© 2016 Deutscher Bundestag PE 6-3000-26/15 188 Eintragung von Unionsbürgern in das Wählerverzeichnis bei Europawahlen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 2 Eintragung von Unionsbürgern in das Wählerverzeichnis bei Europawahlen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 – 26/15 Abschluss der Arbeit: 20.02.2015 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund und Fragestellung 4 2. Derzeitige und frühere Rechtslage 4 3. Vereinbarkeit der Europawahlordnung (EuWO) mit Richtlinie 93/109/EG 6 4. Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit? 7 4.1. Ungleichbehandlung 7 4.1.1. Natur der Ungleichbehandlung und Normzweck des Geleichbehandlungsgebots 7 4.1.2. Ungleichbehandlung vergleichbarer Personengruppen? 8 4.2. Rechtfertigung 9 5. Zusammenfassung 10 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 4 1. Hintergrund und Fragestellung Art. 22 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sieht vor, dass Unionsbürger das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament auch in dem Mitgliedstaat ausüben können, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Dieses 1993 in Kraft getretene „Wohnsitzprinzip“ sollte der politischen Integration der Unionsbürger im Wohnsitzstaat , der Stärkung der Wahlbeteiligung und der demokratischen Verankerung des Europäischen Parlaments dienen.1 Damit war vertraglich festgeschrieben, dass Unionsbürger ihr Wahlrecht auch in einem anderen als ihrem Heimatstaat ausüben können; erstmals konnten Unionsbürger von dem Wohnsitzprinzip bei den Europawahlen 1994 Gebrauch machen. Um in Deutschland an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen, ist die Eintragung ins Wählerverzeichnis zwingende Voraussetzung. Ein entsprechender Antrag auf Eintragung muss von Unionsbürgern gestellt werden. Deutsche werden aufgrund der Informationen im Melderegister von Amts wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen. Der Auftraggeber möchte vor diesem Hintergrund wissen, ob die Pflicht zur Antragstellung für Unionsbürger eine unionsrechtswidrige Ungleichbehandlung gegenüber deutschen Staatsangehörigen beinhaltet. Der EuGH hat sich zu dieser Problematik allerdings bisher noch nicht geäußert, sodass letztverbindliche Aussagen nicht getroffen werden können. 2. Derzeitige und frühere Rechtslage Das in Art. 22 Abs. 2 AEUV niedergelegte Wohnsitzprinzip bestimmt: „Unbeschadet des Artikels 223 Absatz 1 und der Bestimmungen zu dessen Durchführung besitzt jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Dieses Recht wird vorbehaltlich der Einzelheiten ausgeübt, die vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments festgelegt werden[…].“ Danach sollen bei der Ausübung des Wahlrechts durch Unionsbürger „dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats“. Die Modalitäten des in S. 2 formulierten Konkretisierungsvorbehalts wurden in Richtlinie 93/109/EG2 geregelt. Die Richtlinie führte kein einheitliches Wahlverfahren für alle Mitgliedstaaten ein; vielmehr regelt sie - bei möglichst weitgehender Beibehaltung der nationalen Wahlrechtsregelungen - lediglich „die für 1 Begründung vom 27. 10. 1993 zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat. KOM(93)534 endg., S. 9; Kluth, in: Callies/Ruffert. EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011. Art 22 AEUV, Rn. 9. 2 Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 5 eine einheitliche Wahldurchführung in allen Mitgliedstaaten unbedingt erforderlichen Fragen“.3 Dazu gehört insbesondere auch der Ausschluss von Doppelwahlen. In Deutschland wurde die Richtlinie durch das Europawahlgesetz (EuWG) und die Europawahlordnung (EuWO) umgesetzt. Ursprünglich war vorgesehen, dass jeder Unionsbürger, der in Deutschland sein aktives Wahlrecht ausüben wollte, vor jeder Europawahl einen neuen Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis stellen musste. Diese Voraussetzung zog jedoch mehrere Wahleinsprüche von Unionsbürgern nach sich4 und wurde von der Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland gerügt.5Dabei wurde geltend gemacht, Art. 9 Abs. 4 der Richtlinie sei nicht adäquat umgesetzt worden. Art. 9 Abs. 4 RL 93/109/EG regelt folgendes: „Aktiv Wahlberechtigte der Gemeinschaft, die in das Wählerverzeichnis eingetragen worden sind, bleiben unter den gleichen Bedingungen wie nationale aktiv Wahlberechtigte so lange eingetragen, bis sie die Streichung aus diesem Wählerverzeichnis beantragen oder von Amts wegen gestrichen werden, weil sie die Bedingungen für die Ausübung des aktiven Wahlrechts nicht mehr erfüllen.“ Bereits auf die Rüge der Kommission hin änderte der deutsche Gesetzgeber die Europawahlordnung ; nunmehr ist ein Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis nur bei erstmaliger Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament nötig. Deutsche werden ohne Antrag von Amts wegen in das Wählerverzeichnis aufgenommen (§ 15 EuWO). Für alle weiteren Wahlen werden auch Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten von Amts wegen in das Wählerverzeichnis aufgenommen, es sei denn, sie stellen einen Antrag auf Streichung (vgl. § 17b Abs. 1 EuWO). Diese Regelung geht im Einklang mit Art. 9 Abs. 4 der Richtlinie davon aus, dass ein Unionsbürger, der langfristig dauerhaft in Deutschland lebt und einmal einen Antrag auf Teilnahme an der Wahl zum Europäischen Parlament in Deutschland gestellt hat, eher auch bei späteren Wahlen in Deutschland seine Stimme abgeben möchte.6 Der Herkunftsstaat des Unionsbürgers wird außerdem über die Eintragung in das deutsche Wählerverzeichnis informiert, um Doppelwahlen zu vermeiden (§ 17 a Abs. 5 EuWO, Art. 13 RL 93/109/EG). 3 Dürig. Das neue Wahlrecht für Unionsbürger bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. NVwZ 1994, S. 1180 4 Vgl. dazu: Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu den gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen. BT-Drs. 14/2761. 5 Vgl. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/109/EG bei den Wahlen zum Europäischen Parlament vom Juni 1999 - Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. KOM(2000)0843 endg. Ziff. 2.2; Europäische Kommission. Pressemitteilung vom 30 Juni 1999: „Unionsbürgerschaft : Kommission beschließt, Deutschland und Griechenland mit Gründen versehene Stellungnahmen zum Wahlrecht zuzuleiten.“ IP/99/602. Online abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-99- 602_de.htm?locale=FR. 6 Bieber. Europawahlordnung. 1. Auflg. 2012. § 17 b EuWahlO. Rn 1-2 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 6 Für weitere Modalitäten zur Antragstellung (Zeitpunkt, Umfang etc.) wird auf die Informationen des Bundeswahlleiters verwiesen.7 3. Vereinbarkeit der Europawahlordnung (EuWO) mit Richtlinie 93/109/EG Um eine potenzielle Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Regelungen festzustellen sind diese zunächst am Maßstab des Sekundärrechts zu prüfen. Maßgeblich ist dafür die Richtlinie 93/109/EG. Die Pflicht zur wiederholten Antragstellung, die gegen Art. 9 Abs. 4 RL 93/109/EG verstieß, wurde bereits aufgehoben (s.o.). Inzwischen unterscheidet sich daher der ausländische Unionsbürger nur insoweit vom deutschen Staatsangehörigen, dass für Letzteren die Wohnsitzmeldung ausreicht, um in das Wählerverzeichnis eingetragen zu werden, während Ersterer zusätzlich zu seiner Wohnsitzmeldung noch einen Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis stellen muss. Auf den ersten Blick scheint also eine (unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfende ) Ungleichbehandlung vorzuliegen. Allerdings könnte ein solcher „Erstantrag“ gerade von der Richtlinie vorgesehen sein.8 Art. 8 der Richtlinie bestimmt: „Ein aktiv Wahlberechtigter der Gemeinschaft übt das aktive Wahlrecht auf seinen Wunsch hin im Wohnsitzmitgliedstaat aus. Besteht im Wohnsitzmitgliedstaat Wahlpflicht , so gilt diese Pflicht auch für die aktiv Wahlberechtigten der Gemeinschaft, die den Wunsch geäußert haben, das aktive Wahlrecht dort auszuüben“9. Mehrmals verwendet die Richtlinie diese Formulierung, die sich auf eine Wunschäußerung des Unionsbürgers bezieht und damit faktisch einen Antrag voraussetzt. So legt auch Art. 9 Abs. 1 RL 93/109/EG fest: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die aktiv Wahlberechtigten der Gemeinschaft , die dies wünschen, rechtzeitig vor den Wahlen in das Wählerverzeichnis eingetragen werden können.“10 Hinsichtlich des Antragsinhalts sieht die Richtlinie zwar vor, dass „der aktiv Wahlberechtigte der Gemeinschaft die gleichen Nachweise wie ein nationaler aktiv Wahlberechtigter beizubringen“ hat (Art. 9 Abs. 2 RL 93/109/EG). Gleichzeitig fordert die Richtlinie, dass eine förmliche Erklärung des Unionsbürgers vorliegen muss, deren Inhalt über die Informationen, die sich aus dem Melderegister ergeben, hinausgeht.11 Die Richtlinie kann daher mit guten Gründen so auszulegen sein, dass der Wunsch des Unionsbürgers in der Stellung eines Antrags zum Ausdruck kommen soll. Auch die Kommission geht davon aus, dass ein Antrag auf Eintragung in 7 Bundeswahlleiter. Service für Unionsbürger und Unionsbürgerinnen zur Europawahl am 25. Mai 2014. Online abrufbar unter: http://www.bundeswahlleiter.de/de/europawahlen/EU_BUND_14/unionsbuerger/. 8 Die Richtlinie selbst verstößt dadurch nicht gegen das primärrechtliche Diskriminierungsverbot, da der Konkretisierungsvorbehalt in Art. 22 Abs. 2 AEUV explizit einen Ausgestaltungsspielraum schafft und Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz vorsieht. 9 Hervorhebungen des Verfassers. 10 Hervorhebungen des Verfassers. 11 Hierzu gehört beispielsweise die Versicherung, dass der Unionsbürger sein aktives Wahlrecht nur im Wohnsitzmitgliedstaat ausüben wird, vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c RL 93/109/EG. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 7 das Wählerverzeichnis nötig ist. In einer Mitteilung zur Anwendung der Richtlinie 93/109/EG erklärt sie: „Unionsbürger, die ihr Wahlrecht in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat ausüben wollen, müssen einen Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis stellen“.12 Um ihr Wahlrecht effektiv ausüben zu können, müssen die Unionsbürger nach Art. 12 RL 93/109/EG rechtzeitig und umfassend über die Antragspflicht informiert werden. Dieser Informationspflicht trägt der deutsche Gesetzgeber in §§ 18 und 19 Abs. 3 EuWO Rechnung. Es dürfte daher viel dafür sprechen, dass die Richtlinie unionsrechtskonform umgesetzt wurde. 4. Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit? Fraglich ist, ob dennoch eine unionsrechtswidrige Diskriminierung von ausländischen Unionsbürgern durch die Regelung der EuWO (§ 17 a EuWO) vorliegt. 4.1. Ungleichbehandlung Zunächst ist zu prüfen, ob durch § 17 a EuWO eine vom Primärrecht13 verbotene Ungleichbehandlung zwei vergleichbarer Personengruppen stattfindet. 4.1.1. Natur der Ungleichbehandlung und Normzweck des Geleichbehandlungsgebots Während Deutsche von Amts wegen in das Wählerverzeichnis zur Europawahl eingetragen werden , müssen ausländische Unionsbürger einen Antrag auf Eintragung stellen. Die vordergründige Ungleichbehandlung ergibt sich in dieser Konstellation jedoch nur daraus, dass die nationalen Regelungen zum Wahlrecht (die in jedem Mitgliedstaat unterschiedlich sind14) für deutsche Staatsangehörige einen solchen Antrag nicht vorsehen. Die Ungleichbehandlung ergibt sich also erst aus der Umsetzung der Richtlinie im Vergleich zur nationalen Regelung, die nicht von dem Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst wird (Wahlteilnahme eigener Bürger). Der deutsche Gesetzgeber ist aber verpflichtet, die Vorgaben durch die Richtlinie (hier: Erstantrag für Unionsbürger , s.o.) auch entsprechend der Richtlinie umzusetzen. Eine eventuelle Diskriminierung wäre daher nur dadurch auszugleichen, dass auch für deutsche Staatsangehörige neben der Wohnsitzmeldepflicht ein Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis verpflichtend würde. Daraus 12 Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/109/EG bei den Wahlen zum Europäischen Parlament vom Juni 1999 - Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. KOM(2000)0843 endg. Ziff. 2.1. 13 Primärrechtlich ergibt sich ein solches Verbot aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot gem. Art. 18 AEUV, aber auch aus der spezielleren Ausprägung in Art. 22 AEUV. Art. 20 AEUV definiert demgegenüber den persönlichen Schutzbereich des Diskriminierungsverbots, der sich auf alle Unionsbürger erstreckt. (Haratsch/Koenig /Pechstein. Europarecht. 9. Aufl. 2014 Rn. 723, 727). 14 Vgl. dazu eine Auflistung der verschiedenen Verfahren in den Mitgliedstaaten in: Europäische Kommission. Begründung vom 27. 10. 1993 zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat. KOM(93)534 endg., S. 6 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 8 würde sich aber kein Mehrwert für die Integration und erhöhte Wahlbeteiligung von Unionsbürgern ergeben. Den Erstantrag für Unionsbürger in Deutschland abzuschaffen ist demgegenüber keine Option, da damit gegen die Richtlinie verstoßen würde. Die Ungleichbehandlung ergibt sich also nur aus dem Zusammentreffen nationalem Rechts und europäischem Sekundärrecht. Der deutsche Gesetzgeber regelt die Voraussetzungen der Wahlbeteiligung für deutsche Staatsangehörige, der Unionsgesetzgeber normiert Vorgaben für die Voraussetzungen der Wahlbeteiligung von anderen Unionsbürgern. Grundsätzlich umfasst das Gleichbehandlungsgebot aber das Verbot der Benachteiligung aufgrund von Staatsangehörigkeit durch einen hoheitlichen Akteur, den Mitgliedstaat.15 Da die Ungleichbehandlung erst durch die Umsetzung von Unionsrecht eintritt, ist daran zu zweifeln, dass in diesem Fall das Diskriminierungsverbot überhaupt anwendbar ist. 4.1.2. Ungleichbehandlung vergleichbarer Personengruppen? Einmal unterstellt, eine Anwendung des Diskriminierungsverbots sei dennoch möglich, setzte eine verbotene Ungleichbehandlung außerdem immer eine ungleiche Behandlung gleicher Sachverhalte voraus16 – das Diskriminierungsverbot entspricht (auch durch die Verschränkung mit Unionsbürgerschaft und Freizügigkeitsrechten) somit einem Gleichbehandlungsgebot.17 Selbst wenn deutsche Staatsangehörige und ausländische Unionsbürger in ihrer Rolle als Wähler grundsätzlich vergleichbar scheinen, kann an der Vergleichbarkeit der Personengruppen im konkreten Fall gezweifelt werden. Die Vergleichsgruppen bestehen auf der einen Seite aus in Deutschland wohnenden deutschen Staatsangehörigen und andererseits aus in Deutschland wohnenden Unionsbürgern ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Erstere können ihr Wahlrecht bezüglich der Europawahl ausschließlich in Deutschland ausüben, da ihr Wahlrecht entweder an den Wohnsitz oder an den Herkunftsstaat geknüpft ist und hier beide Kategorien übereinstimmen. Unionsbürger können allerdings entweder in ihrem Herkunftsland oder in Deutschland ihr Wahlrecht ausüben; ihnen stehen also anders als den deutschen Staatsangehörigen zwei Alternativen zur Auswahl. Schon deswegen könnte also eine Ungleichbehandlung von gleichen Personengruppen verneint werden. Die Auswahlmöglichkeit der Unionsbürger muss berücksichtigt werden; dies bringt auch die Richtlinie wiederholt zum Ausdruck (s.o. unter 3.), insbesondere auch in ihrem Erwägungsgrund 718. Wenn die Richtlinie vorschreibt, dass Wahlberechtigte der Union unter den gleichen Voraussetzungen wie nationale Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis eingetragen werden 15 Haratsch/Koenig/Pechstein. Europarecht. 9. Auflage. Rn. 725, 739. 16 EuGH Rs. C-279/93 (Schumacker) Rn. 30; Rs. C-148/02 (Garcia Avello), Rn. 31; von Bogdandy in: Grabitz/Hilf/Nettesheim. Das Recht der Europäischen Union. 54. Ergänzungslieferung 2014. Art. 18 Rn 6; Haratsch /Koenig/Pechstein. Europarecht. 9. Auflage. Rn. 739. 17 Lippert. Der grenzüberschreitende Sachverhalt im Unionsrecht. 2013, S. 182 – 183. 18 Erwägungsgrund 7 RL 93/109/EG: „Artikel 8b Absatz 2 des EG-Vertrags sieht das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat vor, ohne dieses an die Stelle des aktiven und passiven Wahlrechts im Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, zu setzen. Es gilt, die freie Entscheidung des Unionsbürgers bezüglich des Mitgliedstaats, in dem er sich an der Europawahl beteiligen möchte, zu respektieren, wobei ein Missbrauch dieser Freiheit durch eine doppelte Stimmabgabe oder eine doppelte Kandidatur auszuschließen ist.“ [Hervorhebung des Verfassers] Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 9 müssen, bezieht sich dieses Erfordernis daher wohl eher auf sonstige materielle Voraussetzungen (z.B. Alter, Straffreiheit etc.) des nationalen Wahlrechts. Anders als für deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Deutschland ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass in Deutschland wohnende ausländische Unionsbürger ihr Wahlrecht auch tatsächlich in Deutschland ausüben wollen – schließlich treffen sie damit auch gleichzeitig eine Wahl zwischen verschiedenen Kandidatenlisten.19 Um dieser Wahl zwischen den Alternativen Ausdruck zu verleihen und die Entscheidungsfreiheit des Unionsbürgers zu wahren, ist ein Erstantrag nötig. Für deutsche Wahlberechtigte, die in Deutschland wohnen, ist ein solcher Antrag nicht nötig, da hinsichtlich des Wahlorts keine Alternativen bestehen. Wenn man dieser Argumentation folgt, läge schon keine Ungleichbehandlung vor, da die zwei Wählergruppen (Deutsche und in Deutschland wohnende Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten) nicht vergleichbar sind. 4.2. Rechtfertigung Selbst wenn man in einem weiteren Schritt aber davon ausginge, dass die Wählergruppen vergleichbar sind und eine Ungleichbehandlung vorliegt, ließe sich diese rechtfertigen.20 Als Rechtfertigungsgrund käme zunächst die Vermeidung von Doppelwahlen als Ziel der Richtlinie 93/109/EG in Betracht. Laut Erwägungsgrund 7 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie ist ein Missbrauch des Wahlrechts durch Doppelwahlen verboten und soll verhindert werden. Dazu ist auch ein Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten vor den Wahlen vorgesehen. Um diesen Informationsaustausch zu gewährleisten, ist ein fristgerechter Antrag des Unionsbürgers notwendig .21 Weiterer Rechtfertigungsgrund wäre die Wahl- und Entscheidungsfreiheit der Unionsbürger , die respektiert werden muss. Bei automatischer Eintragung in das Wählerverzeichnis durch die Meldebehörde könnte dem Unionsbürger sein Wahlrecht in seinem Herkunftsstaat ohne seine Zustimmung entzogen werden. Beide Aspekte berücksichtigt auch die Kommission in ihrer Begründung zum Vorschlag der Richtlinie: 19 Europäische Kommission. Bericht über die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments (Akt von 1976 in der durch den Beschluss 2002/772/EG) und über die Teilnahme von Bürgern der Europäischen Union an den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat (Richtlinie 93/109/EG) KOM(2010)0605 endg. S. 6. Online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/justice/policies/citizenship/docs/com_2010_605_de.pdf Laut des Berichts der Kommission ergeben auch die Eurobarometer-Umfragen, dass die Meinungen der Bürger über die Kandidaten und die Listen, für die sie bei den Europawahlen stimmen wollen, sehr auseinander gehen. Etwa 44 % gaben an, dass sie, wenn sie nicht mehr in ihrem Herkunftsmitgliedstaat wohnen würden, für die Liste des Wohnsitzmitgliedstaats stimmen würden, während etwa gleich viele Bürger (46 %) erklärten, dass sie auch dann in ihrem Herkunftsmitgliedstaat wählen würden, wenn sie nicht mehr dort wohnten. 20 Ob eine solche unmittelbar an die Staatsangehörigkeit knüpfende Ungleichbehandlung (sog. direkte Diskriminierung ) überhaupt gerechtfertigt werden kann, ist in der Literatur umstritten (vgl. dazu Haratsch/Koenig/Pechstein . Rn. 720). Der EuGH hat sich noch nicht explizit dazu geäußert, scheint aber auch unmittelbare/direkte Diskriminierungen für rechtfertigungsfähig zu halten. (vgl. EuGH, Rs. C-85/96 (Martinez Sala) Rn. 64; EuGH, Rs. C-122/96 (Saldanha), Rn. 26-30) 21 So auch VG Stuttgart, Beschluß vom 10. 6. 1999 - 9 K 2702/98. NVwZ 2000, S. 347. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 26/15 Seite 10 „[Es] muss die freie Entscheidung des Unionsbürgers darüber, in welchem Mitgliedstaat er sein Wahlrecht ausübt, respektiert werden. Gleichzeitig muss jedoch dafür gesorgt werden , dass diese Entscheidungsfreiheit nicht durch eine doppelte Stimmabgabe oder doppelte Kandidatur missbraucht wird.22 […] Der Wahlberechtigte der Gemeinschaft, der sich für die Wahl im Wohnsitzmitgliedstaat entscheidet, verzichtet gleichzeitig auf die Ausübung seines Wahlrechts in seinem Herkunftsmitgliedstaat. Diese Rechtsfolge kann nur auf Antrag des Betroffenen eintreten.“23 Die Ungleichbehandlung diente also den Rechtsgütern der Entscheidungsfreiheit der Unionsbürger (und damit ihrer Wahlfreiheit) und der demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments ; im Lichte dessen ist die Beeinträchtigung derjenigen Unionsbürger, die tatsächlich in Deutschland wählen wollen, durch eine Erstantragspflicht gering. Nach Abwägung der Entscheidungsfreiheit der Unionsbürger und des Vorbeugens von Missbrauchs durch Doppelwahlen auf der einen Seite mit der Einschränkung durch das Erfordernis eines Erstantrags auf der anderen Seite erscheint eine Antragspflicht daher verhältnismäßig. Eine Ungleichbehandlung wäre somit wohl gerechtfertigt. 5. Zusammenfassung Das aktive Wahlrecht zur Wahl des Europäischen Parlaments darf von Unionsbürgern gem. Art. 22 Abs. 2 AEUV auch im Wohnsitzmitgliedstaat ausgeübt werden. Die Einzelheiten dazu regelt Richtlinie 93/109/EG. In Deutschland müssen ausländische Unionsbürger einen Erstantrag stellen, um in das Wählerverzeichnis aufgenommen zu werden. Dies entspricht einer unionsrechtskonformen Auslegung der Richtlinie. Ob eine Ungleichbehandlung gegenüber deutschen Staatsangehörigen, die aufgrund der Informationen im Melderegister von Amts wegen ins Wählerverzeichnis eingetragen werden, dennoch vorliegt, kann mit guten Gründen angezweifelt werden , da zum einen das Diskriminierungsverbot auf diese Konstellation nicht zwingend anwendbar ist und zum anderen die Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Soweit dessen ungeachtet eine Ungleichbehandlung dennoch angenommen würde, wäre diese zumindest mit Blick auf die Entscheidungsfreiheit der Unionsbürger und des Ziels der Vermeidung von Doppelwahlen gerechtfertigt . Eine unionsrechtswidrige Diskriminierung ist in den Regelungen der EuWO daher nicht zu sehen. Eine letztverbindliche Aussage hierüber kann aber nur der EuGH treffen, der sich bisher zu dieser Problematik noch nicht geäußert hat. - Fachbereich Europa - 22 Europäische Kommission. Begründung vom 27. 10. 1993 zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat. KOM(93)534 endg., S. 9 und 17. 23 Hervorhebungen des Verfassers.