© 2018 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 40/18 Einschränkungen beim Kindergeld für im Ausland lebende Kinder von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten im Lichte des Unionsrechts Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 2 Einschränkungen beim Kindergeld für im Ausland lebende Kinder von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten im Lichte des Unionsrechts Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 40/18 Abschluss der Arbeit: 13. März 2018 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Bedeutung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit in der Unionsrechtsordnung 5 3. Ausprägungen des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit und sein rechtlicher Gehalt 5 4. Beantwortung der Gutachtenfragen 8 4.1. Als Prüfungsmaßstab einschlägige Diskriminierungsverbote aus Gründen der Staatsangehörigkeit 8 4.2. Diskriminierungsverbot und Maßnahmen, die allein Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten treffen 9 4.3. Diskriminierungsverbot und Maßnahmen, die in rechtlicher Hinsicht sowohl Inländer als auch Angehörige anderer EU- Mitgliedstaaten in der gleichen Weise treffen 10 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich wird um die Beantwortung der folgenden Fragen zum Kindergeld nach deutschem Recht ersucht: „Welche Regelungen des EU-Rechts stehen einer Indexierung des deutschen Kindergeldes für EU-Ausländer, deren Kinder im Ausland leben, im Wege und wie könnten diese beseitigt werden? Ist es nach EU-Recht beziehungsweise deutschem Recht möglich, EU- Ausländer, deren Kinder im Ausland leben, generell vom deutschen Kindergeld auszuschließen ? Wenn nein, wie können die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden?“ Der maßgebliche rechtliche Maßstab für die Beantwortung dieser Fragen ist das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.1 Dieses bindet nicht nur die Mitgliedstaaten,2 sondern auch den Unionsgesetzgeber bei der sekundärrechtlichen Ausgestaltung der Unionsrechtsordnung.3 Regelungen zum Kindergeld, die auf mitgliedstaatlicher oder Unionsebene getroffen werden, müssen (zumindest auch) den Anforderungen des Diskriminierungsverbots gerecht werden. Im Folgenden wird zunächst kurz die Bedeutung des Diskriminierungsverbots in der Unionsrechtsordnung beschrieben (2.). Sodann ist auf seine verschiedenen Normierungen im Unionsrecht sowie seinen rechtlichen Gehalt einzugehen (3.). Schließlich sind die gestellten Fragen im Lichte seines Schutzgehalts zu beantworten (4.). Dem Gutachten beigefügt sind zwei ältere Ausarbeitungen des Fachbereichs, die ebenfalls Fragen zu etwaigen Änderungen der Kindergeldvorschriften behandeln und auf die an passenden Stellen verwiesen wird.4 1 Siehe aus Sicht der Mitgliedstaaten Becker, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 48 AEUV, Rn. 19 ff., mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 2 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 2.06.2016, Rs. C-233/14 (Kommission/Niederlande), Rn. 76 f. Siehe aus dem Schrifttum etwa Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar zum EUV, AEUV und zur GRC, 2017, Art. 18 AEUV, Rn. 61; Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 18 AEUV (42. Erglfg. 2010), Rn. 25. 3 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 15.01.1986, Rs. C-41/84 (Pinna), Rn. 40. Aus dem Schrifttum siehe Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 2), Art. 18 AEUV (42. Erglfg. 2010), Rn. 25; Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 18 AEUV, Rn. 40. 4 Es handelt sich die Ausarbeitungen PE 6 – 3000 – 8/14 vom 25.6.2014 mit dem Titel „Kürzungen des Kindergeldes und EU-Recht“ (im Folgenden: Gutachten I) und PE 6 – 3000 – 71/16 vom 29.4.2016 mit dem Titel „Kürzungen des Kindergelds im Lichte des EU-Rechts“ (im Folgenden: Gutachten II). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 5 2. Bedeutung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit in der Unionsrechtsordnung Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) handelt es sich bei dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit um einen „Grundsatz der Gemeinschaft “.5 Der darin in anderen Worten verankerte Grundsatz der Inländergleichbehandlung sei einer „der grundlegenden Rechtssätze der Gemeinschaft“.6 Die in diesen Formulierungen zum Ausdruck kommende hervorgehobene Stellung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Unionsrecht spiegelt sich auch im Schrifttum wieder. Darin wird es als „Leitmotiv“7 oder als „Magna-Charta“8 der Verträge, auf denen die Europäische Union (EU) beruht, bezeichnet. Die mit ihm bezweckte „Überwindung des Fremdenstatus“ im Hinblick auf Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten wird als notwendige Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt und die EU insgesamt angesehen.9 Auf der Gleichstellung von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten mit Inländern bauen alle weiteren (wirtschaftlichen) Integrationsschritte im Rahmen der EU auf.10 3. Ausprägungen des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit und sein rechtlicher Gehalt Das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist in seiner allgemeinen Ausprägung in Art. 18 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert. Daneben liegt das Gebot der Inländergleichbehandlung u. a. den personenbezogenen Grundfreiheiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit (vgl. Art. 45 Abs. 3 AEUV), der Niederlassungsfreiheit (vgl. Art. 49 Abs. 2 AEUV) sowie der Dienstleistungsfreiheit (vgl. Art. 57 Abs. 3 AEUV) zugrunde.11 Ist der Anwendungsbereich der Grundfreiheit(en) eröffnet, tritt das allgemeine Diskriminierungsverbotsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV („unbeschadet besonderer Bestimmungen“) dahinter zurück. 5 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.10.2009, Rs. C-115/08 (Land Oberösterreich/Čez), Rn. 88, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 6 EuGH, Urt. v. 27.10.2009, Rs. C-115/08 (Land Oberösterreich/Čez), Rn. 88. 7 So bereits Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 592/Rn. 3. Siehe auch Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge vom 30.6.1993 zu EuGH, Urt. v. 20.10.1993, verb. Rs. C-92/92 u. C-362/92 (Phil Collins), Rn. 10 der Schlussanträge. 8 Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 2), Art. 18 AEUV (42. Erglfg. 2010), Rn. 1. 9 Holoubek, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Fn. 1), Art. 18 AEUV, Rn. 3. Vgl. auch Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 2), Art. 18 AEUV, Rn. 1. 10 Vgl. Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge vom 30.6.1993 zu EuGH, Urt. v. 20.10.1993, verb. Rs. C-92/92 u. C-362/92 (Phil Collins), Rn. 10 der Schlussanträge. 11 Siehe hierzu im Allgemeinen sowie zu weiteren Ausprägungen Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde (Fn. 2), Art. 18 AEUV, Rn. 72 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 6 Neben den unionsvertraglich – d. h. im Primärrecht – geregelten Diskriminierungsverboten aus Gründen der Staatsangehörigkeit bestehen auf sekundärrechtlicher Ebene zahlreiche bereichsspezifische Konkretisierungen.12 Zu nennen ist vorliegend insbesondere Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit13 (im Folgenden auch: VO 883/2004). Nach dieser Verordnung wird das auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt anwendbare mitgliedstaatliche Sozialrechtssystem bestimmt (vgl. Art. 3, 11 ff. VO 883/2004), auch im Hinblick auf Familienleistungen wie das Kindergeld (vgl. Art. 67 ff. VO 883/2004). Ein anderes Beispiel ist Art. 24 Abs. 1 der sog. Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EU (im Folgenden: RL 2004/38).14 Dieser Rechtsakt konkretisiert die den Aufenthalt betreffende Rechtsstellung von Unionsbürgern in anderen Mitgliedstaaten (vgl. Art. 1 RL 2004/38). Die sekundärrechtlichen Ausprägungen sind – soweit einschlägig – gegenüber den Diskriminierungsverboten der primärrechtlichen Grundfreiheiten bzw. gegenüber Art. 18 Abs. 1 AEUV vorrangig anwendbar.15 Mitgliedstaatliches Recht ist zuvörderst an ihrem Maßstab zu messen. Für Handlungen des Unionsgesetzgebers bleiben indes die primärrechtlichen Ausprägungen maßgeblich .16 Unabhängig von der primär- oder sekundärrechtlichen Verankerung weisen alle Diskriminierungsverbote – ungeachtet ihrer verschiedenen sachlichen Anwendungsbereiche17 – den gleichen 12 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Rs. C-333/13 (Dano), Rn. 60 f. 13 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl.EU 2004 Nr. L 166/1, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004R0883-20170411&qid=1520776816500&from=DE (letztmaliger Abruf am 14.03.18). 14 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten , zur Änderung […], ABl. EU 2004 Nr. L 158/77, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004L0038- 20110616&qid=1520777185191&from=DE (letztmaliger Abruf am 14.03.18). 15 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Rs. C-333/13 (Dano), Rn. 62. 16 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 15.01.1986, Rs. C-41/84 (Pinna), Rn. 23 ff.; EuGH, Urt. v. 21.02.2013, Rs. C-46/12 (L. N.), Rn. 33; EuGH, Urt. v. 4.06.2009, verb. Rs. C-22/08 u. C-23/08 (Vatsouras u. a.), Rn. 44. 17 Besonderer Erwähnung bedarf der Anwendungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 18 Abs. 1 AEUV, der – vorbehaltlich vorrangig anwendbarer grundfreiheitlicher Diskriminierungsverbote, vgl. Fn. 11 – nur „im Anwendungsbereich der Verträge“ Wirkung entfaltet. Dieser ist v. a. dann eröffnet, wenn EU- Angehörige von ihrem allgemeinen Recht auf Freizügigkeit nach Art. 21 Abs. 1 AEUV Gebrauch machen, indem sie sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben. Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 2.06.2016, Rs. C-233/14 (Kommission /Niederlande), Rn. 78. Siehe zu dieser Rechtsprechung Koenig/Haratsch/Pechstein, Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 740 f., 774. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 7 rechtlichen Gehalt auf: sie verbieten jede offene (unmittelbare) oder versteckte (mittelbare) Ungleichbehandlungen von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten im Verhältnis zu Inländern, die nicht objektiv gerechtfertigt ist.18 Während offene Ungleichbehandlungen dadurch definiert sind, dass der Tatbestand der differenzierenden Vorschrift ausdrücklich an das (verbotene) Merkmal der Staatsangehörigkeit anknüpft, kennzeichnen sich versteckte Formen der Diskriminierung durch Verwendung anderer, an sich neutraler Unterscheidungsmerkmale, die aber tatsächlich zu demselben Ergebnis führen, nämlich einer überwiegenden Benachteiligung von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten.19 Offene wie versteckte Ungleichbehandlungen von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten im Verhältnis zu Inländern können ausnahmsweise gerechtfertigt werden.20 Nach ständiger Rechtsprechung ist dies allerdings nur dann möglich, „wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird […].“21 Hieraus folgt eine zweistufige Rechtfertigungsprüfung, wonach zuerst ein zulässiger Rechtfertigungsgrund vorliegen muss und sodann die vor diesem Hintergrund getroffene Maßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss.22 Zwar wird die Möglichkeit, offene Ungleichbehandlungen im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 AEUV rechtfertigen zu können, im Schrifttum verschiedentlich bezweifelt.23 In der Rechtsprechung zum allgemeinen Diskriminierungsverbot finden sich hierfür jedoch keine eindeutigen Belege.24 Dass in derartigen Fällen eine Rechtfertigung oftmals nicht geprüft wird, mag darauf zurückzuführen sein, dass sie in der Sache nur selten auf andere als von der Staatsangehörigkeit abhängige Erwägungen zurückgeführt werden kann und daher gar nicht erst vorgetragen wird. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, warum die Rechtfertigung offener Ungleichbehandlungen im Rahmen der 18 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2012, Rs. C-20/12 (Giersch), Rn. 41, 46; EuGH, Urt. v. 21.02.2013, Rs. C-46/12 (L. N.), Rn. 30. 19 Siehe in Bezug auf Art. 18 Abs. 1 AEUV etwa EuGH, Urt. v. 15.03.2005, Rs. C-209/03 (Bidar), Rn. 51. Vgl. für Art. 45 AEUV: EuGH, Urt. v. 7.06.1988, Rs. 20/85 (Roviello), Rn. 14; EuGH, Urt. v. 15.01.1986, Rs. C-41/84 (Pinna), Rn. 23; EuGH, Urt. v. 21.09.2000, Rs. C-124/99 (Borawitz), Rn. 24 ff. 20 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2012, Rs. C-20/12 (Giersch), Rn. 46. 21 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 15.03.2005, Rs. C-209/03 (Bidar), Rn. 54, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung . Hervorhebung durch Verfasser. 22 Vgl. dazu in Bezug auf Art. 18 Abs. 1 AEUV Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde (Fn. 2), Art. 18 AEUV, Rn. 31 ff.; für Art. 45 AEUV siehe Koenig/Haratsch/Pechstein (Fn. 17), Rn. 954. 23 Siehe zum Streitstand Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde (Fn. 2), Art. 18 AEUV, Rn. 28 ff. 24 Vgl. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Fn. 3), Art. 18 AEUV, Rn. 37. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 8 Grundfreiheiten jedenfalls am Maßstab der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zulässig ist (vgl. Art. 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1, Art. 62 AEUV),25 nicht aber im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 AEUV.26 4. Beantwortung der Gutachtenfragen 4.1. Als Prüfungsmaßstab einschlägige Diskriminierungsverbote aus Gründen der Staatsangehörigkeit Da sowohl das derzeitige Unionssekundärrecht als auch das deutsche Recht im Hinblick auf das Kindergeld und seine Gewährung für im Ausland lebende Kinder keine Differenzierungen zwischen Inländern und Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten vorsehen,27 sind die Gutachtenfragen am Maßstab der primärrechtlichen Diskriminierungsverbote zu prüfen. Denn diese stellen insoweit den gemeinsamen (letztverbindlichen) Prüfungsmaßstab für Änderungen auf beiden Rechtsebenen – der unionalen wie der nationalen – dar. Welches der primärrechtlichen Diskriminierungsverbote als Prüfungsmaßstab einschlägig ist, hängt im konkreten Fall von der Situation des kindergeldberechtigten Angehörigen eines anderen EU-Mitgliedstaats ab: Übt dieser eine abhängige Beschäftigung aus, wären Einschränkungen am Maßstab der Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV zu prüfen,28 im Fall selbständiger Tätigkeit am Maßstab der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV usw.29 In materieller Hinsicht ist die konkrete Verortung jedoch nicht von Bedeutung, da die primärrechtlichen Diskriminierungsverbote aus Gründen der Staatsangehörigkeit – wie oben ausgeführt – den gleichen rechtlichen Schutzgehalt aufweisen. In abstrakter Hinsicht wäre eine das Kindergeld für Angehörige anderer Mitgliedstaaten beschränkende Maßnahme am Maßstab aller in Betracht kommenden Diskriminierungsverbote zu prüfen. 25 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 2), Art. 45 AEUV (42. Erglfg, 2010), Rn. 246, 325; Art. 52 AEUV (46. Erglfg. 2011), Rn. 3. 26 Im Hinblick auf die drei genannten Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ist hinsichtlich der grundsätzlichen Anforderungen an Rechtfertigungsgründe zu ergänzen, dass es sich auch bei diesen Erwägungen um solche handelt, die von der Staatsangehörigkeit unabhängig sind. Im Unterschied zu anderen Rechtfertigungserwägungen legitimieren sie im Falle ihrer Einschlägigkeit als Rechtsfolge allerdings Maßnahmen wie Ausweisungen oder Einreiseverbote, die gegenüber eigenen Staatsangehörigen aus staats- und völkerrechtlichen Gründen nicht zulässig sind, vgl. etwa EuGH, Urt. v. 18.05.1982, verb. Rs. C-115 u. 116/81 (Adoui), Rn. 7. Siehe zu den hohen Anforderungen, die an derartige Maßnahmen zu stellen sind, die Kodifizierung der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung in Art. 27 ff. der Freizügigkeitsrichtlinie (Fn. 14). 27 Siehe dazu Gutachten I (Fn. 4), S. 4 bis 12. 28 Siehe zum Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit Koenig/Haratsch/Pechstein (Fn. 17), Rn. 912 ff. 29 Siehe zum Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit Koenig/Haratsch/Pechstein (Fn. 17), Rn. 959 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 9 4.2. Diskriminierungsverbot und Maßnahmen, die allein Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten treffen Änderungen an den rechtlichen Vorgaben zum Kindergeld auf nationaler oder unionssekundärrechtlicher Ebene, die allein Angehörige jeweils anderer EU-Mitgliedstaaten treffen – hier im Hinblick auf den Bezug von Kindergeld von im Ausland lebenden Kindern –, stellen eine offene Ungleichbehandlung dar. Denn sie knüpfen ausdrücklich an das Merkmal der Staatsangehörigkeit an und führen zur Schlechterstellung von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten im Vergleich zu Inländern. Dies gilt sowohl für einen generellen Ausschluss von Kindergeld für diese Personengruppe als auch im Fall einer nur sie treffenden Indexierung. Zwar ist eine Rechtfertigung offener Ungleichbehandlungen von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten im Verhältnis zu Inländern nicht schlechthin ausgeschlossen.30 Hierfür notwendig wäre die Angabe von objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen , deren Umsetzung zudem dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt. Die Gutachtenanfrage enthält in diesem Zusammenhang keine Hinweise auf Motive für die erfragten Änderungen am Kindergeld. Soweit sie allein mit der Staatsangehörigkeit der kindergeldberechtigten Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten motiviert sein sollten, wäre dies im Lichte der Anforderungen an eine Rechtfertigung offener Ungleichbehandlungen schlechthin unzulässig. Denn eine derartige Argumentation liefe der Bedeutung sowie dem Sinn und Zweck des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit diametral zuwider, nämlich der Überwindung des Fremdenstatus als einem der Leitmotive der Unionsverträge.31 Soweit die Motive auf anderen, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen und objektiven Erwägungen beruhen und insoweit zulässig sein sollten, müssten die darauf gründenden Änderungen am Kindergeld dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Nachzuweisen wäre insbesondere, warum gerade der Ausschluss bzw. die Indexierung von Kindergeld nur für Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten geeignet und erforderlich (d. h. das mildeste Mittel) ist,32 um diese Erwägungen zu verwirklichen, nicht aber für Inländer, deren Kinder im Ausland leben. Sofern ein solcher Nachweis nicht erbracht werden kann, wären Änderungen am Kindergeld, die zu einem Ausschluss oder einer Indexierung nur zu Lasten von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten führen, wegen Verstoßes gegen die primärrechtlichen Verbote der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit unzulässig. 30 Siehe oben unter 3., S. 5 ff. 31 Siehe oben unter 2., S. 5. 32 Siehe zu diesen beiden Komponenten der Verhältnismäßigkeitsprüfung etwa Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde (Fn. 2), Art. 18 AEUV, Rn. 34. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 40/18 Seite 10 Im Lichte der derzeitigen Regelungen zum Kindergeld im Einkommenssteuergesetz (EStG) und Bundeskindergeldgesetz (BKKG), die entweder der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums eines Kinders oder der Förderung der Familie dienen (vgl. insb. § 31 EStG),33 wäre ein derartiger Ausschluss bzw. eine Indexierung des Kindergeldes jedenfalls unverhältnismäßig. Denn die genannten Zielsetzungen erfassen in gleicher Weise auch im Ausland lebende Kinder von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten, die in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder aus anderen Gründen freizügigkeitsberechtigt sind und damit – wie Inländer – Anspruch auf Kindergeld nach den genannten Gesetzen haben. 4.3. Diskriminierungsverbot und Maßnahmen, die in rechtlicher Hinsicht sowohl Inländer als auch Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten in der gleichen Weise treffen Unionsrechtlich zulässige Änderungen beim Kindergeld in Form eines Ausschlusses oder einer Indexierung dürften – wenn überhaupt – allenfalls dann möglich sein, wenn sie in tatbestandlicher Sicht nicht nur Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten erfassen, sondern auch Inländer. Damit wäre jedoch nur das Vorliegen offener Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen. Zu klären bliebe dann jedoch, inwieweit derartige Ausschlüsse oder Indexierungen nicht als unzulässige versteckte Diskriminierungen anzusehen wären. Denn sowohl ein Ausschluss als auch eine Indexierung des Kindergeldbezugs für im Ausland lebende Kinder aller kindergeldberechtigten Personen führt im Verhältnis zum Kindergeld für im Inland lebende Kinder zu einer Unterscheidung nach dem Wohnsitz der Kinder. Hierbei handelt es sich zwar um ein neutrales Kriterium , überwiegend trifft es jedoch Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten, da es vor allem deren Kinder sind, die nicht im Inland wohnen.34 Eine Regelung in der früheren Fassung des BKGG, der ein gänzlicher Ausschluss von Kindergeld für im Ausland lebende Kinder zugrunde lag, sah der EuGH entsprechend als versteckte Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit an, die mangels vorgetragener Rechtfertigungsgründe einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot darstellte.35 Zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Indexierung von Kindergeld für im Ausland lebende Kinder aller kindergeldberechtigten Personen möglich wäre, wird auf die beiden der Ausarbeitung beigefügten Gutachten verwiesen.36 – Fachbereich Europa – 33 Siehe zu den Zielsetzungen der geltenden Kindergeldregelungen Gutachten I (Fn. 4), S. 4 ff. 34 Siehe zum Begriff der versteckten Diskriminierung oben 3., S. 5 ff. Vgl. insoweit auch EuGH, Urt. v. 30.01.1997, verb. Rs. C-4/95 u. 5/95 (Stöber und Piosa Pereira), Rn. 38. 35 EuGH, Urt. v. 30.01.1997, verb. Rs. C-4/95 u. 5/95 (Stöber und Piosa Pereira), Rn. 38 f. 36 Gutachten I (Fn. 4) behandelt die Frage, ob insoweit Änderungen nur des nationalen Rechts möglich wären. Hierbei wird auch auf weitere, von den Mitgliedstaaten neben dem Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu beachtende Vorgaben des primären und sekundären Unionsrechts eingegangen. In Gutachten II (Fn. 4) geht es um entsprechende Änderungen, die ihren Ausgangspunkt im EU-Sekundärrecht finden.