© 2018 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 – 31/18 Zuständigkeitsverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion zur Steuerung der Konjunkturpolitik Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Sind auch Äußerungen von Politikern auf der EU-Ebene hierzu heranzuziehen? 3. Welche Wege stehen dem Bundestag offen, um gegen eine fehlerhafte Aufgabenerfüllung vorzugehen ?“ Hierzu verweist die dieser Ausarbeitung zugrundeliegende Fragestellung auf die folgenden Erwägungen : „Die Aufgabenverteilung spricht den Mitgliedstaaten die Verantwortung über die Wirtschafts - und Finanzpolitik zu. Auch der Euro ist als Club von Gleichen aufgebaut. Jeder soll sich so verhalten, dass die Gemeinschaft existieren kann, es gibt keine gegenseitigen Verpflichtungen. Somit ist die Konjunkturpolitik, d.h. die Anpassung von Wirtschaft- und Finanzpolitik im Konjunkturverlauf nicht die Aufgabe der EU.“ Vor diesem Hintergrund wird im Folgen zunächst die unionsvertragliche Aufgabenverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten im Bereich der Konjunkturpolitik untersucht (hierzu 2.). In diesem Rahmen wird ergänzend gefragt, ob auch die Äußerungen von Politikern auf der EU-Ebene als Abgrenzungskriterien heranzuziehen sind. Abschließend wird auf die Frage eingegangen, welche Wege dem Bundestag offen stehen, um gegen eine fehlerhafte Aufgabenerfüllung der EU vorzugehen (hierzu 3.). 2. Kompetenzielle Zuordnung der Konjunkturpolitik im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion 2.1. Primärrechtliche Regelungsrahmen Gemäß Art. 119 Abs. 1 AEUV umfasst die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union im Sinne der Ziele des Art. 3 EUV „die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“. Die von Art. 119 Abs. 1 AEUV adressierte „Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten“ ist Gegenstand der Regelungen in Art. 2 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 AEUV sowie in Art. 120 AEUV bis 126 AEUV. Gemäß Art. 2 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 AEUV hat die engere Koordinierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik im Rahmen der Union zu erfolgen. Die Mittel der Koordinierung werden in Art. 120, 121 AEUV ausgestaltet. 2.2. Sachlicher Regelungsbereich der gemeinsamen Koordinierung Gemäß Art. 121 Abs. 1 AEUV betrachten die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse und koordinieren sie im Rat. Der Begriff „ihre Wirtschaftspolitik “ verweist auf ein Handeln der Mitgliedstaaten in eigener Zuständigkeit und umfasst dementsprechend alle nicht auf die EU übertragenen und mithin bei den Mitgliedstaaten Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 31/18 Seite 4 verbliebenen wirtschaftspolitischen Zuständigkeiten, beispielsweise im Bereich der bereichsübergreifenden Wirtschaftspolitik.1 Dies umfasst auch die mitgliedstaatliche Konjunkturpolitik, wobei der Begriff vorliegend verstanden wird als die Gesamtheit wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur kurzfristigen Beeinflussung makroökonomischer Größen, beispielsweise der Produktion, des Verbrauchs oder der Ein- und Ausfuhr, über den Staatshaushalt, wodurch übermäßige Schwankungen der Konjunktur aufgefangen bzw. vermieden werden sollen.2 Dass auch die Konjunkturpolitik von Art. 121 AEUV erfasst wird, ergibt sich zunächst aus der bereichsübergreifenden Natur konjunkturpolitischer Maßnahmen und ihrem Bezug zur mitgliedstaatlichen Haushalts- und Fiskalpolitik. Zudem knüpft die gegenwärtige, mit dem Vertrag von Maastricht eingeführte Fassung von Art. 121 AEUV an die Vorgängerbestimmung in Art. 103 EWGV3 an, der ausdrücklich auf die Konjunkturpolitik der Mitgliedstaaten abgestellt hat.4 Entsprechend dem Verweis in Art. 121 Abs. 1 AEUV auf eine Koordinierung nach Maßgaben des Art. 120 AEUV und somit der in Art. 3 EUV und Art. 119 AEUV festgelegten Grundsätze wird die Einbeziehung der Konjunkturpolitik auch dem Telos der Regelungen im Dritten Teil, Titel VIII, Kapitel 1 AEUV gerecht, wonach eine engere Koordinierung und Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten der Konsolidierung der makroökonomischen Stabilität, der Erhöhung des Wachstumspotenzials, der wirtschaftspolitischen Konvergenz der Mitgliedstaaten und der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen dient.5 2.3. Ausgestaltung der gemeinsamen Koordinierung Die Bestimmung, wonach die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik als eine „Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ betrachten, impliziert einerseits eine fortbestehende Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in dem zu koordinierenden Bereich. Andererseits verweist sie auf die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Mitgliedstaaten und der Union sowie zur gemeinsamen Beratung und Abstimmung in wirtschaftspolitischen Handlungen. Dementsprechend sowie mit Blick auf die Regelungen in Art. 2 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 AEUV ist die Rolle der Union im Rahmen der Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf den Erlass von Koordinierungsmaßnahmen beschränkt.6 Gleichzeitig müssen die Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung ihrer wirtschaftspolitischen Zuständigkeiten jedoch sicherstellen, dass das Unionsrecht einschließlich der von der 1 Vgl. Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 119 AEUV, Rn. 4. 2 Vgl. GA Geelhoed, Schlussanträge vom 4. Oktober 2001 in der Rs. C-409/99 (Metropol/Stadler), Rn. 60 f. 3 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:11957E/TXT&from=DE. 4 Vgl. Art. 103 Abs. 1 EWGV: „Die Mitgliedstaaten betrachten ihre Konjunkturpolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse. Sie setzen sich miteinander und mit der Kommission über die unter den jeweiligen Umständen zu ergreifenden Maßnahmen ins Benehmen.“ 5 Vgl. EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 58, vgl. auch Schulte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 121 AEUV, Rn. 2. 6 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 64. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 31/18 Seite 5 Union im Rahmen der Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen beachtet wird. Unter Berücksichtigung dieser Prämissen – d.h. der fortbestehenden Zuständigkeit und Verantwortung der Mitgliedstaaten für ihre Wirtschaftspolitik einerseits und dem Erfordernis einer gemeinsamen Koordinierung aufgrund der starken Interdependenz wirtschaftspolitischer Maßnahmen andererseits7 – bestimmt Art. 121 AEUV die Verfahren zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten,8 ohne zugleich deren Inhalte zu determinieren. Dies umfasst Regelungen zur Festlegung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union durch Empfehlung des Rates (Abs. 2), Verfahren zur Überwachung der Vereinbarkeit der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten mit diesen Grundzügen (Abs. 3 bis 5) sowie eine Ermächtigung zur Regelung der Einzelheiten dieses Verfahrens der multilateralen Überwachung durch Verordnungen (Abs. 6). 2.3.1. Festlegung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik Vor diesem Hintergrund umfasst die „normale Aufgabenerfüllung“ der Union im Bereich der wirtschaftspolitischen Koordinierung zunächst die Festlegung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union (Art. 121 Abs. 2 AEUV).9 Die Grundzüge beruhen auf einer Empfehlung des Rates in Bezug auf die Wirtschaftspolitik, mit der die in Art. 120 AEUV genannten Ziele erreicht werden sollen.10 Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik sind politisch, aber nicht rechtlich bindend; ihre Wirkung beruhte bisher im Wesentlichen auf dem im Rahmen der multilateralen Überwachung ausgeübten Druck der anderen Mitgliedstaaten.11 Seit dem Vertrag von Lissabon ist zudem eine Überwachung der Vereinbarkeit der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten mit den Grundzügen durch den Rat einschließlich der Möglichkeit einer direkten Verwarnung durch die Kommission vorgesehen (Art. 121 Abs. 4 AEUV). 7 Vgl. Schulte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 121 AEUV, Rn. 4. 8 Zur sog. Methode der offenen Koordinierung, die in dem Verfahren gemäß Art. 121 AEUV zum Ausdruck kommt, vgl. Lang/Bergfeld, Zur „offenen Methode der Koordinierung” als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, EuR 2005, S. 381 ff. 9 Vgl. hierzu zuletzt die Empfehlung des Rates vom 13. Juli 2010 über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union, ABl. L 191 vom 23.7.2010, S. 28, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010H0410&from=DE; vgl. hierzu Hufeld, in: Müller-Graff (Hrsg.), EnzEuR Band 4, 2015, § 22, Rn. 29 ff. sowie zur Entwicklung der Grundzüge Schulte, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 121 AEUV, Rn. 12 ff. 10 Vgl. bspw. zuletzt den Vorschlag der Kommission vom 22. November 2017 für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets, COM(2017) 770 final, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal -content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52017DC0770&qid=1520419256145&from=DE. 11 Vgl. Hufeld, in: Müller-Graff (Hrsg.), EnzEuR Band 4, 2015, § 22, Rn. 34 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 31/18 Seite 6 2.3.2. Multilaterale Überwachung Gemäß Art. 121 Abs. 3 AEUV muss der Rat die wirtschaftliche Entwicklung in jedem Mitgliedstaat sowie die Übereinstimmung der Wirtschaftspolitik mit den vereinbarten Grundzügen überwachen . Die Einzelheiten dieser multilateralen Überwachung sind sekundärrechtlich festzulegen (Art. 121 Abs. 6 AEUV), was mit der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 1175/201112 geänderten Verordnung (EG) Nr. 1466/9713 vom 7. Juli 1997 „über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitik” als sog. präventiver Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) insbesondere für den Bereich der mitgliedstaatlichen Haushalts- und Fiskalpolitik erfolgt ist.14 Nach Art. 126 Abs. 4 AEUV kann die Kommission eine direkte Verwarnung an einen Mitgliedstaat aussprechen und potenziell veröffentlichen, wenn dessen Wirtschaftspolitik nicht mit den in Abs. 2 genannten Grundzügen vereinbar ist oder wenn sie das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion zu gefährden droht. Der Rat kann auf Empfehlung der Kommission die entsprechenden wirtschaftspolitischen Empfehlungen an einzelne Mitgliedstaaten richten.15 2.3.3. Europäisches Semester Im Rahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung und Überwachung ist das Verfahren des Europäischen Semesters von besonderer Bedeutung.16 Das im Jahr 2011 erstmals durchgeführte Europäische Semester verfolgt das Ziel, die nationale haushalts- und wirtschaftspolitische Planung im Euroraum ex ante abzustimmen. Im Zuge der Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durch das sog. Six-Pack wurde das Europäische Semester mit den bestehenden Bestimmungen des europäischen Sekundärrechts verzahnt. Die Mitgliedstaaten sollen die im SWP vorgesehenen Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme (SKP) gleichzeitig mit ihren Nationalen 12 Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl. L 306 vom 23.11.2011, S. 12, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R1175&qid=1520418753622&from=DE. 13 ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01997R1466-20111213&qid=1520418832836&from=DE. 14 Zu den weiteren Einzelheiten des Verfahrens vgl. Schulte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 121 AEUV, Rn. 36 ff. 15 Vgl. bspw. den Beschluss 2010/181 des Rates vom 16. Februar 2010 zur Veröffentlichung der Empfehlung 2010/190/EU, in Griechenland die mangelnde Übereinstimmung mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik zu beenden und das Risiko einer Gefährdung des ordnungsgemäßen Funktionierens der Wirtschafts- und Währungsunion zu beseitigen, ABl. L 83 vom 30.3.2010, S. 12, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010D0181&from=DE, aufbauend auf den Vorschlag der Kommission in COM(2010) 26 final vom 3. Februar 2010, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010PC0026&from=DE. 16 Zum aktuellen Europäischen Semester 2018 vgl. http://www.consilium.europa.eu/de/policies/european-semester /2018/ sowie im Überblick Hufeld, in: Müller-Graff (Hrsg.), EnzEuR Band 4, 2015, § 22, Rn. 40 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 31/18 Seite 7 Reformprogrammen (NRP) im Zusammenhang mit der Europa-2020-Strategie im April jeden Jahres vorlegen und dabei den im März verabschiedeten Leitlinien des Europäischen Rates Rechnung tragen. In diesen wiederum werden u. a. die Dokumente des sog. November-Pakets der Kommission (insb. Jahreswachstumsbericht und Warnmechanismusbericht) sowie die im Februar vorzulegenden Länderberichte der Kommission einbezogen. Die wirtschaftspolitische Orientierung , die sich aus der Beurteilung dieser Programme auf EU-Ebene ergibt, mündet dann im Mai in die Vorlage und Indossierung der länderspezifischen Empfehlungen (LSE), die der Rat jährlich an jeden Mitgliedstaat richtet. Sie bilden neben strukturellen Reformvorschlägen auch eine Richtschnur für die Ausarbeitung der nationalen Haushaltspläne für das folgende Jahr. Eine weitere Verschärfung haben die Regeln durch das sog. Two-Pack erfahren. Danach müssen die Regierungen der Euro-Mitgliedstaaten ihre Haushaltsentwürfe für das folgende Jahr (Draft Budgetary Plans – DBPs) bis zum 15. Oktober der Kommission vorlegen, bevor die nationale Haushaltsgesetzgebung beendet wird. Die Kommission veröffentlicht daraufhin im November Stellungnahmen (opinions) zu den nationalen Haushaltsplänen und kann gegebenenfalls Korrekturen anregen. 2.4. Folgerungen für die Fragestellung Vor dem vorstehenden Hintergrund ergeben sich aus dem primärrechtlichen Rahmen insoweit Kriterien zur Abgrenzung zwischen „normaler Aufgabenerfüllung“ und einer Konjunktursteuerung , als die Handlungsbefugnisse der EU gemäß den vorstehend dargestellten Verfahren prozedural auf Koordinierungsmaßnahmen beschränkt sind. Materielle Vorgaben für die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik beschränken sich im Wesentlichen auf die allgemein gefassten Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union. Maßgeblich für eine Abgrenzung der unionalen Handlungsbefugnisse im Rahmen der Koordinierung der Wirtschaftspolitik gemäß Art. 120, 121 AEUV bleiben die primärrechtlichen Regelungen und ihre sekundärrechtlichen Konkretisierungen. Äußerungen von Politikerinnen und Politikern bzw. Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern auf der EU-Ebene mögen Anhaltspunkte geben für eine mögliche Rechtsauffassung der Institutionen, denen die betreffende Person angehört. Sie entfalten jedoch keine rechtliche Wirkung für die Kompetenzabgrenzung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten. 3. Handlungsmöglichkeiten des Bundestages Der Deutsche Bundestag kann seine Auffassung zu Handlungen der Unionsorgane auf Grundlage seiner verfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte in EU-Angelegenheiten gemäß Art. 23 GG zum Ausdruck bringen. Entsprechend seiner Verantwortung für die europäische Integration Deutschlands hat der Deutsche Bundestag das Recht auf informierte Mitwirkung in EU-Angelegenheiten (Art. 23 Abs. 2 GG). Er kann insbesondere durch Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 GG i.V.m. § 8 EUZBBG) an der gemeinsamen Willensbildung des Bundes bezüglich der deutschen Beteiligung in den EU-Rechtsetzungsverfahren mitwirken. – Fachbereich Europa –