© 2021 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 036/21 188 Unionsrechtliche Spielräume für Ausfuhrbeschränkungen für Schnittholz aus der EU in Drittstaaten Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 036/21 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstel - lung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bun - destages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unionsrechtliche Spielräume für Ausfuhrbeschränkungen für Schnittholz aus der EU in Drittstaaten Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 036/21 Abschluss der Arbeit: 26.05.2021 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 036/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union für die gemeinsame Handelspolitik 4 3. Grundsatz der Ausfuhrfreiheit 5 4. Ausfuhrbeschränkungen nach der Ausfuhr-VO 5 4.1. Ausfuhrbeschränkungen der Mitgliedstaaten 5 4.1.1. Auf Grundlage von Art. 10 Ausfuhr-VO 5 4.1.2. Auf Grundlage der Übergangsbestimmung in Art. 8 Ausfuhr-VO 7 4.2. Ausfuhrbeschränkungen der EU 7 Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 036/21 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich soll zu der Frage Stellung beziehen, ob es rechtlich möglich wäre, über die Verordnung 2015/479 über eine gemeinsame Ausfuhrregelung Ausfuhrbeschränkungen für Schnittholz aus der Europäischen Union in Drittstaaten zu etablieren1 und Auskunft darüber geben, ob es Beispiele für die Anwendung der besagten Verordnung für Ausfuhrbeschränkungen der EU in Drittstaaten gibt. 2. Ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union für die gemeinsame Handelspolitik Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV weist der EU die ausschließliche Zuständigkeit für die gemeinsame Handelspolitik zu. Eine ausschließliche Zuständigkeit der EU führt nach Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 AEUV zu einer Sperrwirkung für Mitgliedstaaten. Sie dürfen dann auf diesem Gebiet nur tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ermächtigt werden, oder um Rechtsakte der Union durchzuführen.2 Integraler Bestandteil der gemeinsamen Handelspolitik ist nach Art. 207 AEUV der Handel mit Waren3, worunter der EuGH alle Erzeugnisse versteht, die einen Geldwert haben und somit Gegenstand von Handelsgeschäften sein können4, was zu einem sehr weiten Verständnis des Begriffs Waren führt.5 Die Handelspolitik erweitert das Binnenmarktkonzept der EU nach außen hin um ein vereinheitlichtes Außenhandelsregime,6 das auch die Ausfuhrkontrolle umfasst.7 1 Zu den jüngst erhobenen politischen Forderungen, Lieferengpässe und steigende Rohstoffpreise mit temporären EU-Exportbeschränkungen für Holz und andere Rohstoffe zu begegnen vgl. Handelsblatt, Rohstoffknappheit, Ausg. v. 12.5.2021. 2 Dazu näher Derksen, NVwZ 2019, 521 (522). 3 Weiß, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (57. EL August 2015), Art. 207 AEUV Rn. 29. 4 EuGH, Urt. v. 9.7.1992, Rs. C-2/90 Rn. 23 5 EuGH, Urt. v. 17.10.1995, Rs. C-83/94 Rn. 10 f. ; es kann dahinstehen, ob Holzerzeugnisse landwirtschaftliche Produkte sind, obgleich diese im Anhang I Liste zu Artikel 38 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht aufgeführt sind. Für Landwirtschaftserzeugnisse gelten nach Art. 38 Abs. 2 AEUV grundsätzlich auch die Regeln über den Binnenmarkt. 6 Weiß, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (57. EL August 2015) , Art. 207 AEUV Rn. 28. 7 Weiß, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (57. EL August 2015), Art. 207 AEUV Rn. 89. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 036/21 Seite 5 3. Grundsatz der Ausfuhrfreiheit Nach Art. 1 Verordnung (EU) 2015/479 über eine gemeinsame Ausfuhrregelung8 (nachfolgend: Ausfuhr-VO) ist die Ausfuhr von Waren keinen mengenmäßigen Beschränkungen unterworfen, soweit die Verordnung nichts anderes bestimmt. Die Ausfuhren der Union nach dritten Ländern sind mithin frei und unterliegen keinen mengenmäßigen Beschränkungen mit Ausnahme derjenigen , die sich auf diese Verordnung stützen lassen. Nach dem Erwägungsgrund 10 der Ausfuhr-VO sollte diese Verordnung alle Waren, sowohl gewerbliche als auch landwirtschaftliche, erfassen. Über den Wortlaut der Ausfuhr-VO hinaus gilt der Grundsatz der Ausfuhrfreiheit auch für Maßnahmen , die wie mengenmäßige Beschränkungen wirken.9 Die Ausfuhr-VO gilt für alle unionalen Exportwaren, und zwar sowohl für solche, die ihren Ursprung in einem EU-Mitgliedstaat haben, als auch für solche, die ursprünglich aus einem Drittstaat stammen und sich gem. Art. 29 AEUV in der EU im freien Verkehr befinden.10 Im Übrigen begründen Art. 15 und 16 GRCh das Recht, außerhalb der EU mit diesen Waren Handel zu treiben.11 4. Ausfuhrbeschränkungen nach der Ausfuhr-VO Die Ausfuhr-VO eröffnet – allerdings unter jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen – sowohl den Mitgliedstaaten als auch der EU unter restriktiv gefassten Voraussetzungen Möglichkeiten zur Beschränkung der Ausfuhrfreiheit in Drittstaaten. 4.1. Ausfuhrbeschränkungen der Mitgliedstaaten 4.1.1. Auf Grundlage von Art. 10 Ausfuhr-VO Die Mitgliedstaaten können die Ausfuhr gemäß Art. 10 Ausfuhr-VO nur ausnahmsweise beschränken , wenn dies aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischen Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt ist. 8 Verordnung (EU) 2015/479 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 über eine gemeinsame Ausfuhrregelung, ABl. L 83/34. 9 EuGH, Urt. v. 17.10.1995, Rs. 70/94 Rn. 22. Dies entspricht dem Verbot nichttarifärer Handelshemmnisse in Art. XI:1 GATT. 10 Bungenberg, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 207 AEUV Rn. 51. 11 Plünder/ Kjellsson, Jura 2016, 894 (895). Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 036/21 Seite 6 Diese Vorschrift entspricht der für den Binnenmarkt geltenden Regelung in Art. 36 AEUV. In der Kommentarliteratur wird darauf verwiesen, dass Art. 10 Ausfuhr-VO restriktiv auszulegen ist, um zu verhindern, dass die Mitgliedstaaten gestützt auf diese Vorschrift den in den Unionsverträgen statuierten Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit protektionistischen Maßnahmen unterlaufen.12 Die Europäische Rechtsprechung hat sich – soweit ersichtlich – mit Art. 10 Ausfuhr-VO noch nicht befasst. Auf der Grundlage einer vergleichbaren früheren Regelung erachtete der EuGH Exportbeschränkungen für Erdöl in ein Drittland für zulässig.13 Eine Sonderregelung für Erdöl bzw. Erdölprodukte besteht auch in Art. 8 Ausfuhr-VO, aus der sich allerdings keine Folgerungen für die in Frage stehenden Ausfuhrbeschränkungen für Schnittholz ziehen ließen. Weitere Entscheidungen des EuGH auf Grundlage vergleichbarer Regelungen in Vorgängervorschriften zur Ausfuhr-VO betreffen Exportbeschränkungen von Rüstungsgütern14 oder dual-use Waren15, aus denen sich mit Blick auf die Besonderheiten dieser Handelsobjekte für eine Ausfuhrbeschränkung für Schnittholz keine Folgerungen ziehen lassen. Zu den für Art. 10 Ausfuhr-VO relevanten Beschränkungsmöglichkeiten des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt liegen Entscheidungen des EuGH vor, die Hinweise für die Auslegung des Art. 10 Ausfuhr-VO geben könnten. Die in Art. 10 Ausfuhr-VO genannten Schutzgüter werden in der Rechtsprechung des EuGH restriktiv ausgelegt. Der für die vorliegend untersuchte Fragestellung relevante Schutz der öffentlichen Sicherheit soll hiernach dann geboten sein, wenn die Existenz eines Staates betroffen ist, was der Fall sein kann, wenn nicht nur das Funktionieren seiner Wirtschaft, sondern vor allem auch das seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste und selbst das Überleben seiner Bevölkerung von einer Maßnahme abhängen. Dies wurde vom EuGH in der Rechtssache Campus Oil Limited für Exportbeschränkungen im Binnenmarkt für Erdölerzeugnisse wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung als Energiequelle in der modernen Wirtschaft angenommen.16 Der EuGH betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass Handelsbeschränkungen nur zum Schutz von Interessen nichtwirtschaftlicher Art zulässig sind.17 Der Schutz der Versorgungssicherheit rechtfertigte dies nur in Ausnahmefällen bei für die Existenz des Staates unverzichtbaren und nicht anders zu erfüllenden Versorgungsbedürfnissen .18 12 Bungenberg, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 207 AEUV Rn. 55; Tietje, § 15 Außenwirtschaftsrecht Rn. 94. 13 EuGH, Urt. v. 18.2.1986, Rs. 174/84. 14 EuGH, Urt. v. 17.10.1995, Rs. C-70/94; Urt. v. 4.10.1991, Rs. C-367/89. 15 EuGH, Urt. v. 4.10.1991, Rs. C-83/94. 16 EuGH, Urt. v. 10.7.1984, Rs. 72/83 Rn. 34. 17 EuGH, Urt. v. 10.7.1984, Rs. 72/83 Rn. 35; Urt. v. 9.6.1982, Rs. 95/81 Rn. 27. 18 Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (71. EL 2020), Art. 36 AEUV Rn. 21 m.w.N. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 036/21 Seite 7 Mit Blick auf vorstehende Anforderungen ist zweifelhaft, ob Ausfuhrbeschränkungen der Mitgliedstaaten für Schnittholz sich auf Art. 10 Ausfuhr-VO stützen ließen. Marktstörungen allein rechtfertigten dies nicht, soweit hierdurch keine gravierende Versorgungskrise ausgelöst wird. Mit Blick auf die grundsätzlich garantierte Ausfuhrfreiheit dürften Ausfuhrbeschränkungen zudem in ihren Wirkungen nicht über das hinausgeh(en), was zum Schutz der Interessen, die sie gewährleisten soll, erforderlich ist.19 4.1.2. Auf Grundlage der Übergangsbestimmung in Art. 8 Ausfuhr-VO Die von den einschlägigen Bestimmungen der Union freistellende Sonderregelung in Art. 8 Ausfuhr -VO gilt nur für die in Anlage I dieser Verordnung aufgeführten Güter, nicht aber für das dort nicht aufgeführte Schnittholz. 4.2. Ausfuhrbeschränkungen der EU Die Ausfuhr-VO eröffnet in Art. 5 und Art. 6 der Kommission die Option, Einschränkungen der Ausfuhrfreiheit aus zwei Gründen vorzunehmen: • um einer durch einen Mangel an lebenswichtigen Gütern bedingten Krisenlage vorzubeugen oder entgegenzuwirken auf Antrag eines Mitgliedstaates oder soweit dies Interessen der Union erfordern oder • um internationale Verpflichtungen der Union oder aller ihrer Mitgliedstaaten, insbesondere auf dem Gebiet des Handels mit Grundstoffen, zu erfüllen. Sie kann unter diesen Voraussetzungen die Ausfuhr von einer Ausfuhrgenehmigung nach Art. 6 Abs. 1 Ausfuhr-VO abhängig machen. Mengenmäßige Beschränkungen sind unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 Ausfuhr-VO zulässig.20 Bevor die EU Schutzmaßnahmen ergreift, ist das in Art. 2 ff. Ausfuhr-VO geregelte Verfahren durchzuführen.21 Die Hürden für die erwogenen Ausfuhrbeschränkungen für Schnittholz aus der Europäischen Union in Drittstaaten auf Grundlage der Ausfuhr-VO sind sehr hoch. Es müsste dafür der Nachweis erbracht werden, dass ein Mangel an einem lebenswichtigen Gut besteht, dass hierdurch eine Krisenlage verursacht worden oder einer solchen mit dieser Maßnahme vorzubeugen ist und ein Unionsinteresse an einer Schutzmaßnahme besteht. Es müsste etwa belegt werden, dass große Mengen von Gütern aus der Union ausgeführt werden und dadurch die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern in der Union gefährdet wird.22 Exportbeschränkungen ließen sich auf Grundla- 19 EuGH, Urt. v. 17. 10. 1995, Rs. C–83/94 Rn. 33. 20 Wolffgang in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht - Band 1, 4. Aufl. 2019, B.I.1. aa Rn. 12. 21 Soweit ein Mitgliedstaat wegen einer außergewöhnlichen Entwicklung des Marktes der Auffassung ist, dass Schutzmaßnahmen erforderlich sein könnten, muss dieser die Kommission hierüber informieren (Art. 2 Ausfuhr VO), die sodann die anderen Mitgliedstaaten unterrichtet. Die Kommission wird bei ihrer Entscheidung, ob Schutzmaßnahmen erforderlich sind, von einem Schutzmaßnahmenausschuss unterstützt. Zu weiteren Details zu diesem Informations- und Konsultationsverfahren nach Art. 2 ff Ausfuhr-VO vgl. Bungenberg, in: Pechstein /Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Aufl. 2017, Art. 207 AEUV Rn. 55 ff. 22 Herrmann/Müller-Ibold, EuZW 2021, 97 (103). Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 036/21 Seite 8 ge der Export-VO hingegen von vornherein nicht rechtfertigen, soweit ein Mangel an lebenswichtigen Gütern dadurch entstünde, dass diese – etwa aus spekulativen Gründen – dem nationalen Markt in anderer Weise als durch Export in Drittstaaten (temporär) entzogen werden. Rechtsprechung des EuGH zu diesen Vorschriften liegt – soweit ersichtlich – nicht vor. Sofern entsprechend der Vorgaben in Art. 5 bzw. Art. 6 Export-VO sich ein Exportverbot für Schnittholz rechtfertigen ließe, wofür (derzeit) wenig sprechen dürfte, besteht die Möglichkeit, aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit Exportbeschränkungen in einer auf die Ausfuhr- VO gestützten Durchführungsverordnung zu regeln vergleichbar wie in der Durchführungsverordnung (EU) 2020/568 für medizinische Schutzausrüstungen23 und der Durchführungsverordnung (EU) 2021/111, mit der die Verpflichtung zur Vorlage einer Ausfuhrgenehmigung bei der Ausfuhr von COVID-19-Impfstoffen sowie von Wirkstoffen, die für die Herstellung solcher Impfstoffe verwendet werden, einschließlich Master- und Arbeitszellbanken, eingeführt wurde.24 - Fachbereich Europa - 23 Durchführungsverordnung (EU) 2020 der Kommission vom 23.4.2020 über die Einführung der Verpflichtung zur Vorlage einer Ausfuhrgenehmigung bei der Ausfuhr bestimmter Produkte, ABl. L129/7. Diese Verordnung ist inzwischen außer Kraft. 24 Durchführungsverordnung (EU) 2021/111 der Kommission vom 29. Januar 2021 über die Einführung der Verpflichtung zur Vorlage einer Ausfuhrgenehmigung bei der Ausfuhr bestimmter P rodukte, ABl. L 311/1.