PE 6 - 3000 - 031/21 (21. Mai 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Fachbereich Europa ist um Auskunft ersucht worden, ob durch die Anwendung einer Vorschrift des Medizinproduktegesetzes (MPG) über die Erteilung von befristeten Sonderzulassungen für In-vitro-Diagnostika Vorgaben der EU-Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verordnung)1 ausgehebelt würden. Hintergrund des Auskunftsersuchens ist die Vorschrift in § 28b Infektionsschutzgesetz (IfSG) über bundesweit einheitliche Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus -Krankheit-2019 bei besonderem Infektionsgeschehen. Nach Absatz 3 dieser Vorschrift ist die Teilnahme am Präsenzunterricht an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen nur zulässig für Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrkräfte, die zweimal in der Woche mittels eines anerkannten Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 getestet werden. Anerkannte Tests im Sinne dieser Vorschrift sind nach Absatz 9 dieser Vorschrift „In-vitro-Diagnostika , die für den direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 bestimmt sind und die auf Grund ihrer CE-Kennzeichnung oder auf Grund einer gemäß § 11 Absatz 1 des Medizinproduktegesetzes erteilten Sonderzulassung verkehrsfähig sind“. Die in § 11 Abs. 1 MPG enthaltene Sondervorschrift über das erstmalige Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme einzelner In-vitro-Diagnostika erlaubt eine befristet Zulassung, „wenn deren Anwendung im Interesse des Gesundheitsschutzes liegt“. Auf dieser Grundlage hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Sonderzulassungen für Antigen-Tests u.a. zur Eigenanwendung („Selbsttests“) erteilt.2 1 Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission . 2 Für nähere Informationen des BfArM siehe: https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Antigentests /_node.html. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Sonderzulassungen für In-vitro-Diagnostika (Antigen-Tests zur Eigenanwendung, SARS-CoV-2) im Lichte der REACH-Verordnung Kurzinformation Sonderzulassungen für In-vitro-Diagnostika (Antigen-Tests zur Eigenanwendung, SARS-CoV-2) im Lichte der REACH-Verordnung Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 Die Sondervorschrift des § 11 Abs. 1 MPG beruht in ihrer derzeitigen Fassung auf Art. 9 Abs. 4 der Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika3, wonach die zuständigen Behörden einzelne Produkte ausnahmsweise ohne Durchführung der grundsätzlich vorgeschriebenen Verfahren der Konformitätsbewertung zulassen darf, „wenn deren Verwendung im Interesse des Gesundheitsschutzes liegt“. Die REACH-Verordnung enthält daneben besondere Vorgaben für bestimmte Stoffe und Gemische, die nicht nur für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung derartiger Stoffe als solcher gelten, sondern u. a. auch für ihre Verwendung in „Erzeugnissen“ (Art. 1 Abs. 2), zu denen grundsätzlich auch Medizinprodukte zählen können.4 Nach Art. 56 Abs. 1 Buchst. a REACH-Verordnung dürfen bestimmte, in ihrem Anhang XIV aufgeführte Stoffe grundsätzlich nicht zur Verwendung in Verkehr gebracht und nicht selbst verwendet werden. Die Aufnahme eines solchen Stoffes in ein Erzeugnis bedürfte nach Art. 56 Abs. 1 Buchst. a REACH-Verordnung grundsätzlich einer Zulassung, die bei der Europäischen Chemikalienagentur zu beantragen wäre. In Bezug auf In-vitro-Diagnostika, für die die Richtlinie 98/79/EG gilt, wären hierbei insbesondere Art. 60 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 62 Abs. 6 REACH-Verordnung zu beachten, wonach die Risiken für die menschliche Gesundheit aus der Verwendung eines Stoffes in einem solchen Medizinprodukt weder Gegenstand des Antrags sind, noch bei der Entscheidung über die Zulassungserteilung zu berücksichtigen sind.5 Für Erzeugnisse, die keine nach in Anhang XIV der REACH-Verordnung aufgeführten Stoffe enthalten, gilt diese besondere Zulassungspflicht von vornherein nicht. Ob dies in Bezug auf bestimmte Erzeugnisse zutrifft, ist eine Frage des Einzelfalls und nicht Gegenstand der vorliegenden Kurzinformation. Aus den dargestellten Vorschriften wird zumindest deutlich, dass die Vorgaben der Richtlinie 98/79/EG nicht etwa durch eine im Einzelfall bestehende Zulassungspflicht nach der REACH- Verordnung verdrängt werden. Die REACH-Verordnung steht somit einer Anwendung mitgliedstaatlicher Vorschriften, die zur Umsetzung der Richtlinie 98/79/EG ergangen sind, nicht entgegen . – Fachbereich Europa – 3 Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika . Die Vorschrift des Art. 9 Abs. 4 der Richtlinie 98/79/EG wird mit Wirkung vom 26. Mai 2022 durch Art. 54 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Invitro -Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission ersetzt. 4 Bauer/Lach, REACh: Praktische Auswirkungen für Arzneimittel und Medizinprodukte, PharmR 2007, 408 - beck-online, S. 410 f. 5 Allgemein hierzu Burgsdorff/Burkert, Umgang mit der REACH-VO im Medizinproduktesektor, MPR 2020, 99 - beck-online, S. 100.