© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 32/17 Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Vereinbarkeit mit dem Herkunftslandprinzip Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 2 Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Vereinbarkeit mit dem Herkunftslandprinzip Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 32/17 Abschluss der Arbeit: 29.5.2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Die E-Commerce Richtlinie 4 3. Das Herkunftslandprinzip 5 3.1. Sinn und Zweck des Herkunftslandprinzips 5 3.2. Das Herkunftslandprinzip und das NetzDG-E 5 3.3. Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip 6 3.3.1. Art. 3 Abs. 4 und 5 der E-Commerce Richtlinie 6 3.3.1.1. Ein bestimmter Dienst der Informationsgesellschaft 6 3.3.1.2. Legitimer Schutzgrund und Verhältnismäßigkeit 8 3.3.1.3. Verfahrensrechtliche Voraussetzungen 8 3.3.2. Art. 3 Abs. 3 der E-Commerce Richtlinie 9 3.4. Wertung 9 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 4 1. Fragestellung In der nachfolgenden Ausarbeitung wird die Vereinbarkeit des Entwurfs des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (im Folgenden: NetzDG-E)1 mit Teilen der E-Commerce Richtlinie 2000/31/EG2 geprüft . Die Prüfung nimmt Bezug auf die Ausführungen von Professor Dr. Hoeren auf der Website des Beck-Verlags.3 Diese Kritik von Prof. Dr. Hoeren am NetzDG-E konzentriert sich auf die Verletzung des Herkunftslandprinzips aus der E-Commerce Richtlinie durch das NetzDG-E. 2. Die E-Commerce Richtlinie Die E-Commerce Richtlinie dient dem Abbau rechtlicher Hindernisse für den Binnenmarkt der Dienste von Informationsgesellschaften. Zu diesem Zweck schafft dieser Rechtsakt gemäß seinem 8. Erwägungsgrund einen rechtlichen (einheitlichen) Rahmen zur Sicherstellung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten. Die Dienste der Informationsgesellschaft umfassen nach Erwägungsgrund 18 der Richtlinie einen weiten Bereich von wirtschaftlichen Tätigkeiten, die online vonstattengehen. Die Dienste der Informationsgesellschaft beschränken sich demnach nicht nur auf Dienste, bei denen online Verträge geschlossen werden können. Sie erstrecken sich gemäß Erwägungsgrund 18, soweit es sich überhaupt um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, auch auf Dienste, die nicht von denjenigen vergütet werden , die sie empfangen. Beispielhaft werden im Erwägungsgrund 18 der Richtlinie Online-Informationsdienste , kommerzielle Kommunikation oder Dienste, die Instrumente zur Datensuche, zum Zugang zu Daten und zur Datenabfrage bereitstellen, aufgeführt. Zu den Diensten der Informationsgesellschaft zählen außerdem Dienste, die Informationen über ein Kommunikationsnetz übermitteln, Zugang zu einem Kommunikationsnetz anbieten oder Informationen, die von einem Nutzer des Dienstes stammen, speichern. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zielt die E-Commerce Richtlinie für die meisten Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs nicht auf eine Harmonisierung des materiellen Rechts ab. Vielmehr definiere sie einen „koordinierten Bereich“, in dessen Rahmen es die Regelung des Art. 3 der Richtlinie ermöglichen soll, die Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaats zu unterwerfen, in dem der Anbieter niedergelassen ist.4 Damit ordnet die E-Commerce Richtlinie die Geltung des sog. Herkunftslandprinzips an, wonach eine Ware oder Dienstleistung, die nach den Gesetzen des Herkunftsstaats 1 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 21.4.2017, Bundesrat Drucksache 315/17, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2017/0315-17.pdf. 2 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. 2000, L 178/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32000L0031&qid=1491989317574&from=DE. 3 Hoeren, Netzwerkdurchsetzungsgesetz europarechtswidrig, beck community vom 30.3.2017, abrufbar unter https://community.beck.de/2017/03/30/netzwerkdurchsetzungsgesetz-europarechtswidrig. 4 EuGH, Urt. v. 25.10.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate Advertising, Rn. 57. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 5 ordnungsgemäß hergestellt und angeboten worden ist, von diesem Land aus in allen Mitgliedstaaten der EU angeboten werden darf.5 3. Das Herkunftslandprinzip 3.1. Sinn und Zweck des Herkunftslandprinzips Sinn und Zweck des Herkunftslandprinzips ist die Ermöglichung eines freien Waren- bzw. Dienstleistungsverkehrs im europäischen Binnenmarkt. Der EuGH hielt zum Herkunftslandprinzip in Art. 3 der E-Commerce Richtlinie fest, dass „die Unterwerfung der Dienste des elektronischen Geschäftsverkehrs unter die Rechtsordnung des Sitzmitgliedstaats ihres Anbieters nach Art. 3 Abs. 1 es nicht ermöglichen würde, den freien Verkehr dieser Dienste umfassend sicherzustellen , wenn die Diensteanbieter im Aufnahmemitgliedstaat letztlich strengere Anforderungen als in ihrem Sitzmitgliedstaat erfüllen müssten.“6 Daher verbiete es Art. 3 der Richtlinie, vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 gestatteten Ausnahmen, dass ein Diensteanbieter im Aufnahmemitgliedstaat strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das Recht im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters vorsieht.7 3.2. Das Herkunftslandprinzip und das NetzDG-E Gemäß Art. 3 Abs. 2 der E-Commerce Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus anderen Mitgliedstaaten nicht aus Gründen einschränken , die in den koordinierten Bereich fallen. Der koordinierte Bereich, der dem Herkunftslandprinzip unterfällt, umfasst nach Art. 2 lit. h i) 2. Spiegelstrich der E-Commerce Richtlinie die von einem Diensteanbieter zu erfüllenden Anforderungen in Bezug auf die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft und das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters. Entsprechend den Ausführungen im Gesetzentwurf dürften hiervon die im NetzDG-E vorgeschlagenen Betreiberpflichten bei sozialen Netzwerken erfasst sein,8 denn diese betreffen die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern. Das Herkunftslandprinzip könnte dem Entwurf des NetzDG-E entgegenstehen, da im Gesetzentwurf , insbesondere in § 1 NetzDG-E, nicht ausdrücklich festgehalten ist, dass die Vorgaben des 5 Hetmank, Internetrecht – Grundlagen, Streitfragen, Aktuelle Entwicklungen, 2016, S. 23 ff. 6 EuGH, Urt. v. 25.10.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate Advertising, Rn. 66. 7 EuGH, Urt. v. 25.10.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate Advertising, Rn. 67. 8 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 12, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf; so auch Hoeren, Netzwerkdurchsetzungsgesetz europarechtswidrig, beck community vom 30.3.2017, abrufbar unter https://community.beck.de/2017/03/30/netzwerkdurchsetzungsgesetz-europarechtswidrig; Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen /2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 6 NetzDG-E nur für inländische Netzwerkbetreiber gelten. Vielmehr steht in der Entwurfsbegründung , dass sich die Regulierung nicht ausschließlich an inländische Betreiber richte, sondern auch Betreiber aus anderen Mitgliedstaaten der EU betreffe.9 Normen wie die Vorgabe eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten in § 5 NetzDG-E oder die Sanktionierung nach § 4 Abs. 3 NetzDG-E von sozialen Netzwerken für Ordnungswidrigkeiten, die nicht im Inland begangen worden sind, sprechen ebenfalls für eine Anwendung des NetzDG-E auf Netzwerkbetreiber aus anderen Staaten.10 Damit ist das Herkunftslandprinzip berührt. 3.3. Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip 3.3.1. Art. 3 Abs. 4 und 5 der E-Commerce Richtlinie In der Begründung des Gesetzentwurfs wird eine Verletzung des Herkunftslandprinzips durch das NetzDG-E verneint. Der Entwurf hebt dafür auf die Ausnahmemöglichkeiten nach Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie ab. Gemäß Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie können die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft vom Herkunftslandprinzip abweichen, wenn die nachfolgend aufgeführten Bedingungen erfüllt sind. 3.3.1.1. Ein bestimmter Dienst der Informationsgesellschaft Ausnahmen gemäß Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie, auf die die Begründung des NetzDG-E hinweist, sind nach der wohl herrschenden Meinung in der Literatur ausschließlich staatliche Schutzmaßnahmen nach Abwägung im konkreten Einzelfall.11 Abstrakt-generelle Normen , die auf die Beschränkung der Ausübung eines Dienstes abzielen, können diesen Stimmen zufolge hingegen nicht als Ausnahmeregelung unter Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie subsumiert werden.12 Die Kritiker des NetzDG-E betonen, dass sich das NetzDG-E nicht an „einen bestimmten Dienst“ i. S. d. Art. 3 Abs. 4 lit. a ii) der E-Commerce Richtlinie richte, sondern generell „Anbieter sozialer Netzwerke“, die im Inland mehr als zwei Millionen Nutzer haben, erfasse. 9 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 13, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 10 Hoeren, Netzwerkdurchsetzungsgesetz europarechtswidrig, beck community vom 30.3.2017, abrufbar unter https://community.beck.de/2017/03/30/netzwerkdurchsetzungsgesetz-europarechtswidrig; Digitale Gesellschaft, Stellungnahme zur TRIS-Notifizierung des Entwurfs für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, abrufbar unter https://digitalegesellschaft.de/wp-content/uploads/2017/04/Stellungnahme _TRIS_NetzDG_DigiGes.pdf. 11 Altenhain, in: Münchener Kommentar zum StGB, Band 7, 2. Aufl. 2015, § 3 TMG, Rn. 52; Stellungnahme der DGRI e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurch-setzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction/download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf; Schulz, Comments on the Draft for an Act improving Law Enforcement on Social Networks (NetzDG), abrufbar unter http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/1178. 12 Weller, in: Gersdorf/Paal, Beck’scher Onlinekommentar Informations- und Medienrecht, 15. Edition, Stand: 1.2.2016, § 3 TMG, Rn. 30 und 32; Nordmeier, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 3 TMG Rn. 22 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 7 Es sind aber – laut einer Mitteilung der Kommission zur Anwendung von Art. 3 Abs. 4 bis 6 der E-Commerce-Richtlinie auf Finanzdienstleistungen 13 – gemäß Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie nur Ausnahmen zulässig, die einen ganz bestimmten, konkret bezeichneten Anbieter betreffen.14 So heißt es in der Mitteilung der Kommission: „Um unter Artikel 3 Absatz 4 zu fallen, muss sich eine Maßnahme also auf einen konkreten Fall beziehen, d. h. gegenüber einer ganz bestimmten Finanzdienstleistung ergriffen werden, die von einem bezeichneten Anbieter erbracht wird.“15 Der Generalanwalt Villalón brachte hingegen in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache eDate Advertising die Ansicht zum Ausdruck, Art. 3 der E-Commerce Richtlinie hindere die Mitgliedstaaten nicht daran, innerhalb des ihnen mit der Richtlinie zuerkannten Ermessensspielraums Ausnahmen zum Schutz von besonders schutzwürdigen Interessen vorzusehen. Der Gesetzgeber könne solche Ausnahmen entweder über materiell-rechtliche Maßnahmen oder über Vorschriften vorsehen, mit denen das anwendbare Recht korrigiert werde.16 Der EuGH ist in seinem Urteil in dieser Rechtssache nicht näher auf die Ausnahmemöglichkeit nach Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie eingegangen. In der Rechtssache Ker-Optika verneinte der EuGH (im Anschluss an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Prüfung der Warenverkehrsfreiheit) die Zulässigkeit einer Ausnahmeregelung nach Art. 3 Abs. 4 E-Commerce Richtlinie wegen fehlender Angemessenheit im Verhältnis zu den Schutzzielen, ohne näher darauf einzugehen, ob eine nationale Verbotsregelung für den Verkauf von Kontaktlinsen über das Internet eine Maßnahme im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft darstellt.17 Das könnte darauf schließen lassen, dass nach Ansicht des EuGH auch abstrakt-generelle Normen eine Ausnahme nach Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie darstellen können. Da die Angemessenheit und damit die Möglichkeit einer Ausnahme nach Art. 3 Abs. 4 E-Commerce Richtlinie in nur einem Satz unter Bezugnahme auf die vorangehende Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Warenverkehrsfreiheit erfolgte, ist eine abschließende Feststellung diesbezüglich jedoch nicht möglich.18 13 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank – Anwendung von Artikel 3 Absätze 4 bis 6 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr auf Finanzdienstleistungen , KOM(2003) 259 endg., S. 5, abrufbar unter http://ec.europa.eu/transparency/regdoc /rep/1/2003/DE/1-2003-259-DE-F1-1.Pdf. 14 Stellungnahme der DGRI e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction/download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf. 15 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank – Anwendung von Artikel 3 Absätze 4 bis 6 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr auf Finanzdienstleis -tungen, KOM(2003) 259 endg., S. 5, abrufbar unter http://ec.europa.eu/transparency/regdoc /rep/1/2003/DE/1-2003-259-DE-F1-1.Pdf. 16 Schlussanträge des GA Villalón v. 29.3.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:192 – eDate Advertising , Rn. 80. 17 EuGH, Urt. v. 2.12.2010, Rs. C-108/09, ECLI:EU:C:2010:725 – Ker-Optika, Rn. 76. 18 EuGH, Urt. v. 2.12.2010, Rs. C-108/09, ECLI:EU:C:2010:725 – Ker-Optika, Rn. 76 („Aus den gleichen Gründen kann die genannte Regelung, soweit sie ein Verbot des Verkaufs von Kontaktlinsen über das Internet beinhaltet, nicht im Sinne von Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/31 als zum Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit in angemessenem Verhältnis stehend angesehen werden.“). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 8 3.3.1.2. Legitimer Schutzgrund und Verhältnismäßigkeit Die Kritiker des NetzDG-E bezweifeln auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie.19 Nach Art. 3 Abs. 4 lit. a der E-Commerce Richtlinie müssen nationale Maßnahmen, um eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip zu rechtfertigen, aus einem Grund wie dem Schutz der öffentlichen Ordnung (insbesondere Verhütung, Ermittlung , Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen) erforderlich sein, einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der diese Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt, betreffen und in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen stehen. Die mit dem NetzDG-E verfolgten Ziele, die Verbreitung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken zu bekämpfen,20 können unter den Schutz der öffentlichen Ordnung gefasst werden . Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme lässt sich in Anbetracht der komplexen Grundrechtskonstellationen und fehlender höchstrichterlicher Vorgaben im Rahmen dieses Gutachtens nicht abschließend klären. 3.3.1.3. Verfahrensrechtliche Voraussetzungen Eine verfahrensrechtliche Voraussetzung für eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip stellt die Anforderung des Art. 3 Abs. 4 lit. b der E-Commerce Richtlinie dar, wonach der jeweilige Mitgliedstaat vor Ergreifen der Maßnahmen den Sitzmitgliedstaat auffordern muss, Maßnahmen zu ergreifen und dieser dem nicht Folge geleistet haben darf oder die von ihm getroffenen Maßnahmen unzulänglich sind. Außerdem muss der Mitgliedstaat, der entgegen dem Herkunftslandprinzip Regelungen erlässt, sowohl die Kommission wie auch den Sitzmitgliedstaat des oder der betroffenen Unternehmens über seine Absicht, die fraglichen Maßnahmen zu ergreifen, informieren . Art. 3 Abs. 5 der E-Commerce Richtlinie gestattet in dringlichen Fällen ein Abweichen von diesen Bedingungen. Ausweislich der Entwurfsbegründung des NetzDG-E ist „ein sofortiges Handeln […] zur effektiven Bekämpfung von Hasskriminalität und weiterer objektiv strafbarer Handlungen im Internet dringend geboten.“ Es bleibt jedoch fraglich, ob die in der Entwurfsbegründung unterstellte Dringlichkeit der Bekämpfung von Hasskriminalität die Anforderungen des 19 Hoeren, Netzwerkdurchsetzungsgesetz europarechtswidrig, beck community vom 30.3.2017, abrufbar unter https://community.beck.de/2017/03/30/netzwerkdurchsetzungsgesetz-europarechtswidrig; Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen /2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 20 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 9, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 9 Art. 3 Abs. 5 der E-Commerce Richtlinie erfüllt.21 Zur Frage der Dringlichkeit fehlt es – soweit ersichtlich – an Vorgaben in der Rechtsprechung des EuGH. Art. 3 Abs. 5 Satz 2 der E-Commerce Richtlinie setzt bei dringlichen Maßnahmen voraus, dass der Mitgliedstaat seine Maßnahmen sobald wie möglich und unter Angabe der Gründe, aus denen er der Auffassung ist, dass es sich um einen dringlichen Fall handelt, der Kommission und dem jeweiligen Sitzmitgliedstaat mitteilt. Auch die Erfüllung dieser Verfahrensvoraussetzungen ist im Hinblick auf das NetzDG-E fraglich .22 3.3.2. Art. 3 Abs. 3 der E-Commerce Richtlinie Das NetzDG-E stützt sich nicht auf die Möglichkeit von Ausnahmen durch abstrakt-generelle Normen, wie sie in Art. 3 Abs. 3 der E-Commerce Richtlinie i. V. m. dem Anhang zu Art. 3 geregelt sind.23 Der Anhang der E-Commerce Richtlinie gestattet Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip u. a. in den Bereichen des Urheberrechts, bei der Ausgabe elektronischen Geldes oder vertraglichen Schuldverhältnissen in Bezug auf Verbraucherverträge. Er normiert jedoch keine Ausnahmemöglichkeit für den Bereich sozialer Netzwerke, die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern oder die Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet.24 3.4. Wertung Die Verfahrensvorgaben aus Art. 3 Abs. 4 lit. b der E-Commerce Richtlinie wie auch der Begriff „eines bestimmten Dienstes der Informationsgesellschaft“ in Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie sprechen für die in der Literatur vorherrschende Ansicht, dass die Ausnahmemöglichkeit des Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie nur für Einzelfälle gilt und keine generelle Abweichung vom Herkunftslandprinzip für Teilbereiche der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten ermöglicht .25 Beim Erlass einer abstrakt-generellen Regelung fehlt der Bezug zu einem bestimmten Dienst. Auch sprechen die Konsultationspflichten gegenüber dem jeweiligen Sitzmitgliedstaat, 21 S. dazu auch Hoeren, Netzwerkdurchsetzungsgesetz europarechtswidrig, beck community vom 30.3.2017, abrufbar unter https://community.beck.de/2017/03/30/netzwerkdurchsetzungsgesetz-europarechtswidrig; Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen /2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 22 S. dazu die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch die Ausschüsse Informationsrecht und Strafrecht , Regierungsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz - Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, abrufbar unter https://anwaltverein .de/de/newsroom/sn-41-17-netzwerkdurchsetzungsgesetz-netzdg. 23 Stellungnahme der DGRI e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction/download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf. 24 Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 25 Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 32/17 Seite 10 die Art. 3 Abs. 4 lit. b der E-Commerce Richtlinie vorsieht, für einen Einzelfallbezug.26 Es gibt daher und aufgrund der Verfahrensvoraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 lit. b und 5 der Richtlinie gute Gründe für die Annahme, dass die Betrachtung des NetzDG-E als Ausnahmeregelung im Sinne des Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie, nicht möglich ist. Fraglich ist, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung des NetzDG-E möglich ist, so dass das NetzDG-E für Netzwerkbetreiber aus anderen Mitgliedstaaten nur greift, wenn die Normen des betreffenden Mitgliedstaats vergleichbare Vorgaben postulieren und das deutsche Recht mithin nicht strenger ist als das Recht des Sitzmitgliedstaats oder im fraglichen Einzelfall eine Ausnahme vorliegt und die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie erfüllt sind bzw. werden, sodass das NetzDG-E Anwendung finden kann. Dagegen sprechen Begründung und Formulierungen des NetzDG-E, welche eine Anwendung der Normen des NetzDG-E auf Betreiber aus anderen EU-Mitgliedstaaten vorsehen und dafür keine vergleichbaren Regelungen im Sitzmitgliedstaat oder ergänzende Anforderungen gemäß Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie voraussetzen. – Fachbereich Europa – 26 Altenhain, in: Münchener Kommentar zum StGB, Band 7, 2. Aufl. 2015, § 3 TMG, Rn. 52.