© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 32/20 Zur Unionsrechtskonformität des Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) der EZB Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 2 Zur Unionsrechtskonformität des Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) der EZB Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 32/20 Abschluss der Arbeit: 15.5.2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Beschluss der EZB vom 24. März 2020 zu einem zeitlich befristeten Pandemie-Notfallankaufprogramm 4 3. Unionsrechtliche Prüfungsmaßstäbe zur Bewertung des Ankaufs von Anleihen und Wertpapieren durch die EZB 5 4. Art. 18 ESZB-Satzung 6 5. Verhältnismäßigkeit in Anbetracht der Ziele der Währungspolitik 7 6. Vereinbarkeit des PEPP mit Art. 123 Abs. 1 AEUV 8 6.1. Vermeidung eines mit dem Erwerb unmittelbar von Emittenten wirkungsgleichen Anleihekaufs auf Sekundärmärkten 9 6.1.1. Die Prüfungskriterien 9 6.1.2. Übereinstimmung des Ankaufprogramms PEPP mit diesen Maßstäben 11 6.2. Keine Anreize für unsolide Haushaltspolitik schaffen 14 6.2.1. Die aus Sicht des EuGH im Rahmen des PSPP getroffenen Vorkehrungen zur Wahrung einer soliden Haushaltspolitik 14 6.2.2. Übereinstimmung des Ankaufprogramms PEPP mit diesen Maßstäben 16 7. Das Halten von Anleihen bis zur Endfälligkeit 19 8. Folgerungen aus der Entscheidung des BVerfG vom 5. Mai 2020 zum PSPP für die Vereinbarkeit des PEPP mit Art. 123 AEUV 21 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich ist um eine Einschätzung gebeten geworden, ob der jüngste Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Ankauf von Staatsanleihen und Wertpapieren auf die Verträge der Europäischen Union gestützt werden kann. Ausgehend von den rechtlichen Grundlagen des der EZB erteilten Mandats im Bereich der Währungspolitik und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH hierzu, insb. zum Anleihekaufprogramm Secondary Markets Public Sector Asset Purchase Programme (PSPP), und unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 5. Mai d.J. hierzu1 wird geprüft, ob der Beschluss der EZB vom 24. März 2020 zu einem zeitlich befristeten Pandemie-Notfallankaufprogramm die Grenzen des der EZB erteilten Mandats einhält und mit den primärrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts vereinbar ist. 2. Der Beschluss der EZB vom 24. März 2020 zu einem zeitlich befristeten Pandemie-Notfallankaufprogramm Der EZB-Rat hat am 18. März 2020 das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) als geldpolitische Sondermaßnahme beschlossen.2 Dieser verfolgt damit das Ziel, den Risiken für die geldpolitische Transmission und die Preisstabilität durch den außerordentlichen Rückgang wirtschaftlicher Aktivität im Euroraum infolge des Coronavirus (COVID-19) zu begegnen. PEPP ist als temporäres Ankaufprogramm ausgestaltet und sieht ein Volumen von 750 Mrd. Euro für Anleihen öffentlicher und privater Schuldner vor. Die ab dem 26. März 2020 vorgenommenen Ankäufe im Rahmen des PEPP erfolgen zusätzlich zu und getrennt von den Ankäufen des bereits aufgelegten Programms APP, das am 12. März 2020 um 120 Mrd. Euro bis zum Jahresende 2020 aufgestockt wurde.3 Das Aufkaufprogramm soll solange durchgeführt werden, bis der EZB-Rat die kritische COVID-19 Phase als abgeschlossen einschätzt, allerdings mindestens bis Ende des Jahres 1 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15 und 2 BvR 980/16. 2 Vgl. Erwägungsgrund 3 des Beschlusses (EU) 2020/440 der Europäischen Zentralbank vom 24. März 2020 zu einem zeitlich befristeten Pandemie-Notfallankaufprogramm (EZB/2020/17), ABl L 91/1, abrufbar unter file:///C:/FB%20Europa/32%2020%20EZB%20Anleihekauf/Beschluss%20EZB%20zeitlich%20befristetes %20Pandemie%20Notfallaufkaufprogramm.pdf . Vgl. auch die Pressemitteilung der EZB vom 18.3.2020 zum PEPP, abrufbar unter: https://www.ecb.europa .eu/press/pr/date/2020/html/ecb.pr200318_1~3949d6f266.en.html . 3 Vgl. dazu die Pressemitteilung der EZB vom 12. März 2020, in der sie vorübergehend zusätzliche längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (LRG) ankündigt, um für das Finanzsystem des Euro-Währungsgebiets unmittelbar Liquiditätsunterstützung zur Verfügung zu stellen, abrufbar unter: https://www.ecb.europa .eu/press/pr/date/2020/html/ecb.mp200312~8d3aec3ff2.de.htm . Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 5 2020.4 In diesem Zusammenhang hat die EZB vorübergehend ihre Anforderungen an Sicherheiten gelockert, die sie bei der Kreditvergabe an Geschäftsbanken voraussetzt.5 3. Unionsrechtliche Prüfungsmaßstäbe zur Bewertung des Ankaufs von Anleihen und Wertpapieren durch die EZB Nachfolgend wird zunächst untersucht, ob die Ankäufe von Staatsanleihen und Wertpapieren durch die EZB mit den Regelungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der EZB (ESZB-Satzung ) vereinbar sind, bevor die unionsrechtlichen Voraussetzungen für das Ankaufprogramm PEPP geprüft werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Union für die Währungspolitik hinsichtlich der Mitgliedstaaten , die den Euro eingeführt haben, die ausschließliche Zuständigkeit hat (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Gemäß Art. 282 Abs. 1 AEUV bilden die EZB und die nationalen Zentralbanken das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Die EZB und die nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, bilden das Eurosystem und verantworten die Währungspolitik der Union. Das mit dem ESZB und dem Eurosystem verfolgte Ziel besteht nach den Art. 127 Abs. 1 AEUV und 282 Abs. 2 AEUV darin, die Preisstabilität zu gewährleisten. Um das Primärziel der Preisstabilität zu erreichen, werden dem ESZB in Art. 127 Abs. 2 AEUV vier grundlegende Aufgabenbereiche zugewiesen. Neben der Durchführung von Devisengeschäften, die Verwaltung der Währungsreserven der Mitgliedstaaten und die Förderung des reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme zählt hierzu insbesondere die Festlegung und Ausführung der Geldpolitik (Art. 127 Abs. 2 AEUV). Das Instrumentarium der Geldpolitik wird u.a. durch Art. 18 der EZB-Satzung präzisiert.6 Nach Art. 282 Abs. 2 AEUV ist die ESZB im Rahmen ihres währungspolitischen Mandats befugt, die Wirtschaftspolitik in der Union zu unterstützen: 2) Das ESZB wird von den Beschlussorganen der Europäischen Zentralbank geleitet. Sein vorrangiges Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Unbeschadet dieses Zieles unterstützt es die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung ihrer Ziele beizutragen. 4 Deutsche Bundesbank, Coronakrise: EZB kündigt neues Anleihekaufprogramm an, 19.3.2020. 5 Pressemitteilung der EZB vom 22. April 2020. Hiernach hatte die EZB u.a. Folgendes beschlossen: Marktfähige Sicherheiten und deren Emittenten, die am 7. April 2020 die Mindestbonitätsanforderungen für die Notenbankfähigkeit von Sicherheiten erfüllten, d. h. ein Mindestrating von BBB- aufwiesen (dies gilt nicht für Asset-Backed Securities (ABS)), behalten auch bei einer Rating-Herabstufung ihre Notenbankfähigkeit, solange das Rating mindestens auf der Kreditqualitätsstufe 5 der harmonisierten Ratingskala des Eurosystems (CQS5; entspricht einem Rating von BB) liegt. Hierdurch wird sichergestellt, dass Wertpapiere und Emittenten, die mit Investment Grade bewertet wurden, als der EZB-Rat die Maßnahmen zur Lockerung der Notenbankfähigkeitskriterien verabschiedete , auch dann weiterhin als Sicherheiten zugelassen werden, wenn ihr Rating zwei Stufen unter die aktuell geltende Bonitätsschwelle des Eurosystems sinkt. 6 Häde, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 127 AEUV, Rn. 16 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 6 Die Unterstützung der Wirtschaftspolitik in der Union ist von dem geldpolitischen Mandat im Übrigen nur insoweit umfasst, soweit diese nicht zu einer Beeinträchtigung der Preisstabilität führt.7 Maßgebliche Vorschriften für die Beurteilung der aufgeworfenen Fragen sind nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH8 und des BVerfG9 die Art. 119 Abs. 2, 123, 127 AEUV sowie Art. 18 ESZB-Satzung. 4. Art. 18 ESZB-Satzung Art. 18 ESZB-Satzung verleiht der EZB und den nationalen Zentralbanken als ESZB die Befugnis, zur Erfüllung seiner Aufgaben auf den Finanzmärkten börsengängige Wertpapier zu kaufen und verkaufen. Artikel 18 ESZB-Satzung – Offenmarkt- und Kreditgeschäfte 18.1. Zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung seiner Aufgaben können die EZB und die nationalen Zentralbanken — auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Euro oder sonstige Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen; — Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen, wobei für die Darlehen ausreichende Sicherheiten zu stellen sind. 18.2. Die EZB stellt allgemeine Grundsätze für ihre eigenen Offenmarkt- und Kreditgeschäfte und die der nationalen Zentralbanken auf; hierzu gehören auch die Grundsätze für die Bekanntmachung der Bedingungen , zu denen sie bereit sind, derartige Geschäfte abzuschließen. Art. 18 Abs. 1 ESZB-Satzung ermächtigt das ESZB, zur Erreichung seiner Ziele und zur Erfüllung seiner Aufgaben auf den Finanzmärkten tätig zu werden, indem es u. a. börsengängige Wertpapiere , mithin auch Staatsanleihen, endgültig kauft und verkauft, ohne dass diese Ermächtigung an besondere Bedingungen geknüpft ist, sofern nicht der Charakter von Offenmarktgeschäften als solcher missachtet wird.10 Das PEPP hat eine geldpolitische Zielsetzung, wie der Erwägungsgrund 3 Satz 3 des ihm zugrundeliegenden Beschlusses (EU) 2020/440 verdeutlicht. Das PEPP wird als Reaktion auf eine besondere, außergewöhnliche und akute Wirtschaftskrise , die das Ziel der Preisstabilität und das ordnungsgemäße Funktionieren des geldpolitischen Transmissionsmechanismus gefährden könnte, eingeführt. 7 Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 151 ff 8 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17; Urt. v. 16.6.2015, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.). 9 BVerfGE 142, 123 (OMT); BVerfGE 146, 216 (PSPP). 10 BVerfGE 142, 123, Rn. 96. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 7 5. Verhältnismäßigkeit in Anbetracht der Ziele der Währungspolitik Den Art. 119 Abs. 2 und Art. 127 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 5 Abs. 4 EUV entnimmt der EuGH das Erfordernis, dass ein zur Währungspolitik gehörendes Programm für den Ankauf von Anleihen nur in gültiger Weise beschlossen und durchgeführt werden kann, wenn die von ihm umfassten Maßnahmen in Anbetracht der Ziele dieser Politik verhältnismäßig sind.11 Hierbei räumt der Gerichtshof, was die Einhaltung dieser Voraussetzungen bei der Programmentwicklung und deren Durchführung betrifft, dem ESZB ein weites, der gerichtlichen Überprüfung nur begrenzt zugängliches Ermessen ein.12 Nach Einschätzung des ESZB ist infolge der Pandemie die wirtschaftliche Entwicklung im Euro- Währungsgebiet rückläufig, die immer mehr Länder zu einer Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen zwingen. Diese Maßnahmen führten zu einer akuten Belastung für die Cashflows von Unternehmen und Arbeitnehmern, sie bedrohten die Existenz von Unternehmen und gefährdeten Arbeitsplätze. Die derzeitige Situation beeinträchtige die Transmission geldpolitischer Impulse und berge für die relevanten Inflationsaussichten erhebliche Abwärtsrisiken (Erwägungsgrund 4 Beschluss (EU) 2020/440). Bei diesem Befund kommt die EZB zu folgender Einschätzung: Vor diesem Hintergrund stellt das PEPP eine verhältnismäßige Maßnahme dar, die den ernsten, durch den Ausbruch und die rasant zunehmende Ausbreitung von COVID-19 entstandenen Risiken für die Preisstabilität, für den geldpolitischen Transmissionsmechanismus und für die wirtschaftlichen Entwicklungen im Euroraum entgegenwirkt.13 Ob diese Einschätzung zutrifft, kann diesseitig nicht beurteilt werden. Die zur Geeignetheit der beschlossenen Maßnahmen zur Erreichung der genannten geldpolitischen Ziele gegebene Begründung lässt zumindest keine Beurteilungsfehler erkennen. Für die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen dürfte sprechen, dass das Volumen des Programms mit Blick auf die Größe des Euroraumes und angesichts des geringen Insolvenzrisikos der Zentralbanken nicht außer Verhältnis zu den geldpolitisch zu bewältigenden Herausforderungen steht und die beschlossenen Nettoankäufe im Rahmen des PEPP beendet werden sollen, sobald der EZB-Rat der Ansicht ist, dass die 11 EuGH, Urt. v. 16.6.2015, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.) Rn. 71. 12 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 73. 13 Erwägungsgrund 4 Beschluss (EU) 2020/440. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 8 COVID-19-Krise überstanden ist. Die Ausbreitung von COVID-19 hat zu einem massiven Rückgang der Wirtschaftsleistung geführt.14 Damit einher geht ein Rückgang der Marktliquidität, die zu einer Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen geführt haben.15 In seiner Entscheidung vom 5. Mai d.J. zu dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (Secondary Markets Public Sector Asset Purchase Programme – PSPP) formulierte das BVerfG Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Anleiheaufkäufen ,16 die auch für das PEPP von Bedeutung sein dürften. Um eine effektive Kontrolle der von der EZB wahrgenommenen Kompetenzen ausüben zu können müssten das währungspolitische Ziel und die wirtschaftspolitischen Auswirkungen benannt, gewichtet und gegeneinander abgewogen werden. Die unbedingte Verfolgung des währungspolitischen Ziels unter Ausblendung der mit dem Programm verbundenen wirtschaftspolitischen Auswirkungen missachtet offensichtlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV.17 Die fehlende Berücksichtigung der wirtschaftspolitischen Auswirkungen des Ankaufprogramms PSPP führe dazu, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung ihre Funktion verliert, weil Geeignetheit und Erforderlichkeit des PSPP – von dem Verlustrisiko abgesehen – nicht mit den wirtschaftspolitischen Auswirkungen zulasten der Kompetenzen der Mitgliedstaaten in Beziehung gesetzt und diese nicht mit den erhofften Vorteilen abgewogen werden.18 Ein Programm des ESZB zum Ankauf von Staatsanleihen wie das PSPP, das erhebliche wirtschaftspolitische Auswirkungen hat, muss verhältnismäßig sein […]. Das setzt neben seiner Eignung zur Erreichung des angestrebten Ziels und seiner Erforderlichkeit voraus, dass das währungspolitische Ziel und die wirtschaftspolitischen Auswirkungen benannt, gewichtet und gegeneinander abgewogen werden.19 Nach dieser Maßgabe fordert das BVerfG von der EZB zum PSPP eine Prognose zu seinen wirtschaftspolitischen Auswirkungen und eine Einschätzung dazu, ob diese Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu den erstrebten währungspolitischen Vorteilen stehen.20 Die dabei zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Folgen konkretisiert das BVerfG wie folgt: Zu den relevanten wirtschaftspolitischen Folgen des PSPP gehört neben seinen Auswirkungen für den Bankensektor […] das Risiko von Immobilien- und Aktienblasen sowie ökonomische und soziale Auswirkungen auf nahezu alle Bürgerinnen und Bürger, die 14 Zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen vgl. Sachverständigenrat, Sondergutachten Die gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Conona-Pandemie vom 22. März 2020 Ziffer 35 – 39.. 15 Sachverständigenrat, Sondergutachten Die gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Conona-Pandemie vom 22. März 2020 Ziffer 168. 16 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15 und 2 BvR 980/16. 17 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 u.a. Rn. 165. 18 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 u.a. Rn. 133 19 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 u.a. Rn. 165. 20 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 u.a. Rn. 169. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 9 etwa als Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer jedenfalls mittelbar betroffen sind. So ergeben sich etwa für Sparvermögen deutliche Verlustrisiken . Unmittelbar damit verbunden sind Auswirkungen auf die (private) Altersvorsorge und deren Rentabilität.21 Fraglich ist, ob der EZB Beschluss (EU) 2020/440 diesen Anforderungen genügt, wenn er darauf verweist, dass Covid-19 zu einem extrem gravierenden wirtschaftlichen Schock geführt habe, der eine ambitionierte, koordinierte und sofortige Reaktion an allen politischen Fronten erfordere, damit die gefährdeten Unternehmen und Arbeitnehmer Unterstützung erhalten.22 Außerdem wird auf Folgendes verwiesen: Infolge der Pandemie ist die wirtschaftliche Entwicklung im Euro- Währungsgebiet rückläufig und wird zwangsläufig einen erheblichen Einbruch erleiden, zumal sich immer mehr Länder zu einer Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen gezwungen sehen. Diese Maßnahmen führen zu einer akuten Belastung für die Cashflows von Unternehmen und Arbeitnehmern und sie bedrohen die Existenz von Unternehmen und gefährden Arbeitsplätze. Zudem ist klar, dass die gegenwärtige Situation die Transmission geldpolitischer Impulse beeinträchtigt und für die relevanten Inflationsaussichten erhebliche Abwärtsrisiken birgt.23 Weitere Folgen, insb. die mit dem Programm verbundenen Risiken werden nicht benannt und nicht miteinander abgewogen. Mit Blick auf die Besonderheiten des zeitlich befristeten und auf eine Sondersituation abstellenden Programms PEPP lassen sich deren Auswirkungen jedoch kaum prognostizieren . Daher lässt sich nicht abschließend entscheiden, ob die EZB den zu dem Programm PSPP aufgestellten Begründungs- und Abwägungserfordernissen des BVerfG mit seinem EZB Beschluss (EU) 2020/440 gerecht geworden ist. 6. Vereinbarkeit des PEPP mit Art. 123 Abs. 1 AEUV Art. 123 Abs. 1 AEUV verbietet den Erwerb von Anleihen unmittelbar von Emittenten des öffentlichen Sektors.24 Bereits die die hiermit vergleichbare frühere Vertragsnorm konkretisierende Verordnung (EG) Nr. 3603/93 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Artikel 104 und Artikel 104b Absatz 1 des Vertrages vorgesehenen Verbote25 hob in ihrem 7. Erwägungsgrund Folgendes hervor: Die Mitgliedstaaten müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, damit die nach Artikel 104 des Vertrages vorgesehenen Verbote wirksam und uneingeschränkt angewendet werden und damit insbesondere das mit diesem Artikel verfolgte Ziel nicht durch den Erwerb auf dem Sekundärmarkt umgangen wird. Ankäufe von Anleihen dürfen nur auf Sekundärmärkten vorgenommen werden, müssen mithin vor Ankauf auf dem Kapitalmarkt gehandelt worden sein. Aber auch Ankäufe von Anleihen auf Sekundärmärkten müssen den Vorgaben 21 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 173. 22 EZB Beschluss (EU) 2020/440 Erwägungsgrund 4. 23 EZB Beschluss (EU) 2020/440 Erwägungsgrund 4. 24 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik in der Währungsunion, 2015, S. 134. 25 Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Artikel 104 und Artikel 104b Absatz 1 des Vertrages vorgesehenen Verbote, ABl. L 332/1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 10 des Art. 123 AEUV genügen. Der EuGH folgert aus dieser Vorschrift, dass Anleihekäufe auf Sekundärmärkten nicht die gleiche Wirkung haben dürfen wie der unmittelbare Erwerb direkt von Emittenten und fordert die Ergreifung von Maßnahmen zur Vermeidung der Umgehung dieses Verbots. Die gleiche Wirkung wie ein unmittelbarer Anleihekauf hätte ein Programm zum Kauf von Anleihen, … wenn die Wirtschaftsteilnehmer, die möglicherweise Staatsanleihen auf dem Primärmarkt erwerben, die Gewissheit hätten, dass das ESZB diese Anleihen binnen eines Zeitraums und unter Bedingungen ankaufen würde, die es diesen Wirtschaftsteilnehmern ermöglichten , faktisch als Mittelspersonen des ESZB für den unmittelbaren Erwerb dieser Anleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen des betreffenden Mitgliedstaats zu agieren.26 Daraus ergeben sich zwei Anforderungen: Das ESZB kann nicht rechtmäßig Anleihen an den Sekundärmärkten unter Voraussetzungen erwerben, die die gleiche Wirkung wie ein unmittelbarer Erwerb von Anleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten haben (6.1.), das ESZB muss sein Tätigwerden mit hinreichenden Garantien versehen, um sicherzustellen , dass es mit dem in Art. 123 AEUV statuierten Verbot der monetären Staatsfinanzierung in Einklang steht, indem es sich vergewissert, dass dieses Programm nicht geeignet ist, den betreffenden Mitgliedstaaten den durch Art. 123 AEUV geschaffenen Anreiz zu nehmen, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen (6.2.).27 Die Garantien, die das ESZB vorsehen muss, damit diese beiden Vorgaben eingehalten werden, sind abhängig von den Merkmalen des betreffenden Programms und dem wirtschaftlichen Kontext , in dem dieses Programm aufgelegt und durchgeführt wird.28 6.1. Vermeidung eines mit dem Erwerb unmittelbar von Emittenten wirkungsgleichen Anleihekaufs auf Sekundärmärkten 6.1.1. Die Prüfungskriterien Dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung ist aus Sicht des EuGH hinreichend Rechnung getragen , wenn die Wirtschaftsteilnehmer, die Staatsanleihen auf dem Primärmarkt erwerben, sich nicht sicher sein können, dass das ESZB diese Anleihen binnen eines Zeitraums und unter Be- 26 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 110. 27 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 106/107. 28 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 107. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 11 dingungen ankaufen würde, die es diesen Wirtschaftsteilnehmern ermöglichten, faktisch als Mittelspersonen des ESZB für den unmittelbaren Erwerb dieser Anleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen des betreffenden Mitgliedstaats zu agieren.29 Dazu muss ein Ankaufprogramm eine Reihe von Vorkehrungen vorsehen, wobei die nachfolgend genannten Absicherungen abhängig vom jeweiligen Programm sind, daher offenbar nicht insgesamt erfüllt sein müssen und einzelne der nachfolgend genannten Vorkehrungen auch mit äquivalenten Absicherungen kompensiert werden können. Das BVerfG führt in seiner Entscheidung vom 5. Mai d.J. zum PSPP dazu aus, dass eine offenkundige Umgehung des Art. 123 Abs. 1 AEUV nicht an der Einhaltung eines einzelnen Kriteriums festzumachen ist, sondern dass sich dies nur auf Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung entscheide.30 Für das PSPP galten nach Auffassung des EuGH folgende Anforderungen an Anleihekäufen auf Sekundärmärkten als geeignete Vorkehrungen zur Beachtung des Verbots des Art. 123 AEUV. Eine Garantie, die verhindern soll, dass Marktteilnehmer wie eine Mittelsperson des ESZB agieren könne, sieht der EuGH in der Festlegung einer Sperrfrist, nach der Anleihen eines Mitgliedstaats vom ESZB nicht unmittelbar nach ihrer Emission angekauft werden können dürfen.31 Das ESZB dürfe zwar das Gesamtvolumen der geplanten Käufe mitteilen, nicht aber das Volumen der Anleihen öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Einrichtungen eines Mitgliedstaats, die normalerweise im Lauf eines Monats angekauft werden.32 Eine Vorkehrung zur Vermeidung monetärer Staatsfinanzierung sieht der EuGH im Rahmen des Programms PSPP darin, dass das ESZB einerseits das Gesamtvolumen der im Rahmen des APP geplanten Käufe mitteilt, nicht aber das Volumen der Anleihen öffentlich -rechtlicher Körperschaften und Einrichtungen eines Mitgliedstaats, das im Lauf eines Monats im Rahmen des PSPP angekauft werden,33 was bewirkt, dass das Volumen der für das Programm PSPP vorgesehenen Ankäufe von Monat zu Monat nach dem Volumen der von privaten Marktteilnehmern auf den Sekundärmärkten ausgegebenen Anleihen variieren kann. Die Verteilung der Ankäufe auf die Zentralbanken der Mitgliedstaaten müsse anhand des Schlüssels für die Kapitalzeichnung der EZB erfolgen.34 29 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 110. 30 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 215. 31 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 114 f. 32 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 118. 33 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 119. 34 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 120. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 12 Weitere Vorkehrungen des ESZB beim Programm PSPP zur Vermeidung monetärer Staatsfinanzierung sieht der EuGH darin, dass das ESZB den Erwerb diversifizierter Anleihen […] zugelassen und bereits dadurch die Möglichkeiten eingeschränkt hat, die Art der Ankäufe, die getätigt werden, um die monatlichen Ankaufziele dieses Programms zu erreichen, im Voraus zu bestimmen,35 Anleihen nicht nur von Zentralregierungen, sondern auch von regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften ausgegebene Anleihen erworben werden und36 die Zentralbanken des Eurosystems nicht mehr als 33 % einer Emission von Anleihen einer Zentralregierung eines Mitgliedstaats oder 33 % der ausstehenden Wertpapiere einer solchen Zentralregierung ankaufen dürfen.37 Aus diesen Ankaufobergrenzen ergebe sich, dass das ESZB weder sämtliche Anleihen eines solchen Emittenten noch die Gesamtheit einer Emission dieser Anleihen kaufen dürfe und so ein privater Marktteilnehmer beim Erwerb von Anleihen eines Mitgliedstaats sich zwangsläufig dem Risiko aussetze, diese Anleihen auf den Sekundärmärkten nicht wieder an das ESZB verkaufen zu können, da ein Erwerb sämtlicher ausgegebener Anleihen in jedem Fall ausgeschlossen sei.38 6.1.2. Übereinstimmung des Ankaufprogramms PEPP mit diesen Maßstäben Die Überprüfung des Ankaufprogramms PEPP anhand der vorstehend dargestellten Maßstäbe wird dadurch erschwert, dass zur Wahrung der von Art. 123 AEUV vorgegebenen Anforderungen die Veröffentlichung von Informationen über die vom ESZB angekauften Anleihen beschränkt wird. Die ESZB veröffentlicht lediglich aggregierte Informationen, nicht jedoch solche zu dem vom ESZB im konkreten Fall angekauften Anteil der Anleihen aus einer bestimmten Emission.39 Einhaltung einer Sperrfrist beim Kauf von Anleihen Anders als beim Ankaufprogramm PSPP sieht der Beschluss (EU) 2020/440 der EZB für PEPP keine Sperrfristen für den Ankauf von Anleihen vor. Dies dürfte aber hinreichend dadurch kompensiert sein, dass das Programm PEPP ein wesentlich geringeres Ankaufsvolumen als PSPP vorsieht und die Zusammensetzung des Portfolios von PEPP weder nach der Art der zu erwerbenden Wertpapiere noch nach deren geographischer Herkunft von vornherein feststeht, was die Berechenbarkeit des auf Grundlage dieses Programms vorgenommen Anleihekäufe erschwert. 35 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 121. 36 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 122. 37 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 124. 38 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 125. 39 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 126. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 13 Veröffentlichte Informationen zu den geplanten Käufen Der Beschluss (EU) 2020/440 der EZB sieht in seinem Erwägungsgrund 3 und Art. 6 vor, dass - entsprechend den Vorgaben des EuGH - das Gesamtvolumen der geplanten Anleihekäufe genannt wird, nicht aber das Volumen einzelner Transaktionen. Verwendung nur eines Teils des zur Verfügung stehenden Ankaufsvolumens Die EZB verweist in ihrem Beschluss (EU) 2020/440 dazu lediglich auf die äußerst flexible Gestaltung und Umsetzung dieses Programms und auf die besonderen hiermit verfolgten geldpolitischen Ziele. Ob das Ankaufprogramm PEPP insoweit den Anforderungen des EuGH entspricht, ließe sich erst bei Umsetzung dieses Programms beurteilen. Verteilung der Ankäufe auf die Zentralbanken der Mitgliedstaaten anhand des Schlüssels für die Kapitalzeichnung der EZB Die Verteilung der Ankäufe von Anleihen der im Euroraum ansässigen Zentralstaaten, Emittenten mit Förderauftrag und europäischen Institutionen erfolgt bei PEPP – wie beim Programm PSPP – nach Art. 5 Abs. 1 Beschluss (EU) 2020/440 im Grundsatz nach dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken. Ankäufe im Rahmen von PEPP sollen allerdings flexibler vorgenommen werden können, um der außerordentlichen Lage der COVID-19 Pandemie entsprechen zu können. Nach Einschätzung der Deutschen Bundesbank könne dies dazu führen, dass die Verteilung von Ankaufvolumen über die Zeit und Anleiheklassen hinweg, sowie zwischen Jurisdiktionen schwanken wird, um funktionsfähige Marktmechanismen zu unterstützen und eine reibungslose geldpolitische Transmission zu gewährleisten.40 Die Flexibilisierung des grundsätzlichen Ankaufs von Anleihen nach dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken im Rahmen des PEPP entspricht zwar nicht den vom EuGH zum PSPP formulierten Anforderungen. Diese lassen sich allerdings auch nicht zweifelsfrei auf PEPP wegen der Besonderheiten dieses Programms übertragen. Die von der EZB für bisherige Anleihekäufe selbst gewählte Beschränkung der Verteilung der Ankäufe auf die Zentralbanken der Mitgliedstaaten anhand des Schlüssels für die Kapitalzeichnung der EZB dürfte zudem nicht zur Wahrung des Verbots monetärer Staatsverschuldung Art. 123 AEUV zwingend geboten sein, da die Verträge und die ESZB-Satzung41 eine Übernahme von Risiken nicht generell ausschließen. Ob diese Lockerung gegenüber bisherigen Ankaufprogrammen unionsrechtskonform ist, ließe sich vor diesem Hintergrund nicht auf Grundlage der Freiräume für Interpretationen lassenden Festlegungen des Ankaufprogramms PEPP im Beschluss (EU) 2020/440 feststellen. Für die Unions- 40 Deutsche Bundesbank, Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) o.D. 41 Dass eine Risikoübernahme nicht generell ausgeschlossen ist, verdeutlichen die Verlustragungsregelungen in Art. 32 Abs. 4 und Art. 33 Protokoll Nr. 4. über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, (ESZB-Satzung); vgl. dazu auch Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik in der Währungsunion, 2005, S. 135. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 14 rechtskonformität dürfte vielmehr entscheidend sein, in welcher Weise die von der EZB beschlossene Flexibilität in der Umsetzung dieses Programms genutzt wird. Durch den Anstieg der Verschuldung aufgrund der derzeitigen Krise dürfte es dem ESZB im Übrigen leichter fallen, diese Emissionsbeschränkungen einzuhalten.42 Art. 123 AEUV setzt allerdings der Risikoverteilung bei Anleihekäufen Grenzen. Geldpolitik darf nicht dazu dienen, Risiken einzelner Mitgliedstaaten durch Anleihekäufe zu vergemeinschaften und dadurch die fiskalische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten unterminieren.43 Eine solche Folgerung lässt sich aus dem Beschluss (EU) 2020/440 und den dazu abgegebenen Stellungnahmen der EZB allerdings nicht ziehen, zumal für das PEPP die gleichen Haftungsregeln wie beim PSPP bestehen sollen, mithin für PEPP keine über PSPP hinausgehende Verteilung von Risiken vorgenommen wird44 und mithin weiterhin die nationalen Notenbanken nur für ihre eigenen Anleihekäufe haften. Erwerb diversifizierter Anleihen Als eine zur Sicherstellung der Anforderungen des Art. 123 AEUV geeignete Vorkehrung sah der EuGH im Rahmen des PSPP den Erwerb diversifizierter Anleihen. Dies würde die Möglichkeiten einschränken, die Art der Ankäufe, die getätigt werden, um die monatlichen Ankaufziele dieses Programms zu erreichen, im Voraus zu bestimmen und damit die notwendige Unsicherheit für Mitgliedstaaten und Marktteilnehmer in Bezug auf die Ankäufe zu sichern.45 Die EZB betont in dem Erwägungsgrund 5 des Beschlusses (EU) 2020/440, dass sie mit PEPP einen flexiblen Ansatz bei der Zusammensetzung ihrer Ankäufe verfolgt. Zur Ausweitung der Flexibilität mit diesem neuen Anleihekaufprogramm sollen auch marktfähige Schuldtitel des öffentlichen Sektors angekauft werden, die kürzere Laufzeiten aufweisen als die im Rahmen des PSPP erworbenen Schuldtitel. Das Ankaufprogramm PEPP dürfte dieser Vorgabe des Erwerbs diversifizierter Anleihen entsprechen . Ankauf von Anleihen nicht nur von Zentralregierungen Eine Absicherung zur Vermeidung monetärer Staatsfinanzierung sah der EuGH beim Ankaufprogramm PSPP darin, dass Anleihen nicht nur von Zentralregierungen, sondern auch von regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften ausgegebene Anleihen erworben werden. 42 Darauf verweist der Sachverständigenrat in seinem Sondergutachten Die gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Conona-Pandemie vom 22. März 2020 unter Ziffer 167. 43 Yowell, Why the ECB cannot save the Euro,: in: Ringe/Huber, Legal Challenges in the Global Financial Crisis, 2013, S. 81 (117). 44 Vgl. dazu EZB Beschluss (EU) 2020/440 Erwägungsgrund 10. 45 So der ergänzende Hinweis des BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 214. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 15 Dem entspricht das Ankaufprogramm PEPP ausweislich Art. 5 Abs. 1 S. 1 Beschluss (EU) 2020/440, indem es (d)ie Allokation der kumulierten Nettoankäufe von marktfähigen Schuldtiteln , die von einer zugelassenen Zentralregierung bzw. regionalen oder lokalen Gebietskörperschaft und anerkannten Institutionen mit öffentlichem Förderauftrag begeben werden, vorsieht. Einhaltung von Ankaufobergrenzen Das ESZB muss im Rahmen des PSPP Ankaufobergrenzen einhalten. Zentralbanken des Eurosystems dürfen nicht mehr als 33 % einer Emission von Anleihen einer Zentralregierung eines Mitgliedstaats oder 33 % der ausstehenden Wertpapiere einer solchen Zentralregierung ankaufen. Dass das ESZB weder sämtliche Anleihen eines Emittenten noch die Gesamtheit einer Emission von Anleihen kaufen darf, liegt darin begründet, dass Marktteilnehmer beim Erwerb von Anleihen einer Zentralregierung eines Mitgliedstaats sich dem Risiko aussetzen sollen, diese Anleihen auf den Sekundärmärkten nicht wieder an das ESZB verkaufen zu können, da ein Erwerb sämtlicher ausgegebener Anleihen in jedem Fall ausgeschlossen ist.46 Eine derartige Ankaufsbegrenzung sieht das PEPP nicht vor. Die bei diesem Ankaufprogramm vorgesehene Flexibilität bei der Ausgestaltung des PEPP-Portfolios bei einem von begrenztem Gesamtvolumen des Ankaufprogramms dürfte die durch die Preisgabe von Ankaufobergrenzen entstehende Risikominimierung von Investoren, die bei Erwerb auf Staatsanleihen auf deren Rückkauf durch das ESZB setzen, wieder im gewissen Umfang ausgleichen. Ob der Verzicht von Ankaufobergrenzen für sich genommen oder in einer Zusammenschau anderer Besonderheiten des PEPP dazu führt, dass dieses Programm mit Art. 123 AEUV nicht mehr vereinbar ist, lässt sich nicht auf Grundlage des Beschlusses (EU) 2020/440 entscheiden. Hierfür dürfte es entscheidend auf die Programmumsetzung ankommen, bei der, um die Grenzen des Art. 123 AEUV einzuhalten, sicherzustellen ist, dass Emittenten wie Investoren nicht davon ausgehen können, dass ihre Anleihen von der EZB aufgekauft werden.47 6.2. Keine Anreize für unsolide Haushaltspolitik schaffen Offenmarktgeschäfte dürfen, sollen sie den Anforderungen des Art. 123 AEUV genügen, keine Anreize für unsolide Haushaltspolitik schaffen. Dazu wies der EuGH in seiner Entscheidung zum PSPP darauf hin, 46 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 124. 47 Der EuGH hebt in seiner Entscheidung vom 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 110 das in diesem Zusammenhang entscheidende Prüfungskriterium hervor, nämlich das ein Tätigwerden des ESZB mit Art. 123 Abs. 1 AEUV unvereinbar wäre, wenn die Wirtschaftsteilnehmer, die möglicherweise Staatsanleihen auf dem Primärmarkt erwerben , die Gewissheit hätten, dass das ESZB diese Anleihen binnen eines Zeitraums und unter Bedingungen ankaufen würde, die es diesen Wirtschaftsteilnehmern ermöglichten, faktisch als Mittelspersonen des ESZB für den unmittelbaren Erwerb dieser Anleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen des betreffenden Mitgliedstaats zu agieren Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 16 .. dass der Umstand, dass die Durchführung eines Programms für Offenmarktgeschäfte die Finanzierung der betreffenden Mitgliedstaaten in gewissem Maß erleichtert, nicht entscheidend sein kann, da die Geldpolitik fortlaufend beinhaltet, dass auf die Zinssätze und die Refinanzierungsbedingungen der Banken eingewirkt wird, was zwangsläufig Konsequenzen für die Finanzierungsbedingungen des Haushaltsdefizits der Mitgliedstaaten hat.48 Ausgestaltung und Durchführung des Programms dürfen jedoch keine Gewissheit hinsichtlich eines künftigen Ankaufs der Anleihen der Mitgliedstaaten begründen, die die Mitgliedstaaten zu einer Haushaltspolitik veranlassen könnte, die die Tatsache unberücksichtigt ließe, dass sie im Fall eines Defizits nach einer Finanzierung auf dem Markt zu suchen haben werden, oder ihnen ermöglichte, sich vor den Konsequenzen zu schützen, die die Entwicklung ihrer makroökonomischen Lage oder ihrer Haushaltslage unter diesem Aspekt mit sich bringen kann.49 6.2.1. Die aus Sicht des EuGH im Rahmen des PSPP getroffenen Vorkehrungen zur Wahrung einer soliden Haushaltspolitik Eine wirksame Vorkehrung dafür sieht der Gerichtshof in der vorübergehenden Natur eines Programms und darin, dass das ESZB gemäß Art. 12 Abs. 2 der Leitlinien die Möglichkeit behält, die erworbenen Anleihen jederzeit wieder zu verkaufen. Dies erlaubt ihm, sein Programm nach Maßgabe der Haltung des betreffenden Mitgliedstaats anzupassen, und gewährt den beteiligten Wirtschaftsteilnehmern nicht die Gewissheit, dass das ESZB von dieser Option keinen Gebrauch machen wird.50 Hinsichtlich der Ausgestaltung des PSPP betonte der EuGH, dass dieses den Mitgliedstaaten nicht erlaube, ihre Haushaltspolitik festzulegen, ohne zu berücksichtigen, dass die Kontinuität der Durchführung des PSPP mittelfristig keineswegs gewährleistet ist und sie daher im Fall eines Defizits nach einer Finanzierung auf dem Markt zu suchen haben werden, ohne von der Lockerung der Finanzierungsbedingungen profitieren zu können, die die Durchführung des PSPP möglicherweise bewirkt.51 Als wirksame Vorkehrung zur Begrenzung des Anreizes durch das PSPP, nicht mehr im gebotenen Maße eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen, sah der Gerichtshof an, dass die Anleihekäufe nach dem zwischen den nationalen Zentralbanken bestehenden Schlüssel für die Kapitalzeichnung der EZB und nicht anhand anderer Kriterien wie etwa der Schuldenlast des jeweiligen Mitgliedstaats erfolgen sowie in der getroffenen Festlegung, nach der jede nationale Zentralbank Wertpapiere von öffentlich-rechtlichen Emittenten ihres eigenen Mitgliedstaats kauft. Dies führe dazu, dass im Falle eines beträchtlichen Anstiegs des Defizits eines Mitgliedstaats infolge Aufgabe der Verfolgung einer gesunden Haushaltspolitik sich der Anteil der vom ESZB erworbenen 48 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 130. 49 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 132. 50 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 135. 51 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 136. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 17 Anleihen dieses Mitgliedstaats mindern würde und somit ein Mitgliedstaat nicht den Konsequenzen entgehen könnte, die sich aus der Verschlechterung seiner Haushaltsentwicklung für die Finanzierung ergeben.52 Die vorgesehenen Ankaufobergrenzen pro Emission und Emittent bewirkten, dass nur ein geringer Teil der von einem Mitgliedstaat ausgegebenen Anleihen vom ESZB im Rahmen des PSPP erworben werden kann und der betreffende Mitgliedstaat daher in erster Linie sein Haushaltsdefizit über die Kapitalmärkte finanzieren müsse.53 Eine weitere Vorkehrung zur Vermeidung von Anreizen für die Abkehr von solider Haushaltspolitik sah der Gerichtshof in der Festlegung hoher, auf einer Bonitätsbeurteilung beruhenden Zulassungskriterien für den Erwerb marktfähiger Schuldtitel, wobei von einer Bonitätsbeurteilung nur abgewichen werden dürfe, wenn für den betreffenden Mitgliedstaat ein Finanzhilfeprogramm läuft,54 was dazu führe, dass sich ein Mitgliedstaat nicht bei fehlender Haushaltsdisziplin auf Finanzierungsmöglichkeiten aus dem PSPP stützen könne, weil er dann Gefahr liefe, dass seine Anleihen wegen der Verschlechterung ihrer Bewertung von diesem Programm ausgeschlossen werden, oder dass das ESZB die Anleihen dieses Mitgliedstaats, die es zuvor erworben hatte, wieder verkauft.55 Indem das Programm nur andauern solle, bis der EZB-Rat eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung erkennt, sei es nur vorübergehender Natur, und der Anreiz für eine gesunde Haushaltspolitik entfalle nicht. Die Anleihen könnten auch jederzeit wieder verkauft werden. Stiege das Haushaltsdefizit eines Staates, vermindere sich der Anteil der vom ESZB gehaltenen Anleihen. Der Anleihekauf setze auch eine Bonitätsbeurteilung voraus. 6.2.2. Übereinstimmung des Ankaufprogramms PEPP mit diesen Maßstäben Durch die Befristung des Ankaufprogramms und wegen der bestehenden Möglichkeit, erworbene Anleihen jederzeit wieder verkaufen zu können, trifft das PEPP insoweit eine Vorkehrung zur Wahrung solider Haushaltspolitik, die der EuGH für das PSPP als geeignet wertete. Abweichend von PSPP ermöglicht das PEPP eine Flexibilisierung des grundsätzlichen Ankaufs von Anleihen nach dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken. Ankaufsobergrenzen für Emissionen sieht dieses Programm nicht vor. Im Rahmen von PEPP wurden zudem die Bonitätsanforderungen notenbankfähiger Anleihen gesenkt, ohne allerdings – wie auch bereits beim Ankaufprogramm PSPP – davon abzurücken, dass das betroffene Land im Falle einer Bonitätsabsenkung seiner Anleihen in diesem Fall einem Strukturanpassungsprogramm im Rahmen des ESM unterliegen müsse. 52 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 140. 53 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 141. 54 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 142. 55 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 143. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 18 In seinem Erwägungsgrund 7 führt der Beschluss (EU) 2020/440 dazu aus: In Bezug auf die Notenbankfähigkeit im Rahmen des PEPP von marktfähigen Schuldtiteln, die von der griechischen Regierung begeben werden, prüfte der EZB-Rat: a) die Notwendigkeit , den mit der Ausbreitung von COVID-19 einhergehenden Druck zu mindern, der die griechischen Finanzmärkte stark in Mitleidenschaft gezogen hat, b) die Verpflichtungen der Hellenischen Republik im Zusammenhang mit der verstärkten Überwachung sowie die Kontrolle von deren Umsetzung durch die Organe der Union, c) den Umstand, dass die mittelfristigen Schuldenmaßnahmen für die Hellenische Republik im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus von der stetigen Umsetzung dieser Verpflichtungen abhängig sind,56 d) den direkten Zugang der EZB zu Informationen über die Wirtschafts- und Finanzlage der Hellenischen Republik infolge der Einbeziehung der EZB in den Rahmen der verstärkten Überwachung sowie e) den Umstand, dass die Hellenische Republik den Zugang zum Markt wiedererlangt hat. Auf der Grundlage dieser Prüfung beschloss der EZB-Rat, dass marktfähige Schuldtitel, die von der Zentralregierung der Hellenischen Republik begeben werden, für Ankäufe im Rahmen des PEPP zugelassen sind. In Art. 3 dieses Beschlusses wurde dazu Folgendes geregelt: Ausnahme für von der Hellenischen Republik begebene marktfähige Schuldtitel Abweichend von den in Artikel 3 Absatz 2 des Beschlusses (EU) 2020/188 (EZB/2020/9) genannten Anforderungen sind auf Euro lautende marktfähige Schuldtitel, die von der Zentralregierung der Hellenischen Republik begeben werden, im Rahmen des PEPP zum Ankauf zugelassen, wenn sie die in Artikel 3 Absatz 4 des Beschlusses (EU) 2020/188 (EZB/2020/9) festgelegten Zulassungskriterien erfüllen.57 Die im PEPP getroffene Regelung zur Notenbankfähigkeit der von der griechischen Regierung begebenen Anleihen entspricht der vom EuGH für unionsrechtskonform befundenen entsprechenden Vorgabe im PSPP, da der Beschluss (EU) 2020/440 dies insb. von der Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Strukturanpassungsprogramm im Rahmen des ESM abhängig macht. Die EZB hat im Übrigen generell die Anforderungen an die Bonitätsbeurteilung notenbankfähiger Anleihen gelockert, um bereits gehandelten notenbankfähigen Sicherheiten vorübergehend Bestandsschutz zu gewähren. Sie hat am 22.4.2020 als befristete Maßnahme beschlossen, bis Sep- 56 Hervorhebungen v. Verf. 57 Beschluss (EU) 2020/188 der Europäischen Zentralbank vom 3.2.2020 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2020/9). Art. 3 Abs. 4 dieses Beschlusses hat folgenden Wortlaut: Ankäufe nominaler marktfähiger Schuldtitel mit negativer Endfälligkeitsrendite (oder mit einer Rendite im schlechtesten Fall) in Höhe von oder über dem Zinssatz für die Einlagefazilität sind zulässig . Ankäufe nominaler gedeckter Schuldverschreibungen mit negativer Endfälligkeitsrendite (oder mit einer Rendite im schlechtesten Fall) unter dem Zinssatz für die Einlagefazilität sind nur zulässig, soweit notwendig. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 19 tember 2021 Bestandschutz für die Notenbankfähigkeit der in Kreditgeschäften mit dem Eurosystem verwendeten markfähigen Sicherheiten für den Fall zu gewähren, dass diese die derzeitigen Mindestbonitätsschwellen des Eurosystems unterschreiten. Dazu traf sie folgende Festlegung: Marktfähige Sicherheiten und deren Emittenten, die am 7. April 2020 die Mindestbonitätsanforderungen für die Notenbankfähigkeit von Sicherheiten erfüllten, d. h. ein Mindestrating von BBB- aufwiesen (dies gilt nicht für Asset-Backed Securities (ABS)), behalten auch bei einer Rating-Herabstufung ihre Notenbankfähigkeit, solange das Rating mindestens auf der Kreditqualitätsstufe 5 der harmonisierten Ratingskala des Eurosystems (CQS5; entspricht einem Rating von BB) liegt. Hierdurch wird sichergestellt, dass Wertpapiere und Emittenten, die mit Investment Grade bewertet wurden, als der EZB-Rat die Maßnahmen zur Lockerung der Notenbankfähigkeitskriterien verabschiedete, auch dann weiterhin als Sicherheiten zugelassen werden, wenn ihr Rating zwei Stufen unter die aktuell geltende Bonitätsschwelle des Eurosystems sinkt. Um diesen Bestandschutz zu erlangen, müssen die Wertpapiere nach wie vor alle übrigen Notenbankfähigkeitskriterien erfüllen.58 Wegen der im Rahmen des PEPP vorgesehenen Flexibilisierung des grundsätzlichen Ankaufs von Anleihen nach dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken und des Verzichts auf Ankaufsobergrenzen sieht das Ankaufprogramm PEPP im Vergleich zum PSPP weniger umfassende Schutzvorkehrungen zur Wahrung solider Haushaltspolitik vor. Daraus ließe sich allerdings ausgehend von der PSPP Entscheidung des EuGH kein Verstoß gegen Art. 123 AEUV folgern. Zunächst gilt auch hier, dass die Frage, ob ein Programm zum Ankauf von Staatsanleihen als offenkundige Umgehung von Art. 123 Abs. 1 AEUV anzusehen ist, sich […] nicht an der Einhaltung eines einzelnen Kriteriums, sondern nur auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung entscheidet.59 Zu berücksichtigen ist ferner, dass das Programm PEPP nur von vorübergehender Natur ist und in einer alle Mitgliedstaaten nahezu in gleicher Form betreffenden Ausnahmesituation Abhilfe schaffen soll. In der Anwendungsphase dieses Programms sind die Anforderungen an die Haus- 58 EZB, Pressemitteilung vom 22. April 2020: EZB ergreift Maßnahmen, um die Auswirkungen von Rating Herabstufungen auf die Verfügbarkeit von Sicherheiten abzuschwächen. 59 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 215. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 20 haltspolitik im Rahmen des geltenden Unionsrechts gelockert worden. Der Rat und die Kommission haben gestützt auf die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehene Allgemeine Ausnahmeklausel die Stabilitätskriterien (Art. 2 Abs. 2 der VO 1467/97) ausgesetzt.60 In ihrer Mitteilung vom 20.3.2020 an den Rat führt die Kommission hierzu aus: Die in den Artikeln 5 Absatz 1, 6 Absatz 3, 9 Absatz 1 und 10 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 sowie in den Artikeln 3 Absatz 5 und 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 enthaltene Klausel erleichtert die Koordinierung der Haushaltspolitik in Zeiten eines schweren Konjunkturabschwungs. Die allgemeine Ausweichklausel versetzt die Mitgliedstaaten in die Lage, im Rahmen der präventiven und korrektiven Verfahren des Stabilitäts- und Wachstumspakts haushaltspolitische Maßnahmen zu ergreifen, die es ermöglichen, einer solchen Situation angemessen zu begegnen. So heißt es im Zusammenhang mit der präventiven Komponente in Artikel 5 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EG) 1466/97: „[...] bei einem schweren Konjunkturabschwung im Euro-Währungsgebiet oder in der Union insgesamt kann den Mitgliedstaaten gestattet werden, vorübergehend von dem Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel [...] abzuweichen, vorausgesetzt, dies gefährdet nicht die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen“. Im Hinblick auf die korrektive Komponente ist in Artikel 3 Absatz 5 und Artikel 5 Absatz 2 festgelegt, dass der Rat im Falle eines schweren Konjunkturabschwungs im Euro-Währungsgebiet oder in der Union insgesamt auf Empfehlung der Kommission beschließen kann, einen überarbeiteten haushaltspolitischen Kurs festzulegen. Die anstehende Bewertung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme der Mitgliedstaaten , die Frühjahrsprognose und der anschließende Vorschlag der Kommission für länderspezifische Empfehlungen des Rates werden Gelegenheit bieten, die erforderliche Koordinierung zu gewährleisten und Leitlinien für einen auf nationaler und aggregierter Ebene angemessenen haushaltspolitischen Kurs festzulegen. Vor diesem Hintergrund und angesichts des erwarteten schweren Konjunkturabschwungs ist die Kommission der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel erstmals seit ihrer Einführung im Jahr 2011 erfüllt sind, und ersucht den Rat, diese Schlussfolgerung zu billigen, um den Mitgliedstaaten mehr Klarheit zu verschaffen.61 Vor diesem Hintergrund lässt sich auf Grundlage der Festlegungen im Beschluss (EU) 2020/440 und mit Blick auf die hierin getroffenen Vorkehrungen, keine Fehlanreize für eine unsolide Haushaltspolitik zu setzen, nicht feststellen, dass das zur Bewältigung der außergewöhnlichen 60 Mitteilung der Kommission an den Rat über die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitätsund Wachstumspakt vom 20.3.2020 COM(2020) 123 final; Erklärung der EU‑Finanzministerinnen und ‑ minis‑ ter zum Stabilitäts‑ und Wachstumspakt angesichts der COVID‑ 19‑Krise vom 23.3.2020, abrufbar unter: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2020/03/23/statement-of-eu-ministers-of-finance-onthe -stability-and-growth-pact-in-light-of-the-covid-19-crisis/ . 61 COM(2020) 123 final S. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 21 Wirtschafts- und Finanzlage infolge der Ausbreitung der durch das Coronavirus bedingten Krankheit (COVID-19) aufgelegte Ankaufprogramm PEPP mit Art. 123 AEUV nicht mehr vereinbare Anreize für unsolide Haushaltspolitik schafft, wenn zugleich krisenbedingt und im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt für die Dauer dieses Ankaufprogramms die Anforderungen an die Haushaltspolitik gelockert worden sind. Das aus Art. 123 AEUV abzuleitende Verbot, Anreize für eine unsolide Haushaltspolitik zu setzen, gilt allerdings auch in dieser Sondersituation unter Berücksichtigung reduzierter Anforderungen an eine solide Haushaltspolitik und ist v.a. bei der Umsetzung dieses Ankaufprogramms zu beachten. 7. Das Halten von Anleihen bis zur Endfälligkeit Das Ankaufprogramm PEPP schließt wie bereits das PSPP das Halten von Anleihen bis zur Endfälligkeit nicht aus. Bereits im Vorabentscheidungsverfahren zum PSPP äußerte das BVerfG Zweifel , ob es mit Art. 123 AEUV vereinbar ist, wenn das ESZB erworbene Anleihen bis zu ihrer Endfälligkeit hält.62 Das Halten von Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit habe erhebliche Rückwirkungen auf den Sekundärmarkt für Schuldtitel, sei ein wichtiger Indikator für eine monetäre Haushaltsfinanzierung und folgert daraus, dass das Halten bis zur Endfälligkeit zur Verwirklichung der angestrebten Ziele erforderlich sein müsse und die beteiligten Wirtschaftsteilnehmer nicht die Gewissheit vermittelt werden dürfe, dass von dieser Option Gebrauch gemacht werde.63 In seiner Entscheidung vom 5. Mai d.J. führte das BVerfG hierzu weiter aus: Die vom Gerichtshof grundsätzlich angenommene Möglichkeit, Anleihen bis zur Endfälligkeit zu halten [...], darf nur dann genutzt werden, wenn sie geldpolitisch begründbar ist. Eine zeitlich und volumenmäßig unbegrenzte Nutzung dieser Möglichkeit dürfte in der Regel geldpolitisch nicht zu begründen sein, so dass ein regelmäßiges Halten der Anleihen bis zur Endfälligkeit ein Indiz für die Motivation sein kann, Ausfallrisiken übernehmen zu wollen.[…]64 Auch wenn mit dem Gerichtshof davon auszugehen ist, dass das Halten von Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit durch Art. 18 Abs. 1 ESZB-Satzung nicht ausgeschlossen wird, darf das Regel-Ausnahme-Verhältnis doch nicht in sein Gegenteil verkehrt werden […].65 Das Unionsrecht schließt ein Halten von Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit – wovon das BVerfG selber ausgeht – nicht von vornherein aus, wie die Regelung in Art. 18.1 ESZB-Satzung verdeutlicht , wonach zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung seiner Aufgaben […] die EZB und die nationalen Zentralbanken auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Euro oder sonstige Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle 62 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 152. 63 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 192. 64 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 195. 65 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 211. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 22 endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen;[…]66 Der EuGH wertet das Halten von Anleihen durch die EZB bis zur Endfälligkeit im Grundsatz nicht als Verstoß gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung und scheint dafür, auch wenn er selber anerkennt, dass diese grundsätzlich wieder verkauft werden müssen und nur als Ausnahme von diesem Grundsatz gehalten werden dürfen,67 dem Unionsrecht weniger strenge Grenzen zu entnehmen als das BVerfG, wie folgende Ausführungen des Gerichtshofs verdeutlichen: Auch wenn ein Halten der Anleihen gleichwohl geeignet ist, einen gewissen Einfluss auf die Funktionsweise der Primär- und Sekundärmärkte für Staatsanleihen auszuüben, handelt es sich dabei um eine Wirkung, die den durch das Primärrecht erlaubten Ankäufen an den Sekundärmärkten inhärent und im Übrigen unerlässlich ist, um solche Ankäufe im Rahmen der Geldpolitik wirksam einsetzen zu können und dadurch zu dem […] Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität beizutragen […]. Zwar ist die Emission von Anleihen mit negativer Endfälligkeitsrendite für die betreffenden Mitgliedstaaten finanziell vorteilhaft , diese Anleihen können jedoch im Rahmen des PSPP nur auf den Sekundärmärkten angekauft werden und führen somit nicht dazu, dass öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten gewährt oder unmittelbar Schuldtitel von ihnen erworben werden.68 Ausgehend von den in der PSPP-Entscheidung vom EuGH dazu getroffenen Erwägungen würde das zeitlich befristete Ankaufprogramm PEPP, soweit dieses wie das PSPP das Halten von Anleihen bis zur Endfälligkeit nicht ausschließt, prinzipiell die durch Art. 123 AEUV gesetzten Grenzen nicht überschreiten. Aus Sicht des BVerfG dürfte entscheidend sein, ob sich die Haltedauer von Anleihen geldpolitisch begründen lässt, dass das hierfür geltende Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht in sein Gegenteil verkehrt wird und hinreichende Vorkehrung zur Vermeidung der Übernahme von Ausfallrisiken getroffen worden sind. Dies ließe sich allerdings nicht auf Grundlage des Beschlusses (EU) 2020/440, sondern erst bei der Umsetzung des Ankaufprogramms PEPP feststellen. 8. Folgerungen aus der Entscheidung des BVerfG vom 5. Mai 2020 zum PSPP für die Vereinbarkeit des PEPP mit Art. 123 AEUV In seiner Entscheidung vom 5. Mai d.J. zum PSPP macht das BVerfG deutlich, dass eine offenkundige Umgehung des Art. 123 Abs. 1 AEUV bei einem Programm wie dem PSPP nicht an der Einhaltung eines einzelnen Kriteriums festzumachen sei, sondern dass sich dies nur auf Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung entscheide,69 nahm dabei allerdings eine Gewichtung der im Rahmen des PSPP dafür getroffenen Vorkehrungen vor. 66 Hervorhebung durch Verf. 67 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 145. 68 EuGH, Urt. v. 11.12.2018, Rs. C-493/17 Rn. 152. 69 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 215. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/20 Seite 23 Eine offensichtliche Umgehung von Art. 123 Abs. 1 AEUV konnte das BVerfG beim PSPP nicht feststellen, weil ungeachtet der von der EZB bekannt gegebenen Informationen […] eine Konkretisierung der Angaben im Hinblick auf die einzelne ISIN nicht erfolgt, das Volumen der Ankäufe im Voraus begrenzt ist, die vom Eurosystem getätigten Käufe nur in aggregierter Form bekannt gegeben werden, eine Obergrenze von 33 % eingehalten wird, Ankäufe nach dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken getätigt werden, im Rahmen des PSPP nur Anleihen von Körperschaften erworben werden, die aufgrund eines Mindestratings Zugang zum Anleihemarkt besitzen und Ankäufe begrenzt oder eingestellt und erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden müssen, wenn eine Fortsetzung der Intervention zur Erreichung des Inflationsziels nicht mehr erforderlich ist.70 Dabei hätten vor allem die Ankaufobergrenze von 33 % und die Verteilung der Ankäufe nach dem Kapitalschlüssel der EZB […] bislang verhindert, dass unter dem PSPP selektive Maßnahmen zugunsten einzelner Mitgliedstaaten getroffen wurden und dass das Eurosystem zum Mehrheitsgläubiger eines Mitgliedstaats werden konnte. Sie sind insoweit die entscheidenden „Garantien “, an denen sich die mangelnde Offensichtlichkeit eines Verstoßes gegen das Umgehungsverbot aus Art. 123 AEUV festmachen lässt.71 Gerade diese Vorkehrungen wurden beim Ankaufprogramm PEPP nicht getroffen bzw. flexibilisiert . Aufgrund der bereits hervorgehobenen Besonderheiten dieses zeitlich befristeten Programms und den zur Krisenbewältigung im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt für die Dauer dieses Ankaufprogramms bestehenden Lockerungen der Anforderungen an die Haushaltspolitik der Euro-Mitgliedstaaten lassen sich aus der Entscheidung des BVerfG vom 5. Mai 2020 zum PSPP keine Folgerungen für die Vereinbarkeit des PEPP mit Art. 123 AEUV ziehen . – Fachbereich Europa – 70 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 216. 71 BVerfG, Urt. v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 Rn. 217.