© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 27/15 Fragen zur Liquiditätsversorgung von Kreditinstituten durch die EZB Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 2 Fragen zur Liquiditätsversorgung von Kreditinstituten durch die EZB Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 27/15 Abschluss der Arbeit: 23. März 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vorbemerkung 4 3. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen für die Liquiditätsversorgung von Geschäftsbanken im Euro- Währungsgebiet durch die EZB 4 3.1. Regulärer geldpolitischer Handlungsrahmen 4 3.2. Temporäre geldpolitische Sondermaßnahmen 5 3.3. Notfall-Liquiditätshilfe 6 4. Handlungen der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM 6 4.1. Aufgaben der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM 6 4.2. Vereinbarkeit der Aufgaben der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM mit dem Unionsrecht 7 5. Inbezugsetzung von geldpolitischen Maßnahmen und Anpassungsprogrammen 8 5.1. Verbindung von geldpolitischen Maßnahmen und Finanzhilfen 8 5.1.1. Hintergründe der Verbindung von geldpolitischen Maßnahmen und Finanzhilfen 8 5.1.2. Beispiel für Einwirkungen der EZB auf die Implementierung und Umsetzung wirtschaftspolitischer Anpassungsprogramme 10 5.2. Vereinbarkeit der Inbezugsetzung von geldpolitischen Maßnahmen und wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen mit dem Unionsrecht 11 5.2.1. Handlungen der EZB im Rahmen ihrer Zuständigkeiten 11 5.2.1.1. Abgrenzung von Währungs- und Wirtschaftspolitik 12 5.2.1.2. Zielsetzungserheblichkeit und weiter Beurteilungsspielraum 13 5.2.1.3. Unabhängigkeit der EZB 15 5.2.1.4. Verhältnismäßigkeit 16 5.2.1.5. Wirkungen der Beteiligung der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM 17 5.2.2. Folgerungen für die Inbezugsetzung von geldpolitischen Instrumenten und wirtschaftspolitischen Anpassungsprogrammen 18 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung geht auf die Frage ein, ob die Europäische Zentralbank (EZB) unionsrechtskonform handelt, wenn sie die Erfüllung von in einem makroökonomischen Anpassungsprogramm vereinbarte Vorgaben durch den Empfängermitgliedstaat einer Stabilitätshilfe durch die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Beziehung setzt zu der Geldversorgung der Banken dieses Landes. Für die folgenden Ausführungen wird der Begriff der „Geldversorgung der Banken“ als Ausdruck für Handlungen der EZB verstanden, mit denen sie den Geschäftsbanken im Euro-Währungsgebiet Liquidität zur Verfügung stellt. Die Darstellung der Rechtsschutzmöglichkeiten eines Mitgliedstaates gegen eine seiner Auffassung nach unrechtmäßige Verschließung der Liquiditätsversorgung seiner Geschäftsbanken durch die EZB erfolgt in einer gesonderten Ausarbeitung des Fachbereichs Europa. 2. Vorbemerkung Die aufgeworfene Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit einer Inbezugsetzung von geldpolitischen Maßnahmen der EZB mit wirtschaftspolitischen Anpassungsprogrammen wurde bislang weder durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) geklärt noch im Schrifttum breiter erörtert. Im Hinblick auf die Beteiligung der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM behandelten bisherige Diskussionen zumeist die aus der Abgrenzung von Währungs- und Wirtschaftspolitik resultierenden Handlungsgrenzen der EZB; entsprechende Überlegungen ergeben sich für die vorliegende Ausarbeitung insbesondere aus den Schlussanträgen des Generalanwalts zu der Rechtssache C-62/14 (Gauweiler u.a.).1 Darüber hinaus bestehen auch in tatsächlicher Hinsicht Schwierigkeiten, die in der Fragestellung angesprochene Inbezugsetzung als Rechtshandlung zu qualifizieren.2 Eine generelle Bewertung ist insoweit nicht möglich, sondern es bedarf einer Analyse des konkreten Einzelfalls.3 3. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen für die Liquiditätsversorgung von Geschäftsbanken im Euro-Währungsgebiet durch die EZB 3.1. Regulärer geldpolitischer Handlungsrahmen Der geldpolitische Handlungsrahmen des Eurosystems umfasst die allgemeinen Regelungen für die geldpolitischen Instrumente und Verfahren des Eurosystems, mittels derer die vom EZB-Rat getroffenen Entscheidungen zur Implementierung der Geldpolitik im Euroraum dezentral umgesetzt werden.4 Hierbei steht der EZB im Rahmen ihres geldpolitischen Handlungsrahmens eine 1 Siehe hierzu unten 4. und 5.2.1.5. 2 Siehe hierzu unten 5.2. 3 Für ein Fallbeispiel siehe unten 5.1.2. 4 Vgl. zum folgenden Kapitel 1 der Leitlinie EZB/2011/14 vom 20. September 2011 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2011:331:FULL&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 5 nicht abschließend festgelegter Katalog von geldpolitischen Instrumenten zur Verfügung: Das Eurosystem führt Offenmarktgeschäfte durch, bietet ständige Fazilitäten an und verlangt von Kreditinstituten , Mindestreserven auf Konten im Eurosystem zu halten. Der geldpolitische Handlungsrahmen des Eurosystems ist so festgelegt, dass die Teilnahme eines großen Kreises von Geschäftspartnern gewährleistet ist. Mindestreservepflichtige Institute können die ständigen Fazilitäten des Eurosystems in Anspruch nehmen und an den Offenmarktgeschäften des Eurosystems über Standardtender teilnehmen. Artikel 18.1 der ESZB-Satzung verlangt, dass für alle liquiditätszuführenden geldpolitischen Geschäfte und Innertageskredite des Eurosystems ausreichende Sicherheiten zu stellen sind. Das Eurosystem akzeptiert ein breites Spektrum von Sicherheiten für seine Operationen.5 Es hat ein einheitliches Verzeichnis notenbankfähiger Sicherheiten geschaffen, die für sämtliche Kreditgeschäfte des Eurosystems verwendet werden können. Von den Geschäftspartnern des Eurosystems bereitgestellte Sicherheiten müssen bestimmte Voraussetzungen bzw. Zulassungskriterien erfüllen , damit sie notenbankfähig sind. Notenbankfähige Sicherheiten, die der Besicherung geldpolitischer Operationen dienen, können auch zur Besicherung von Innertageskrediten eingesetzt werden . 3.2. Temporäre geldpolitische Sondermaßnahmen Seit Beginn der Finanzmarktkrise hat der EZB-Rat die Nutzung des geldpolitischen Handlungsrahmens zur Implementierung der Geldpolitik verändert und geldpolitische Sondermaßnahmen eingeführt, die parallel zu den regulären geldpolitischen Handlungsrahmen bestehen und mittelfristig zur Preisstabilität beitragen sollen.6 Im Rahmen der vom EZB-Rat beschlossenen geldpolitischen Sondermaßnahmen werden alle geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte als Mengentender mit Vollzuteilung durchgeführt, es wurden zusätzliche längerfristige Refinanzierungsgeschäfte mit Laufzeit bis zu drei Jahren (unter Koppelung der Verzinsung an die Zinssätze der Hauptrefinanzierungsgeschäften während der Laufzeit der Geschäfte) angeboten, die Mindestreserveanforderungen gesenkt und der Sicherheitenrahmen ausgeweitet.7 Feinsteuerungsoperationen richten sich zudem derzeit nicht an einen eingeschränkten Bieterkreis, sondern an alle geldpolitischen Geschäftspartner. Zusätzlich hat der EZB-Rat beschlossen, in Ergänzung des bestehenden geldpolitischen Handlungsrahmens temporär geldpolitische Outright-Käufe (Securities Markets Programme [SMP]/ Outright Monetary Transactions [OMT]) sowie gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (GLRGs bzw. Targeted longer-term refinancing operations [TLTROs]) durchzuführen und Fremdwährungsliquidität anzubieten. 5 Zu den Voraussetzungen und weiteren Anforderungen an notenbankfähige Sicherheiten vgl. EZB, Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet: Allgemeine Regelungen für die geldpolitischen Instrumente und Verfahren des Eurosystems, Kapitel 6, 6 Vgl. EZB, Monatsbericht Januar 2010, S. 71 ff. sowie EZB, Monatsbericht Juli 2013, S. 77 ff. 7 Vgl. EZB, Monatsbericht Januar 2010, S. 72 f.; EZB, Jahresbericht 2013, S. 91 ff.; Deutsche Bundesbank, Konsequenzen für die Geldpolitik aus der Finanzkrise, Monatsbericht März 2011. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 6 3.3. Notfall-Liquiditätshilfe Solvente Kreditinstitute des Euro-Währungsgebiets können Zentralbankkredite nicht nur über geldpolitische Operationen, sondern in Ausnahmefällen auch über die Notfall-Liquiditätshilfe (Emergency Liquidity Assistance, ELA) als Unterstützung erhalten.8 Wenn nationale Kreditinstitute von der Refinanzierung durch die EZB ausgeschlossen sind, weil sie insbesondere die Besicherungsanforderungen mangels notenbankfähiger Sicherheiten nicht erfüllen können, sind Notfall -Liquiditätshilfen der nationalen Zentralbanken die letzte Option zur Liquiditätsversorgung. Grundsätzlich obliegt die Gewährung von Notfall-Liquiditätshilfen zwar den nationalen Zentralbanken . Der EZB-Rat kann jedoch nach Art. 14.4 der ESZB-Satzung mit Zweidrittelmehrheit die Beschränkung von ELA-Operationen beschließen, wenn diese nach seiner Auffassung nicht mit den Zielen und Aufgaben des Eurosystems vereinbar sind.9 Da es sich um Notkredite handelt, gibt sich die nationale Zentralbank mit Sicherheiten zufrieden, die die EZB bei ihren regulären Geldleihgeschäften mit den Banken wegen der geringen Qualität nicht akzeptieren würde. Dafür müssen die Banken für ELA-Kredite einen höheren Zins zahlen. Beläuft sich der ELA-Kredit für eine Bank oder eine Bankengruppe auf weniger als 500 Millionen Euro, informiert die nationale Zentralbank die EZB lediglich im Nachhinein über den Kredit. Übersteigt der Kredit die Schwelle von 500 Millionen Euro, muss die nationale Zentralbank die EZB im Vorfeld informieren. Überschreitet der Kredit die Marke von zwei Milliarden Euro, prüft die EZB, ob das Leihgeschäft mit den Aufgaben des Eurosystems vereinbar ist. Auf Antrag der nationalen Zentralbank kann die EZB in diesem Fall eine Obergrenze für ELA festlegen. Im Gegenzug verzichtet sie darauf, den einzelnen ELA-Krediten zu widersprechen, solange diese sich im vereinbarten Rahmen bewegen. Die nationalen Zentralbanken erhalten auf diese Weise die Erlaubnis , Notkredite ohne Einzelfallprüfung durch die EZB zu vergeben. Kosten und Risiken einer Notfall-Liquiditätshilfe sind von der betreffenden nationalen Zentralbank zu tragen. 4. Handlungen der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM 4.1. Aufgaben der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM Im Rahmen der EFSF wurde die EZB u.a. mit der Aufgabe betraut, mit der Kommission und nach Möglichkeit gemeinsam mit dem IWF die Bedingungen eines makroökonomischen Anpassungsprogramms mit dem jeweiligen Empfänger von Stabilitätshilfen auszuhandeln, der Eurogroup Working Group nach der Genehmigung des jeweiligen Anpassungsprogramms einen Vorschlag bezüglich der wesentlichen Bedingungen der Vereinbarung über eine Darlehensfazilität zu unterbreiten und vor der Auszahlung einer Darlehenstranche einen Bericht über die Einhaltung der im 8 Zu den Verfahren, die der Rolle des EZB-Rats gemäß Art. 14.4 ESZB-Satzung hinsichtlich der Gewährung von ELA an einzelne Kreditinstitute zugrunde liegen vgl. http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads /Veroeffentlichungen/EZB_Publikationen/2014/verfahrensablauf_fuer_notliquiditaetshilfen .pdf?__blob=publicationFile. 9 Siehe oben 2.2.3. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 7 Anpassungsprogramm aufgestellten Bedingungen durch den betreffenden Darlehensnehmer vorzulegen .10 Durch den ESM-Vertrag (ESMV)11 werden der EZB die Aufgaben übertragen, die Dringlichkeit der Stabilitätshilfeersuchen zu bewerten,12 an den Sitzungen des Gouverneursrats und des Direktoriums als Beobachter teilzunehmen13 sowie im Benehmen mit der Kommission die Stabilitätshilfeersuchen zu bewerten,14 das Anpassungsprogramm auszuhandeln15 und die Einhaltung der mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen zu überwachen.16 Diese Einbeziehung der EZB beruht auf einem Beschluss der Vertreter der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten vom 20. Juni 2011, in dem sie die ESMV-Vertragsparteien ermächtigten, die Kommission und die EZB dazu aufzufordern, die in dem ESMV vorgesehenen Aufgaben zu erfüllen.17 Ergänzend ist anzumerken, dass eine entsprechende Beteiligung der EZB bereits im Rahmen der bilateralen Hilfen für Griechenland im Jahr 2010 und des EFSM18 erfolgt ist sowie im Hinblick auf die Bewertung und Überwachung der mitgliedstaatlichen Haushalts- und Fiskalpolitik auch sekundärrechtlich in der Verordnung (EG) Nr. 472/201319 vorgesehen ist. 4.2. Vereinbarkeit der Aufgaben der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM mit dem Unionsrecht In der Rechtsache C-370/12 (Pringle) hat der EuGH festgestellt, dass die Betrauung der EZB mit spezifischen Aufgaben durch den ESMV grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist, sofern 10 Art. 2 Abs. 1 a, Art. 3 Abs. 1 EFSF-Rahmenvertrag, abrufbar unter http://www.efsf.europa.eu/attachments /20111019_efsf_framework_agreement_en.pdf. 11 Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, BGBl. II 2012, S. 981. 12 Art. 4 Abs. 4 ESMV. 13 Art. 5 Abs. 3, Art. 6 Abs. 2 ESMV. 14 Art. 13 Abs. 1 ESMV. 15 Art. 13 Abs. 3 ESMV. 16 Art. 13 Abs. 7 ESMV. 17 Rats-Dok. 11758/11, vgl. hierzu Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember 2010, EUCO 20/10, Anlage I, Art. 1, S. 6 sowie den 10. Erwägungsgrund ESMV 18 Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus , ABl. L 118 vom 12.5.2010, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010R0407&qid=1425034538061&from=DE. 19 Vgl. insbesondere Art. 6 und 7 Abs. 2, 5 Verordnung (EG) Nr. 472/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über den Ausbau der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung von Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet, die von gravierenden Schwierigkeiten in Bezug auf ihre finanzielle Stabilität betroffen oder bedroht sind, ABl. L 140 vom 27.5.2013, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R0472&qid=1425034883883&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 8 diese Inanspruchnahme nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt und die Aufgaben die den Organen primärrechtlich übertragenen Befugnisse nicht verfälschen.20 Diese Prämissen sind dadurch erfüllt, dass die Tätigkeiten des ESM zur Wirtschaftspolitik gehören und somit nicht den Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Union fallen.21 Zudem umfassen die der EZB übertragenen Aufgaben keine Entscheidungsbefugnisse; Handlungen der EZB im Rahmen des ESM verpflichten nur den ESM und gegebenenfalls die ESM-Vertragsstaaten. Schließlich verfälschen die durch den ESMV übertragenen Aufgaben auch nicht die Befugnisse der EZB. Diesbezüglich hat der EuGH festgestellt: „Die der EZB durch den ESM-Vertrag übertragenen Funktionen entsprechen den verschiedenen Aufgaben, mit denen sie im AEU-Vertrag und in der Satzung des ESZB betraut wird. Durch ihre Funktionen im Rahmen des ESM-Vertrags unterstützt die EZB nämlich im Einklang mit Art. 282 Abs. 2 AEUV die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union. Überdies geht aus Art. 6.2 der Satzung des ESZB hervor, dass die EZB befugt ist, sich an internationalen Währungseinrichtungen zu beteiligen. Art. 23 der Satzung bestätigt, dass die EZB befugt ist, „mit … internationalen Organisationen Beziehungen aufzunehmen“.“22 5. Inbezugsetzung von geldpolitischen Maßnahmen und Anpassungsprogrammen Sowohl die geldpolitischen Sondermaßnahmen der EZB als auch die Einbeziehung der EZB in die dem Bereich der Wirtschaftspolitik zuzuordnenden Handlungen der EFSF bzw. des ESM sind grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar. Jedoch stellt sich die Frage, ob sich daraus eine Neubewertung der Unionsrechtskonformität des EZB-Handelns ergibt, dass die EZB ihre geldpolitischen Maßnahmen in Beziehung setzt zu den makroökonomischen Anpassungsprogrammen von EFSF und ESM. Mit Blick auf die Fragestellung der vorliegenden Ausarbeitung könnte sich aus der Inbezugsetzung der Schluss ziehen lassen, dass hierdurch die prima facie geldpolitische Maßnahme ihren geldpolitischen Charakter verlieren und auch nicht lediglich als Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der Union zur Unterstützung des Ziels der Gewährleistung von Preisstabilität im Sinne der Art. 127 Abs. 1 S. 2 und 282 Abs. 2 S. 3 AEUV zu qualifizieren sein könnte. 5.1. Verbindung von geldpolitischen Maßnahmen und Finanzhilfen 5.1.1. Hintergründe der Verbindung von geldpolitischen Maßnahmen und Finanzhilfen Von den oben dargestellten geldpolitischen Maßnahmen sind für die vorliegende Untersuchung weniger die Programme für Anleihekäufe als vielmehr die Maßnahmen zur unmittelbaren Liquiditätsversorgung von Kreditinstituten relevant, die auf die Unterstützung der Kreditvergabe von 20 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 158. Mit Blick auf die Funktionsgleichheit von EFSF und ESM lassen sich die Feststellungen des EuGH zum ESM entsprechend auf die Einbeziehung der EZB in die Tätigkeiten der EFSF übertragen. 21 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 158. 22 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 165. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 9 Geschäftsbanken an den Privatsektor und mithin die Stärkung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus abzielen.23 Hierzu zählen insbesondere die Offenmarktgeschäfte der EZB (Hauptrefinanzierungsgeschäfte, längerfristige Refinanzierungsgeschäfte und Feinsteuerungsoperationen ) und die ständigen Fazilitäten der EZB (Spitzenrefinanzierungsfazilitäten und Einlagefazilitäten ) gemäß Art. 18 ESZB-Satzung sowie die Bestimmungen über Mindestreservepflichten gemäß Art. 19 ESZB-Satzung. Mittelbaren Einfluss auf die Liquiditätsversorgung von Geschäftsbanken haben darüber hinaus auch die Festlegungen der EZB von Zulassungskriterien für EZB- Geschäftspartner und zu den notenbankfähigen Sicherheiten. Darüber hinaus dienen Notfall-Liquiditätshilfen der Bereitstellung von Zentralbankgeld oder sonstigen Hilfen durch eine nationale Zentralbank des Eurosystems an ein solventes Finanzinstitut oder eine Gruppe solventer Finanzinstitute mit vorübergehenden Liquiditätsproblemen. Gemäß Abschnitt 1.6 der geldpolitischen Leitlinien24 kann der EZB-Rat die Instrumente, Konditionen, Zulassungskriterien und Verfahren für die Durchführung von geldpolitischen Geschäften des Eurosystems jederzeit ändern. Gemäß Abschnitt 6.3.1 der Leitlinien kann das Eurosystem darüber entscheiden, ob eine Emission , ein Emittent, Schuldner oder Garant die hohen Bonitätsanforderungen auf Basis der vom Eurosystem als relevant erachteten Kriterien und Informationen erfüllt. Die Einflussmöglichkeiten der EZB auf einen Euro-Mitgliedstaat im Hinblick auf die Liquiditätsversorgung seiner Geschäftsbanken beruhen nicht notwendig auf einer unmittelbaren Intervention der EZB zur Umsetzung einer bestimmten Wirtschaftspolitik in einem Mitgliedstaat. Eine solche kann sich auch aus der Anreizwirkung von geldpolitischen Maßnahmen für die Verfolgung einer bestimmten Wirtschaftspolitik ergeben. Ansatzpunkte für eine solche Anreizwirkung durch das Inbeziehungsetzen von geldpolitischen Maßnahmen mit wirtschaftspolitischen Anpassungsprogrammen resultieren insbesondere daraus, dass die (Euro-)Mitgliedstaaten auf liquide Banken angewiesen sind und die EZB die erforderliche Liquidität bereitstellen kann. Hierbei sind solvente Kreditinstitute mit Liquiditätsproblemen einerseits von der Liquiditätsversorgung durch die EZB abhängig. Andererseits sind die (Euro-)Mitgliedstaaten – insbesondere im Hinblick auf den Erwerb von Staatsanleihen,25 die Stabilität des Finanzsystems und die Kreditvergabe an die Realwirtschaft – von liquiden Banken abhängig und sie haben zudem ein Interesse daran, Maßnahmen zur Bankenrekapitalisierung zu vermeiden. Aufgrund dieser engen Verbindung zwischen Kreditinstituten und (Euro-)Mitgliedstaaten kann die EZB auf die Euro-Mitgliedstaaten einwirken, indem sie die Liquiditätsversorgung von Kreditinstituten von bestimmten Handlungen des Mitgliedstaates abhängig macht und dementsprechende Anreize setzt. 23 Vgl. hierzu Deutsche Bundesbank, Geldpolitik und Bankgeschäft, Monatsbericht Februar 2015, S. 25 ff., abrufbar unter http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichtsaufsaetze /2015/2015_02_geldpolitik_und_bankgeschaeft.pdf?__blob=publicationFile. 24 Leitlinie EZB/2011/14 vom 20. September 2011 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems , abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2011:331:FULL&from=DE. 25 Vgl. hierzu Habib/Stracca Getting beyond Carry-Trade. What makes a safe Haven Currency?, in: EZB Working Paper Series, No. 1288, Januar 2011, abrufbar unter http://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/scpwps/ecbwp1288.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 10 5.1.2. Beispiel für Einwirkungen der EZB auf die Implementierung und Umsetzung wirtschaftspolitischer Anpassungsprogramme Das Inbezugsetzen von geldpolitischen Maßnahmen mit wirtschaftspolitischen Anpassungsprogrammen lässt sich beispielhaft anhand des Verfahrens der Gewährung von Notfall-Liquiditätshilfen am Beispiel von Zypern illustrieren:26 In Zyperns waren die zyprischen Kreditinstitute zur Sicherung ihrer Solvenz seit 2012 abhängig von Notfall-Liquiditätshilfen der zyprischen Nationalbank , nachdem zyprische Staatsanleihen abgewertet worden sind und nicht mehr als Sicherheit von der EZB akzeptiert worden sind.27 Am 21. März 2013 hat die EZB angekündigt, die Höhe der von der Central Bank of Cyprus beantragten Notfall-Liquiditätshilfe bis zum 25. März 2013 beizubehalten.28 Danach könne die Notfall-Liquiditätshilfe nur noch in Betracht gezogen werden, wenn ein EU-IWF-Programm vorhanden ist. Nach der Einigung der Eurogruppe auf ein makroökonomisches Anpassungsprogramm für Zypern hat die EZB am 25. März 2013 beschlossen, dem Antrag der Central Bank of Cyprus auf Gewährung von Notfall-Liquiditätshilfe in Übereinstimmung mit den geltenden Bestimmungen nicht zu widersprechen und die Situation weiterhin genau zu beobachten.29 Hieran anschließend hat die EZB am 2. Mai 2013 im Hinblick auf die Notenbankfähigkeit der von der Republik Zypern begebenen oder in vollem Umfang garantierten marktfähigen Schuldtitel beschlossen, die Mindestanforderungen des Eurosystems für Bonitätsschwellenwerte für von der Republik Zypern begebene oder in vollem Umfang garantierte marktfähige Schuldtitel vorübergehend auszusetzen und dadurch ab dem 9. Mai 2013 wieder als no- 26 Weitere Beispiele lassen sich aus den Bedingungen der Liquiditätsversorgung von Banken in Irland (vgl. hierzu http://www.independent.ie/irish-news/michael-noonan-ecb-threat-letter-will-be-released-26890994.html) und Portugal (vgl. hierzu http://uk.reuters.com/article/2011/04/07/us-portugal-debt-idUKTRE7351EQ20110407), dem spanischen Bankenrekapitalisierungsprogramm (vgl. hierzu http://www.forbes.com/sites /karlwhelan/2012/07/22/the-secret-tool-draghi-uses-to-run-europe/#) oder dem Ankauf von italienischen Staatsanleihen (vgl. hierzu http://www.corriere.it/economia/11_settembre_29/trichet_draghi_inglese_304a5f1eea 59-11e0-ae06-4da866778017.shtml) ableiten, vgl. auch Ruffert, The European debt crisis and European Union law, CMLRev. 2011, S. 1777 (1788). 27 Anhang I (Kriterien zur Bestimmung der Notenbankfähigkeit von Sicherheiten für geldpolitische Operationen des Eurosystems) der Leitlinie EZB/2011/14 vom 20. September 2011 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2011:331:FULL&from=DE. Vgl. hierzu Deutscher Bundestag, Referat PE2, EU-Sachstand „Das Programmland Zypern“ vom 3. Dezember 2013, abrufbar unter http://www.bundestag.btg/Wissen /Europa/Sachstandsberichte/2013/PA08/EU-Sachstand_Zypern.pdf. EU-Sachstand „Die wirtschaftliche Entwicklung Zyperns vor dem Hintergrund des geplanten makroökonomischen Anpassungsprogramms“ vom 15. April 2013, abrufbar unter http://www.bundestag.btg/Wissen/Europa/Sachstandsberichte/2013/PA08/Sachstandsbericht _Zypern.pdf. 28 EZB, Pressemitteilung vom 21. März 2013, abrufbar unter http://www.ecb.europa .eu/press/pr/date/2013/html/pr130321.en.html; für den Sekundärmarktkauf von Staatsanleihen durch die EZB unter der Bedingung des Bestehens eines wirtschaftspolitischen Anpassungsprogramms vgl. EZB, Pressemitteilung vom 6. September 2012, Technical features of Outright Monetary Transactions, abrufbar unter http://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2012/html/pr120906_1.en.html. 29 EZB, Pressemitteilung vom 25. März 2013, abrufbar unter http://www.ecb.europa .eu/press/pr/date/2013/html/pr130325.en.html. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 11 tenbankfähige Sicherheiten für die Kreditgeschäfte des Eurosystems einzustufen, wenngleich unter speziellen Bewertungsabschlägen und bei Aussetzung der Anwendung des Bonitätsschwellenwertes .30 5.2. Vereinbarkeit der Inbezugsetzung von geldpolitischen Maßnahmen und wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen mit dem Unionsrecht 5.2.1. Handlungen der EZB im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Gemäß dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung dürfen die Union und ihre Organe nur auf Grundlage und im Rahmen der ihnen übertragenen Zuständigkeiten handeln (Art. 5 Abs. 2, 13 Abs. 1 EUV). Danach obliegt der EZB gemäß Art. 127 Abs. 1 AEUV zunächst die Wahrnehmung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet. Auf Grundlage ihrer Zuständigkeit für die Geldpolitik verfolgt die EZB im Euro-Währungsgebiet gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken im institutionellen Rahmen des ESZB die primäre Aufgabe, Preisstabilität zu gewährleisten, während die Mitgliedstaaten für die Wirtschafts- und Fiskalpolitik zuständig sind. Durch den Verweis auf die Grundsätze des Art. 119 AEUV in Art. 127 Abs. 1 AEUV muss das Hinwirken auf Preisstabilität trotz seiner herausragenden Gewichtung mit weiteren Zielen der EU wie etwa der Sicherstellung eines hohen Beschäftigungsniveaus in Einklang gebracht werden, so dass dem Auftrag und der Zielsetzung der Gewährleistung von Preisstabilität ein gewisser Einschätzungsund Beurteilungsspielraum immanent ist. Die Handlungsbefugnisse der EZB sind nicht strikt auf die Geldpolitik beschränkt. Neben ihrer Zuständigkeit für die Geldpolitik zur Verfolgung des Primärziels der Gewährleistung von Preisstabilität kann die EZB gemäß Art. 127 Abs. 1 S. 2 und 282 Abs. 2 S. 3 AEUV auch zur Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der Union – d.h. die Wirtschaftspolitik der EU sowie die nationalen Wirtschaftspolitiken – tätig werden, um zur Verwirklichung der in Art. 3 EUV festgelegten Ziele der EU einschließlich der wirtschaftspolitischen Ziele des Art. 3 Abs. 3 EUV beizutragen, sofern hierdurch nicht die Gewährleistung von Preisstabilität als das Primärziel der EZB beeinträchtigt wird.31 Mit Blick auf das Gebot der Einheitlichkeit der Geld- und Wechselkurspolitik ermöglicht dieses Mandat keine gezielte Unterstützung einzelner nationaler wirtschaftspolitischer Maßnahmen, sondern die Unterstützung von wirtschaftspolitischen Entscheidungen 30 Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 2. Mai 2013 über temporäre Maßnahmen hinsichtlich der Notenbankfähigkeit der von der Republik Zypern begebenen oder in vollem Umfang garantierten marktfähigen Schuldtitel, EZB/2013/13, ABl. L 133/26, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013D0013(01)&qid=1426844483308&from=DE sowie hierzu Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 5. Juli 2013 über temporäre Maßnahmen hinsichtlich der Notenbankfähigkeit der von der Republik Zypern begebenen oder in vollem Umfang garantierten marktfähigen Schuldtitel, EZB/2013/22, ABl. L 195/27, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013D0022(01)&qid=1426855362471&from=DE und Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 28. Juni 2013 zur Aufhebung des Beschlusses EZB/2013/13 über temporäre Maßnahmen hinsichtlich der Notenbankfähigkeit der von der Republik Zypern begebenen oder in vollem Umfang garantierten marktfähigen Schuldtitel, EZB/2013/21, ABl. L 192/75, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013D0021(01)&qid=1426844483308&from=DE. 31 Für eine Unterstützungspflicht der EZB gemäß Art. 119 Abs. 2, 127 Abs. 1 S. 2, 282 Abs. 2 S. 3 AEUV, Art. 2 S. 2 ESZB-Satzung im Hinblick auf die allgemeine Wirtschaftspolitik vgl. Selmayr, in: Müller-Graff, EnzEuR Band 4, 2015, § 23, Rn. 109 f. sowie Thiele, Das Mandat der EZB, 2013, S. 35 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 12 in den Mitgliedstaaten, die sich auf die Ausrichtung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der EU insgesamt oder die Preisstabilität auswirken können.32 Dieser primärrechtlich festgelegte Rahmen ist grundsätzlich auf eine Interaktion zwischen der EZB und den weiteren Organen der EU und ihren Mitgliedstaaten angelegt. Über ihre Partizipationsrechte hinaus33 kann die EZB insbesondere Stellungnahmen zu nationalen und europäischen Vorhaben abgeben (Art. 127 Abs. 4, 282 Abs. 5 AEUV), die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen und auch die wirtschaftspolitische Steuerung im Euro-Währungsgebiet betreffen können.34 Zu diesen Bereichen zählen neben Fragen der Finanzmarktregulierung, der Bankenaufsicht35 oder der Finanzmarktstabilität auch die Weiterentwicklung des rechtlichen Rahmens der wirtschaftspolitischen Koordinierung unter Berücksichtigung des Primärziels der Preisstabilität.36 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die liquiditätsermöglichenden oder -sichernden Maßnahmen durch eine Inbezugsetzung zu wirtschaftspolitische Anpassungsprogramme ihren geldpolitischen Charakter verlieren, sie auch nicht im Sinne von Art. 127 Abs. 1 S. 2 die Wirtschaftspolitik in der EU unterstützen und die EZB mithin außerhalb ihrer Zuständigkeiten handelt .37 5.2.1.1. Abgrenzung von Währungs- und Wirtschaftspolitik Einerseits umfasst die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union gemäß Art. 119 Abs. 1 AEUV die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist (Art. 2 Abs. 3 AEUV, Art. 5 Abs. 1 AEUV und der Art. 120 AEUV bis 126 AEUV). Andererseits umfasst die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der EU gemäß Art. 119 Abs. 2 AEUV eine einheitliche Währung sowie die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- und Wechselkurspolitik (Art. 3 32 Für den Bezug zur allgemeinen Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Union vgl. Selmayr, in: Müller-Graff, EnzEuR Band 4, 2015, § 23, Rn. 116 f., 173. 33 Vgl. beispielsweise die Teilnahmerechte nach Art. 284 AEUV. 34 Vgl. beispielsweise die Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 16. Februar 2011 zur Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union, CON/2011/13, ABl. C 150 vom 20.5.2011, S. 1, abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/c_15020110520de00010041.pdf die Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 7. März 2012 zur gestärkten wirtschaftspolitischen Steuerung im Euro-Währungsgebiet , CON/2012/18, ABl. C 141 vom 17.5.2012, S. 7, abrufbar unter http://www.ecb.europa.eu/ecb/legal /pdf/c_14120120517de00070024.pdf oder die Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 26. November 2013 zur Lizenzvergabe, Regulierung und Aufsicht in Bezug auf genossenschaftliche Kreditinstitute in Zypern , CON/2013/81, abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/en_con_2013_81_f_sign.pdf. 35 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik in der Währungsunion, 2015, S. 137 ff., vgl. auch BVerfGE 14, 197 (216). 36 Vgl. hierzu beispielsweise die Stellungnahme der EZB vom 16. Februar 2011 zur Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union, CON/2011/13; die Stellungnahme der EZB vom 7. März 2012 zur gestärkten wirtschaftspolitischen Steuerung im Euro-Währungsgebiet, CON/2012/18. 37 Diese Frage andeutend vgl. Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 143. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 13 Abs. 1 Buchst. c AEUV, Art. 127 AEUV bis 133 AEUV sowie Art. 282 Abs. 1 AEUV), wobei die Union gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c AEUV eine ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der Währungspolitik für die Mitgliedstaaten besitzt, deren Währung der Euro ist. Das Primärrecht enthält selber keine Definition der Währungspolitik, nimmt jedoch in seinen diese Politik betreffenden Bestimmungen als wesentliches Definitionskriterium auf ihre Ziele – insbesondere das vorrangige Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität, Art. 127 Abs. 1 AEUV und 282 Abs. 2 AEUV – und nicht auf ihre Instrumente Bezug. Dementsprechend stellt der EuGH für die Zuordnung einer Maßnahme zum Bereich der Währungs- oder Wirtschaftspolitik primär auf die Zielsetzung der Maßnahme ab.38 Hierbei hat er festgestellt, dass eine wirtschaftspolitische Maßnahme nicht allein deshalb einer währungspolitischen Maßnahme entsprechen kann, weil sie mittelbare Auswirkungen auf die Stabilität des Euro haben kann.39 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine währungspolitische Maßnahme nicht allein dadurch zu einer wirtschaftspolitischen Maßnahme wird, weil sie mittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik der Union oder der Mitgliedstaaten haben kann.40 Vor diesem Hintergrund ist eine Maßnahme dann als währungspolitische zu qualifizieren, wenn sie ihrem Hauptziel nach den Zielen der Währungspolitik und insbesondere der Gewährleistung der Preisstabilität dient. Wenn die fragliche Maßnahme hingegen punktuelle Aspekte aufweist, die wirtschaftspolitischer Natur im Sinne der Art. 119 ff. AEUV sind, wird dies nach Ansicht des Generalanwalts Cruz Villalón nur dann mit dem Mandat der EZB vereinbar sein, wenn die Maßnahme der „Unterstützung“ wirtschaftspolitischer Maßnahmen dient und dem prioritären Ziel der EZB untergeordnet ist.41 5.2.1.2. Zielsetzungserheblichkeit und weiter Beurteilungsspielraum Für die Qualifikation einer EZB-Handlung als geldpolitische Maßnahme im Sinne des Art. 127 Abs. 1 S.1 AEUV ist primär auf deren Zielsetzung abzustellen.42 Dem gewählten Instrument und dessen Ausübung kommt hierbei lediglich eine Indizwirkung zu.43 Dies ergibt sich aus dem Umstand , dass die Handlungsoptionen der EZB nicht auf bestimmte Instrumente beschränkt sind. Vielmehr ergibt sich aus Art. 20 Abs. 1 ESZB-Satzung, dass die EZB auch über die Anwendung weiterer, nicht ausdrücklich in der ESZB-Satzung aufgeführter Instrumente entscheiden kann, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben und Ziele gemäß Art. 2 ESZB-Satzung für zweckmäßig hält. In ihrer Unabhängigkeit (Art. 282 Abs. 3 S. 3 AEUV) besitzt die EZB bei der Wahl der Instru- 38 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 56. 39 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 56, 97. 40 Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 129. 41 Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 132. 42 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 55. 43 Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 130. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 14 mente und Maßnahmen für die Steuerung der Geldpolitik ein weites währungspolitisches Ermessen .44 Dieses umfasst auch die Entscheidung, auf welche Weise sie auf die Preisstabilität Einfluss nehmen und ihrer Aufgabe, die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten, insgesamt gerecht werden will. Die Wahl und die Ausübung von Handlungsinstrumenten durch die EZB müssen dementsprechend im Lichte ihrer Unabhängigkeit und des weiten Einschätzungs- und Prognosespielraums der EZB bezüglich der Erreichung des Primärziels der Preisstabilität betrachtet werden . Eine Begrenzung der Handlungsoptionen der EZB hat vor diesem Hintergrund primär negativ über den Ausschluss von Instrumenten zu erfolgen, die im Lichte der Kompetenzordnung, des eng an die Gewährleistung von Preisstabilität gebundenen Mandats oder materieller Grenzen wie Art. 123, 127 Abs. 1 S. 3 AEUV unzulässig sind.45 Vor dem Hintergrund der Zielsetzungserheblichkeit einerseits sowie des weiten Beurteilungsspielraums andererseits sind Handlungen der EZB jedenfalls dann mandatskonform, sofern sie unter vertretbaren Gesichtspunkten mit dem primärrechtlich festgelegten Handlungsspielraum der EZB vereinbar sind und nicht evident gegen primärrechtliche Grenzen wie beispielsweise das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung gemäß Art. 123 AEUV verstoßen.46 Um gleichwohl eine Kontrolle zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass die EZB entsprechend Art. 296 Abs. 2 AEUV darlegt, aus welchen Gründen sie davon ausgeht, dass eine von ihr ergriffene Maßnahme einen geldpolitischen Zusammenhang aufweist.47 Mit Blick auf divergierende geldpolitische Annahmen und angesichts der Unabhängigkeit dürfte dabei entscheidend sein, dass sich die Begründung aus ökonomischer Sicht zumindest als vertretbar erweist.48 Eine dem weiten Ermessen entsprechende Beschränkung der (gerichtlichen) Kontrolle auf eine Vertretbarkeits- bzw. Evidenzprüfung entspricht der Umstand, dass eine Handlung insbesondere dann als ermessensmissbräuchlich anzusehen ist, wenn „aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien “ anzunehmen ist, dass sie zumindest vorwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken 44 Potacs, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 127, Rn. 5; Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank , 2005, S. 102 ff. 45 Vgl. mit Beispielen Siekmann, Missachtung rechtlicher Vorgaben des AEUV durch die Mitgliedstaaten und die EZB in der Schuldenkrise, Institute for Monetary and Finacial Stability, Working Paper No. 65 (2012), S. 39 f. 46 Vgl. EuGH, Rs. C-11/00 (Kommission/EZB), Rn. 114 ff.; Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 106 ff.; EuG, Rs. T-496/11 (Vereinigtes Königreich/EZB), Rn. 85 ff.; vgl. hierzu Thiele, Finanzaufsicht , 2014, S. 375 ff. 47 Vgl. hierzu die dementsprechende Unterrichtungspflicht der EZB aus Art. 284 Abs. 3 AEUV sowie zur Funktion der Begründungspflicht EuGH, Rs. 24/62 (Deutschland/Kommission), EU:C:1963:14, S. 155; EuGH, Rs. C-164/98 P (DIR International Film u. a./Kommission), Rn. 33. 48 Vgl. zur Einordnung des OMT-Beschluss der EZB als eine wirtschaftspolitische Maßnahme aufgrund seiner Anknüpfung an die wirtschaftspolitische Konditionalität von Hilfsprogrammen des ESM vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014, 2 BvR 2728/13 u.a., Rn. 74 ff. sowie Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C- 62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 140 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 15 oder zur Umgehung eines im Vertrag vorgesehenen Verfahrens erlassen wurde.49 Eine so verstandene Begrenzung der gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten von Ermessensausübungen der EZB entspricht einer Akzeptanz der Einschätzungs- und Beurteilungsspielräume der EZB.50 5.2.1.3. Unabhängigkeit der EZB Über den weiten Beurteilungsspielraum der EZB bei der Wahl und Ausübung von geldpolitischen Instrumenten hinaus kommt ihrer funktionellen und institutionellen Unabhängigkeit gemäß Art. 130, 282 Abs. 3 S. 3 AEUV eine besondere Bedeutung zu, dass sie vor politischen Einflussnahmen und insbesondere politischem Druck geschützt ist, damit sie die ihr vertraglich übertragenen Aufgaben und Ziele durch die unabhängige Ausübung der spezifischen Befugnisse wirksam verfolgen kann und damit auch gegebenenfalls aus eigenem Antrieb andere wirtschaftspolitische Ziele unterstützen kann, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Primärziels der Preisstabilität möglich ist.51 Weder die EZB noch die nationalen Zentralbanken dürfen gemäß Art. 130 AEUV Weisungen der Mitgliedstaaten einholen oder entgegennehmen oder die Mitgliedstaaten dürfen versuchen, Einfluss auf die EZB oder die nationalen Zentralbanken zu nehmen.52 Die Grenzen der funktionalen Unabhängigkeit der EZB kommen in Art. 130 Abs. 1, 282 Abs. 3 S. 3 AEUV zum Ausdruck, wonach die EZB nur bei der Ausübung der ihr in den Verträgen und der ESZB-Satzung übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten unabhängig agiert, so dass sich die EZB bei einer Kompetenzüberschreitung nicht auf ihre funktionale Unabhängigkeit berufen kann.53 Der umgekehrte Weg – die unmittelbare Einflussnahme der EZB auf die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten – ist primärrechtlich nicht ebenso explizit wie ihre Unabhängigkeit in Art. 130 AEUV begrenzt. Das Unionsrecht enthält keine Norm, die es der EZB ausdrücklich verbieten würde, Einfluss auf die Mitgliedstaaten zur Durchführung von fiskal- und wirtschaftspolitischen Anpassungsprogrammen zu nehmen. Jedoch wird von der EZB anerkannt, dass ihre Beziehungen zu anderen politischen Entscheidungsträgern angesichts ihrer Unabhängigkeit nicht über einen unverbindlichen Dialog hinausgehen können. Nach Ansicht der EZB darf es insbesondere keine vorherige Abstimmung der Geldpolitik mit der Wirtschaftspolitik geben, da sich hierdurch die 49 Vgl. EuGH, verb. Rs. 16 und 35/66 (Gutmann/Kommission), Slg. 1966, 153, 176; Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 263 AEUV, Rn. 90; vgl. auch Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 111 mwN. 50 Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 111, dagegen BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 - 2 BvE 13/13, Rn. 69 ff. 51 EuGH, Rs. C-11/00 (Kommission/EZB), Rn. 130, 134; vgl. hierzu Selmayr, in: Müller-Graff, EnzEuR Band 4, 2015, § 23, Rn. 109 f. 52 Vgl. eingehend hierzu Sieckmann, in: Sieckmann, WWU-Kommentar, 2013, Art. 130 AEUV, Rn. 58 ff. 53 EuGH, Rs. C-11/00 (Kommission/EZB), Rn. 135. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 16 Aufgabenverteilung zwischen den politisch Verantwortlichen verwischen würde, was wiederum zur Folge hätte, dass die Verantwortlichkeit nicht klar abgegrenzt wäre.54 Aus der Unabhängigkeit der EZB gemäß Art. 130 AEUV vor mitgliedstaatlichen Einflüssen folgt jedoch kein Verbot der Interaktion zwischen der EZB und politischen Institutionen. Die Unabhängigkeit der EZB kann nicht mit einer völligen Beziehungslosigkeit zur Politik in mitgliedstaatlicher Verantwortung gleichgesetzt werden. Die Geldpolitik ist vielmehr in vielfältiger Weise mit der staatlichen Wirtschafts- und Fiskalpolitik verknüpft. Geldpolitische Entscheidungen der EZB haben regelmäßig Auswirkungen auf die fiskalpolitische Situation in den Euro-Mitgliedstaaten; vice versa kann auch die Geldpolitik durch die Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten beeinflusst werden und geldpolitische Entscheidungen hervorrufen. Jedoch werden beispielsweise die geldpolitischen Beschlüsse über den Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte sowie die Zinssätze für die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität55 nicht dadurch zu einem Instrument der Wirtschaftspolitik, dass hierdurch die staatliche Kreditaufnahme erheblich beeinflusst wird. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die funktionsbezogene Unabhängigkeit der EZB erscheint es fernliegend, eine von ihrer Zielsetzung her geldpolitische Maßnahme dann nicht mehr als geldpolitische einzuordnen, wenn sie Auswirkungen auf wirtschafts- und fiskalpolitische Programme zeitigt. 5.2.1.4. Verhältnismäßigkeit Auch vor dem Hintergrund ihrer funktionellen und institutionellen Autonomie bleibt die EZB an die Kompetenzausübungsschranke des in Art. 5 Abs. 4 EUV und Protokoll (Nr. 2)56 normierten und als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts anerkannten Verhältnismäßigkeitsprinzips gebunden . Danach müssen die Handlungen der EZB als Unionsorgan geeignet sein, die mit dem eingesetzten Mittel zulässigerweise verfolgten Ziele zu erreichen, und sie dürfen nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist.57 Entsprechend der oben genannten Zielsetzungserheblichkeit muss die EZB alle Gesichtspunkte darlegen, aus denen sich die geldpolitische Zielsetzung einer Handlung ergibt. Soweit es sich bei der fraglichen Maßnahme um eine konventionelles Mittel insbesondere im Sinne des Art. 18.1 ESZB-Satzung zur Aufrechterhaltung der Preisstabilität handelt und die EZB im konkreten Fall nicht von ihrer entsprechenden Praxis abweicht, kann die EZB die hierbei zugrundeliegenden 54 EZB, Monatsbericht Januar 2010, S. 77 (78); vgl. auch Beukers, The new ECB and its relationship with the Eurozone Member States: between central bank independence and central bank intervention, CMLR 50 (2013), Rs. 1579 (1615 ff.). 55 Vgl. zuletzt Europäische Zentralbank, Geldpolitische Beschlüsse vom 5. März 2015, abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2015/html/pr150305.de.html. 56 Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. C 326/206. 57 Vgl. EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 122; EuGH, Rs. C-283/11 (Sky Österreich), Rn. 50. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 17 Erwägungen auch ex ante darlegen.58 Zudem muss die Handlung einerseits objektiv geeignet sein, das angegebene währungspolitische Ziel zu erreichen und andererseits zur Zielerreichung im Vergleich zu alternativen Maßnahmen zwingend erforderlich sein.59 Schließlich darf die Handlung nicht außer Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen. Im Rahmen dieser Abwägung ist die Unabhängigkeit der EZB zu berücksichtigen, so dass ihre Abwägungsentscheidung hinzunehmen ist, soweit sie nicht evident unverhältnismäßig ist.60 5.2.1.5. Wirkungen der Beteiligung der EZB im Rahmen der EFSF bzw. des ESM Bei den in der Fragestellung angesprochenen Handlungen der EZB mit Bezug auf makroökonomische Anpassungsprogramme ist zu berücksichtigen, dass die EZB ihrerseits als Akteur im Rahmen der EFSF bzw. des ESM tätig wird. Diesbezüglich ließe sich argumentieren, dass aus dem Umstand, dass sich die EZB aktiv am Ablauf der Finanzhilfeprogramme beteiligt, aus einer prima facie geldpolitischen Maßnahmen eine primär wirtschaftspolitische wird, soweit sie einseitig mit einem Anpassungsprogramm verknüpft wird – sich eine bedingte geldpolitische Handlung zu einem weiteren Instrument der Konditionalität wandelt.61 Insofern unterscheidet Generalanwalt Cruz Villalón in seinen Schlussanträgen zur Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.) zwischen einer geldpolitischen Maßnahme, die durch eine einseitige Bindung an die in einem Finanzhilfeprogramm auferlegten Konditionalität ein „moralisches Risiko“ ausschließen soll „und einer Maßnahme, die, in ihrer Gesamtheit betrachtet, die EZB als Organ einschließt, das diese Konditionalität aushandelt und vor allem in direkter Weise mit überwacht.“62 Vor diesem Hintergrund vertritt der Generalanwalt die Auffassung, dass die EZB die Folgen ihrer Mitwirkung an den Finanzhilfeprogrammen für die währungspolitische Natur einer bestimmten Maßnahme nicht richtig abgewogen habe und dass in diesem Kontext die Wahrung einer „funktionalen Distanz“ zwischen der geldpolitischen Maßnahme und dem Anpassungsprogramm angezeigt sei.63 Die EZB würde unzulässige Wirtschaftspolitik betreiben, wenn sie Anleihen eines Staates erwürbe, der einem Hilfsprogramm unterliegt, an dessen Durchführung und Überwachung die EZB beteiligt ist. Zur Gewährleistung einer funktionalen Distanz zwischen den Programmen dürfe die EZB daher nicht gleichzeitig das OMT-Programm durchführen und an der Überwachung eines Hilfsprogramms beteiligt sein. 58 Vgl. dementsprechend die Begründungen in Kapital 2 (Zugelassene Geschäftspartner) und Kapitel 6 (Notenbankfähige Sicherheiten) der Leitlinie EZB/2011/14 vom 20. September 2011 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2011:331:FULL&from=DE. 59 Vgl. EuGH, Rs. C-94/00 (Roquette Frères), Rn. 77. 60 Vgl. dementsprechend Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 187. 61 Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 145. 62 Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 146. 63 Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 147, 150. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 27/15 Seite 18 5.2.2. Folgerungen für die Inbezugsetzung von geldpolitischen Instrumenten und wirtschaftspolitischen Anpassungsprogrammen Während sowohl die in der Fragestellung angesprochenen geldpolitischen Maßnahmen als auch die wirtschaftspolitischen Anpassungsprogramme grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar sein dürfen, ist die Verbindung der geldpolitischen Maßnahme mit der wirtschaftspolitischen Entscheidung über den Abschluss und/oder die Umsetzung eines makroökonomischen Anpassungsprogramms weniger von einer normativen Steuerungswirkung, sondern vielmehr von (mittelbarer ) politischer Einflussnahme geprägt. Eine Beurteilung der Unionsrechtskonformität einer Inbezugsetzung von geldpolitischen Instrumenten und wirtschaftspolitischen Anpassungsprogramen kann dabei nicht pauschal erfolgen. Vielmehr ist eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung des weiten Beurteilungsspielraums der EZB bei der Wahl und Ausübung von geldpolitischen Instrumenten sowie der funktionellen und institutionellen Unabhängigkeit der EZB angezeigt . Eine evidente Kompetenzüberschreitung dürfte bei Fällen wie den beispielhaft aufgeführten in der Regel nicht anzunehmen sein. Mit Blick auf die Zielsetzungserheblichkeit kann sich die EZB beispielsweise regelmäßig auf das geldpolitische Ziel der Beseitigung von Blockaden der geldpolitischen Transmissionskanäle berufen.64 Mit Blick auf die Absenkung von Anforderungen an Sicherheiten sowie die Ausweitung von Notfall-Liquiditätshilfen und der damit einhergehenden Ausweitung der Geldmenge erscheint zumindest nicht unvertretbar, dass sich die EZB bei einer restriktive Handhabung, die einen entsprechenden Druck auf Programmländer ausüben kann, auf das geldpolitische Ziel der Sicherung der Preisstabilität berufen kann. Auch mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit ergeben sich aus hiesiger Sicht keine Anhaltspunkte, die per se ausreichen , um die von der EZB getroffenen Maßnahmen per se als unverhältnismäßig zu bewerten. Zusammenfassend erscheint die oben beispielhaft dargestellte Inbezugsetzung von geldpolitischen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen aus hiesiger Sicht nicht gegen das Mandat der EZB zu verstoßen. Es bleibt jedoch abzuwarten, welche Konsequenzen sich aus der Entscheidung des EuGH in der Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.) für eine funktionale Distanz von geldpolitischen Handlungen der EZB und ihrer Beteiligung im Rahmen der EFSF bzw. des ESM ergeben. - Fachbereich Europa - 64 Vgl. Schlussanträge GA Cruz Villalón zu EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 115 ff.