Deutscher Bundestag Die Bedeutung des Art. 346 AEUV und des sog. EU Verteidigungspaketes für die Entwicklung eines gemeinsamen Rüstungsmarktes in der Europäischen Union Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 11 – 3000 – 40/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 2 Die Bedeutung des Art. 346 AEUV und des sog. EU Verteidigungspaketes für die Entwicklung eines gemeinsamen Rüstungsmarktes in der Europäischen Union Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 40/11 Abschluss der Arbeit: 1. April 2011 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Regelungsinhalt und Bedeutung des Art. 346 AEUV (ex-Art. 296 EGV) 5 2.1. Überblick 5 2.2. Art. 346 Abs. 1 AEUV 6 2.2.1. Auskunftsverweigerung 6 2.2.2. Produktion von Rüstungsgütern und Rüstungshandel 6 2.3. Art. 346 Abs. 2 AEUV 8 3. Das EU-Verteidigungspaket 8 3.1. Die Verbringungsrichtlinie 8 3.1.1. Überblick 8 3.1.2. Hervorzuhebende Regelungen der Verbringungsrichtlinie 9 3.2. Die Beschaffungsrichtlinie 9 3.2.1. Überblick 9 3.2.2. Hervorzuhebende Regelungen der Beschaffungsrichtlinie 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 4 1. Einleitung Der Rüstungsmarkt innerhalb der Europäischen Union (EU) war bisher von einer weitreichenden Fragmentierung gekennzeichnet. Die Regierungen der Mitgliedstaaten nehmen in Bezug auf diesen Umstand eine herausragende Stellung ein.1 Als Hauptnachfrager für Rüstungsaufträge bestimmen sie den rechtlichen Rahmen des jeweiligen Marktes und sind oft an den Rüstungsunternehmen beteiligt.2 Zugleich geben die Regierungen in der EU nach Angaben der Europäischen Kommission (Kommission) der Verteidigungsindustrie im eigenen Land klar den Verzug: Nahezu 85 % der für Ankäufe im Rüstungssektor vorgesehen Mittel werden im Inland ausgegeben.3 Als Gründe für diesen starken nationalen Fokus werden neben dem Erhalt von Arbeitsplätzen vor allem sicherheits- und industriepolitische Motive angeführt; insbesondere gelte es, die wehrtechnischen Kernfähigkeiten im Inland zu erhalten.4 In rechtlicher Hinsicht sind die Mitgliedstaaten bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen und der Verbringung von Rüstungsgütern grundsätzlich den Regelungen des EU-Binnenmarktes unterworfen . In Art. 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV)5 bietet sich jedoch die Möglichkeit, aus Gründen der nationalen Sicherheit von der Anwendung der übrigen Vorschriften der EU-Verträge – etwa den Marktfreiheiten oder dem Wettbewerbsrecht der EU – befreit zu werden. Die Bestimmung des Art. 346 AEUV ist ihrem Wortlaut nach zwar als restriktiv anzuwendende Ausnahmebestimmung konzipiert. Dessen ungeachtet ist der Rückgriff der Mitgliedstaaten auf Art. 346 AEUV bei Aufträgen im Verteidigungsbereich zur Regel geworden. Die häufige Berufung auf Art. 346 AEUV wird daher als eine der Hauptursachen für die oben beschriebene Marktzersplitterung verstanden.6 Um den EU-Rüstungsmarkt zunehmend dem Wettbewerb zu öffnen, hat die Kommission im Jahr 2007 als Teil ihrer „Strategie für eine stärkere und wettbewerbsfähigere europäische Verteidigungsindustrie “7 das sog. EU-Verteidigungspaket erarbeitet. Es besteht aus zwei Richtlinienvorschlägen („Verbringungsrichtlinie“ und „Beschaffungsrichtlinie“), die innerhalb der EU sowohl 1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Eine Strategie für eine stärkere und wettbewerbsfähigere europäische Verteidigungsindustrie vom 5. Dezember 2007, KOM(2007) 764, S. 3, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0764:FIN:DE:PDF (Stand: 1.4.2011). 2 Hertel/Schöning, Der neue Rechtsrahmen für die Auftragsvergabe im Rüstungssektor, in: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht 2009, S. 684. 3 KOM(2007) 764, S. 4. 4 Hertel/Schöning, Der neue Rechtsrahmen für die Auftragsvergabe im Rüstungssektor, in: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht 2009, S. 685 mit Verweis auf die gemeinsame Erklärung des Bundesministeriums der Verteidigung und des Ausschusses Verteidigungswirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. vom 20. November 2007 zu nationalen wehrtechnischen Fähigkeiten. 5 Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde Art. 296 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) durch den nahezu wortgleichen Art. 346 AEUV ersetzt. Die Kommentierungen zu Art. 296 EGV können insoweit vollständig auf Art. 346 AEUV übertragen werden. 6 Vgl. KOM(2007) 764, S. 5. 7 KOM(2007) 764. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 5 die Vorschriften zur Verbringung von Rüstungsgütern, als auch die Verfahren zur Auftragsvergabe im Rüstungsbereich vereinheitlichen sollen. Beide Richtlinien traten im Jahr 2009 in Kraft. Die Mitgliedstaaten sind nunmehr gehalten, die Richtlinien bis zum 30. Juni 2011 (Verbringungsrichtlinie ) bzw. bis zum 21. August 2011 (Beschaffungsrichtlinie) in nationales Recht umzusetzen . Im Folgenden werden in einem kurzen Abriss Art. 346 AEUV und die im Verteidigungspaket enthaltenen Richtlinien näher vorgestellt. 2. Regelungsinhalt und Bedeutung des Art. 346 AEUV (ex-Art. 296 EGV) 2.1. Überblick Art. 346 AEUV legitimiert dem Prinzip des freien Warenverkehrs, der Wettbewerbsfreiheit und der Handelspolitik der EU zuwiderlaufende nationale Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten zur Wahrung ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen ergriffen werden.8 In dieser Hinsicht können die Mitgliedstaaten in Umgehung der EU-Binnenmarktziele Auskünfte verweigern oder rüstungspolitische Maßnahmen ergreifen.9 Art. 346 AEUV soll, zusammen mit Art. 347, 348 AEUV10, den Umstand kompensieren, dass sich die Unionsverträge in erster Linie der wirtschaftlichen Fortentwicklung widmen, aber dabei nicht in gleichem Maße auf sicherheitspolitische Fragestellungen eingehen.11 Die Preisgabe von sicherheitsrelevanten Informationen und Tätigkeiten des Rüstungssektors sind gem. Art. 346 AEUV nicht von der Überprüfbarkeit anhand der EU-Verträge ausgenommen. Art. 346 AEUV kann bei einem Verstoß gegen EU-Vertragsrecht jedoch als zulässiger Rechtfertigungsgrund gegen eine tatbestandlich erfüllte Vertragsverletzung herangezogen werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 346 AEUV sind aufgrund des Ausnahmecharakters der Norm restriktiv auszulegen.12 8 Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV Kommentar, 3. Auflage 2007, Art. 296, Rn. 1. 9 Karpenstein, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 296 EGV, Rn. 1. 10 Die sog. Notstandsklausel des Art. 347 AEUV entbindet die Mitgliedstaaten bei sicherheitsbedrohenden Notstandssituationen von ihren Vertragspflichten. Nach Art. 348 UAbs. 1 AEUV ist die Kommission gehalten, bei der Anwendung von Maßnahmen nach Art. 346, 347 AEUV durch einen Mitgliedstaat gemeinsam mit diesem zu prüfen, inwieweit die konkreten Maßnahmen in Einklang mit den EU-Verträgen gebracht werden können. Art. 348 UAbs. 2 AEUV enthält Maßgaben zur Einleitung eines (verkürzten) Vertragsverletzungsverfahrens, soweit eine missbräuchliche Anwendung der Art. 346, 347 AEUV befürchtet wird. Vgl. Khan, in: Geiger/Khan/ Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 347, 348 AEUV, jeweils Rn. 1. 11 Vgl. Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 1. 12 EuGH, Rs. C-222/84, Johnston, Slg. 1986, I-1684; Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 3, 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 6 2.2. Art. 346 Abs. 1 AEUV Art. 346 Abs. 1 AEUV weist zwei Tatbestände auf: Nach Art. 346 Abs. 1 lit. a AEUV haben die Mitgliedstaaten das Recht, der EU keine Auskünfte zu erteilen, sofern der Preisgabe dieser Informationen wesentliche Sicherheitsinteressen entgegenstehen. Gem. Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV sind die Mitgliedstaaten unter Berufung auf die Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen im Einzelfall von den Bestimmungen der EU-Verträge hinsichtlich der staatlichen Regelungen über Produktion und Handel mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial entbunden.13 2.2.1. Auskunftsverweigerung Art. 346 Abs. 1 lit. a AEUV ist im Hinblick auf seine praktischen Anwendung bislang ohne Relevanz .14 Mitgliedstaaten können nach dieser Bestimmung gegenüber der EU, anderen Mitgliedstaaten , aber auch gegenüber Einzelpersonen oder der Öffentlichkeit Auskünfte verweigern, zu deren Preisgabe sie nach den EU-Verträgen grundsätzlich verpflichtet wären.15 Auskunftspflichten ergeben sich etwa aus Art. 373 AEUV, sie können aber auch aus Sekundärrecht resultieren.16 Mitgliedstaaten müssen sich bei ihrer Auskunftsverweigerung auf die Gefährdung wesentlicher Sicherheitsinteressen berufen. Darunter werden Interessen gefasst, die den Bestand oder die Funktionsfähigkeit des betroffenen Staates berühren (ausführlich zu den wesentlichen Sicherheitsinteressen s. unten unter 2.2.2.).17 Der Mitgliedstaat muss konkrete Gründe und Anhaltspunkte dafür darlegen, dass seine Interessen betroffen sind; pauschale Verweise auf militärische Geheimnisse oder die Erfordernisse der Strafverfolgung sind nicht gestattet.18 Dessen ungeachtet genießen die Mitgliedstaaten jedoch bei der Beurteilung einer Gefährdung ein sehr weites Ermessen .19 2.2.2. Produktion von Rüstungsgütern und Rüstungshandel Eine große praktische Bedeutung kommt der Anwendung von Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV zu.20 Die Mitgliedstaaten haben bislang von der Möglichkeit, unter Verweis auf wesentliche nationale 13 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 346 AEUV, Rn. 7. 14 Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV Kommentar, 3. Auflage 2007, Art. 296, Rn. 5; Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 16. 15 Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 16. 16 Karpenstein, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 296 EGV, Rn. 5. 17 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 346 AEUV, Rn. 4. 18 EuG, Rs. T-174/95, Svenska Journalistförbundet/Rat, Slg. 1998, II-2289, Rn. 115-127; Karpenstein, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 296 EGV, Rn. 6. 19 Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 1. Auflage 2003, Art. 296 EGV, Rn. 7; Kreuschitz, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 346 AEUV, Rn. 8. 20 Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 7 Sicherheitsinteressen von den Vorgaben der EU-Verträge bei der Produktion und dem Handel mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial ausgenommen zu werden, regen Gebrauch gemacht. Die Berufung auf Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV ist nur möglich bei Rüstungsgütern, die sich auf einer vom Rat am 15. April 1958 beschlossenen Warenliste21 befinden. Die Liste ist – trotz weitreichender technischer Neuerungen auf dem Markt der Rüstungsgüter bislang unverändert geblieben .22 Sie enthält sowohl rein militärische Güter, als auch sog. Dual Use-Güter (Waren mit militärischem und zivilem Verwendungszweck).23 Nach Art. 346 Abs. 1 lit. a 2. Hs. AEUV scheint die Anwendung des Art. 346 AEUV auf Dual Use-Güter zwar ausgeschlossen („nicht eigens für militärische Zwecke bestimmte Waren“), dies bezieht sich jedoch nicht auf die bereits in der Warenliste aufgeführten Dual Use-Güter (str.).24 Die Liste ist abschließend, d. h. eine einseitige Ergänzung der Liste etwa durch die Mitgliedstaaten ist nicht möglich.25 Alle von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen müssen für die Wahrung ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sein.26 Erfasst sind sowohl der Kreis der äußeren wie auch der innere Sicherheit. Der Begriff der Sicherheitsinteressen ist enger zu verstehen als die allgemein gefasste Wendung der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit in Art. 36 AEUV. Allgemein gilt, dass Auseinandersetzungen militärischer Art in der Regel wesentliche Sicherheitsinteressen berühren. Auch der Export von Waffen und von eindeutig militärischen Zwecken dienendem Material tangiert immer die Sicherheitsinteressen des exportierenden Staates . 27 Die letztendlich vorgenommene Definition dieses Begriffs obliegt nach Art. 4 Abs. 2 S. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) der Einschätzungsprärogative der Mitgliedstaaten .28 Diese haben ein weites Ermessen, dass jedoch in Form einer eingeschränkten Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den Gerichtshof der EU (EuGH) überprüfbar ist. Keine Rechtfertigung nach Art. 346 AEUV ist indes möglich, wenn der Mitgliedstaat mit seinen Maßnahmen ausschließlich wirtschafts- oder strukturpolitische Interessen verfolgt.29 21 Die Liste wird wiedergegeben in ABl. 2001 C 364 E/85, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2001:364E:0085:0086:de:PDF (Stand: 1.4.2011). 22 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 346 AEUV, Rn. 8. 23 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 346 AEUV, Rn. 8. 24 So offenbar Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 21. Karpenstein weist darauf hin, dass Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV zumindest nicht auf Dual Use-Güter i. S. d. E 25 So die hM, vgl. Jaeckel/Kotzur m. w. N., in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 20. 26 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 346 AEUV, Rn. 9. 27 Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 14. 28 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 346 AEUV, Rn. 9. 29 Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 8 Wie auch bei Art. 346 Abs. 1 lit. a AEUV muss ein Mitgliedstaat die Zulässigkeit der Anwendung des Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV durch eine individuelle Begründung nachweisen. Ist eine solche erfolgt, sind die Organe der EU an diese Begründung gebunden; die gerichtliche Kontrolle reduziert sich dann auf die Überprüfung eines möglichen Missbrauchs im Sinne einer Evidenzkontrolle.30 2.3. Art. 346 Abs. 2 AEUV Nach Art. 346 Abs. 2 AEUV kann die Zusammensetzung der oben genannten Warenliste auf Vorschlag der Kommission geändert werden. 3. Das EU-Verteidigungspaket 3.1. Die Verbringungsrichtlinie 3.1.1. Überblick Die Verbringungsrichtlinie 2009/43/EG31 (RL 2009/43/EG) geht zurück auf einen Vorschlag der Kommission vom 5. Dezember 2007.32 Die Ausfuhr von Verteidigungsgütern unterliegt in allen Mitgliedstaaten nationalen Genehmigungssystemen , sie sich jeweils in Verfahren, Umfang und Fristen erheblich voneinander unterscheiden .33 Folge der Existenz von 27 unterschiedlichen Genehmigungsystemen ist das Anfallen eines hohen Verwaltungsaufwands für die Unternehmen der Rüstungsindustrie sowie lange Vorlaufzeiten . Die Unterschiede stellen zugleich ein Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit der Verteidigungsindustrie dar und erschweren nach Ansicht der Kommission die Schaffung eines einheitlichen Marktes für Verteidigungsgüter.34 Mit der RL 2009/43/EG sollen durch eine Vereinfachung und Vereinheitlichung der Genehmigungsbedingungen und -verfahren die bestehenden Hindernisse bei der Verbringung von Verteidigungsgütern abgebaut und daraus entstandene Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden. 30 Jaeckel/Kotzur, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. EL Oktober 2009, Art. 296 EGV, Rn. 4. 31 Richtlinie 2009/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 zur Vereinfachung der Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:146:0001:0036:DE:PDF (Stand: 1.4.11). 32 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinfachung der Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern vom 5. Dezember 2007, KOM(2007) 765, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0765:FIN:DE:PDF (Stand: 1.4.2011). 33 KOM(2007) 765, S.2. 34 KOM(2007) 765, S.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 9 3.1.2. Hervorzuhebende Regelungen der Verbringungsrichtlinie Nach den Art. 5 und 6 RL 2009/43/EG werden den Unternehmen zukünftig sog. Allgemein- und Globalgenehmigungen anstelle von Einzelgenehmigungen erteilt. Allgemeingenehmigungen nach Art. 5 RL 2009/43/EG haben die gleiche Wirkung wie alle anderen Ausfuhrgenehmigungen. Sie müssen aber nicht beantragt werden, sondern werden vielmehr von den Mitgliedstaaten bekannt gegeben. Dieser Umstand hat zur Folge, dass automatisch alle Ausfuhren genehmigt sind, wenn der Lieferant die in der jeweiligen Allgemeingenehmigung genannten Voraussetzungen erfüllt.35 Globalgenehmigungen sind individuelle Genehmigungen für einen einzelnen Lieferanten. Siewerden nach Art. 6 RL 2009/43/EG für drei Jahre erteilt und gestatten die Lieferung von Verteidigungsgütern an Empfänger in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten legen in jeder Globalgenehmigung die zulässigen Verteidigungsgüter und Empfänger fest, für die sie gilt. Bei einem Verstoß der Unternehmen gegen die Bestimmungen der RL 2009/43/EG muss nach Art. 16 RL 2009/43/EG mit erheblichen Sanktionen gerechnet werden. 3.2. Die Beschaffungsrichtlinie 3.2.1. Überblick Die am 30. Juni 2009 in Kraft getretene Beschaffungsrichtlinie 2009/81/EG36 (RL 2009/81/EG) beruht auf einem ebenfalls am 5. Dezember 2007 angenommenen Vorschlag der Kommission37. Mit der RL 2009/81/EG soll ein neues, speziell auf die Vergabe sensibler öffentlicher Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit zugeschnittenes Regelungspaket geschaffen werden.38 Hierzu gehören im Wesentlichen Regelungen zu den Arten und dem Ablauf der Vergabeverfahren , Auftragsunterlagen und der Bekanntmachung sowie Eignungs- und Zuschlagkriterien. Mit einem solchen auf die Sicherheitsbedürfnisse der Mitgliedstaaten eingehenden Rechtsrahmen wird bezweckt, die Inanspruchnahme von Art. 346 AEUV mit dem Verweis auf wesentliche 35 Hertel/Schöning, Das EU-Verteidigungsopaket, in: Griephan Briefe, Wöchentliche Informationen zum Geschäftsfeld äußere & innere Sicherheit Nr. 06/09, S. 1, online abrufbar unter http://www.hoganlovells.com/files/Publication/7e8371c8-039d-4263-933c- 660901f78860/Presentation/PublicationAttachment/1b799660-88cc-4d76-a080- 69c6918f3142/GriephanBriefe0609.pdf (Stand: 1.4.2011). 36 Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:216:0076:0136:DE:PDF (Stand: 1.4.2011). 37 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter öffentlicher Bau , Liefer und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit vom 5. Dezember 2007, KOM(2007) 766, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/Result.do?T1=V5&T2=2007&T3=766&RechType=RECH_naturel&Submit=Suche (Stand: 1.4.2011). 38 KOM(2007) 766, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 10 Sicherheitsinteressen zu minimieren. Ziel ist es, den Wettbewerb auf den Rüstungsmärkten der EU deutlich zu intensivieren. 3.2.2. Hervorzuhebende Regelungen der Beschaffungsrichtlinie Nach ihrem Art. 2 gilt die RL 2009/81/EG für- Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge zur Beschaffung von militärischer bzw. sensibler Ausrüstung.39 Sie gilt sowohl für öffentliche Aufträge der Verteidigungsindustrie, als auch für Aufträge des allgemeinen Sicherheitssektors, wie etwa Polizei und Grenzschutz, die die Lieferung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial sowie Ersatzteile betreffen.40 Die Schwellenwerte für Aufträge liegen nach Art. 8 RL 2009/81/EG bei 412 000 EUR für Lieferund Dienstleistungsaufträge und bei 5 150 000 EUR für Bauaufträge. Unterhalb dieser Schwellenwerte ist die Richtlinie nicht anwendbar. Aufträge können unterhalb dieser Schwellenwerte nach nationalen Bestimmungen vergeben werden, wobei die Mitgliedstaaten die unionsrechtlichen Transparenz- und Nichtdiskriminierungsanforderungen beachten müssen.41 In den Art. 12-13 RL 2009/81/EG finden sich Ausnahmen vom grundsätzlichen Gebot der Ausschreibung nach der RL 2009/81/EG. Die Anwendung dieser Regelungen darf nach Art. 11 RL 2009/81/EG jedoch nicht zu einer Umgehung der Richtlinienbestimmungen führen. Nach Art. 12 RL 2009/81/EG sind Aufträge ausgenommen, die auf der Grundlage internationaler Vorschriften vergeben werden. Eine besondere Ausnahmevorschrift ist Art. 13 RL 2009/81/EG, nach dem Aufträge , die so sensibel sind, dass ein Vergabeverfahren wesentlichen Sicherheitsinteressen entgegenstünde , nicht vom Anwendungsbereich der RL 2009/81/EG umfasst werden. Nach den Art. 21-23 RL 2009/81/EG können Auftraggeber die Bieter und deren Unterauftragnehmer verpflichten, Verschlusssachen vor unautorisiertem Zugriff zu schützen. Zudem können Auftraggeber besondere Anforderungen an die Versorgungssicherheit stellen und verlangen, dass Unteraufträge nach wettbewerblichen Grundsätzen vergeben werden, dass Lieferketten geöffnet und Geschäftsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen im Sicherheitssektor geschaffen werden.42 Kompensationsgeschäfte, die nicht mit dem Hauptauftrag zusammenhängen (sog. Offsets) werden nach der Richtlinie für unzulässig erklärt.43 So wird in Erwägungsgrund 45 der RL 39 Hertel/Schöning, Der neue Rechtsrahmen für die Auftragsvergabe im Rüstungssektor, in: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht 2009, S. 685. 40 Hertel/Schöning, Das EU-Verteidigungsopaket, in: Griephan Briefe, Wöchentliche Informationen zum Geschäftsfeld äußere & innere Sicherheit Nr. 06/09, S. 2. 41 Hertel/Schöning, Der neue Rechtsrahmen für die Auftragsvergabe im Rüstungssektor, in: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht 2009, S. 685. 42 Herrmann/Polster, Die Vergabe von sicherheitsrelevanten Aufträgen, in: Neue Zeitung für Verwaltungsrecht 2010, S. 345. 43 Hertel/Schöning, Das EU-Verteidigungsopaket, in: Griephan Briefe, Wöchentliche Informationen zum Geschäftsfeld äußere & innere Sicherheit Nr. 06/09, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 40/11 Seite 11 2009/81/EG klargestellt dass „die Bedingungen für die Auftragsausführung nur die Ausführung des Auftrags selbst betreffen“ dürfen.44 Im Bereich des Rechtsschutzes ist eine Neuerung durch die Einführung von Rechtsmitteln in Bezug auf Vergabeentscheidungen zu verzeichnen. Unterlegene Unternehmen können nach der RL 2009/81/EG nunmehr die Rechtmäßigkeit einer Auftragsvergabe von unabhängigen Stellen überprüfen lassen. Dabei soll durch besondere Schutzvorschriften sichergestellt werden, dass durch die Nachprüfverfahren keine sensiblen Informationen öffentlich werden.45 44 Ein Kompensationsgeschäft bezeichnet Handelsabschlüsse in der Wirtschaft, bei denen eine Ware nicht ausschließlich mit Geld bezahlt werden muss, sondern im Zuge eines Gegengeschäfts ganz oder teilweise mit einer anderen Ware oder Dienstleistung beglichen wird, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kompensationsgesch%C3%A4ft (Stand: 1.4.2011). Ein weitergehendes eindeutiges Verbot von indirekten Offsets war im Rat der EU nicht durchsetzbar, s. Hertel/Schöning, Der neue Rechtsrahmen für die Auftragsvergabe im Rüstungssektor, in: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht 2009, S. 686. 45 Hertel/Schöning, Das EU-Verteidigungsopaket, in: Griephan Briefe, Wöchentliche Informationen zum Geschäftsfeld äußere & innere Sicherheit Nr. 06/09, S. 2.