© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 – 3000 - 037/20 188 Zur europarechtlichen Relevanz strategischer Unternehmensbeteiligungen des Staates und Sozialisierungen nach Artikel 15 Grundgesetz Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 037/20 Seite 2 Zur europarechtlichen Relevanz strategischer Unternehmensbeteiligungen des Staates und Sozialisierungen nach Artikel 15 Grundgesetz Aktenzeichen: PE 6 – 3000 – 037/20 Abschluss der Arbeit: 2. Juni 2020 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 037/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Möglicherweise relevante europarechtliche Prüfungsmaßstäbe 4 3. Grundfreiheiten 4 3.1. Zur Anwendbarkeit 4 3.2. Kapitalverkehrsfreiheit 5 3.3. Niederlassungsfreiheit 6 3.4. Eingriff in diese Grundfreiheiten 6 3.5. Rechtfertigung 6 4. Abweichungen von unionsrechtlichen Vorgaben auf Grundlage des Art. 347 AEUV? 8 5. Schutz des Eigentums 8 Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 037/20 Seite 4 1. Fragestellung An den Fachbereich Europa wurde die Frage gerichtet, ob strategische Unternehmensbeteiligungen des Staates und Sozialisierungen nach Artikel 15 Grundgesetz unionsrechtlichen Bindungen unterliegen. Aufgrund der Allgemeinheit dieser Fragestellung können die damit verbundenen europarechtlichen Fragen nur summarisch behandelt werden, ohne zu abschließenden Ergebnissen kommen zu können. Letzteres erforderte eine konkrete Regelung bzw. eine konkrete Ausgestaltung einer strategischen Unternehmensbeteiligung oder Durchführung einer Sozialisierung. 2. Möglicherweise relevante europarechtliche Prüfungsmaßstäbe Strategische Unternehmensbeteiligungen des Staates oder Sozialisierungen i.S.d. Art. 15 GG sind an den europäischen Grundfreiheiten zu messen. Soweit bestehende Beteiligungen ausländischer Investoren entzogen werden, könnte hiervon das durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgte Eigentumsrecht (Art. 17 GRCh) betroffen sein. Es ist zudem darauf hinzuweisen , dass Investitionsschutzabkommen1 Regelungen enthalten können, die Unternehmen und Investoren des Vertragspartnerlandes vor internationalen Schiedsgerichten einklagbare Entschädigungsansprüche gewähren.2 3. Grundfreiheiten 3.1. Zur Anwendbarkeit Die europäischen Grundfreiheiten kommen als Prüfungsmaßstäbe für die vorliegend behandelte Fragestellung in Betracht, obgleich nach Art. 345 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Verträge die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt lassen. Der EuGH hatte dazu entschieden, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 345 AEUV das Ziel verfolgen dürfen, für bestimmte Unternehmen eine Zuordnung des Eigentums in öffentliche Trägerschaft einzuführen oder aufrechtzuerhalten, dass Art. 345 AEUV andererseits nicht dazu führe, dass die in den Mitgliedstaaten bestehenden Eigentumsordnungen den Grundprinzipien des AEU-Vertrags, u. a. denen der Nichtdiskriminierung, der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit , entzogen sind.3 Da strategische Unternehmensbeteiligungen bzw. Sozialisierungen innerhalb des Binnenmarktes grenzüberschreitende Auswirkungen haben dürften, sind diese anhand der Grundfreiheiten zu legitimieren.4 Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Grundfreiheiten des AEUV nur für Sach- 1 Weiterführende Hinweise hierzu finden sich unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/investitionsschutz.html. 2 Dazu die Hinweise von Schede/Schuldt, ZRP 2019, S. 78 (81). 3 EuGH, Urt. v. 22.10.2013, verb. Rs. C-105/12 bis C-107/12 (Essent) Rn. 36. Dazu eingehend Voland, EuR 2014, S. 237. 4 Dazu auch Terhechte, JZ 2020, S. 431 (441). Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 037/20 Seite 5 verhalte anwendbar sind, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, genauer: wenn die überprüfte Maßnahme geeignet ist, die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit zu betreffen.5 Davon dürfte bei den in Frage stehenden Maßnahmen auszugehen sein, da die hiermit verbundenen Erwerbsbeschränkungen auch nicht in Deutschland ansässige Investoren betreffen. Als europarechtlicher Prüfungsmaßstab für Erwerbsbeschränkungen von Immobilien und Beschränkungen von Unternehmensinvestitionen infolge von strategischen Unternehmensbeteiligungen des Staates und Sozialisierungen kommt die Kapitalverkehrsfreiheit (3.2.) und die Niederlassungsfreiheit (3.3.) in Betracht. Eine strategische Unternehmensbeteiligung des Staates sowie Sozialisierungen können sowohl an der Kapitalverkehrsfreiheit wie die Niederlassungsfreiheit zu messen sein. Welche dieser Grundfreiheiten einschlägig ist, hängt von den dabei getroffenen konkreten Maßnahmen ab. Portfolioinvestitionen in Unternehmen, d.h. Investitionen allein aus Gründen der Kapitalanalage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen, unterfallen der Kapitalverkehrsfreiheit.6 Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche dieser Grundfreiheiten im Zusammenhang mit dem Immobilienerwerb hat der EuGH ausgeführt, dass eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmungen über das Niederlassungsrecht grundsätzlich sei, dass eine dauernde Präsenz im Aufnahmemitgliedstaat sichergestellt werde und dass im Fall des Erwerbs und des Besitzes von Grundstücken deren Verwaltung aktiv erfolge.7 Der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit ist in Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten insbesondere dann eröffnet, wenn ein „passiver“ Immobilienerwerb vorliegt, beispielsweise ein Ferienhaus zum Eigengebrauch und/oder zur Fremdvermietung erworben wird.8 In einem Urteil aus 2018 hat der EuGH allerdings betont, dass das Recht, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats Immobilien zu erwerben, zu nutzen und darüber zu verfügen, wenn es ergänzend zum Niederlassungsrecht ausgeübt wird, zu Kapitalverkehr führt.9 3.2. Kapitalverkehrsfreiheit Gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Der Kapitalver- 5 Dazu näher Grabitz/Hilf/Nettesheim, (66. EL 2019), Art. 34 AEUV Rn. 33. 6 Vgl. EuGH, 28.9.2006 – C-282/04 u. C-283/04, (Kommission/Niederlande) Rn.  19; EuGH, 21.12.2016 – C-201/15, (AGET Iraklis) Rn. 58; EuGH, 26.2.2019 – C-135/17, (Sociétés intermédiaires établies dans des pays tiers), Rn. 26. 7 EuGH, Urt. v. 11.10.2007, Rs. C-451/05 (ELISA) Rn. 64. 8 Lange, Europarechtliche Vereinbarkeit von Grunderwerbsbeschränkungen – Analyse der Rechtsprechung des EuGH, EWS 2004, S. 389 (392). 9 EuGH, Urt. v. 6.3.2018, verb. Rs. C-52/16 und C-113/16 (SEGRO) Rn. 54. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 037/20 Seite 6 kehr ist in Art. 63 AEUV nicht näher definiert. Der EuGH greift zur Definition dieses Begriffs in ständiger Rechtsprechung hilfsweise auf die Nomenklatur des Anhangs I der Kapitalverkehrs- Richtlinie 88/3611 zurück.10 Gemäß Anhang I der Richtlinie gehören zum Kapitalverkehr Investitionen in Immobilien und Unternehmen. Dazu zählen ausdrücklich auch die Investitionen von Gebietsfremden im Gebiet eines Mitgliedstaats. 3.3. Niederlassungsfreiheit Art. 49 Abs. 1 Satz 1 AEUV verbietet die Beschränkung der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats. Art. 50 Abs. 1 AEUV ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit zu erlassen. Gemäß Art. 50 Abs. 2 lit. e AEUV sind sie dabei insbesondere ermächtigt , den Erwerb und die Nutzung von Grundbesitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch Angehörige eines anderen Mitgliedstaats zu ermöglichen. Der Erwerb bspw. von Immobilien ist vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst, soweit dieser einer auf Dauer angelegten Ausübung eines Gewerbes in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich ist. 3.4. Eingriff in diese Grundfreiheiten Der Kern der europäischen Grundfreiheiten ist der Schutz des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs .11 Unter den Beschränkungsbegriff fallen neben diskriminierenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten auch solche, die auf sonstige Weise die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindern oder weniger attraktiv machen.12 Eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit liegt für den EuGH bereits vor, wenn die fragliche Regelung dazu geeignet ist, Investitionen weniger attraktiv zu machen.13 Die Niederlassungsfreiheit verbietet ausweislich ihres Wortlauts in Art. 49 Abs. 1 AEUV „Beschränkungen “. Nach der Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff der Beschränkungen die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, die, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, den Marktzugang von Wirtschaftsteilnehmern aus andern Mitgliedstaaten betreffen.14 Eine strategische Unternehmensbeteiligung des Staates sowie Sozialisierungen dürften mit Blick auf damit verbundene Beschränkungen oder den gänzlichen Ausschluss von ausländischen Beteiligungen bzw. Investitionen zu einem Eingriff – abhängig von dem davon betroffenen konkreten Investment – entweder in die Niederlassungsfreiheit oder Kapitalverkehrsfreiheit führen. 10 Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages, ABl. 1988, Nr. L 178/5, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:31988L0361. 11 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU (EL 42, Stand: September 2000), Art. 45 AEUV, Rn. 204. 12 Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 AEUV, Rn. 108. 13 EuGH, 28.09.2006 C-282/04 ua, (Kommission/Niederlande) Rn. 23. 14 EuGH, 5.10.2004, Rs. C-442/02 (Caixa-Bank France) Rn. 12. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 037/20 Seite 7 3.5. Rechtfertigung Nicht diskriminierende Beschränkungen wie die vorliegend erörterten unterschiedslos ausländische wie inländische Investoren betreffenden Beschränkungen der Niederlassungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit können sowohl am Maßstab der im Vertrag ausdrücklich verankerten Rechtfertigungsgründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (vgl. Art. 52 Abs. 1 AEUV, Art. 65 AEUV) gerechtfertigt werden, als auch am Maßstab der ungeschriebenen, durch die Rechtsprechung entwickelten sog. zwingenden Gründen des Allgemeinwohls.15 Der EuGH vertritt seit seiner grundlegenden Entscheidung in der Rechtssache Veronica16 die Ansicht, dass eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zugelassen werden kann, wenn sie einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel dient. Hierbei handelt es sich um einen offenen Katalog von Gründen , die von Seiten der Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung legitimer Ziele angeführt werden können . Derartige Beschränkungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, mithin zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein.17 Als grundfreiheitliche Beschränkungen grds. rechtfertigende zwingende Gründe des Allgemeininteresses anerkannte der EuGH z.B. die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder strategischer Bedeutung.18 Als ein legitimes öffentliches Interesse findet die Notwendigkeit Anerkennung,19 die Energieversorgung zu gewährleisten,20 namentlich das Ziel der Sicherstellung der Versorgung mit Erdölprodukten oder Elektrizität21 im Krisenfall bzw. die Sicherheit der Verfügbarkeit des Telekommunikationsnetzes im Krisen-, Kriegs- oder Terrorfall.22 Der EuGH hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit , insbesondere als Ausnahme von dem grundlegenden Prinzip des freien Kapitalverkehrs, eng zu verstehen sind, so dass ihre Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Gemeinschaft bestimmt werden kann. So kann die öffentliche Sicher- 15 Grundlegend EuGH, Urt. v.3.2.1993, Rs. C-148/91 (Veronica). 16 EuGH, Urt. v.3.2.1993, Rs. C-148/91 (Veronica). 17 Schuelken/Sichla, NVwZ 2019, S. 1406 (1408) m.w.N. 18 EuGH, Urt. v. 13.5.2003, Rs. C-463/00 (Kommission/Spanien) Rn. 66; Urt. v. 6.12.2007, verb. Rs. C-463/04 u. C- 464/04 (ADOC u.a.) Rn. 41. 19 EuGH, Urt. v. 4.6.2002, Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich) Rn. 47. 20 EuGH, Urt. v. 2.6.2005, Rs. C-174/04 (Kommission/Italien) Rn. 40. 21 EuGH, Urt. v. 11.11.2010, Rs. C- 543/08 (Kommission/Portugal) Rn. 84 f. 22 EuGH, Urt. v. 8.7.2010, Rs. C-171/08 (Kommission/Portugal) Rn. 72. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 037/20 Seite 8 heit nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt […].23 Wirtschaftliche oder finanzielle Interessen der Mitgliedstaaten finden als Grundfreiheiten beschränkende Ziele ebenso wenig Anerkennung wie das Interesse an der Stärkung der Wettbewerbsstruktur .24 4. Abweichungen von unionsrechtlichen Vorgaben auf Grundlage des Art. 347 AEUV? Art. 347 AEUV ermächtigt die Mitgliedstaaten dazu, bei Vorliegen einer der dort abschließend geregelten drei Tatbestandsvarianten einseitige, von den Vertragsbestimmungen abweichende Maßnahmen zu ergreifen.25 Mitgliedstaaten können hiernach in einer krisenhaften Ausnahmesituation 26 zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung von den unionsrechtlichen Verpflichtungen mit vorübergehenden Maßnahmen abweichen. Ein Tätigwerden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wäre hiernach aber nur zulässig, wenn das ordnungsgemäße Funktionieren des Staatswesens ganz oder teilweise gefährdet ist oder die Verfassungsordnung zusammenzubrechen droht. Wirtschaftliche oder soziale Krisensituationen, die solche Wirkungen nicht hervorriefen, erfüllten die Voraussetzungen der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift27 des Art. 347 AEUV regelmäßig nicht.28 Aufgrund einer mit Art. 347 AEUV vergleichbaren Vorgängerregelung stellte der EuGH in der Rechtssache C-265/95 fest: Der betreffende Mitgliedstaat hat alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die volle, wirksame und korrekte Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Interesse aller Wirtschaftsteilnehmer sicherzustellen, sofern er nicht nachweist, daß sein Tätigwerden Folgen für die öffentliche Ordnung hätte, die er mit seinen Mitteln nicht bewältigen könnte.29 Terhechte weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese Vorschrift Mitgliedstaaten es unter sehr engen Voraussetzungen und nur in wirklich existentiellen (inneren) Bedrohungslagen 23 EuGH, Urt. v. 4.6.2002, Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich) Rn. 48. 24 EuGH, Urt. v. 4.6.2002, Rs. C-367/98 ((Kommission/Portugal) Rn. 31, 52; Urt. v. 2.6.2005, Rs. C-174/04 (Kommission/Italien) Rn. 37. 25 Jaeckel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 2015, Art. 347 Rn. 24. 26 Kokott, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 347 AEUV Rn. 4. 27 EuGH, Urt. v. 19.12.1968, Rs. 13/68, S. 689; Dittert, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht , 7. Aufl. 2015, Art. 347 AEUV Rn. 1. 28 EuGH, Urt. v. 9.12.1997, Rs. C-265/95 Rn. 54 ff; Hummer, Das griechische Embargo, Everling-FS, 1995, S. 511 (531). 29 EuGH, Urt. v. 9.12.1997, Rs. C-265/95 Rn. 56. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 037/20 Seite 9 die Möglichkeit eröffnet, (Not-)Verstaatlichungsmaßnahmen durchzuführen, die gegen Bestimmungen des Unionsrechts verstoßen.30 5. Schutz des Eigentums Soweit von strategischen Unternehmensbeteiligungen des Staates oder Sozialisierungen Eigentumspositionen von Unionsbürgern aus anderen Mitgliedstaaten betroffen sind, könnte hierdurch ihr durch Art. 17 GRCh geschütztes Eigentumsrecht verletzt sein.31 Dies setzt allerdings voraus, dass diese Maßnahmen im Anwendungsbereich der Unionsverträge erfolgten (Art. 51 GRCh),32 was voraussetzte, dass die Mitgliedstaaten dabei Unionsrecht durchführten. Der EuGH interpretiert das Merkmal „durchführen“ sehr weitreichend, indem die Unionsgrundrechte die Mitgliedstaaten „in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen“ binden soll. Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich im Wesentlichen, dass die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden. Insoweit hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass er eine nationale Rechtsvorschrift nicht im Hinblick auf die Charta beurteilen kann, wenn sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Sobald dagegen eine solche Vorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, hat der im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens angerufene Gerichtshof dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung er sichert.33 - Fachbereich Europa - 30 Terhechte, JZ 2020, S. 431 (440). 31 Callies, in: Callies Ruffert, EUV/AEUV, Art. 17 GRCh Rn. 4 verweist darauf, dass bei der Anwendung dieses Grundrechts zwischen Eigentumsrecht und Eigentumsordnung zu unterscheiden sei. Einerseits sei die Eigentumsordnung gemäß Art. 345 AEUV Sache der Mitgliedstaaten, während das Eigentumsrecht als Unionsgrundrecht in Art. 17 GRCh unionsrechtlich konkretisiert werde. 32 Terhechte JZ 2020, S. 431 (440) weist darauf hin, dass wegen der weiten Auslegung des Begriffs „im Anwendungsbereich “ und der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG insb. mit Blick auf seine Entscheidung zum Recht auf Vergessen (Beschlüsse vom 6.11.2019 – BvR 16/13 und 1 BvR 267/17) Art.17 GRC künftig eine bedeutendere Rolle bei Verstaatlichungen spielen dürfte. 33 EuGH, Urt. v. 26.2.2013, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson) Rn. 19.