PE 6-3000-27/18 (02.02.2018) © 2019 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die folgenden Ausführungen setzten sich mit der Frage auseinander, inwieweit sich aus den verfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechten des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union (EU) im Rahmen des Verfahrens bei delegierten Rechtsakten gemäß Art. 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Möglichkeit eines Parlamentsvorbehalt ergibt. I. Verfahren bei delegierten Rechtsakten, Art. 290 AEUV Der Begriff des delegierten Rechtsakts gemäß Art. 290 AEUV bezeichnet Rechtsakte, welche die Europäische Kommission im Rahmen der ihr in jedem Einzelfall vom Unionsgesetzgeber übertragenen Befugnisse erlassen kann, um nicht wesentliche Elemente eines bestehenden Basisrechtsakts zu ergänzen oder zu ändern und die eine allgemeine Wirkung entfalten (Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV, vgl. EuGH, Rs. C-286/14 (Parlament/Kommission), Rn. 30 ff.)). Delegierte Rechtsakte dienen dem Zweck, Detailfragen zum Inhalt einer konkreten Maßnahme aus dem jeweiligen Gesetzgebungsprozess auszugliedern, um so dem Unionsgesetzgeber eine Fokussierung auf wesentliche Sachfragen zu erleichtern. Art und Umfang sowie die Bedingungen dieser vom Unionsgesetzgeber auf die Kommission übertragenen Rechtsetzungsbefugnis sind im Basisrechtsakt ausdrücklich festzulegen (Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2, Abs. 2. S. 1 AEUV). Im Verfahren der Rechtsetzung delegierter Rechtsakte agiert die Kommission eigenständig unter Berücksichtigung der im Anhang der Interinstitutionellen Vereinbarung vom 13. April 2016 (ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13) konsentierten Aspekte. Dies betrifft u.a. Konsultationspflichten mit den von den einzelnen Mitgliedstaaten benannten Sachverständigen bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte sowie Unterrichtungspflichten gegenüber dem Rat und dem Europäischen Parlament. Die delegierte Rechtsetzung durch die Kommission unterliegt der nachträglichen Kontrolle durch den Rat und des Europäischen Parlaments möglich. Im Hinblick auf die Übertragung der Befugnisse besteht einerseits ein Widerrufsrecht des Europäischen Parlaments und des Rates (Art. 290 Abs. 2 lit. a) AEUV). Andererseits besitzen das Europäische Parlament und der Rat ein Einspruchsrecht im Hinblick auf die Ausübung der übertragenen Befugnisse (Art. 290 Abs. 2 lit. a) AEUV). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Parlamentsvorbehalt bei delegierten Rechtsakten, Art. 290 AEUV Kurzinformation Parlamentsvorbehalt bei delegierten Rechtsakten, Art. 290 AEUV Fachbereich PE 6 (Europa) Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Seite 2 II. Parlamentsvorbehalt Der in der Fragestellung angesprochene Begriff des Parlamentsvorbehalts ist ein Instrument der Einflusssicherung der Bundesregierung bei ihren Verhandlungen auf EU-Ebene, durch das die gemeinsame Willensbildung von Parlament und Regierung in EU-Angelegenheiten zum Ausdruck kommt. Der Parlamentsvorbehalt knüpft in der Regel an eine Stellungnahme des Bundestages in EU-Angelegenheiten an (Art. 23 Abs. 2 oder 3 GG i.V.m. § 8 EUZBBG), in der wesentliche Belange geltend gemacht werden, die von der Bundesregierung bei ihren Verhandlungen auf EU- Ebene zugrunde zu legen sind. Macht der Bundestag von der Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß Art. 23 Abs. 3 S. 1 GG in Bezug auf Rechtsetzungsakte der EU Gebrauch, legt die Bundesregierung in den Verhandlungen einen Parlamentsvorbehalt ein, wenn der Beschluss des Bundestages in einem seiner wesentlichen Belange nicht durchsetzbar ist (§ 8 Abs. 3 S. 1 GG). Dadurch stellt der deutsche Vertreter im jeweiligen EU-Gremium seine Zustimmung unter den Vorbehalt einer weiteren Abstimmung mit dem Bundestag (vgl. BT-Drs. 17/12816, S. 11). Vor diesem Hintergrund setzt die Möglichkeit eines Parlamentsvorbehalts einerseits eine Mitwirkung der Bundesregierung als Adressatin der Stellungnahmen des Bundestages voraus. Andererseits muss sich die Mitwirkung auf Rechtsetzungsakte der EU beziehen. Entsprechend dem Normzweck und der systematischen Stellung von Art. 290 AEUV lassen sich delegierte Rechtsakte als Rechtsakte ohne Gesetzescharakter unter den verfassungsrechtlich zu bestimmenden Begriff des Rechtsetzungsaktes gemäß Art. 23 Abs. 3 S. 1 GG subsumieren. Im Verfahren des Art. 290 AEUV ist Mitwirkung der Bundesregierung grundsätzlich auf die Mitwirkung am Einspruch - oder Widerrufsrecht des Rates beschränkt. Auch wenn sich die Mitwirkung der von den Mitgliedstaaten zu benennenden Sachverständigen der Sphäre der Bundesregierung zuordnen ließe, so erscheint es zweifelhaft, dass sich das durch § 8 EUZBBG konkretisierte Stellungnahmerecht des Bundestages auf deren Mitwirken bezieht. Ihre Tätigkeit umfasst Konsultationen und keine Verhandlungen im Sinne des Art. 8 Abs. 4 S. 1 EUZBBG, die einem Parlamentsvorbehalt zugänglich wären. Dies verdeutlicht auch die Abgrenzung der Verfahren bei delegierten Rechtsakten (Art. 290 AEUV) und Durchführungsrechtsakten (Art. 291 AEUV). Die unterschiedliche Zwecksetzung und Ausgestaltung beider Verfahren spricht dagegen, Expertenanhörungen beim Erlass delegierter Rechtsakte mit dem mitgliedstaatlich dominierten Komitologieverfahren bei der delegierten Rechtsetzung gleichzusetzten. III. Zusammenfassung Die Möglichkeit der der Bundesregierung, einen Parlamentsvorbehalt auf der Grundlage einer Stellungnahme des Bundestages einzulegen, besteht jedenfalls im Rahmen ihrer Mitwirkung am Einspruch- oder Widerrufsrecht des Rates gemäß Art. 290 Abs. 2 AEUV. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Unterrichtung zu delegierten Rechtsakten der Kommission im EUZBBG nicht explizit erwähnt wird, so dass in diesem Bereich bislang keine systematische Unterrichtung stattfindet (vgl. BT-Drs. 18/13150, S. 17 f., 61). – Fachbereich Europa –