PE 6 - 3000 - 025/19 (26. Februar 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, zu recherchieren, aus welchen Vorschriften der Europäische Gerichtshof (EuGH) das sog. Trennungsgebot bei der Abschiebehaft herleitet und welche Entscheidungen des EuGH Einschränkungen dieses Gebotes gemäß den Art. 2 Abs. 2 Buchst. b, 16 und 18 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie)1 betreffen. Daneben sollen solche unionsrechtlichen Bestimmungen ermittelt werden, die eine Notlage im Sinne des Art. 18 Rückführungsrichtlinie definieren. In seinen Entscheidungen leitet der EuGH die Pflicht der Mitgliedstaaten, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige im Rahmen der Abschiebehaft getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen , aus Art. 16 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie ab:2 „Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.“ Die Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt nach Art. 16 Abs. 1 S. 2 Rückführungsrichtlinie ist nach seiner Rechtsprechung bereits dann ausgeschlossen, wenn die nach nationalem Recht für Haftanordnung und –vollzug zuständige föderale Untergliederung eines föderal strukturierten Staates über keine spezielle Hafteinrichtung nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 Rückführungsrichtlinie verfügt, solche aber in anderen föderalen Untergliederungen vorhanden sind.3 Als materielle 1 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98. 2 Siehe EuGH, Rs. C-61/11 PPU, Rn. 40; EuGH, Rs. C-474/13, Rn. 17 ff. 3 EuGH, verb. Rs. C-473/13 und C-514/13, Rn. 31-32. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b, 16 und 18 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b, 16 und 18 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 Voraussetzung für die Unterbringung im Rahmen der Abschiebehaft verbietet das Trennungsgebot nach Auffassung des EuGH auch dann eine gemeinsame Unterbringung mit gewöhnlichen Strafgefangenen, wenn der betroffene Drittstaatsangehörige darin einwilligt.4 Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Rückführungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten, Drittstaatsangehörige , „die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist“ von dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausnehmen. Dazu hat der EuGH festgestellt, dass allein der Rechtsverstoß des illegalen Aufenthalts für einen solchen Anwendungsausschluss nicht ausreicht.5 Des Weiteren kann nach dessen Auffassung die Anordnung eines Ausschlusses nicht gegenüber solchen Personen erfolgen, denen gegenüber die Rückführungsrichtlinie bereits Wirkung entfaltet hat, ohne dass der jeweilige Mitgliedstaat bis zu diesem Zeitpunkt von der Ausschlussmöglichkeit des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Gebrauch gemacht hat.6 Ein nachträglicher Anwendungsausschluss ist mithin auf Grundlage dieser Vorschrift nicht möglich. Nach Art. 18 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie kann, wenn „eine außergewöhnlich große Zahl von Drittstaatsangehörigen, deren Rückkehr sicherzustellen ist, zu einer unvorhersehbaren Überlastung der Kapazitäten der Hafteinrichtungen eines Mitgliedstaats oder seines Verwaltungs- oder Justizpersonals“ führt, der betroffene Mitgliedstaat von den Haftbedingungen des Art. 16 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie abweichen, solange diese besondere Situation fortbesteht. Soweit ersichtlich, gibt es zu dieser Regelung bisher keine Rechtsprechung des EuGH. Unionsrechtliche Bestimmungen, welche eine Notlage im Sinne des Art. 18 Rückführungsrichtlinie definieren, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Zwar enthält das Rückkehr-Handbuch im Anhang zu der Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission7 Regelungen zu der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben nach der Rückführungsrichtlinie. Selbst in dessen Nr. 17 (Notlagen) zu dem Art. 18 Rückführungsrichtlinie findet sich jedoch keine Definition einer Notlage im Sinne dieser Vorschrift. – Fachbereich Europa – 4 EuGH, Rs. C-474/13, Rn. 21 ff. 5 EuGH, Rs. C-329/11, Rn. 41; EuGH, Rs. C-522/11, 1. Leitsatz. 6 Vgl. EuGH, Rs. C-297/12, Rn. 53 ff. 7 Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch “, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist, ABl. L 339 vom 19.12.2017, S. 83.