgliedstaaten 4 die Kommission gemäß Art. 329 Abs. 1 AEUV ersucht, einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Begründung einer VZ gemäß Art. 20 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) i.V.m. Art. 326 ff. AEUV zur Einrichtung einer FTS vorzulegen . Dabei beantragten die ersuchenden Mitgliedstaaten, dass sich der Geltungsbereich und die Ziele der VZ auf dem Vorschlag KOM(2011)594 endg. stützen soll.5 Am 23. Oktober 2012 hat die Kommission dem Rat einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet, dem das Europäische Parlament am 12. Dezember 2012 zugestimmt hat.6 1 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG, KOM(2011) 594 endg., online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0594:FIN:DE:PDF; vgl. hierzu auch Europäisches Parlament , Legislative Entschließung vom 23. Mai 2012 (KOM(2011)594 endg. – C7-0355/2011 – 2011/0261(CNS)); Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme v. 21.6.2012 zu KOM(2011) 594 endg., ABl. C 181/55; Ausschuss der Regionen, Stellungnahme 2012/C 113/03 v. 18.4.2012, ABl. C 113/7; Europäischer Rat, Schlussfolgerungen vom 28. Juni 2012, EUCO 76/2/12, REV2, Seite 13, Punkt 3 lit. j. Vgl. auch Deutscher Bundestag , Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/3634. 2 KOM(2011) 594 endg., S. 9 f. 3 Zum Hintergrund vgl. Europäische Kommission, Besteuerung des Finanzsektors, online abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/other_taxes/financial_sector/index_de.htm. 4 Belgien, Deutschland, Estland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien und die Slowakei. 5 6. Erwägungsgrund Beschluss 2013/52/EU des Rates über die Ermächtigung zu einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer , ABl. L 22/11, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:022:0011:01:DE:HTML. 6 Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer , KOM(2012)631 endg., online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0631:FIN:DE:PDF; Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12.12.2012 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer (KOM(2012)631 – C7-0396/2012 – 2012/0298(APP)), online abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=- //EP//TEXT+TA+20121212+ITEMS+DOC+XML+V0//DE&language=DE#sdocta14. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 41/14 Seite 5 Am 22. Januar 2013 hat der Rat schließlich mit qualifizierter Mehrheit7 den Beschluss 2013/52/EU über die Ermächtigung zu einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer gefasst .8 Durch den Ratsbeschluss werden die teilnehmenden Mitgliedstaaten ermächtigt, „auf der Grundlage der einschlägigen Bestimmungen der Verträge untereinander eine VZ im Bereich der Schaffung eines gemeinsamen Finanztransaktionssteuersystems zu begründen“. Die Einführung einer FTS im Wege der VZ soll dazu dienen, durch Schaffung eines gemeinsamen Finanztransaktionssteuersystems die Steuern der Mitgliedstaaten auf Finanztransaktionen zu harmonisieren, die Finanzeinrichtungen mit einem angemessenen Beitrag an den Kosten der globalen Finanzkrise zu beteiligen und durch geeignete Anreizregelungen die der Effizienz der Finanzmärkte nicht förderlichen Transaktionen zu unterbinden.9 Zur Einrichtung einer FTS im Wege der VZ hat die Kommission am 14. Februar 2013 den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Umsetzung einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer vorgelegt.10 Gemeinsam mit dem ermächtigenden Ratsbeschluss bildet dieser Vorschlag den Ausgangspunkt für die fortdauernden Beratungen der an der VZ beteiligten Mitgliedstaaten . Die Verhandlungen sind darauf gerichtet, nach Anhörung von Europäischem Parlament und Wirtschafts- und Sozialausschuss einen einstimmigen Ratsbeschluss über die Richtlinie zur Umsetzung der VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer - bezogen auf die an der VZ teilnehmenden Mitgliedstaaten - fassen zu können. 1.2. Fragestellung Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach dem Umfang und den Grenzen des durch den Beschluss 2013/52/EU erteilten Mandats gestellt. Insbesondere wird die Frage gestellt, ob die teilnehmenden Mitgliedstaaten das Mandat dafür haben, über eine Finanztransaktionssteuer zu beraten , die gegenüber dem Vorschlag KOM(2011)594 endg. eine geringere Steuerbasis aufweist. Hierzu verweist der Auftraggeber auf Berichte, wonach sich die französische und italienische Regierung dafür einsetzen, die von ihnen unilateral beschlossenen Steuern auf bestimmte Finanztransaktionen zum Vorbild für die Verhandlungen unter den elf an der VZ beteiligten Mitgliedstaaten zu machen. Sowohl die französische als auch die italienische Finanztransaktionssteuer erfasse jedoch nur einen Bruchteil der von dem Kommissionsvorschlag KOM(2011)594 endg. in den Blick genommenen Transaktionen. 7 Bei der Abstimmung im Rat enthielten sich Großbritannien, Luxemburg, Malta und Tschechien. 8 Beschluss 2013/52/EU des Rates über die Ermächtigung zu einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer; vgl. hierzu den Vorschlag KOM(2012)631 endg. sowie die Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12.12.2012 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer (KOM(2012)631 – C7-0396/2012 – 2012/0298(APP)). 9 6. Erwägungsgrund Beschluss 2013/52/EU des Rates über die Ermächtigung zu einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer , ABl. L 22/11, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:022:0011:01:DE:HTML. 10 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Umsetzung einer VZ im Bereich der Finanztransaktionssteuer, KOM(2013)71 endg., online abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/taxation/com_2013_71_de.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 41/14 Seite 6 2. Stellungnahme 2.1. Rechtliche Einordnung des ermächtigenden Beschlusses Das Unionsrecht steht prinzipiell einer Integration entgegen, welche die systembildende Einheit der Integration in allen Mitgliedstaaten sachlich, räumlich oder zeitliche durchbricht.11 Dieses Grundziel gerät aber unter Druck bei unterschiedlichen Vorstellungen der Mitgliedstaaten über eine Weiterentwicklung der europäischen Integration. Um einer Gruppe von Mitgliedstaaten bei fehlendem Konsens zwischen allen Mitgliedstaaten gleichwohl die Verwirklichung einer von ihnen integrationspolitisch gewünschten Maßnahme zu ermöglichen, haben die Mitgliedstaaten mit der VZ primärrechtlich die Möglichkeit einer differenzierten Integration geschaffen.12 Die VZ ist ein Mechanismus, der kooperationswilligen Mitgliedstaaten als ultima ratio unter bestimmten Bedingungen einen Integrationsschritt ermöglicht, wenn eine gewünschte Maßnahme von der Union in ihrer Gesamtheit nicht erreicht werden kann. Entsprechend dem begrenzten Teilnehmerkreis ist der räumliche Geltungsbereich von Rechtsakten, die im Rahmen einer VZ erlassen werden, auf die kooperierenden Mitgliedstaaten beschränkt (Art. 20 Abs. 4 EUV). Wegen der mit dieser Kooperation einhergehenden Durchbrechung des für die EU konstitutiven Grundsatzes der einheitlichen Integration ist eine Zustimmung aller Mitgliedstaaten für ein solches Vorgehen erforderlich. Diese Zustimmung bringt der zu einer VZ ermächtigende Beschluss des Rates gemäß Art. 20 Abs. 2 EUV, Art. 329 Abs. 1 AEUV zum Ausdruck. In diesem Beschluss erlauben alle EU-Mitgliedstaaten gemeinsam den kooperationswilligen Mitgliedstaaten ein Handeln im Wege der VZ und legen hierfür im Konsens den Umfang und die Ziele des Integrationsprogramms fest, das im Rahmen einer VZ umgesetzt werden soll (Art. 329 Abs. 1 S. 1 AEUV). Diese Bestimmung des Gegenstandes der VZ markiert zugleich ihre inhaltlichen Grenzen. Darüber hinaus müssen die kooperierenden Mitgliedstaaten die primärrechtlich festgelegten Prämissen der VZ wahren: Maßnahmen im Rahmen einer VZ müssen insbesondere mit dem Binnenmarkt vereinbar sein und die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nicht an der VZ beteiligten Mitgliedstaaten achten (Art. 326 – 334 AEUV). 2.2. Bindungswirkungen des ermächtigenden Beschlusses Die an der VZ teilnehmenden Mitgliedstaaten sind nur an diesen Rechtsrahmen gebunden. Dieser prädeterminiert jedoch nur die allgemeine Ausrichtung der die VZ umsetzenden Maßnahmen im Hinblick auf ein bestimmtes Integrationsprogramm. Denn der ermächtigende Beschluss bildet nur die Grundlage für die spätere Ausgestaltung einer Integrationsmaßnahme im Wege der VZ. Der eigentliche Inhalt einer solchen Maßnahme wird nicht im Ermächtigungsbeschluss selbst festgelegt. Dieser ist allein darauf gerichtet, die antragstellenden Mitgliedstaaten zu ermächtigen , eine VZ einzuleiten. Die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung obliegt vielmehr den teilnehmenden Mitgliedstaaten auf der Grundlage und im Rahmen des ermächtigenden Be- 11 Vgl. Müller-Graff, Differenzierte Integration, in: integration 2007, S. 129 f. 12 Huber, Differenzierte Integration, EuR 1996, S. 347 ff.; Giering, Vertiefung durch Differenzierung – Flexibilisierungskonzepte in der aktuellen Reformdebatte, in: integration 1997, S. 72 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 41/14 Seite 7 schlusses unter Inanspruchnahme der Unionsorgane nach den in Art. 20 EUV und Art. 326 ff. AEUV vorgesehenen Modalitäten und Grenzen.13 Dementsprechend trifft auch den teilnehmenden Mitgliedstaaten eine eigenständige, von dem ermächtigenden Beschluss unabhängige Pflicht, die Primärrechtskonformität der im Rahmen der VZ erlassenen Maßnahme sicherzustellen. 2.3. Folgerungen für die Wirkung des Beschlusses 2013/52/EU Nach dem Wortlaut von Art. 1 des Beschlusses 2013/52/EU werden die dort genannten teilnehmenden Mitgliedstaaten nur dazu „ermächtigt, auf der Grundlage der einschlägigen Bestimmungen der Verträge untereinander eine Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines gemeinsamen Finanztransaktionssteuersystems zu begründen“. Weitere Bedingungen oder Einzelheiten der Rechtsakte, die im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit angenommen werden können, sind im Beschluss jedoch nicht enthalten. Der Beschluss umreißt lediglich den zu besteuernden Sachverhalt. Er enthält keine verbindlichen inhaltlichen Vorgaben für die geplante FTS beispielsweise in dem Sinne, dass der Beschluss nur zu einer spezifischen Besteuerung auf der Grundlage einer bestimmten Bemessungsgrundlage ermächtigt oder eine solche ausdrücklich ausschließt. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenhang oder der historischen Entwicklung des Beschlusses. Insbesondere lässt sich die Nennung des Vorschlags KOM(2011)594 endg. und die Bezugnahme auf seinen Geltungsbereich und seine Ziele im 6. Erwägungsgrund des Beschlusses 2013/52/EU nicht im Sinne einer verbindlichen Vorfestlegung dergestalt verstehen, dass die spätere Ausgestaltung der VZ den Regelungen des Vorschlags KOM(2011)594 endg. entsprechen muss. Denn allein durch die Erwähnung des Vorschlags KOM(2011)594 endg. in den Erwägungsgründen wird sein Regelungsgehalt nicht zum Regelungsgehalt des ermächtigenden Beschlusses. Der EuGH hat diesbezüglich im Zusammenhang mit der VZ im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes festgestellt, dass eine derartige Bezugnahme auf Kommissionsvorschläge nicht dazu führt, dass sie zum Bestandteil des Beschlusses werden.14 Zudem befanden sich die Regelungen zur Finanztransaktionssteuer gemäß KOM(2011)594 endg. bei Annahme des Beschlusses 2013/52/EU noch im Stadium der Vorarbeiten für ein späteres Gesetzgebungsverfahren und sind daher kein Bestandteil des Beschlusses, der die teilnehmenden Mitgliedstaaten verpflichtet. 13 Vgl. EuGH, Urteil vom 16. April 2013, verb. Rs. C-274/11 und C-295/11 (Italien und Spanien/Rat), Rn. 92. 14 Vgl. EuGH, Urteil vom 16. April 2013, verb. Rs. C-274/11 und C-295/11 (Italien und Spanien/Rat), Rn. 76 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 41/14 Seite 8 3. Zusammenfassung Das Mandat, das den an der VZ teilnehmenden Mitgliedstaaten durch Beschluss 2013/52/EU erteilt wurde, ist nicht dahingehend beschränkt, dass sie zur Einführung einer bestimmten, beispielsweise am Vorschlag KOM(2011)594 endg. ausgerichteten FTS verpflichtet sind. Die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung der FTS obliegt den an der VZ teilnehmenden Mitgliedstaaten auf der Grundlage und im Rahmen des ermächtigenden Beschlusses und der primärrechtlichen Grenzen einer VZ (Art. 20 EUV, Art. 326 ff. AEUV). - Fachbereich Europa -