PE 6 - 3000 - 033/20 (18. Juni 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Fachbereich ist um Auskunft gebeten worden, ob die Empfehlung der Europäischen Zentralbank EZB/2020/191 an Kreditinstitute, zumindest bis 1. Oktober 2020 keine Dividenden auszuschütten , rechtsverbindlich ist und auf welche Rechtsgrundlage sie gestützt ist. Für den Fall ihrer Unverbindlichkeit wird ferner nach den möglichen Konsequenzen einer Nichtbefolgung für die Kreditinstitute gefragt und ob für die EZB auch die Möglichkeit besteht, die Auszahlung von Dividenden in rechtsverbindlicher Weise zu untersagen. 1. Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit Es ist davon auszugehen, dass die Empfehlung EZB/2020/19 nicht rechtsverbindlich ist.2 Nach der maßgeblichen Vertragsbestimmung über die Rechtsakte der Unionsorgane in Art. 288 Abs. 5 AEUV sind Empfehlungen „nicht verbindlich“. Etwas anderes würde nach der Rechtsprechung des EuGH nur gelten, sofern der betreffende Rechtsakt zum Ausdruck bringt, dass er ungeachtet seiner Form Rechtswirkungen entfalten soll3. Der Wortlaut der Empfehlung EZB/2020/19 bietet keine Anhaltspunkte in diese Richtung („Die EZB empfiehlt […]“, „Kreditinstitute […] sollten […]“, „Die nationalen zuständigen Behörden […] sind gehalten […]“). Auch der Umstand, dass die Empfehlung ihre Adressaten ausdrücklich benennt (I., II.), wie dies für verbindliche Beschlüsse gemäß Art. 288 Abs. 4 AEUV charakteristisch ist, lässt sich als solches wohl nicht als Hinweis auf von der EZB beabsichtigte Rechtswirkungen deuten, da dies in Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 1 Empfehlung der Europäischen Zentralbank vom 27. März 2020 zu Dividendenausschüttungen während der CO- VID-19-Pandemie und zur Aufhebung der Empfehlung EZB/2020/1 (EZB/2020/19). 2 Vgl. allgemein zur Unverbindlichkeit von Empfehlungen u.a. der EZB, Stockhorst/Prinz/Peine, AG 2020, R127- R129. 3 Zu dieser ständigen Rechtsprechung des EuGH im Kontext der Bankenaufsicht der EZB, siehe Müller-Graff, EuZW 2018 101 (105). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Zur Empfehlung der EZB vom 27. März 2020 zu Dividendenausschüttungen während der COVID-19-Pandemie (EZB/2020/19) Kurzinformation Zur Empfehlung der EZB vom 27. März 2020 zu Dividendenausschüttungen während der COVID-19- Pandemie (EZB/2020/19) Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 SSM-Verordnung4 i.V.m Art. 16 Abs. 1 EBA-Verordnung5 auch für die Annahme unverbindlicher Empfehlungen vorgegeben ist („[…] und richtet Empfehlungen an eine oder mehrere zuständige Behörden oder ein oder mehrere Finanzinstitute“). 2. Rechtsgrundlage Als Rechtsgrundlage nennt die Empfehlung EZB/2020/19 allgemein den AEUV sowie die SSM- Verordnung, insbesondere deren Art. 4 Abs. 3, demzufolge die EZB „zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben […] Leitlinien sowie Empfehlungen an[nimmt] und […] Beschlüsse [fasst]“. Der Verzicht auf die in früheren Empfehlungen der EZB zur Dividenden -Ausschüttungspolitik übliche Nennung der konkreten primärrechtlichen Grundlagen (Art. 127 Abs. 6 und Art. 132 AEUV, Art. 34 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank) sowie der auf der Grundlage der SSM-Verordnung von der EZB erlassenen SSM-Rahmenverordnung6 dürfte ohne Bedeutung sein. 3. Mögliche Konsequenzen der Nichtbefolgung Mit Blick auf die Frage nach möglichen Konsequenzen einer Nichtbefolgung der Empfehlung für die Kreditinstitute ist zu berücksichtigen, dass die EZB die Bedeutung ihrer Empfehlungen darin sieht, „unverbindliche aufsichtliche Erwartungen der EZB gegenüber beaufsichtigten Kreditinstituten oder relevanten Dritten oder gegenüber den NCAs zum Ausdruck zu bringen“ und „um der Öffentlichkeit den aufsichtlichen Ansatz der EZB mitzuteilen“.7 Vor diesem Hintergrund erscheint die in Fachkreisen geäußerte8 Annahme naheliegend, dass die Kreditinstitute der Empfehlung bereits deshalb folgen werden, weil die EZB andernfalls den Erlass rechtlich bindender Aufsichtsmaßnahmen in Betracht ziehen dürfte, um ihre in der Empfehlung EZB/2020/19 zum Ausdruck gebrachten Erwartungen an die Kreditinstitute, Kapitalressourcen vorrangig „zur Unterstützung der Realwirtschaft und zur Verlustabsorption“9 zu verwenden, durchzusetzen. 4 Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (sog. SSM-Verordnung). 5 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission (sog. EBA-Verordnung ). 6 Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM- Rahmenverordnung) (EZB/2014/17). 7 EZB, SSM-Aufsichtshandbuch Europäische Bankenaufsicht: Funktionsweise des SSM und aufsichtlicher Ansatz , März 2019, S. 23, abrufbar unter: https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.supervisorymanual 201803.de.pdf. 8 Vgl. Stockhorst/Prinz/Peine, AG 2020, R127-R129. 9 1. Erwägungsgrund der Empfehlung EZB/2020/19. Kurzinformation Zur Empfehlung der EZB vom 27. März 2020 zu Dividendenausschüttungen während der COVID-19- Pandemie (EZB/2020/19) Fachbereich Europa (PE 6) Seite 3 Zu den besonderen Aufsichtsbefugnissen der EZB zählt nach Art. 16 Abs. 2 SSM-Verordnung u.a. die Befugnis: „i) Ausschüttungen des Instituts an Anteilseigner, Gesellschafter oder Inhaber von Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals einzuschränken oder zu untersagen, sofern die Nichtzahlung nicht ein Ausfallereignis für das Institut darstellt;“ Dies gilt nach Art. 16 Abs. 1 SSM-Verordnung in folgenden Situationen: „a) das Kreditinstitut erfüllt nicht die Anforderungen der Rechtsakte nach Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1; b) die EZB ist nachweislich bekannt, dass das Kreditinstitut die innerhalb der nächsten zwölf Monate voraussichtlich gegen die Anforderungen der Rechtsakte nach Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1 verstoßen wird; c) die EZB hat im Rahmen einer aufsichtlichen Überprüfung gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe f festgestellt, dass die von dem Kreditinstitut angewandten Regelungen, Strategien , Verfahren und Mechanismen sowie seine Eigenmittelausstattung und Liquidität kein solides Risikomanagement und keine solide Risikoabdeckung gewährleisten.“ Von den darin in Bezug genommenen Rechtsakten dürfte insbesondere die CRR-Verordnung10 (Kapitaladäquanzverordnung) einschlägig sein. Nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 110 CRR-Verordnung wird als „Ausschüttung“ jede Art der Auszahlung von Dividenden oder Zinsen erfasst. Neben den genannten Aufsichtsmaßnahmen könnte die EZB im Falle vorsätzlicher oder fahrlässiger Rechtsverstöße auch Verwaltungssanktionen gegen die betreffenden Kreditinstitute verhängen (Art. 18 SSM-Verordnung).11 Allgemein ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die EZB vorrangig für die Beaufsichtigung der bedeutenden beaufsichtigten Unternehmen und Gruppen zuständig ist.12 – Fachbereich Europa – 10 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (sog. CRR-Verordnung oder Kapitaladäquanzverordnung). 11 Allgemein hierzu Zagouras, WM 2017, 558-565. 12 Näher hierzu Zagouras, WM 2017, 558 (563).