PE 6 - 3000 - 038/20 (8. Juni 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Fachbereich ist um Auskunft ersucht worden, inwieweit der von den Mitgliedstaaten nach der Qualifikationsrichtlinie1 (Qualifikations-RL) zu gewährleistende subsidiäre Schutz von den entsprechenden völkerrechtlichen Vorgaben zugunsten der Antragsteller abweicht. Aus Art. 78 Abs. 2 AEUV folgt die Zuständigkeit der Union zum Erlass von Maßnahmen über einen „einheitlichen Asylstatus“ (Buchst. a) und über „einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige, die keinen europäischen Asylstatus erhalten, aber internationalen Schutz benötigen“ (Buchst. b). Der Begriff des subsidiären Schutzstatus wird in dieser Vertragsbestimmung nicht näher definiert.2 Da ihm auch keine völkerrechtliche Definition zugrunde liegt,3 kann der Unionsgesetzgeber die Voraussetzungen für die Erteilung und den Entzug des subsidiären Schutzstatus sowie den Umfang der damit verbundenen Statusrechte sekundärrechtlich ausgestalten.4 Zu diesem Zweck wurde die Qualifikations-RL erlassen, die sowohl Vorschriften über einen einheitlichen Asyl- bzw. Flüchtlingsstatus als auch über einen subsidiären Schutzstatus enthalten, die unter dem Begriff des „internationalen Schutzes“ zusammengefasst werden (Art. 2 Buchst. a). 1 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung). 2 Thym, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Stand: 69. EL Februar 2020), Art. 78 AEUV, Rn. 29; 3 Wilderspin, in: Kellerbauer/Klamert/Tomkin, The EU Treaties and the Charter of Fundamental Rights, 1. Aufl. 2019, Art. 78 AEUV, Rn. 40. 4 Müller-Graff, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Aufl. 2017, Art. 78 AEUV, Rn. 16; zu den Grenzen der Gestaltungsbefugnis, die sich aus dem Begriff des „internationalen Schutzes“ ergeben, siehe Thym, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Stand: 69. EL Februar 2020), Art. 78 AEUV, Rn. 29. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Der subsidiäre Schutzstatus gemäß Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikations -RL) im Lichte des Völkerrechts Kurzinformation Der subsidiäre Schutzstatus gemäß Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikations-RL) im Lichte des Völkerrechts Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 Aus der Begriffsbestimmung in Art. 2 Buchst. f Qualifikations-RL folgt, dass sich der subsidiäre Schutz ausschließlich auf Personen bezieht, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention5 (GFK) nicht erfüllen, und deren Status somit völkerrechtlich nicht in gleicher Weise geregelt ist (näher hierzu sogleich). Die Qualifikations-RL definiert zum einen die „Voraussetzungen für subsidiären Schutz“ (Art. 15-17) und enthält Vorgaben hinsichtlich der Erteilung und des Entzugs des „subsidiären Schutzstatus“ (Art. 18, 19). Zum anderen enthält die Qualifikations-RL einen ausführlichen Katalog von Rechten, die den Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz von den Mitgliedstaaten zu gewähren sind und die den „Inhalt des internationalen Schutzes“ ausmachen (Art. 20-35), u.a. in Bezug auf Zugang zu Informationen, Wahrung des Familienbandes, die Erteilung von Aufenthaltstiteln , Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zu Beschäftigung, Zugang zu Bildung, Zugang zu Verfahren für die Anerkennung von Befähigungsnachweisen, Sozialhilfeleistungen, medizinische Versorgung, Schutz unbegleiteter Minderjähriger, Zugang zu Wohnraum, Freizügigkeit , Zugang zu Integrationsmaßnahmen, Unterstützung bei der Rückkehr. Die sich daraus ergebende Rechtsstellung von subsidiär Schutzberechtigten entspricht weitgehend dem Status von Flüchtlingen (Art. 20 Abs. 2). Unterschiede bestehen für subsidiär Schutzberechtigte insbesondere in Bezug auf die verkürzte Mindestdauer des Aufenthaltstitels (Art. 24) oder den auf Kernleistungen beschränkbaren Umfang von Sozialhilfe (Art. 29). Nach der Qualifikations -RL steht es den Mitgliedstaaten jedoch frei, in ihrem innerstaatlichen Recht günstigere Normen vorzusehen (Art. 3). Der Ansatz der Qualifikations-RL, die Rechte von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten anzugleichen, ist keine Vorgabe des Völkerrechts. Denn während die Genfer Flüchtlingskonvention detaillierte Vorgaben über die Rechtstellung von Flüchtlingen enthält (vgl. insb. die Kapitel II-IV der GFK über die „Rechtsstellung“, „Erwerbstätigkeit“ und „Wohlfahrt“ von Flüchtlingen), beschränken sich die spezifischen völkerrechtlichen Vorgaben für andere Schutzsuchende im Wesentlichen auf das u.a. aus Art. 3 EMRK folgende Verbot aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in dem Land, in das eine Zurückweisung erfolgen soll (Zurückweisungsverbot).6 Dem völkerrechtlichen Zurückweisungsverbot trägt die Qualifikations-RL bereits dadurch Rechnung , dass Personen, die der (an Art. 3 EMRK orientierten7) Schutzkategorie des Art. 15 Buchst. b Qualifikations-RL unterfallen, der Aufenthalt in den Mitgliedstaaten zu gestatten ist (Art. 24).8 5 Nach Art. 2 Buchst. c Qualifikations-RL ist mit „Genfer Flüchtlingskonvention“ das in Genf abgeschlossene Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der durch das New Yorker Protokoll vom 31. Januar 1967 geänderten Fassung gemeint. 6 Näher hierzu Grabenwarter/Pabel, EMRK, 6. Aufl. 2016, § 20 Rn. 75 ff. 7 Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Art. 15 Asylum Qualification Directive 2011/95/EU, Rn. 3 f. (S. 1234). 8 Das Unionsrecht gewährleistet den Grundsatz der Nichtzurückweisung auch im Stadium der Antragstellung und der Rückführung, vgl. Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni Kurzinformation Der subsidiäre Schutzstatus gemäß Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikations-RL) im Lichte des Völkerrechts Fachbereich Europa (PE 6) Seite 3 Eine Abweichung der Qualifikations-RL von den völkerrechtlichen Vorgaben zugunsten von Schutzsuchenden kann sich somit in zweifacher Hinsicht ergeben: Zum einen mit Blick auf die in der Qualifikations-RL definierten Voraussetzungen des subsidiären Schutzes (Art. 15) und zum anderen mit Blick auf den Inhalt des subsidiären Schutzes (Art. 20-35). Mit Blick auf die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes ist festzustellen, dass insbesondere die Erstreckung des Schutzes auf bedrohte Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten (Art. 15 Buchst. c) jedenfalls konzeptionell als Abweichung von den völkerrechtlichen Vorgaben zugunsten von Schutzsuchenden angesehen werden könnte. Im Schrifttum wird angesichts der weiten Fassung des Art. 15 Buchst. b Qualifikations-RL allerdings diskutiert, ob sich aus dieser Schutzkategorie tatsächlich substanzielle Unterschiede ergeben.9 Mit Blick auf den Inhalt des subsidiären Schutzes dürfte wohl davon auszugehen sein, dass sich nur ein Ausschnitt des Katalogs von Einzelrechten in den Art. 20-35 Qualifikations-RL auf völkerrechtliche Vorgaben zurückführen lässt. Neben der erwähnten Aufenthaltsgestattung für Personen , die dem völkerrechtlichen Zurückweisungsverbot unterfallen, wäre auch an punktuelle Vorgaben etwa der VN-Kinderrechtskonvention bezüglich des Familiennachzugs für unbegleitete minderjährige Schutzberechtigte10 oder möglicherweise auch in Bezug auf die Sicherung der existenziellen Grundbedingungen während des Aufenthalts von Schutzberechtigten zu denken. Für einen konkreten Abgleich der einzelnen Bestimmungen der Qualifikations-RL mit entsprechenden völkerrechtlichen Gewährleistungen bedürfte es einer eingehenden völkerrechtlichen Untersuchung , die nur im Rahmen einer gesonderten Ausarbeitung zu leisten wäre. – Fachbereich Europa – 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. 9 Näher hierzu Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Art. 15 Asylum Qualification Directive 2011/95/EU, Rn. 5 (S. 1234 f.). 10 Siehe hierzu Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Fachbereich WD 2, Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 026/16 „Vereinbarkeit der Regelungen des Asylpakets II betreffend die Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit der VN-Kinderrechtskonvention (KRK)“, 19.2.2016.