© 2021 Deutscher Bundestag PE 6-3000 - 027/21 Fragen zum Unionsvergaberecht im Zusammenhang mit dem Deutschlandtakt Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6-3000 - 027/21 Seite 2 Fragen zum Unionsvergaberecht im Zusammenhang mit dem Deutschlandtakt Aktenzeichen: PE 6-3000 - 027/21 Abschluss der Arbeit: 29. April 2021 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6-3000 - 027/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Deutschlandtakt 4 3. Die DB AG 5 4. Maßgebliches Unionsrecht 5 5. Zusammenfassung 7 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6-3000 - 027/21 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich Europa ist im Zusammenhang mit dem künftigen Deutschlandtakt um die Beantwortung folgender Fragen gebeten worden: 1.) Wäre – ggf. unter welchen Bedingungen – auch eine Direktvergabe von Fernverkehrsdienstleistungen von Seiten des Bundes oder eines von ihm beauftragten Aufgabenträgers an die Deutsche Bahn AG als bundeseigenes Unternehmen möglich? 2.) Falls bisher eine eindeutige Pflicht zur Ausschreibung solcher Fernverkehrsdienstleistungen im Wettbewerb besteht: In welcher Weise (z.B. Änderung welcher Regelungen auf EU-Ebene und in deutschen Gesetzen, Umfirmierung der DB AG o.ä.) könnte eine Direktvergabe an ein bundeseigenes Unternehmen ermöglicht werden? 3.) In welcher Weise wäre eine Vergabe von vordefinierten grenzüberschreitenden Fernverkehrsverbindungen ("TEE 2.0", "Europatakt" als Erweiterung des Deutschlandtakts) möglich? 2. Der Deutschlandtakt Der sog. Deutschlandtakt sieht einen Zielfahrplan für ganz Deutschland vor. Sämtliche Zugverbindungen sollen dabei „wie ein Uhrwerk zusammenpassen“.1 Die größten deutschen Städte sollen dabei durch Personenverkehrszüge in einem 30-minütigen Takt verbunden werden. An die Taktung dieser Knotenpunkte sollen dann die Verbindungen im Regionalverkehr angepasst werden. Entgegen der bisherigen Anpassung der Fahrpläne an die bereits bestehende Infrastruktur, soll der Zielfahrplan nun als Planungsgrundlage für einen gezielten Infrastrukturausbau des deutschen Schienennetzes dienen.2 Bisher legt der Deutschlandtakt aber kein rechtlich verbindliches Bedienangebot fest. Für die Umsetzung im Betrieb sollen die Eisenbahnverkehrsunternehmen und regionale Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs verantwortlich sein.3 Das Konzept des TEE 2.0 (TransEuropExpress) sieht vor, dass der Deutschlandtakt mit grenzüberschreitenden Zugverbindungen verbunden wird.4 Der sog. Europatakt zielt auf die Abstimmung der nationalen Fahrpläne verschiedener europäischer Staaten.5 1 https://www.deutschlandtakt.de/konzept/. 2 https://www.deutschlandtakt.de/konzept/. 3 https://assets.ctfassets.net/scbs508bajse/1OYHAzIdfFjUuHycUOOM9I/e0382caa4f55a0f8b01a54ae891d47ce/Pra __sentation_Akteurskonferenz_vom_15.07.2020.pdf, S. 5. 4 https://www.deutschlandtakt.de/blog/europatakt-und-transeuropexpress/. 5 https://www.deutschlandtakt.de/blog/europatakt-und-transeuropexpress/. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6-3000 - 027/21 Seite 5 3. Die DB AG Die DB AG ist die Muttergesellschaft des DB-Konzerns. Sie ist seit ihrer Gründung 1994 eine Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und verfügt dementsprechend über eine duale Führungs- und Kontrollstruktur mit Vorstand und Aufsichtsrat.6 Alleiniger Eigentümer ist die Bundesrepublik Deutschland (Bund). Zwischen dem Bund und der DB AG besteht kein Beherrschungsvertrag, wohl aber zwischen der DB AG und ihrer 100%-igen Tochtergesellschaft DB Fernverkehr AG.7 Letztere erbringt Leistungen im Schienenpersonenfernverkehr. Derzeit sind drei Bundesministerien mit der DB AG befasst8: „Dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur obliegt die Grundsatzzuständigkeit für verkehrspolitische Fragen und für die Beteiligungsführung der DB AG. Das Bundesministerium der Finanzen ist einzubinden, wenn der Bundeshaushalt oder das Bundesvermögen durch Angelegenheiten der DB AG betroffen sind. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist zuständig für wirtschafts- und wettbewerbspolitische Aufgaben. Alle drei Ressorts nehmen ihre Interessen durch Vertreter in den Aufsichtsräten der DB AG sowie anderer Konzernunternehmen wahr […].“ 4. Maßgebliches Unionsrecht Auf gemeinwirtschaftliche öffentliche Schienenpersonenverkehrsdienste, die entweder staatlich bezuschusst und/oder monopolisiert werden, findet die VO Nr. 1370/20079 nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Anwendung.10 Nach der Legaldefinition in Art. 2 lit. e der VO Nr. 1370/2007 ist eine „gemeinwirtschaftliche Verpflichtung“ eine von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderung im Hinblick auf die Sicherstellung von im allgemeinen Interesse liegenden öffentlichen Personenverkehrsdiensten, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte. Der Zielfahrplan des Deutschlandtaktes sieht auch die (regelmäßige) Bedienung betriebswirtschaftlich nicht attraktiver, aber verkehrlich erforderlicher und politisch gewollter Fernverkehrsverbindungen vor. Ohne eine Gegenleistung dürfte dies von keinem Eisenbahnverkehrsunternehmen erbracht werden. 6 https://ir.deutschebahn.com/de/db-konzern/ueber-uns. 7 Siehe Handelsregisterauszüge der DB AG (AG Charlottenburg, HRB 50000 B) und der DB Fernverkehr AG (Amtsgericht Frankfurt am Main, HRB 83173) vom 25.01.2021. 8 BT-Drucksache 19/7050, S. 5. 9 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates. 10 Vgl. auch Rusche/Melcher, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand: 71. EL August 2020, Art. 93 AEUV Beihilfen, Rn. 77. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6-3000 - 027/21 Seite 6 Art. 5 Abs. 3 der VO Nr. 1370/2007 sieht als Grundsatz die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens vor. Die Möglichkeiten einer Direktvergabe sind in Art. 5 Abs. 2, 3 lit. a, 4, 4 lit. a, 4 lit. b, 5 und 6 der VO Nr. 1370/2007 geregelt. Diese stehen – bis auf die sog. Notvergabe nach Abs. 5 – unter dem Vorbehalt, dass sie „nicht nach nationalem Recht untersagt“ sind. Im deutschen Recht sieht § 131 GWB11 vor, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge grundsätzlich im Wettbewerb erfolgen soll. Die Verfahrensart der Direktvergabe ist nach § 131 Abs. 1 S. 2 GWB nur zulässig, soweit sie (ausnahmsweise) aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist. Solche Ausnahmeregelungen finden sich zwar nicht im GWB selbst, sind aber in § 14 Abs. 4 VgV12 verankert. Eine Direktvergabe ist in Deutschland daher nur in den von § 131 GWB i.V.m. § 14 Abs. 4 VgV genannten Fällen zulässig.13 Damit verbleibt die Möglichkeit der nicht unter dem Vorbehalt entgegenstehenden nationalen Rechts stehenden Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 5 der VO Nr. 1370/2007. Diese ist als sog. Notmaßnahme zulässig, wenn der Fall einer Unterbrechung des Verkehrsdienstes oder die unmittelbare Gefahr des Eintretens einer solchen Situation vorliegt. Ein solcher Fall dürfte vorliegend nicht gegeben sein. Darüber hinaus kommt eine sog. Inhouse-Vergabe nach Art. 5 Abs. 2 der VO Nr. 1370/2007, auf welchen § 131 Abs. 2 S. 1 GWB verweist, in Betracht. Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO Nr. 1370/2007 sieht die Möglichkeit vor, dass „jede zuständige örtliche Behörde [...] entscheiden [kann], [...] öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt an eine rechtlich getrennte Einheit zu vergeben, über die die zuständige örtliche Behörde – oder im Falle einer Gruppe von Behörden wenigstens eine zuständige örtliche Behörde – eine Kontrolle ausübt, die der Kontrolle über ihre eigenen Dienststellen entspricht.“ In Art. 5 Abs. 2 S. 2 der VO Nr. 1370/2007 heißt es: „Im Falle öffentlicher Schienenpersonenverkehrsdienste kann die […] genannte Gruppe von Behörden ausschließlich aus zuständigen örtlichen Behörden bestehen, deren geografischer Zuständigkeitsbereich sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt.“ (Unterstreichung hinzugefügt) Da sich der Zielfahrplan des Deutschlandtaktes inklusive seiner grenzüberschreitenden Abstimmung auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt, scheidet für diesen Fall die Möglichkeit einer Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 der VO Nr. 1370/2007 aus. Darüber hinaus bestünden Zweifel daran, ob die Kontrolle des Bundes über die DB Fernverkehr AG derjenigen über eigene Dienststellen entspricht. Bei der DB Fernverkehr AG handelt es sich um eine Aktiengesellschaft, welche eine 100%-ige Tochtergesellschaft der DB AG ist. Zwischen der DB AG und der DB Fernverkehr AG besteht ein Beherrschungsvertrag. Eine umfassende Kontrolle der DB Fernverkehr AG durch die DB AG ist daher möglich. Durch einen Beherrschungsvertrag wird die Leitung des beherrschten Unternehmens dem herrschenden 11 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). 12 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV). 13 Bungenberg/Schelhaas, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 131 GWB, Rn. 17. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6-3000 - 027/21 Seite 7 Unternehmen unterstellt, § 291 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AktG. § 308 Abs. 1 AktG lässt dabei die Erteilung auch nachteiliger Weisungen zu. Alleiniger Eigentümer der DB AG ist der Bund. Zwischen diesem und der DB AG besteht jedoch kein Beherrschungsvertrag. Als Eigentümer kann der Bund zwar personell über die Aufsichtsratsmitglieder entscheiden, welchen gemäß § 111 Abs. 1 AktG die Überwachung der Geschäftsführung obliegt.14 Ein Weisungsrecht gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern wird jedoch allgemein abgelehnt.15 Weisungen an den Vorstand sind ebenfalls ausgeschlossen, da dieser die Gesellschaft gemäß § 76 Abs. 1 AktG unter eigener Verantwortung zu leiten hat.16 Davon kann auch nicht abgewichen werden, wenn die öffentliche Hand – wie vorliegend – sämtliche Anteile hält und damit keine schutzbedürftigen Minderheitsgesellschafter existieren. Denn dies würde dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger nicht gerecht.17 Ob der EuGH die Möglichkeiten der informellen Einflussnahme, insbesondere über eine entsprechende Personalpolitik, als ausreichend für eine Kontrolle, ähnlich wie sie über eigene Dienststellen besteht, erachten würde, erscheint eher zweifelhaft.18 5. Zusammenfassung Eine Direktvergabe der Leistungen des Zielfahrplans des Deutschlandtaktes und seiner grenzüberschreitenden Abstimmung an die DB Fernverkehr AG dürfte unionsrechtlich (i.V.m. dem nationalen Recht) nicht zulässig sein. Da der Fachbereich Europa nach Ziff. 1.1.1 und 1.6 seines Leitfadens keine Gesetzesentwürfe fertigt und keine einzelfallbezogenen Rechtsauskünfte erteilt, kann auf die 2. Frage nicht näher eingegangen werden. - Fachbereich Europa - 14 Vgl. Pünder, Beschränkungen der In-house-Vergabe im öffentlichen Personenverkehr, NJW 2010, 263 (264). 15 Vgl. Pünder, Beschränkungen der In-house-Vergabe im öffentlichen Personenverkehr, NJW 2010, 263 (264) m.w.N. 16 Vgl. Pünder, Beschränkungen der In-house-Vergabe im öffentlichen Personenverkehr, NJW 2010, 263 (264). 17 Vgl. Pünder, Beschränkungen der In-house-Vergabe im öffentlichen Personenverkehr, NJW 2010, 263 (264). 18 Die Natur der Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft wurde vom EuGH als ein Aspekt bezeichnet, der dieser Kontrolle entgegen stehen kann, vgl. EuGH, Rs. C-458/03, Rn. 67.