© 2015 Deutscher Bundestag PE 6-3000-39/15 188 Einrichtung von Aufnahmezentren für Asylbewerber in Nordafrika und dem Nahen Osten Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Sachstand PE 6-3000-39/15 Seite 2 Einrichtung von Aufnahmezentren für Asylbewerber in Nordafrika und dem Nahen Osten Aktenzeichen: PE 6 - 3000 – 39/15 Abschluss der Arbeit: 13.03.2015 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6-3000-39/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund 4 2. Rechtliche Fragen und Probleme bei der Umsetzung des Vorschlags 4 2.1. Verantwortung und EU-Kompetenz 5 2.2. Rechtsstaatliche Garantien 7 2.3. Bleiberecht und Non-Refoulement-Principle 7 2.4. Anwendbarkeit von EU-Gesetzgebung und notwendige Rechtsänderungen 8 2.5. Vorbilder und ähnliche Maßnahmen 9 3. Zusammenfassung 9 Fachbereich Europa Sachstand PE 6-3000-39/15 Seite 4 1. Hintergrund Der europäische Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, Dimitris Avramopoulos, hat Presseberichten zufolge erklärt, dass zukünftig Aufnahmezentren für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb der Europäischen Union (EU) zur Eindämmung der illegalen Flüchtlingsströme errichtet werden könnten.1 Das Asylverfahren würde dann schon in den Herkunfts- oder Transitstaaten der Asylbewerber, vornehmlich in Nordafrika und dem Nahen Osten, durchgeführt werden . Dieser Vorschlag findet Zustimmung in einigen EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland .2 Der Fachbereich wurde in diesem Zusammenhang um eine Einschätzung hinsichtlich der (EU-)rechtlichen Zulässigkeit dieses Vorhabens gebeten. Ausführungen zur Praktikabilität und zu den logistischen Voraussetzungen können jedoch nicht vorgenommen werden.3 2. Rechtliche Fragen und Probleme bei der Umsetzung des Vorschlags Die Idee, sog. Protection Entry Procedures (sog. geschützte Zulassungsverfahren)4 oder Transit Processing Centres (TCPs oder Transitabwicklungszentren) für Asylbewerber im Ausland einzurichten , wurde bereits 2003 von der britischen Regierung vorgeschlagen, fand jedoch keine Mehrheit im Europäischen Rat.5 Ein weiterer Vorschlag über die Errichtung von Aufnahmezentren in Nordafrika unterbreitete 2004 Bundesinnenminister Otto Schily.6 Dieser Vorschlag wirft eine Reihe rechtlicher Fragen und Probleme auf, die im Folgenden aufgezeigt werden sollen. 1 The Guardian vom 05.03.2015, Brussels plans migration centres outside EU to process asylum applications. Online abrufbar unter: http://www.theguardian.com/world/2015/mar/05/european-commission-third-countryimmigrant -processing-centres. 2 FAZ vom 12.03.2015, De Maizière wirbt für Aufnahmezentren in Afrika, online abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/de-maiziere-wirbt-fuer-aufnahmezentren-in-afrika- 13479103.html; Handelsblatt vom 05.12.2014, De Maizière verteidigt Flüchtlingszentren in Drittländern, online abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/eu-plaene-de-maiziere-verteidigtfluechtlingszentren -in-drittlaendern/11081456.html. 3 Der Fachbereich verweist aber für eine Analyse der praktischen Hürden auf: Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, The Hague, December 2010. Online abrufbar unter: http://www.acvz.org/publicaties/Advies-ACVZ-NR32-ENG-2010.pdf. 4 Zur rechtlichen und praktischen Umsetzung dieses Vorschlags vgl. die Studie für die Kommission von Noll/Fagerlung/Liebaut, Study on the feasibility of processing asylum claims outside the EU against the background of the common European asylum system and the goal of a common European asylum procedure, 2002. Online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/elibrary /docs/pdf/asylumstudy_dchr_2002_en_en.pdf 5 Thym, Einwanderungs- und Asylpolitik: Angelsächsische Impulse für die gemeineuropäische Rechtsentwicklung , In: ZAR 2006, S. 189; Giering. Der Europäische Rat. In: Jahrbuch der Europäischen Integration 2002/2003. S. 57. Rat der Migration (Bade/Bommes/Münz), Migrationsreport 2004: Fakten, Analysen, Perspektiven, S. 289. 6 Bundesministerium des Innern, Effektiver Schutz für Flüchtlinge, wirkungsvolle Bekämpfung illegaler Migration – Überlegungen des Bundesministers des Innern zur Errichtung einer EU-Aufnahmeeinrichtung in Nordafrika , Berlin, 2005. Fachbereich Europa Sachstand PE 6-3000-39/15 Seite 5 2.1. Verantwortung und EU-Kompetenz Eine zentrale Frage ist die der Verantwortlichkeit für die Zentren und die Durchführung der Asylverfahren.7 Für die konkrete Ausgestaltung der Aufnahmezentren gibt es drei theoretische Szenarien: (1) Die EU gibt lediglich Mindeststandards vor, die Mitgliedstaaten würden jedoch in Eigenverantwortung die Zentren einrichten und die Asylverfahren nach nationalem Recht durchführen. (2) Es wird eine EU-eigene Agentur oder Behörde eingesetzt, die für die Zentren und die Durchführung der Verfahren verantwortlich ist, oder: (3) Die Durchführung des Vorhabens wird auf den Drittstaat, in dem das Zentrum eingerichtet werden soll, übertragen, oder im Rahmen einer „joint responsibility“ (gemeinsamen Verantwortung ) mit dem Drittstaat und einer internationale Organisation (z.B. UNHCR) durchgeführt.8 Sämtliche Szenarien beinhalten eine Reihe rechtlicher Probleme, wobei Szenario 3 vorrangig völkerrechtliche Fragen aufwirft, auf die im Folgenden nicht näher eingegangen werden kann. Beispielsweise würde Szenario 3 voraussetzen, dass die Mitgliedstaaten ihre Kompetenzen im Bereich Asylrecht entweder vollumfänglich abgeben oder die Aufnahmezentren in ihren Botschaften einrichten. Außerdem müssten entsprechende völkerrechtliche Verträge mit den betreffenden Staaten geschlossen werden. Bei einem „outsourcing“ der Verantwortung und Betreuung der Asylbewerber müsste gewährleistet sein, dass der betreffende Drittstaat die Einhaltung des gebotenen Mindestmaßes an Schutz, insbesondere die Menschenrechtsstandards für die Asylbewerber gewährleistet und dass die Genfer Flüchtlingskonvention beachtet wird.9 Problematisch bei der Durchführung durch die EU selbst (Szenario 2) ist die damit erforderlich werdende Kompetenzübertragung.10 Die EU darf nur in den Bereichen tätig werden, in denen ihr von den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit übertragen wurde (Prinzip der begrenzten Einzeler- 7 Noll, Visions of the Exceptional: Legal and Theoretical Issues Raised by Transit Processing Centres and Protection Zones, In: European Journal of Migration and Law 5 (2003), S. 326; Council of Europe, Parliamentary Assembly . Assessment of transit and processing centres as a response to mixed flows of migrants and asylum seekers . Dok. 11304 (13.06.2013). Online abrufbar unter: http://assembly.coe.int/ASP/Doc/XrefViewHTML.asp?FileID=11557&Language=en; Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, The Hague, December 2010. Online abrufbar unter: http://www.acvz.org/publicaties/Advies-ACVZ-NR32-ENG-2010.pdf, Ziff. 3.5. 8 Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, The Hague, December 2010. Online abrufbar unter: http://www.acvz.org/publicaties/Advies- ACVZ-NR32-ENG-2010.pdf, Ziff. 3.1; Council of Europe, Parliamentary Assembly. Assessment of transit and processing centres as a response to mixed flows of migrants and asylum seekers. Dok. 11304 (13.06.2013). Online abrufbar unter: http://assembly.coe.int/ASP/Doc/XrefViewHTML.asp?FileID=11557&Language=en. 9 Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, The Hague, December 2010. Online abrufbar unter: http://www.acvz.org/publicaties/Advies- ACVZ-NR32-ENG-2010.pdf, Ziff. 3.1. 10 Noll, Visions of the Exceptional: Legal and Theoretical Issues Raised by Transit Processing Centres and Protection Zones, In: European Journal of Migration and Law 5 (2003), S. 310. Fachbereich Europa Sachstand PE 6-3000-39/15 Seite 6 mächtigung).11 Bisher liegen weitreichende Kompetenzen im Bereich des Asylrechts noch bei den Mitgliedstaaten, insbesondere auch zur Durchführung des Asylverfahrens.12 Zwar sollte mit Art. 78 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem geschaffen werden.13 Die Kompetenz der EU ist aber begrenzt auf die in Art. 78 Abs. 2 AEUV vorgesehenen Maßnahmen, z.B. zur Normierung eines einheitlichen Asylstatus . Die Durchführung der Asylverfahren verbleibt in der Zuständigkeit der nationalen Behörden der Mitgliedstaaten. Die EU-Verträge sehen gerade kein einheitliches, sondern (nur) ein gemeinsames Asylsystem vor.14 Die Schaffung einer einheitlichen EU-Asylbehörde erforderte daher eine Vertragsänderung und eine damit verbundene weitergehende Kompetenzübertragung der Mitgliedstaaten auf die EU.15 Zusätzlich wäre ein Abkommen mit dem Aufenthalt gewährenden Drittstaat nötig, da dieser der Einrichtung einer EU-Asylbehörde auf seinem Staatsgebiet zustimmen müsste.16 Szenario 1 steht im Einklang mit der bisherigen EU-Migrationspolitik, in der die EU Mindeststandards vorgibt, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt und durchgeführt werden. Aber auch hier stellen sich Kompetenzprobleme, denn es ist umstritten, ob die Kompetenz aus Art. 78 AEUV auch EU-Gesetzgebung in externen Aufnahmezentren umfassen würde.17 Sollte dies verneint werden, könnten die für den Bereich des Asyl- und Migrationsrechts einschlägigen Richtlinien und Verordnungen nicht auf externe Aufnahmezentren Anwendung finden. Soweit eine Kompetenz für die Regelung von Mindeststandards auch außerhalb der EU bejaht würde, müssten die aktuellen Rechtsakte zumindest teilweise geändert werden (siehe dazu unter 2.4.). Grundsätzlich steht das europäische Primärrecht der Durchführung von nationalen Asylverfahren in Drittstaaten aber nicht entgegen.18 11 Haratsch/Koenig/Pechstein. Europarecht. 9. Aufl. 2014. Rn. 155 f. 12 Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 78 AEUV, Rn. 21 ff, 34. 13 Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 78 AEUV, Rn. 15. 14 Kluth/Heusch, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Art. 78 AEUV, Rn. 13; Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 78 AEUV, Rn. 15, 21. 15 Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 78 AEUV, Rn. 37; Kugelmann, Asylagenda 2010 – Dimensionen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. In: ZAR 2007, S. 81. 16 Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, The Hague, December 2010. Online abrufbar unter: http://www.acvz.org/publicaties/Advies- ACVZ-NR32-ENG-2010.pdf, Ziff. 3.5. 17 Vgl. zu der Diskussion Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, Ziff. 3.4. Insbesondere Art. 78 Abs. 2 lit e AEUV spräche gegen eine EU- Kompetenz in diesem Bereich. Vgl. im Gegensatz dazu, Joint Comments of Non-Governmental Organisations for the IGC, 1. 10. 2003, Online abrufbar unter: http://www.statewatch.org/news/2003/oct/Towards_a_Constitution_for_Europe.pdf, S. 4, die dem Art. 78 Abs. 2 lit. g AEUV eine Ermöglichung von Asylantragszentren in Drittstaaten unterstellen. 18 Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 78 AEUV, Rn. 47. Fachbereich Europa Sachstand PE 6-3000-39/15 Seite 7 2.2. Rechtsstaatliche Garantien Grundsätzlich müssen ablehnende Entscheidungen in Verwaltungsverfahren (und somit auch ablehnende Asylbescheide) gerichtlich überprüfbar sein.19 Wie diese gerichtliche Überprüfung in Drittstaaten gewährleistet werden kann, ist unklar. Auch kommt es dabei auf die konkrete Ausgestaltung der Aufgaben der Aufnahmezentren an, insbesondere darauf, ob nur ein „pre-screening“ der Asylbewerber vorgenommen oder ein abschließendes und rechtsverbindliches Asylverfahren durchgeführt werden soll. 2.3. Bleiberecht und Non-Refoulement-Principle Der Vorschlag, bereits in der EU angekommene Asylbewerber wieder in die Aufnahmezentren außerhalb der EU zurückzuschicken, um von dort aus ihre Asylanträge zu bearbeiten, wirft ebenfalls rechtliche Fragen auf. Nach Art. 9 der sog. Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU)20 haben Asylbewerber ein Bleiberecht im Aufnahmestaat für die Dauer der Bearbeitung ihres Asylantrags. Die Rücksendung der Asylbewerber in den Drittstaat zur Bearbeitung des Asylantrags würde daher gegen das Bleiberecht aus Art. 9 RL 2013/32/EU verstoßen.21 Darüber hinaus gilt im Asylrecht das sog. non-refoulement-principle (Grundsatz der Nichtzurückweisung ), welches völkerrechtlich, aber auch unionsrechtlich verankert ist. Asylbewerber dürfen danach nicht in einen Staat ausgewiesen werden, in dem sie der Gefahr von Folter und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.22 Dies gilt auch für die Zeit während der Bearbeitung des Asylantrags.23 Auf den Grundsatz der Nichtzurückweisung wird in sämtlichen Sekundärrechtsakten zum Asylrecht Bezug genommen.24 Außerdem ist er in Art. 19 der EU-Grundrechtscharta verankert. Eine Verbringung in ein Aufnahmezentrum eines Drittstaats, der für den Asylbewerber die Gefahr von derartigen Menschenrechtsverletzungen birgt, ist daher unzulässig.25 19 Enders, in Beck’scher Online Kommentar. 23. Aufl. 2014. Art. 19 GG, Rn 51. 20 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, Online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0060:0095:DE:PDF. 21 Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, The Hague, December 2010. Online abrufbar unter: http://www.acvz.org/publicaties/Advies- ACVZ-NR32-ENG-2010.pdf, Ziff. 3.2. 22 Rossi, in Callies/Ruffert. EUV/AEUV. 4. Aufl. 2011. Art. 78 AEUV, Rn. 9. 23 Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, The Hague, December 2010. Online abrufbar unter: http://www.acvz.org/publicaties/Advies- ACVZ-NR32-ENG-2010.pdf, Ziff. 3.2. 24 Vgl. z.B. Erwägungsgrund 3 der RL 2013/32/EU. 25 Advisory Committee on Migration Affairs, Advisory Report “External Processing” for the Minister for Immigration and Asylum, The Hague, December 2010. Online abrufbar unter: http://www.acvz.org/publicaties/Advies- ACVZ-NR32-ENG-2010.pdf, Ziff. 3.2. Fachbereich Europa Sachstand PE 6-3000-39/15 Seite 8 2.4. Anwendbarkeit von EU-Gesetzgebung und notwendige Rechtsänderungen Würden externe Aufnahmezentren (entweder durch eine einheitliche EU-Behörde oder durch die Mitgliedstaaten selbst) eingerichtet, so stellt sich die Frage, ob geltendes europäisches Asylrecht hierauf Anwendung fände. Ob sich eine Kompetenz der EU zur Errichtung externer Aufnahmezentren aus Art. 78 AEUV ableiten ließe, ist, wie bereits dargestellt, umstritten (s.o. 2.1.). Unter Umständen müsste dazu zunächst das Primärrecht geändert werden. Unterstellt man die Kompetenz der EU in diesem Bereich, müssten zumindest einige maßgebliche sekundärrechtliche Vorschriften geändert werden. Ein wichtiges Instrument der EU-Asylpolitik ist die Asylverfahrensrichtlinie 26, die in Art. 3 Abs. 1 festlegt: „Diese Richtlinie gilt für alle Anträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet — einschließlich an der Grenze, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen — der Mitgliedstaaten gestellt werden […]“ Art. 3 Abs. 2 bestimmt: „Diese Richtlinie gilt nicht für Ersuchen um diplomatisches oder territoriales Asyl in Vertretungen der Mitgliedstaaten.“ Unklar ist, ob die geplanten Aufnahmezentren in „Transitzonen“ eingerichtet werden. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste hier voraussichtlich eine Rechtsänderung vorgenommen werden, damit europäisches Asylrecht auch Geltung außerhalb der Mitgliedstaaten entfalten könnte.27 Zur Beschränkung des Bleiberechts müsste darüber hinaus Art. 9 der RL 2013/32/EU geändert werden (s.o. 2.3.). Auch der Verteilungsschlüssel der sog. Dublin-III-Verordnung28, wonach für das Asylgesuch grundsätzlich derjenige Mitgliedstaat zuständig ist, in dem der Asylbewerber ankommt (vgl. Art. 12 – 15 Dublin-III-Verordnung), müsste zumindest bei der Einrichtung einer EU- Behörde überarbeitet werden.29 26 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, Online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0060:0095:DE:PDF. 27 Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 78 AEUV, Rn. 47. 28 Verordnung (EG) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Abl. L 180/31. Online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R0604&qid=1399150600127&from=DE. 29 So auch Council of Europe, Parliamentary Assembly. Assessment of transit and processing centres as a response to mixed flows of migrants and asylum seekers. Dok. 11304 (13.06.2013). Online abrufbar unter: http://assembly.coe.int/ASP/Doc/XrefViewHTML.asp?FileID=11557&Language=en. Ziff. 29; The Guardian vom 05.03.2015, Brussels plans migration centres outside EU to process asylum applications. Online abrufbar unter: http://www.theguardian.com/world/2015/mar/05/european-commission-third-country-immigrant-processingcentres . Fachbereich Europa Sachstand PE 6-3000-39/15 Seite 9 2.5. Vorbilder und ähnliche Maßnahmen Ein ähnliches Vorhaben wurde bereits in Australien mit der sog. „Pacific-Solution“ realisiert.30 Asylsuchende werden in Auffanglagern auf Inseln im Pazifischen Ozean untergebracht und versorgt , anstatt sie auf das australische Festland zu bringen. In den USA wurden ähnliche Auffangzentren für Flüchtlinge in Kuba installiert.31 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass es mit den nationalen und europäischen Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten bereits Vorhaben gibt, die darauf abzielen, Asylbewerber wieder zum Herkunfts- oder Transitstaat zurückzuführen.32 Art. 79 Abs. 3 AEUV enthält eine Klausel , die der EU die Kompetenz gewährt, Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten abzuschließen , damit die Rückführung illegaler Einwanderer oder abgelehnter Flüchtlinge in ihr Heimatoder Herkunftsland erfolgreich umgesetzt werden kann. Denn ohne die Bereitschaft dieser Länder zur Zusammenarbeit ist eine Rückführungspolitik effektiv nicht möglich.33 Auch bei Rückführungen muss aber stets das Prinzip des non-refoulement (s.o. 2.3.) beachtet werden.34 3. Zusammenfassung Die unionsrechtliche Zulässigkeit der Einrichtung von Aufnahmezentren in Nordafrika oder dem Nahen Osten hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Es kommt maßgeblich darauf an, ob die Zentren unter der Verantwortung der EU oder der Mitgliedstaaten stehen und welche Verfahren konkret in den Zentren durchgeführt werden. Angesichts dieser Unklarheiten können nur summarisch die damit verbundenen rechtlichen Problemfelder aufgezeigt werden. Insbesondere ist die mangelnde EU-Kompetenz in der Asylpolitik zu berücksichtigen. Auch die Rückführung von Asylbewerbern in die Aufnahmezentren könnte angesichts des Bleiberechts und des nonrefoulment -Prinzips problematisch sein. - Fachbereich Europa - 30 Vgl. dazu: Hyndman/Mountz: Another Brick in the Wall? Neo-Refoulement and the Externalisation of Asylum by Australia and Europe; Noll, Visions of the Exceptional: Legal and Theoretical Issues Raised by Transit Processing Centres and Protection Zones, In: European Journal of Migration and Law 5 (2003), S. 312; Noll/Fagerlung/Liebaut, Study on the feasibility of processing asylum claims outside the EU against the background of the common European asylum system and the goal of a common European asylum procedure, 2002. Online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/elibrary /docs/pdf/asylumstudy_dchr_2002_en_en.pdf S. 173ff. 31 Noll, Visions of the Exceptional: Legal and Theoretical Issues Raised by Transit Processing Centres and Protection Zones, In: European Journal of Migration and Law 5 (2003), S. 312. 32 Vgl. zu den europäischen Rückübernahmeabkommen: Kommission, Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat, Evaluierung der EU-Rückübernahmeabkommen. Dok. Nr. KOM(2011)76. Online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-is-new/news/pdf/248_act_part1_v3_de.pdf. 33 Weiß, in Streinz. EUV/AEUV. 2. Aufl. 2012 Art. 79 Rn 42. 34 Weiß, in Streinz. EUV/AEUV. 2. Aufl. 2012 Art. 79 Rn 42.