© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 27/17 Unionsrechtliche Fragen einer Internalisierung der Lärmkosten des Flugverkehrs Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/17 Seite 2 Unionsrechtliche Fragen einer Internalisierung der Lärmkosten des Flugverkehrs Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 27/17 Abschluss der Arbeit: 16. Mai 2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Unionsrechtliche Regelungen über finanzielle Regelungen betreffend Fluglärm 4 3. Unionsrechtliche Regelungen betreffend die Einführung einer „Lärmabgabe“ 5 3.1. Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Einführung einer „Lärmabgabe“ 5 3.2. Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten 6 3.3. Beihilfeverbot 6 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/17 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung setzt sich mit unionsrechtlichen Fragen bei der Einführung eines Systems auseinander , bei dem vom Fluglärm Betroffene eine Entschädigungszahlung bekommen können. Hierzu wird vorgeschlagen, die externen Effekte des Luftverkehrs, insbesondere Fluglärm, über ein Preissystem zu internalisieren und mit den Einnahmen die vom Fluglärm betroffenen Menschen zu entschädigen.1 Vor diesem Hintergrund wird zunächst der Frage nachgegangen, welche unionsrechtlichen Vorgaben im Hinblick auf eine Entgeltregulierung betreffend Fluglärm bestehen (hierzu 1.). Anschließend wird darauf eingegangen, ob das Unionsrecht der Erhebung einer Sonderabgabe zur Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen im Sinne einer „Lärmabgabe“ entgegensteht, die von Fluggesellschaften erhoben werden könnte. 2. Unionsrechtliche Regelungen über finanzielle Regelungen betreffend Fluglärm Lärmbezogene Regelungen bestehen auf Unionsebene im Hinblick auf die Produktanforderungen ,2 auf Verfahrensregeln für den Betrieb von Flughäfen3 oder allgemein zur Bewertung und Bekämpfung von Umweltlärm.4 Von der Europäischen Kommission wurde auf die Option der Erhe- 1 Zur Ausgestaltung lärmabhängiger Entgelte vgl. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien /377/dokumente/hochfeld.pdf.; http://www.fraport.de/content/fraport/de/misc/binaer/business-und-partner /airlines---cargo/flug--und-terminalbetrieb/infografik--flughafenentgelte-am-flughafen-frankfurt/jcr:content .file/fraport_entgelte.pdf 2 Richtlinie 89/629/EWG des Rates vom 4.12.1989 zur Begrenzung der Schallemission von zivilen Unterschallstrahlflugzeugen , ABl. L 363 vom 13.12.1989, S. 27, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31989L0629&qid=1494862021606&from=DE; Richtlinie 2006/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Regelung des Betriebs von Flugzeugen des Teils II Kapitel 3 Band 1 des Anhangs 16 zum Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt, 2. Ausgabe (1988), ABl. L 374 vom 27.12.2006, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006L0093&qid=1494855607777&from=DE. 3 Richtlinie 2009/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2009 über Flughafenentgelte, ABl. L 70 vom 14.3.2009, S. 11, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009L0012&qid=1494937329732&from=DE; Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.2.2008 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit, zur Aufhebung der Richtlinie 91/670/EWG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 und der Richtlinie 2004/36/EG, ABl. L 079 vom 19.3.2008, S. 1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02008R0216-20160126&from=DE; Verordnung (EU) Nr. 598/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2002/30/EG, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 65, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0598&from=DE; zu der Diskussion um die Subsidiarität des Vorschlags für eine Verordnung in KOM(2011) 828 endg. vgl. BT-Drs. 17/8612 und BT-Drs. 17/8620. 4 Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.6.2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://publications.europa.eu/resource /cellar/26de285d-cf9f-437b-aaf2-2410a092a96b.0012.03/DOC_1; Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/17 Seite 5 bung einer Umweltgebühr u.a. in Form einer Abgabe in Verbindung mit den Lande- und Startgebühren des Flughafens hingewiesen, durch die Maßnahmen zum Ausgleich von Umweltschäden finanziert werden könnten, die indirekt oder direkt durch den Luftverkehr verursacht wurden.5 Die Kommission hat einen am 20. Dezember 2001 vorgelegten Richtlinienvorschlag über die Festlegung eines Gemeinschaftsrahmens für die Lärmentgelte ziviler Unterschallflugzeuge6 wieder zurückgenommen.7 Unionsrechtliche Regelungen, die sich explizit auf die Erhebung von Entgelte für Fluglärm beziehen , sind jedoch nicht ersichtlich. 3. Unionsrechtliche Regelungen betreffend die Einführung einer „Lärmabgabe“ Die Angaben, die dieser Ausarbeitung zugrunde liegen, erläutern weder die konkrete Ausgestaltung einer möglichen „Lärmabgabe“, noch deren Qualifikation nach deutschem Recht als Abgabe oder Steuer.8 Daher kann keine umfassende Bewertung der unionsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Regelung getroffen werden. Im Folgenden können daher nur allgemeine Prämissen des Unionsrechts aufgezeigt werden, die bei einer Ausgestaltung einer „Lärmabgabe“ Berücksichtigung finden müssten. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die „Lärmabgabe“ als Emissionsabgabe verstanden werden kann, die Zahlungen umfasst, die direkt von den tatsächlichen Lärmemissionen abhängen. 3.1. Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Einführung einer „Lärmabgabe“ Die Mitgliedstaaten können eine Regelung erlassen, sofern die diesbezügliche Zuständigkeit nicht als ausschließliche Zuständigkeit auf die EU übertragen worden ist oder, sofern es sich um eine geteilte Zuständigkeit handelt, die EU von dieser geteilten Zuständigkeit keinen Gebrauch und privaten Projekten, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011L0092&from=DE. 5 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der Regionen - Luftverkehr und Umwelt: Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung, KOM(1999) 640 endg., S. 15, 20 f., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:51999DC0640&qid=1494594298994&from=DE; vgl. auch das Grünbuch der Kommission vom 4.11.1996, Künftige Lärmschutzpolitik, KOM(1996) 540 endg., abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:51996DC0540&qid=1494857936139&from=DE; Grünbuch der Kommission vom 20.12.1995, Faire und effiziente Preise im Verkehr – politische Konzepte zur Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs in der Europäischen Union, KOM(1995) 691 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:51995DC0691&qid=1494857936139&from=DE. 6 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Festlegung eines Gemeinschaftsrahmens für die Lärmeinstufung ziviler Unterschallluftfahrzeuge zur Berechnung von Lärmentgelten, KOM(2001) 74 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52001PC0074&qid=1494859471028&from=DE. 7 Mitteilung der Kommission vom 1.10.2004, KOM(2004) 542 endg./2, S. 17, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52004DC0542&from=DE. 8 Zur Qualifikation der Luftverkehrsteuer vgl. BVerfGE 137, 350 (350 ff.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/17 Seite 6 gemacht hat. Vorliegend kommen insoweit insbesondere die geteilten Zuständigkeiten im Bereich des Steuerrechts (Art. 113, 115 AEUV) sowie im Bereich Umwelt (Art. 192 AEUV) in Betracht . Soweit ersichtlich hat die EU in beiden Bereichen keine Regelungen im Sinne einer „Lärmabgabe“ erlassen, die gemäß Art. 2 Abs. 2 AEUV einem Handeln der Mitgliedstaaten entgegenstünden . 3.2. Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten Die Ausgestaltung einer „Lärmabgabe“ muss mit den europäischen Grundfreiheiten vereinbar sein. Im Hinblick auf die Zielsetzung einer „Lärmabgabe“ kommt vorliegend insbesondere die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen in Betracht (Art. 56 Abs. 1 AEUV). Nach Art. 57 AEUV muss der Dienstleistende seine Dienstleistungen im Aufnahmemitgliedstaat unter den Voraussetzungen erbringen können, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt . Dabei dürfen die nationalen Regelungen einerseits keine direkten und indirekten Diskriminierungen bewirken.9 Anderseits dürfen die nationalen Regelungen nicht in ungerechtfertigter Weise gegen das Beschränkungsverbot verstoßen. Belastende steuerliche Folgen, die mit der Wahrnehmung einer Grundfreiheit einhergehen, indizieren für sich genommen keine Beeinträchtigung einer Grundfreiheit. Eine Beeinträchtigung kann jedoch bei solchen Maßnahmen angenommen werden, die geeignet sind, den Marktzugang zu beeinträchtigen bzw. die eine steuerliche Benachteiligung grenzüberschreitender Aktivitäten bewirken. Sofern die Einführung einer „Lärmabgabe“ eine solche beschränkende Wirkung beigemessen werden kann, kann eine solche Wirkung durch Erwägungen der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes gerechtfertigt sein. Hierzu können u.a. Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor zu hohen Lärmemissionen zählen. Schließlich muss eine nationale Regelung, die den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann, in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen; dieses darf zudem nicht durch Maßnahmen erreicht werden können, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beeinträchtigen. 3.3. Beihilfeverbot Die Einführung einer „Lärmabgabe“ muss mit dem europäischen Wettbewerbsrecht und insbesondere dem Beihilfenverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV vereinbar sein. Die Einführung einer „Lärmabgabe“ als staatliche und staatlich finanzierte Maßnahme darf – beispielsweise im Hinblick auf den Betrieb von Flughäfen und die Bedingungen für die Kalkulation von Flughafengebühren – Unternehmen keinen selektiven Vorteil in Gestalt einer steuerlichen bzw. abgabenrechtlichen Entlastung bewirken, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen und eine wettbewerbsverfälschende Wirkung haben.10 - Fachbereich Europa - 9 Vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 43. Ergänzungslieferung 2011, Art. 57, Rn. 86 ff. 10 Vgl. allgemein Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Auflage 2015, § 4 Rn. 115 ff.; für die beihilfenrechtliche Bewertung der Lärmschutzmaßnahmen und -abgaben an Flughäfen vgl. http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52014XC0404(01)&from=DE und http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52012XC0810(08)&from=EN.