© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 31/16 Fragen zu den Ratifikationserfordernissen und der vorläufigen Anwendung des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 31/16 Seite 2 Fragen zu den Ratifikationserfordernissen und der vorläufigen Anwendung des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 31/16 Abschluss der Arbeit: 14. März 2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 31/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Voraussetzungen für die vorläufige Anwendung und Inkraftsetzung 4 2.1. Voraussetzungen für den Abschluss und die Inkraftsetzung von gemischten Abkommen 4 2.1.1. Ratifikationslage 4 2.1.2. Ratifikationsverfahren 5 2.2. Voraussetzungen für die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen 5 3. Verhältnis der vorläufigen Anwendung zu den verfassungsrechtlichen Erfordernissen für eine Ratifikation multilateraler Verträge 6 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 31/16 Seite 4 1. Fragestellung Dieser Ausarbeitung liegt die Fragestellung zugrunde, dass nach Abstimmung im Ministerrat, Unterzeichnung und möglicherweise erst nach einer Ratifizierung durch das Europäische Parlament erwartet wird, dass das dann insoweit zwischen Kanada und der Europäischen Union (EU) vereinbarte Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) im Wege der vorläufigen Anwendung in Kraft tritt. Vor dem Hintergrund dieser Aussagen wird der Fachbereich um Antwort auf die Frage gebeten, welche Voraussetzungen für die vorläufige Anwendung bzw. Inkraftsetzung des Abkommens erfüllt sein müssen (hierzu 2.). Anschließend geht die Ausarbeitung auf die Frage ein, in welchem Verhältnis eine vorläufige Anerkennung oder eine vergleichbare vorläufige Inkraftsetzung zu den Voraussetzungen für die Ratifikation von multilateralen Verträgen steht (hierzu 3.). 2. Voraussetzungen für die vorläufige Anwendung und Inkraftsetzung Handelsverträge der Union, die als sogenannte gemischte Abkommen geschlossen werden, beruhen auf Zuständigkeiten der EU und der Mitgliedstaaten. Sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien. Dementsprechend erfordern der Abschluss und die vorläufige Anwendung eines solchen Übereinkommens eine entsprechende Beteiligung der EU und der Mitgliedstaaten . Im Hinblick auf die Unterzeichnung und ggf. die vorläufige Anwendung des CETA ist anzumerken , dass dessen Rechtsnatur weiterhin ungeklärt ist: Die Mitgliedstaaten haben sich sowohl im Ausschuss der Ständigen Vertreter als auch durch entsprechende Stellungnahmen der nationalen Parlamente für den Abschluss u.a. von CETA als gemischtes Abkommen ausgesprochen. Jedoch sind die Mitgliedstaaten im aktuellen Text des CETA-Vertragsentwurfs auch nach Abschluss der Rechtsförmlichkeitsprüfung („legal scrubbing“) noch in eckige Klammern gesetzt und stehen somit aus Sicht der Kommission nicht als Vertragsparteien fest.1 2.1. Voraussetzungen für den Abschluss und die Inkraftsetzung von gemischten Abkommen Der Abschluss von gemischten Abkommen und mithin ihre Inkraftsetzung erfordert sowohl eine Ratifikation auf EU-Ebene als auch ein nationales Ratifikationsverfahren in allen 28 Mitgliedstaaten .2 2.1.1. Ratifikationslage Der Begriff Ratifizierung bezeichnet einerseits den Abschluss des innerstaatlichen bzw. unionsinternen Genehmigungsverfahrens (innerstaatliche Ratifikation) für einen völkerrechtlichen Vertrag . Die innerstaatliche Ratifikation besteht in der Regel aus der Zustimmung des Gesetzgebers 1 Vgl. hierzu den CETA-Vertragstext mit Stand vom 29. Februar 2016, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib /docs/2016/february/tradoc_154329.pdf. 2 In Deutschland müssen der Deutsche Bundestag und, je nach Kompetenzbereich, der Bundesrat dem Vertrag beim Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 GG zustimmen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 31/16 Seite 5 (des Parlaments), ggf. ergänzt um bzw. ersetzt durch eine Volksabstimmung, sowie der Unterschrift des Staatsoberhaupts (eigentliche Ratifikation).3 Entsprechendes gilt gemäß den nachfolgenden Ausführungen für die unionsinterne Ratifikation. Andererseits bezeichnet der Begriff der Ratifikation im Völkerrecht die Notifizierung und Hinterlegung des unterzeichneten völkerrechtlichen Vertrags, der ihm zur Wirksamkeit verhilft (völkerrechtliche Ratifikation).4 2.1.2. Ratifikationsverfahren Für die Beteiligung der EU an gemischten Übereinkünften bestimmt Art. 218 AEUV ein einheitliches , mehrstufiges Verfahren für die Aushandlung und den Abschluss von Übereinkünften durch die EU, das sowohl die Modalitäten des Verfahrensablaufs als auch die Beteiligung der Unionsorgane auf den einzelnen Stufen regelt. Zentraler Akteur ist dabei der Rat, der gemäß Art. 218 Abs. 2 AEUV dazu befugt ist, die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen zu erteilen, Verhandlungsrichtlinien festzulegen, die Unterzeichnung zu genehmigen und die Übereinkünfte für die Union zu schließen. Schließlich kann der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers (d.h. regelmäßig der Kommission) und nach Anhörung oder mit Zustimmung des Europäischen Parlaments einen Beschluss über den Abschluss der Übereinkunft erlassen (Art. 218 Abs. 6 AEUV). Für diese Schritte stellt Art. 218 Abs. 8 AEUV die Regel auf, wonach der Rat während des gesamten Verfahrens mit qualifizierter Mehrheit beschließt, sofern nicht ausnahmsweise (Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 AEUV und Art. 207 Abs. 4 AEUV) Einstimmigkeit erforderlich ist. Abgesehen von den in Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 (Beitritt der EU zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)) und Abs. 11 AEUV (Antrag auf ein Gutachten des EuGH über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft mit den EU-Verträgen) genannten Fällen sieht das Verfahren zur Aushandlung und zum Abschluss von internationalen Übereinkünften durch die Union und zum Erlass entsprechender Maßnahmen gemäß Art. 218 AEUV zu keinem Zeitpunkt ein Tätigwerden der Mitgliedstaaten vor. Von dem Abschlussverfahren auf EU-Ebene ist das für die Inkraftsetzung eines gemischten Abkommens erforderliche Ratifikationsverfahren durch die Mitgliedstaaten zu unterscheiden. 2.2. Voraussetzungen für die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen Regelmäßig werden Abkommen bereits bei der Unterzeichnung für vorläufig anwendbar erklärt. Hierfür kann der Rat gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV auf Vorschlag des Verhandlungsführers (d.h. regelmäßig der Kommission) mit in der Regel qualifizierter Mehrheit (Art. 218 Abs. 8 UAbs. 1 iVm Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV) einen Beschluss erlassen, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und gegebenenfalls deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt 3 Vgl. BVerfG, Urteil 2 BvE 4/11 vom 19.6.2012, Rn. 91 ff. 4 Vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 59 GG, Rn. 173 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 31/16 Seite 6 werden.5 Bei gemischten Abkommen erfolgt eine solche Erklärung durch den Rat nur für die Aspekte des Abkommens, die in EU-Zuständigkeit liegen. Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten bewirkt der Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung, dass jedenfalls die Regelungen aus dem Bereich der Zuständigkeit der Union (insbesondere gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 AEUV oder Art. 3 Abs. 2 AEUV) schon vor Inkrafttreten des Abkommens als Teil des Unionsrechts dem Vorrang des Unionsrechts unterliegen. Eine Beteiligung der mitgliedstaatlichen Parlamente an dem Verfahren für die vorläufige Anwendung der Übereinkunft durch die EU ist in Art. 218 Abs. 5 AEUV nicht vorgesehen. Regelungen betreffend die mitgliedstaatliche Zuständigkeit werden hingegen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen. Eine vorläufige Anwendung der in die mitgliedstaatliche Zuständigkeit fallenden Teile des Abkommens erforderte in Deutschland beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 GG einer gesetzlichen Zustimmung. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass die in nationaler Zuständigkeit liegenden Vertragsteile von Deutschland üblicherweise nicht vorläufig angewendet werden und daher in aller Regel erst nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten Anwendung finden. 3. Verhältnis der vorläufigen Anwendung zu den verfassungsrechtlichen Erfordernissen für eine Ratifikation multilateraler Verträge Ein gemischtes Abkommen tritt zwar erst nach Abschluss der Ratifikationsverfahren in Kraft. Jedoch können sich die Vertragsparteien auf der Grundlage von entsprechenden Vorgaben im jeweiligen Vertrag6 schon vor dem Inkrafttreten durch entsprechende Beschlüsse und deren Notifizierung zur Ausführung bestimmter Vertragsbestimmungen verpflichten. Damit tritt während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung eine inhaltliche, aber noch keine endgültige völkerrechtliche Bindungswirkung im Hinblick auf die für vorläufig anwendbar erklärten Vorschriften ein. Eine vorläufige Anwendung des Abkommens kann dessen eigentliches Inkrafttreten insgesamt nicht ersetzten. Die vorläufige Anwendung des Abkommens endet, wenn die Beendigung von der anderen Partei notifiziert wird oder wenn der Vertrag nach erfolgreicher Ratifikation in Kraft tritt und somit die provisorische Bindung der Vertragsparteien in eine endgültige übergeleitet wird. Weiterhin wird die vorläufige Anwendung völkervertragsrechtlich dann beendet, wenn die Vertragsparteien die Beendigung der Bindungswirkung bzw. die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden (ausdrückliche Ratifikationsverweigerung), notifizieren. Die Vertragsparteien müssen bei einer vorläufigen Vertragsanwendung vor Ratifikation jederzeit mit der Möglichkeit der Verweigerung der Ratifikation rechnen. Die vorläufige Anwendung des Abkommens endet jedoch erst mit der entsprechenden Notifikation einer gescheiterten Ratifikation. Dementsprechend bliebe das CETA im Falle seiner vorläufigen Anwendung völkerrechtlich solange vorläufig anwendbar, bis es in Kraft tritt 5 Gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV obliegt die Entscheidung über die Unterzeichnung und ggf. die vorläufige Anwendung alleine dem Rat. Eine Zustimmung des Europäischen Parlaments ist erst für den Abschluss des Abkommens erforderlich. Jedoch hat sich in den vergangenen Jahren die Praxis herausgebildet, dass politisch bedeutsame Verträge erst nach einer entsprechenden Zustimmung des Europäischen Parlaments für vorläufig anwendbar erklärt werden. 6 Für das CETA sieht Kapitel 30 (Final Provisions), Art. 30.7 die Möglichkeit einer vorläufigen Anwendung vor. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 31/16 Seite 7 oder entweder Kanada oder die EU die vorläufige Anwendbarkeit einseitig durch entsprechende Notifikation beenden. - Fachbereich Europa -